Die deutsch-jüdische Symbiose, oder wie sagt man "Heimat" im Plural?

Prof. Dr. Moshe Zimmermann
Vortrag am 4. internationalen Theodor-Herzl-Symposion
am 9. April 2002 im Wiener Rathaus

WEISER:

Es ist früh, deswegen sind nicht so viele Leute da wie gestern Nachmittag, der, wie man in meiner Jugend gesagt hat, eine Wucht war. Ich darf neu begrüßen, die gestern noch nicht da waren, den Herrn Professor Ben Sasson, den früheren Rektor und Präsidenten der hebräischen Universität Jerusalem, Herrn David Witzthum, der am Donnerstag in der Paneldiskussion spricht und Herrn Moshe Zimmermann, der jetzt den ersten Vortrag halten wird zu dem Thema: "Was ist der Plural von Heimat". Ich möchte Ihnen sagen, wie wir auf dieses Thema gekommen sind, ich habe einmal eine Fernsehsendung gesehen, eine Übertragung aus der Buchhandlung Salamander in München. Sie erinnern sich, Frau Salamander hat früher die Buchhandlung im Jüdischen Museum in Wien geführt und sie hat jetzt eine große Buchhandlung in München, dort hat Herr Professor Zimmermann mit jungen Leuten diskutiert, und die haben gefragt, weil er so gut deutsch spricht, ob er sich eigentlich mehr als Deutscher oder mehr als Israeli fühlt. Nun ist Professor Zimmermann zwar von deutschen Eltern geboren, die aus Hamburg stammen, aber er ist in Israel auf die Welt gekommen, er hat dann deutsch gelernt, obwohl die Eltern mit ihm immer hebräisch gesprochen haben. Später ist er nach Hamburg gegangen, hat dort studiert, und, ich weiß nicht, ob das Gene sind, heute ist immer alles genetisch, aber irgendwie hat er sich in Hamburg auch zuhause gefühlt. Er hat mit diesen jungen Leuten so fabelhaft diskutiert, er wird auch mit uns alten Leuten umgehen können. Vielleicht lernen wir von ihm, ob es wirklich einen Plural von Heimat gibt, oder nur einen Singular, das weiß ich noch nicht, weil wir noch nicht wissen, was er sagen wird, deshalb bitte ich Sie, Herr Professor Zimmermann, hier jetzt auf das Podium und zu uns zu sprechen.

ZIMMERMANN:

Sehr verehrte Damen und Herren, die Frage nach der Heimat ist eine Frage, die man sich nicht nur im deutschen Sprachraum stellen muss, auch in meinem Land Israel, wo man die hebräische Sprache benutzt, wenn man jüdisch ist, stellt sich die Frage nach der eigentlichen Heimat jedes einzelnen Menschen oder jedes einzelnen Juden. Ich schicke voraus, ich bin nicht ein linientreuer Israeli und die Anrufe, die nach meinen Äußerungen bei mir ankommen, beginnen meistens mit der Bitte oder mit der Forderung, wieder zurückzukehren dorthin, woher ich gekommen bin. Darunter verstehen die Leute meistens irgendwo in Deutschland, dort gehöre ich hin, ich kann ja nicht ein echter Israeli sein. Meine Antwort ist immer, wenn ich dorthin zurück muss, woher ich gekommen bin, ist es nur ein Ort, nämlich Jerusalem. Für die Leute, die mich dann anbrüllen, stellt sich die Frage, wo ist eigentlich die Heimat dieses einzelnen Menschen? Ist seine Heimat tatsächlich in Jerusalem, wo er geboren ist? Oder anderswo, wohin er eigentlich gehört, wenn man seine Äußerungen schon mal gehört hat. Es ist für mich als Individuum kein Problem. Ich bin, wie bereits Professor Weiser betont hat, hier und dort beheimatet, für mich gibt es einen Plural für Heimat, oder besser, und da komme ich schon an den Endpunkt meines Vortrags an, es gibt eine symbiotische Heimat.

