Die Verantwortung von Religionen, spirituellen Bewegungen,
sowie religiösen und spirituellen Menschen für den Frieden

Karl Amesbauer

In verschiedenen interreligiösen Konferenzen und Tagungen habe ich drei wesentliche Aufgaben für religiöse Menschen erkannt. Erstens:
Alle religiösen Traditionen
sollen einander respektieren und sich zumindest dafür einsetzen, dass Konflikte oder Kriege aus religiösen Gründen vermieden werden. Zweitens:
Wir alle als miteinander kooperierende Gemeinschaften sollten für-Ein-Ander da sein und damit der Welt dienstbar werden. Drittens:
Damit die Religionen ihre Aufgabe erfüllen können, sollten wir durch eine kooperierende Organisation, in der Menschen aller Religionen und spirituellen Bewegungen mitarbeiten (von höchsten Leitern bis zu gewöhnlichen Mitgliedern) und damit ihren Beitrag für Frieden leisten. Jetzt ist die Zeit, in der alle Religionen eine ganz besondere Verantwortung für die Verwirklichung des Friedens empfinden sollten. Für diesen Zweck sollten sie aktiv werden. Das zukünftige Glück der Menschheit kann nicht durch das Streben nach wirtschaftlicher Prosperität allein gefunden werden. Das Wichtigste ist, dass wir die Konflikte zwischen Ideologien, Kulturen und Rassen durch interreligiöses Verständnis und geistige Harmonie überwinden können.

Von allen Religionen her wissen wir, dass das Ideal des Schöpfers auf wahrer Liebe gründet und es trägt uns auf, auch für das Wohl anderer zu leben. Und ein weiteres Ziel des menschlichen Lebens ist es, auf dieser Grundlage eine gute Gesellschaft zu errichten. Auf der Grundlage der göttlichen Spiritualität sollte eine harmonische Einheit zwischen der geistigen Welt und der materiellen Welt Realität werden und so eine gute Gesellschaft entstehen. Sowie der Mensch mit seiner göttlichen Transzendenz eine harmonische Einheit zwischen  seinem geistigen Selbst und seinem physischen Leib herstellen sollte. Aber durch die falsche Liebe und Selbstbezogenheit des Widersachers wurde jeder Mensch zu einem Wesen, in dem Disharmonie zwischen seinem Geist und seinem Körper herrschen.

Dementsprechend ist auch seine Familie, die Gesellschaft und seine Welt, die sich aus solchen Menschen zusammensetzt, die durch diesen Widerspruch charakterisiert sind. Sie leben in Streit und Schwierigkeiten, die nichts anderes als die vielschichtige Verstärkung der Disharmonie und des Kampfes sind, die in jedem Einzelnen existieren.

Die demokratische Welt ist in verstärktem Maße selbst-bezogen geworden. Genau das wünscht sich der Widersacher Gottes, und somit führt er viele Menschen auf  Irrwegen. Wenn wir diesen Niedergang aufhalten wollen, dürfen wir uns nicht allein auf die Ideale der Linken oder Rechten in der Politik verlassen. Wir brauchen eine Bewegung, die von der Mitte des Menschen ausgeht. In der Mitte des Menschen befindet sich das Herz, dass  die Liebe in den Mittelpunkt stellen sollte und das über die Ideologien der Linken oder Rechten hinausgehen kann. Wir benötigen eine Herzensbewegung („Herzismus“), welche uns erkennen lässt, dass unser Leben auf eine letztgültige göttliche Wirklichkeit hin gelebt werden soll, ausgerichtet auf die Liebe, für alle Welt.

Religionen und Philosophien repräsentieren die innere Welt des Geistes; die äußere physische Welt wird durch Politik und Wirtschaft repräsentiert. Sowie das geistige Selbst in der inneren Position – und damit führenden Position – steht, während der Körper in der äußeren Position mit seinem Geist harmonieren sollte, sollten Religion und Politik in einer Ursache – Wirkung – Beziehung Harmonie und Einheit schaffen.

