Veranstaltung "Voices for Peace", Wien, 28.2.2002

Etwa 70 Gäste waren der Einladung der IVZ zu einem interreligiösen Gedankenaustausch mit dem Schwerpunkt "Überwindung des Nah-Ost-Konfliktes" gefolgt.  Die einleitenden Worte fand Karl Amesbauer.  Er hatte auch die Hauptpersonen des Abends, die Sängerin Timna Brauer (Jüdin) und den Musiktherapeuten Gerhard Tucek (Muslim), eingeladen.

Wir Menschen, sagte er, sind alle Geschwister, und Gott, der Schöpfer, ist unsere Eltern. Der Nah-Ost-Konflikt sei nicht nur ein politischer, sondern ein zutiefst religiöser. Der Konflikt zwischen Juden und Muslimen ginge zurück auf die Familie Abrahams; an diesen Wurzeln her müsse man Lösungen entwickeln. Manche Tatsachen sieht der Koran anders als die Bibel. Zum Beispiel wurde in der Bibel Isaak, der Sohn Abrahams mit Sarah, geopfert, im Koran hingegen Ismael, der Sohn Abrahams mit Hagar. Der Zwist zwischen den beiden Frauen bewirkte zwar die Trennung der beiden (Halb)Brüder, sie wurden aber dennoch beide von Gott beschützt und gesegnet. Beim Begräbnis ihres Vaters Abraham (Ibrahim) waren sie beide anwesend. Die beiden aus ihnen hervorgegangenen Völker jedoch - beide gemäß der Verheißung an den Vater zahlreicher als die Sterne am Himmel - scheinen durch ihre "Wahrheit" in ihrer Unversöhnlichkeit bestärkt zu werden. Deshalb sei eine Lösung des Nah-Ost-Konfliktes in den schon erwähnten Punkten zu suchen und zu finden, und dieser Konflikt zur Zeit eine Schande für die Menschheit, sei auch gleichzeitig eine der größten Chancen für Sie. Die Religionen bzw. deren Vertreter und Oberhäupter haben eine besondere Verantwortung für die Lösung dieses Konflikts.

Der Sufi Gerhard Tucek, der als nächster sprach, erklärte sich für nicht zuständig, konkrete Lösungsvorschläge für den Nah-Ost-Konflikt zu bringen. Ihm ging es um Tieferes. Zur Religion hat er ein positives Verhältnis, aber er hält sie nicht für das Ziel. Die lebendige Erfahrung Gottes überschreitet alle religiösen, kulturellen, ethnischen Barrieren - aber nicht als zerstörerische Revolution, sondern als Erhöhung des Bewussteins, mit dem alle, die noch nicht so weit sind, geliebt werden. Religion biete nicht mehr als eine Vorstufe dorthin. Obwohl Religion oft ihr Ziel nicht erreicht und versagt, verabsolutiert wird und zur Diktatur entartet, sieht Tucek das Hoffnung Gebende darin. Alle Religionsstifter waren mitfühlende Menschen, sozial aktiv und zu gelebter Solidarität aufrufend. Die Religion hätte die Aufgabe, ihre Gläubigen "in die Erfahrung dessen zu führen, was sie in ihren Schriften verheißen" (These 2 seines Vortrags).

In die friedliche, fast andächtige Stimmung nach Tuceks Vortrag hinein bestieg Timna Brauer das Podest und las ihren vorbereiteten Text, der sich auch auf dem Cover ihrer CD "Voices for Peace" befindet. Die wenigen Male, die ich sie im Rundfunk hörte, hatten mich von ihrer Natürlichkeit und ihrem Können beeindruckt.  An diesem Abend sang sie nicht. Aber mit nicht weniger Selbstbewusstsein sprach sie. Irgendwie erlebte ich durch sie, dass das, was wir vorher in den Vorträgen theoretisch gehört hatten, praktisch werden kann. Das wird jeder, der sich mit ihrem Text auseinandersetzt, nachvollziehen können.

Ein gemeinsames Projekt muslimischer, christlicher und jüdischer Chöre grenzt heutzutage an ein Wunder. Wir durften Zeugen davon werden. Nach ihrem Vortrag und den Publikumsfragen dazu spielte sie die Videoaufnahme von Jerusalem ein, auf der sie zusammen mit den drei Chören (jüdisch, christlich und muslimisch) "We Shall Overcome" sang.

Dr. Gerhard Tucek, Islamische Mystik und Weltverantwortung heute

Mag. Timna Brauer, Ich will die Söhne meiner Onkel lieben

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