Die Heimat beinhaltet Elemente multipler Art, und deswegen kann man eigentlich in mehr als einer Heimat verwurzelt sein, und das ist die Schlussfolgerung, die man ziehen kann, gerade wenn man sich mit dem Thema deutsch-jüdische Symbiose befasst. Die deutsch-jüdische Symbiose war ein heißes Thema, vor allem für deutsche Juden, die nach Palästina bzw. Erez Israel bzw. Israel ausgewandert sind. Gab es, oder gibt es keine Symbiose zwischen Juden und Deutschen?
Oder gab es eine deutsch-jüdische Symbiose? Die Antwort, die man in Israel gegeben hat, und dort war die Antwort relevant, oder schien zumindest relevant zu sein, war: "Wenn es auch eine Symbiose gegeben hat, kam sie zu ihrem Ende spätestens im Jahr 1933."

Es gab eine andere Strömung, die mit der Zeit die Oberhand bekam, die besagte, dass es nie eine deutsch-jüdische Symbiose gegeben hat, das war nur eine Illusion, das war - wie es der verstorbene Kollege George Wasset genannt hat - ein Dialog von zwei Elementen, die aneinander vorbeigeredet haben und nicht mehr. Meines Erachtens ist die Antwort eine andere: Nicht nur, dass man von einer Symbiose sprechen kann, sondern dass diese Symbiose auch nicht mit dem Jahr '33, '39 oder' 45 aufhören konnte.

Zuerst aber einmal zum Begriff Symbiose:

Selbstverständlich ist der Begriff ein heikler Begriff, vielleicht auch unpassend. Begriffe aus der Naturwissenschaft, Begriffe, die sich auf organische oder biologische Elemente beziehen, sind Begriffe, die, weil die Begriffe aus der Geschichte von Menschen und Gesellschaften stammen, nicht gerade die geeigneten Begriffe sind. Menschen als Individuen sind Organismen. Gesellschaften sind eben keine Organismen und man kann sie nicht als Organismen bezeichnen, sonst landet man dort, wo man in Europa in den dreißiger Jahren landete, oder dort, wo Israel heute gelandet ist. Ohne selbstverständlich einen Vergleich zwischen den beiden Phänomenen zu ziehen. Man muss den Begriff Symbiose im Übertragenen Sinn benutzen, wenn man eine sehr enge Beziehung zwischen zwei Subidentitäten beschreiben will, kann man dann diesen Begriff im übertragenen Sinn benutzen. Und da spielt die Geschichte der deutschen Juden selbstverständlich das extremste Beispiel einer Symbiose zwischen Judesein und Nichtjudesein, oder Angehörige der jüdischen Gemeinschaft und Angehörige der allgemeinen Gemeinschaft, die Gemeinschaft der Umgebung. Diese Symbiose, die man in Deutschland konstatieren konnte, war so problematisch für die Leute in meinem Land Israel, weil man hier ein Extrembeispiel hatte für den Gegenpol der zionistischen Wahrnehmung der jüdischen Gemeinschaft. Der Zionismus geht davon aus, oder ist dazu mit der Zeit gekommen, davon auszugehen, dass es einen absoluten Kontrast gibt zwischen einer Diaspora-Existenz und einer selbständigen nationalen Existenz in einem territorialen Zentrum namens Israel. Mehr und mehr versuchte die zionistische Politik und seit dem Jahr 1948, vielleicht bereits seit dem Jahr 1945 betonte man die zionistische Lösung der Judenfrage als absolute, als ausschließliche Lösung der Judenfrage. Und dann galt die emanzipatorische Lösung, die mit dem Begriff der Symbiose leben konnte als Gegenpol, als Gegensatz, den man ablehnen musste, den man sogar bekämpfen musste. Deswegen war es mit der Zeit doch bequemer, die Existenz der Juden in Deutschland als eine symbiotische zu bezeichnen, um eben in dieser Symbiose die Wurzeln, den Grund für das Scheitern der Lösung der Judenfrage zu finden. Und dafür selbstverständlich die Alternative anzubieten, die einzige Alternative, die nationale zionistische Lösung der Judenfrage. Es war umso wichtiger zu zeigen, dass es tatsächlich eine Symbiose gegeben hat, wo die Juden sich in Deutschland, oder in Teilen Deutschlands, beheimatet fühlten, um zu zeigen, dass so eine Symbiose, so eine Lösung der Judenfrage zum Scheitern verurteilt ist. Und der Beweis war eben der Aufstieg des nationalsozialistischen Regimes, die Machtübernahme im Jahr 1933 und am Ende die Ermordung, mindestens vorher die Vertreibung, der Transfer der Juden aus
Deutschland oder aus dem mitteleuropäischen Raum. Das galt als absoluter Kontrast, die symbiotische Existenz von Juden, wo sie zweifach beheimatet sind, im Judentum, aber auch im Deutschtum, und die alternative Lösung, wo man einzig und allein in Erez Israel im Judentum beheimatet ist, um nur dort die Lösung für die Judenfrage zu finden, mindestens zu suchen.