Warum hat der Schöpfer durch die Geschichte Heilige und Propheten gesandt? Er wollte alle Menschen Seinen Willen und Seine Liebe wissen lassen, indem Er ihnen durch den Lebensstil und die Ideen der verschiedener Persönlichkeiten ein Modell zeigte. Es scheint so, als zielte der Schöpfer darauf hin, die geistige und physische Welt in Harmonie zu vereinigen. Dies könnte dadurch erreicht werden, indem Staatenlenker und politisch Verantwortliche den himmlischen Weg kennen lernen und ihn praktizieren.

Aber so wie der Körper oft nicht dem Verlangen des Geistes folgt, haben viele Herrscher heilige Menschen nicht anerkannt. Sie haben ihre Lehren nicht angenommen. Sie haben ihre Warnungen ignoriert. Aber wer übernimmt Verantwortung, das Elend in der gegenwärtigen Gesellschaft zu beseitigen: die Verwirrung bezüglich Werte, Korruption, Drogenmissbrauch, Terrorismus, Rassenhass, religiöse Konflikte, Kriege usw.  Können Politiker allein durch ihre Macht diese Probleme lösen? Ich denke, dass die Regierenden, wenn sie wichtige Entscheidungen treffen, demütig auf die Stimme  hören sollten, die vom Himmel kommt.

Wir sollten aber auch erkennen, dass die Religionen und spirituellen Bewegungen, die die geistige Welt repräsentieren, ihre Verantwortung, eine friedliche Welt hervorzubringen, nicht erfüllt haben. Wir sollten die Tatsache nicht leugnen, dass die Religionen in ihren gegenwärtigen Zustand nicht die Lebensenergie besitzen, um die Welt zu führen und zu reinigen und dass sie sich oft entgegen ihrer ursprünglichen Mission verhalten.

Die Begegnung mit dem Schöpfer und die Liebe zu unseren Mitmenschen ist unsere Mission. Deshalb kann das Wohlergehen einer religiösen Organisation allein nicht der Zweck der Religion sein. Der Schöpfer erwartet von uns, dass wir in Dialog miteinander treten und gemeinsam versuchen seinen Willen zu erkennen und uns für eine bessere Welt  investieren. Allein mit unserer eigenen religiösen Organisation (mag sie auch noch so Groß und gut sein) wird es nicht funktionieren, eine bessere Welt hervorzubringen. Der Schöpfer hat das nicht ohne Grund so eingerichtet, sondern wir können davon lernen, dass wir einander brauchen. Ist das nicht eine wunderbare Sache? Problemlösungen, die wir uns gemeinsam erarbeiten, werden größere Wahrheiten sein als diejenigen, die wir in unseren religiösen Schriften finden und an die wir glauben. Der Schöpfer, den ich kennen gelernt habe, ist nicht zufrieden allein mit dem Inhalt von Dogmen und Lehrsätzen , die entsprechend der menschlichen Logik zusammengestellt wurden. Nachdem Er (Sie oder das Transzendente) Ursprung und Eltern von uns allen ist, diskriminiert Er (Sie oder das Transzendente) nicht zwischen Rassen oder Religionen. Deshalb ist eine noch nie da gewesene Veränderung auf globaler Ebene, ausgelöst durch die motivierende Kraft aller Religionen und Spiritueller Bewegungen, die in einer Bewegung von ganz neuer Dimension vereinigt sind, erforderlich.

Die Heuchelei religiöser Menschen, die des Schöpfers Liebe nicht aufrichtig praktiziert haben, hat zur Verbreitung des Atheismus geführt. Alle Religionen sollten das Streben nach eigenem Vorteil hinter sich lassen und die Sache der Reinigung der Welt, auf die der Schöpfer hofft, zu ihrer eigenen machen. Sie sollten die ersten sein, die keine Anstrengungen meiden, Armut, Krankheit und Verbrechen aus dieser Welt zu verbannen. Sie sollten ein helles Licht in dieser dunklen Welt werden. Sie sollten die Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft, im sozialen Leben usw. führen.