Die deutsch-jüdische Symbiose ist also eher eine vage Beschreibung des eigentlichen Phänomens, nämlich der Assimilation der Juden dort, wo sie Diaspora leben, genießen oder durchmachen konnten. Es geht um diesen Begriff Assimilation, oder Akkulturation, wenn man will Anpassung. Es gibt in der Wissenschaft, und das wissen die meisten hier bestimmt, sehr viel Diskussion um diese Frage, wie man die Essenz der Symbiose beschreiben kann. Ist es die Integration? Die Assimilation?
Die Akkulturation oder andere Bezeichnungen? Es geht meines Erachtens um den Begriff der Assimilation und die Frage, Wie weit ging die Assimilation der Juden, die Übrigens Juden geblieben sind, nach der eigenen Vorstellung, nicht nur aufgrund der Vorstellung der Umgebung. Juden, die in den eigenen Augen Juden geblieben sind, aber sich in der Umgebung -und nicht nur in der räumlichen Umgebung -beheimatet fühlten. Das war eben die Assimilation. Und dann kann ich nur vorausschicken: Meine These ist, dass die Assimilation eben das war, was das Judentum über die Zeiten gerettet hat oder am Leben gehalten. Ohne Assimilation wäre das Judentum als menschliche Gruppe, oder das Judentum als Idee viel früher verschwunden, man kann sagen, früher noch als zu Beginn des Mittelalters. Das Geheimnis der Existenz einer jüdischen Gemeinschaft, eines Judentums im abstrakten Sinn, ist eben die Bereitschaft sich zu assimilieren. Assimilieren bedeutet hier aber nicht die Selbstaufgabe als Gruppe oder als Identität oder als Subidentität, sondern die Bereitschaft, diese Subidentität an andere Identitäten anzupassen. Mit anderen Worten, die Bereitschaft, mehr als eine Heimat als die eigene zu betrachten, mehr als eine Heimat als
Möglichkeit oder als Stütze für den einzelnen Menschen zu verstehen. Das deutsche Judentum war hier das extremste Beispiel vor allem für Zionisten, die nachher in Israel lebten. In Israel war die Diskussion, wie gesagt, rege, und zwei Gestalten haben daran einen wichtigen Anteil genommen; nämlich Martin Buber einerseits und Gershon Scholem andererseits. Gershon Scholem war der Meinung, dass es nie eine Symbiose gegeben hat, und Buber vertrat die Meinung, dass Juden eben in einem symbiotischen Zustand existierten bis zum Beginn des nationalsozialistischen Regimes.

Diese Diskussion ist eine innerzionistische Diskussion. Wenn man Buber glaubt, gibt es eine Möglichkeit, als Jude in der Diaspora trotz Assimilation oder sogar dank des Prozesses der Assimilation als Jude zu existieren. Glaubt man Gershon Scholem, dem Experten der Kabbalistik, gibt es von Beginn an keine solche Möglichkeit. In dem Moment, wo es angeblich eine Symbiose geben sollte, hört eigentlich die jüdische Existenz auf, und weil man wie ein guter Zionist glaubt, dass man die jüdische Existenz nicht aufgeben kann, ist die Idee von einer Symbiose von Beginn an eine absurde Idee. Meines Erachtens, das betone ich hier in diesem Vortrag immer wieder, meines Erachtens besteht dieser Kontrast nur dort, wo man eben eine Rechtfertigung für eine extreme, einseitige zionistische Politik und Ideologie sucht. Eine meines Erachtens völlig überflüssige Rechtfertigung, oder eine falsche Interpretation oder Auslegung der zionistischen Ideologie und des zionistischen Ziels.

Wie bereits Professor Weiser betont hat, kann ich das selbstverständlich aus meiner eigenen, engen persönlichen Perspektive auch veranschaulichen. Die Tatsche, dass mir, obwohl in Jerusalem geboren, obwohl in Jerusalem aufgewachsen, obwohl einzig und allein in der hebräischen Sprache aufgewachsen und nicht in der Sprache der Eltern, die deutsche Sprache nicht fremd ist, sind bestimmte Begriffe immer präsent und sind immer ein Teil einer Heimat, sind bestimmte Sitten, bestimmte Kulturattribute und bestimmte Landschaften immer ein Teil der eigenen Heimat. Das bedeutet, dass Hamburg, die Stadt meiner Väter, die Stadt meiner Väter kann nicht Hebron sein, sondern Hamburg, ist in meiner symbiotischen Heimat oder in meiner symbiotischen Heimatvorstellung immer präsent, immer ein Bestandteil, den man nicht wegdenken kann. Das Beispiel, das ich immer wieder bringe und auch an meine Studenten weiterleite, die rote Grütze ist eben ein Teil dieser Heimat. Und die rote Grütze - das ist nicht etwas, das man in Wien erzählt, nur wenn man in Norddeutschland ist, weiß man, worum es sich handelt - das ist eine Prinzipienfrage mit Vanillesauce selbstverständlich, nicht wie die Barbaren im Süden mit anderen Zutaten, also die rote Grütze ist eben ein Teil dieser Heimat, die man in Jerusalem begegnet hat, die transportiert wurde von Hamburg nach Jerusalem über die Menschen, die ihre Heimat früher dort hatten und jetzt in einem anderen Ort, und die selbst für sich eine symbiotische Heimat gestaltet haben, eine symbiotische Hamburger-Jerusalemer Heimat, eine deutsch-jüdische Heimat.

Meine eigene Erfahrung ist nicht nur ein Versuch, hier ein Aside oder eine Ablenkung vorzutäuschen, das ist meines Erachtens ein gutes Beispiel für eine Tendenz, die man als Historiker feststellen kann. Wenn man die Geschichte der deutschen Juden bis zum Jahr '33 oder auch bis zum Jahr '38 und nachher die Geschichte der deutschen Juden in Deutschland oder später in der Diaspora analysiert und sorgfältig auslegt. Dieses Gefühl von Heimat ist von einem Ort zum anderen übertragbar und bei der Auswanderung entsteht ein Prozess der Addition, nicht eine Heimat auf Kosten der anderen Heimat, sondern eine Heimat zusätzlich zur früheren Heimat. Und da bietet sich eine symbiotische Heimat an, in der man sich vor allem kulturell bewegt, in der hohen oder in der populären Kultur, je nachdem, es ist ein Terrain, auf dem man  sich bewegen kann, ohne darauf zu schwören, dass es Heimat nicht im Plural geben kann.

Die Diasporaexistenz der Juden in Deutschland betonte eben sehr die Verbindung zur Mahnung des Propheten Jeremias. Vor allem das Reformjudentum, aber nicht nur das Reformjudentum, betonte immer wieder diese Aussage des Propheten Jeremias, ins Deutsche übersetzt: "Ihr sollt nach dem Frieden der Stadt beten, in der Ihr Euch befindet, das heißt, der Friede der Stadt der nichtjüdischen Umgebung ist Euch genauso teuer wie der eigene, weil man nur in dieser symbiotischen Art von Existenz weiter als Jude existieren kann." So interpretiert man den Vers vom Propheten Jeremias und das hat man immer wieder vor allem im 19. und 20. Jahrhundert betont. Das heißt, man sah von Beginn an keinen Kontrast zwischen einer Zugehörigkeit zur jüdischen Religion, zum jüdischen Glauben und der Zugehörigkeit zur zivilen Gesellschaft, später zur nationalen Gesellschaft der Umgebung. Die Symbiose oder - wie ich das vorziehe - die Assimilation war etwas, was man mit der religiösen Überlieferung in Einklang bringen konnte und deswegen konnte man weiter, auch im 20. Jh. für den Prozess der Assimilation plädieren.