UNO–Generalsekretär U Thant hatte in den 60er Jahren bereits die Vision, so etwas wie eine zweite Kammer in den Vereinten Nationen einzurichten . Er sagte einmal in einem Gespräch zu Mar Gregorios: „Was wir zusätzlich zu den Vereinten Nationen brauchen, sind Vereinte Religionen, in der alle Weltreligionen vertreten sind und sich Gedanken machen über die Probleme und Lösungen dieser Welt.“ Er erkannte, dass Regierungen und Nationen oft eine recht begrenzte Sicht von Problemen und deren Lösungen hatten, deshalb dachte er, dass für Religionen die bessere Chance bestünde, moralische und gerechtere Lösungen zu finden .

Ein erster Schritt dazu könnte sein, durch interkonfessionelle und interreligiöse Konferenzen und Tagungen ein Modell für interreligiöse Zusammenarbeit und Harmonie und für das Praktizieren der Liebe des Schöpfers, welche besonders religiöse Menschen verkörpern sollen, zu schaffen. Natürlich sollten diese Konferenzen und Tagungen und weiters die Beschlüsse, die aus ihnen hervorgehen, auf demokratischer Ebene basieren. Nicht scheindemokratisch, wie das in unseren weltlichen Systemen oft der Fall ist, sondern wirklich demokratisch. Der Beitrag über Deganawida könnte uns Aufschluss darüber geben, wie so eine demokratische Zusammenarbeit aussehen könnte. In diesem Zusammenhang möchte ich aber auch das Beispiel und die Endstehung der WORLD SCRIPTURE anführen. Die WORLD SCRIPTURE – A Comparative Anthology of Sacred Texts - ist nach fünf Jahren gemeinsamer Anstrengungen von Gelehrten aus allen Religionen und nach Einsichtnahme und Empfehlungen verschiedener Leiter von Weltreligionen fertiggestellt worden.

Die WORLD SCRIPTURE  könnte ein helles Licht sein, eine heilige Schrift, welche die universalen wertvollen Inhalte aller Schriften der Weltreligionen zusammenfasst. Im besonderen könnte es auch ein sehr wertvolles Textbuch für die Erziehung der jüngeren Generation sein, die in einer Weltfamilie zusammenleben wird. Es könnte sie lehren, Barrieren zwischen Religionen, Rassen und Kulturen zu überwinden. Ich glaube, dass Menschen durch dieses Buch nicht nur von religiöser Intoleranz und Selbstgerechtigkeit befreit werden können, sondern dass sie auch die Tatsache erkennen, dass es zwischen den verschiedenen Religionen gemeinsame Werte und eine universale Grundlage gibt, die viel bedeutsamer sind als  die Unterschiede, die in der Geschichte die Religionen voneinander getrennt haben. Wenn wir diesem Beispiel in der interreligiösen Zusammenarbeit folgen, können wir - glaube ich - eine bessere und friedlichere Welt hervorbringen.

Wenn wir uns ernsthaft Gedanken über dieses Zeitalter machen, können wir erkennen, dass wir in einer Zeit leben, in der nicht nur Glaube, sondern auch Handlungen erforderlich sind, um die Probleme dieser Welt zu lösen. Die Welt befindet sich in einem Zustand, in dem wir sie nicht allein lassen können. Wir, die wir die Religionen repräsentieren, sollten diese Verantwortung übernehmen. Deshalb wünsche ich eine aktive Zusammenarbeit von allen.Dadurch kann eine starke Grundlage gelegt werden.

 Wenn sich alle Religionen und  Bewegungen wirklich „bewegen“, wird mehr Friede zur Realität werden auf dieser Welt (wir haben keine andere). Wir sind also dazu aufgerufen, die Sprengkraft zu nützen, welche durch interreligiösen Dialog, und interreligiöse Kooperation zustande kommen wird. In diesem Sinne wünsche ich uns allen Erfolg, und mögen wir zu Menschen, Religionen oder Bewegungen werden, die Frieden in diese Welt bringen können.

 

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