Selbstverständlich ist dieser Prozess aus der Sicht der zionistischen Ideologie und auch aus der Sicht der zionistischen Historiographie sehr gefährlich. Wo endet dieser Prozess der Assimilation? Kann es theoretisch eine Assimilation geben, die beim Aufgeben des Judentums landet? Selbstverständlich kann man zu dieser Schlussfolgerung kommen. Für die zionistische Ideologie war es aber wichtig zu zeigen, dass jede Art von Assimilation prädestiniert ist, am Ende das Judentum als Bestandteil des Selbstbewusstseins, als Rahmen zu eliminieren und deswegen versuchte man auch, die deutsch-jüdische Geschichte auf diese Art darzustellen. Das ist das Beispiel per se, wo Assimilation am Ende zur Selbstaufgabe des Judentums geführt hat einerseits, und auf der anderen Seite zu einer Art Gegenwehr auf der Seite der nicht-jüdischen Gesellschaft, die im Holocaust oder in Auschwitz endete.

Betrachtet man die jüdische Geschichte nicht aus einer solchen zionistischen Perspektive, ist Assimilation nicht prädestiniert, immer bei diesem katastrophalen Punkt zu enden. Wie ich betont habe, die Assimilation begleitete das Judentum seit eh und je und war sein Geheimnis der Existenz. Die Anpassung an die Begrifflichkeit der Umgebung, an die Denkart der Umgebung konnte dabei helfen, alte Elemente, die man als jüdisch bezeichnet oder betrachtet hat, aufrechtzuerhalten in einer Umgebung, die sich radikal geändert hat. Nur so konnte die Essenz des Judentums sich konservieren, sich weiter entfalten, sich selbst als Judentum präsentieren. Und das geht nicht nur bis zum Jahr '33 in Deutschland, sondern auch weiter. Und die katastrophale Tatsache, dass am Ende Hitler die deutsch-jüdische Gemeinschaft ermordet hat, ist ja kein Beweis dafür, dass so etwas immer passieren muss. Da ist Hitler eigentlich Schützenhilfe für eine sehr einseitige zionistische Vorstellung von Geschichte und vom Judentum. Und siehe doch - ich nehme an, dass heute Nachmittag und morgen darüber weiterdiskutiert wird - die Assimilation der Juden in Amerika. Diese neue Art von amerikanisch-jüdischer Symbiose zeigt, mindestens vermeintlich, dass eine Assimilation nicht mit einer Katastrophe enden muss. Selbstverständlich gibt es in der zionistischen Interpretation diese Art von Schwarzmalerei. Das heißt, dass das, was den deutschen Juden in der Vergangenheit geschehen ist, wird zwangsläufig auch das Schicksal der amerikanischen Juden werden. Nur in einem Ort, nämlich in Israel, wo die Gerechtigkeit, die absolute Gerechtigkeit herrscht, nur dort kann auch das Judentum gerettet werden. Das ist aber eine Schlussfolgerung, die keine Beweise hat. Die Tatsache, dass Hitler in Deutschland erfolgreich war, beweist noch nicht, dass Diasporaleben an sich, dass der Prozess von Assimilation des Judentums an und für sich eingleisig zur Katastrophe und zum Ende des Judentums führen müssen.

Die Schwäche der zionistischen Interpretation der Auslegung der Geschichte zeigt sich aber auch darüber hinaus hierin, dass diese Elemente der Assimilation, das, was man deutsch-jüdische Symbiose nannte, auch nach der Auswanderung zurück "in die alte historische Heimat", nicht verschwanden. Diese Symbiose ist auch in der neuen Gesellschaft in Israel präsent. Und da muss man wieder vergleichen zwischen der einen und der anderen Gesellschaft. Vorhin habe ich die deutsch-jüdische Symbiose mit der amerikanisch-jüdischen Symbiose verglichen, um die Antwort auf den zionistischen Vorwurf zu geben. Hier werde ich andere Landsmannschaften erwähnen, die das gleiche beweisen. Es geht hier nicht nur um die multiple Heimat des deutschen Juden, des Jeckes, in Israel, es geht auch um die multiple Heimat der marokkanischen Juden oder der russischen Juden oder der amerikanischen Juden in Israel. Keine der Wellen der Einwanderung nach Palästina, später nach Israel, konnte diese multiple symbiotische Heimat ausmerzen. Sogar bei der zweiten oder dritten Generation, wie in meinem Fall, war das präsent. Marokkanische Juden neigen dazu, heute zurück nach Marokko zu fahren, um sich die Orte des Geschehens der Eltern anzuschauen, das heißt, die alte Heimat, die neben der Heimat in Israel ihre eigene Heimat geblieben ist. Leute, Israelis der dritten oder vierten Generation fahren nach Polen, nicht nur, um dort die Orte des Schreckens zu besichtigen, sondern auch die alte Heimat der Großeltern oder Urgroßeltern. Das heißt, die Elemente der alten europäischen Heimat dieser Juden konnten trotz einer zionistischen Indoktrination nicht ausgemerzt werden. Und paradox ist, dass die neue Art der zionistischen Indoktrination im Endeffekt das akzeptiert, was sie eigentlich verneinen wollte: Nämlich dass es auch im Judentum für das Judentum mehr als eine Heimat gibt, mehr als eine Heimat geben kann.

Zurück zur neuen Heimat in Israel und in Jerusalem: Das Problem der multiplen Heimat ist nicht nur das Problem der Juden in der Diaspora. Der Jude, der in der Diaspora ist und angeblich die Heimat in seiner Umgebung findet, gleich wo er auch lebt, in Marrakesch, in Hamburg oder in Moskau, findet dieses Problem auch in Israel, das die Heimat von mehr als nur der Juden sein kann. Jerusalem ist nicht alleine die Heimat der jüdischen Jerusalemer, ganz bestimmt nicht nur die Heimat der Juden, die Anspruch erheben auf Leben - abstrakt gesehen - in Jerusalem, Jerusalem ist auch die Heimat der arabischen Jerusalemer und der weder arabisch noch jüdischen Bewohner dieser Stadt. Jerusalem ist also ein Begriff, der im Plural stehen muss. Jerusalem ist mehr. als eine Heimat, ist die Heimat sowohl der einen als auch der anderen. Es sind zwei Gruppen, zwei Subidentitäten, die ihre Heimat in Jerusalem finden und es gibt noch mehr. Weil eben Jerusalem als Ort die Heimat mindestens die erdachte Heimat von gläubigen Christen, Moslems und Juden ist, die nicht in Jerusalem wohnen, ist diese symbiotische Heimat von einer weitreichenden Bedeutung. Was bedeutet dann Heimat, wenn man das Wort Jerusalem ausspricht? Wessen Heimat ist eben Jerusalem? Um das wieder aus einer persönlichen Perspektive zu veranschaulichen: Als Jerusalemer betrachte ich selbstverständlich Jerusalem als meine Heimat. Jerusalem ist nicht nur die rote Grütze, die nach Jerusalem transferiert wurde über meine Eltern oder meine Zugehörigkeit zu den HSV-Fans, wie mein Vater, der trotzdem so in Jerusalem geblieben ist, Jerusalem ist darüber hinaus auch nicht das, was man sich meist als Jerusalem vorstellt. Jerusalem, die Altstadt, ist für mich nicht die Heimat, ist mir fremd. Als jemand, der in Jerusalem zwischen '48 und '67 aufgewachsen ist, ist Jerusalem, das man als Heimat bezeichnen kann, nur Westjerusalem, nicht Ostjerusalem. Und das ermöglicht mir selbstverständlich das zu akzeptieren, dass andere Leute, vor allem Leute, die dort gewohnt haben, Ostjerusalem als ihre Heimat betrachten, bezeichnen und auch dementsprechend politische Forderungen stellen. Für mich ist deswegen die Heimat Jerusalem mit einer anderen Vorstellung von "heilig" zu kombinieren. Die heiligen Orte in Jerusalem in meinen Augen, sind auch quadratisch. Ein heiliger Ort für mich, in Westjerusalem selbstverständlich mit seinem grünen Rasen ist das Stadion, wo die Jerusalemer Mannschaften Fußball spielen, aber noch heiliger für mich, als dieser Ort ist selbstverständlich noch ein Quadrat - etwas kleiner -, wo ich selbst in meiner Universität Fußball spiele. Das ist das Allerheiligste, das ist meine ganz persönliche subjektive Vorstellung von Heimat und Anbindung an Heimat. Deswegen kann ich selbstverständlich akzeptieren, dass andere Leute, die auch nicht zu meiner Nation gehören, wenn man national denkt, andere Teile Jerusalems als ihre Heimat betrachten, und deswegen auch dort Ansprüche erheben.

Was ich hier versuche, ist selbstverständlich weitgehend über den Begriff der symbiotischen Heimat den Begriff Heimat wie auch den Begriff Assimilation zu relativieren. Diese Relativierung bedeutet nicht, dass ich auch darüber hinaus versuche, eine relativierende Moral zu entwickeln. Was ich versuche, ist eben, das was ein Historiker immer versucht. Die verschiedenen Elemente, die man geschichtlich betrachtet, oder in der Geschichte vorfindet, einzureihen, aufzulegen und zu konstruieren in einer Form, die dann als Grundlage für eine weitere Betrachtung der Phänomene dient, wenn man sich mit diesen Phänomenen auseinandersetzen will.

Danke für die Aufmerksamkeit.

 

DISKUSSION

WEISER:

Sehr geehrter Herr Professor, vielen Dank für Ihren Vortrag. Bevor die Fragen aus dem Publikum kommen, möchte ich mir erlauben, zwei Anmerkungen zu machen: Die eine, die Ihnen vielleicht merkwürdig erscheint: Wie ich zum ersten Mal in Jerusalem war - und ich bin ein katholischer Christ -, bin ich auf einem Platz gewesen, wo man sich ein Kamel ausborgen und reiten kann. Da hat mir jemand gesagt, Du stehst auf dem Ölberg und da unten ist der Garten Getsemaneh. In diesem Augenblick war die Stadt meine Heimat. Ich kann das nicht erklären, das ist eine emotionelle Sache. Und ich habe mich bei dem 6tägigen Aufenthalt in Jerusalem nicht in die Altstadt gewagt. Ich habe eine Scheu gehabt, ich habe mir gedacht, das sind heilige Stätten, ich habe Angst gehabt. Nämlich keine physische, sondern eine seelische Angst, dass ich das nicht verkrafte. Erst beim zweiten Mal bin ich dank meinem Freund Ari Rath in die Altstadt gegangen, in der Begleitung von Ari Rath hat man dann keine seelische Scheu mehr. Das wollte ich zu Heimat und zu Jerusalem sagen.

Und das zweite, was ich sagen wollte, es hat mich sehr interessiert, wie Sie das ausgeführt haben von der zusätzlichen Heimat. Dass man also die Heimat haben kann und dann noch eine zusätzliche. Das Verblüffende ist bei Theodor Herzl, schließlich handelt es sich ja um ein Theodor-Herzl-Symposion, und er war zweifellos ein Zionist, das kann man ihm ja nicht absprechen. Und wenn die Zionisten heute anders denken als Herzl, dann ist das die Schuld der Zionisten und nicht die von Herzl. Herzl hat nicht eine zusätzliche Heimat gesehen in dem Staat, den er gründen wollte, sondern er wollte etwas von seiner Heimat dorthin mitnehmen. Deswegen hat er gesagt, es muss dort deutsch gesprochen werden, deshalb hat er gesagt, wir müssen die Kultur - denn er war ja zweifellos bei aller zionistischen Tätigkeit einer der assimiliertesten Juden, die es gibt, auch ein ungläubiger Jude - und er hat in einer momentanen Eingebung etwas gemacht, das ein bezeichnendes Licht wirft: er hat vor dem Cafe Landtmann, das die meisten von Ihnen kennen, Arthur Schnitzler die Burgtheaterdirektion in Jerusalem angetragen. Wenn Sie das jetzt durchdenken, was das bedeutet, dass Theodor Herzl, Schnitzler die Burgtheaterdirektion in Jerusalem anträgt und Schnitzler begeistert davon zu Hause erzählt hat, dann kommen Sie drauf, dass das ein komplexes Problem ist. Das Mitnehmen von Heimat - Herzl wollte sicher keine zusätzliche Heimat, er wollte soviel wie möglich aus der Heimat dorthin mitnehmen. Ich kann nur jedem Menschen empfehlen, sich die Mühe zu machen, die 2800 Seiten seiner Tagebücher zu lesen, denn diese Notizen, die er macht und alles das, was er schreibt, bestätigt in sehr vielem das, was Sie von der viel späteren Warte aus über die Rolle der Heimat in einem Land sehen. Da ist noch ein anderes Problem, das wir später behandeln werden, dass Herzl am Anfang gesagt hat, es muss ja nicht Israel sein, wir können auch in Argentinien oder später auch in Uganda etwas machen. Aber Herzl war zweifellos so assimiliert, dass er sich erlauben konnte, Ideen zu haben, die uns heute, auch im Licht der Geschichte, etwas unglaublich scheinen. Entschuldigen Sie diese Einlassung oder Auslassung - weiß ich nicht - aber es war mir ein Bedürfnis, Ihnen das zu sagen, dass jemand am ersten Tag nach Jerusalem kommen und sagen kann, das ist meine Heimat, auch wenn er kein Fußballspieler ist.

ZIMMERMANN: Deswegen also: Zusatz ist nicht ausreichend, aber der Begriff von der multiplen oder symbiotischen Heimat, das ist meines Erachtens der richtige Begriff, den man hier anwenden oder verwenden soll.

WEISER: Darf ich jetzt bitten, Peter Landesmann.

FRAGE 1:

Sehr geehrter Herr Professor Zimmermann, vielen Dank für diesen Vortrag.
Es hat für mich sehr anregend gewirkt und ich darf nur ganz wenige Stichworte zu diesen Gedanken, die mir eingefallen sind während Ihres Vortrages sagen. Aber darf ich vorerst bemerken: Moshe Zimmermann wäre nicht Moshe Zimmermann, wenn er nicht auch schockieren würde, und deshalb, glaube ich, über die Heiligkeit müssen wir nicht viel debattieren. Für viele von uns, glaube ich, ist das Wort "heilig" nicht unbedingt mit einem jugendlichen Fußballplatz verbunden.

Ich glaube, Heimat, oder besser gesagt die Symbiose sind zwei Elemente. Symbiose, das sind mal zwei, oder können auch mehr sein, das heißt, es ist von der einen Seite, von der jüdischen Seite zu betrachten und von der nichtjüdischen Seite. Sie haben mehr die jüdische Seite angesprochen, und darauf möchte ich auch eingehen, und ich glaube, so wie Sie, dass eben die Symbiose in Deutschland an der nichtjüdischen Seite gescheitert ist und nicht an der jüdischen. Von der jüdischen Seite würde ich Heimat nicht unbedingt als Begriff bevorzugen, und zwar weil Heimat sehr viel auch mit Sentimentalität verbunden ist. Sie selber haben ja gesagt, das ist ein mehrschichtiger Begriff, und ich würde zwei Elemente, die wichtig sind für diesen Begriff in den Vordergrund stellen: Die Beziehung des Menschen zu den anderen und das würde ich nennen Loyalität, und die Beziehung des Menschen zu sich selber, das würde ich nennen Selbstverständnis. Wir sind von der frühesten Kindheit mit der Loyalität von Vater und Mutter verbunden, das heißt, wir wachsen schon in einer Atmosphäre von einer doppelten Loyalität auf. Und dann, wenn man, wie Sie sagen, in einer Stadt lebt, dann ist man loyal zur Stadt, ist man loyal zum Land, es gibt vielschichtige Loyalitäten, die sich da aufbauen. Auf der anderen Seite ist das Problem des Selbstverständnisses. Es gibt ein Selbstverständnis, das mit einem wächst. Es gibt aber auch, wie Peter Weiser erwähnt hat bei Herzl, ein, sagen wir, fast aufgezwungenes Selbstverständnis, das was Herzl beim Dreyfus-Prozess erlebt hat, wo ihm plötzlich seine jüdische Identität zu Bewusstsein gekommen ist. Und dieses Selbstverständnis ist etwas, was sich dann mit der Zeit natürlich ändern und in einen anderen Kanal geleitet werden kann. Das ist bei vielen, die Deutschland verlassen haben und nach Israel gekommen sind, so
geschehen, wo sie plötzlich aus der Not ihr jüdisches Selbstverständnis entdeckt haben. Sie haben gesagt, die Assimilation war das Überlebenselement der Juden lange Zeit hindurch. Sicher, aber in dieser Zeit gab es ja die jüdische Religion als Hauptbestimmungsmerkmal des Selbstbewusstseins. Dieser Faktor der jüdischen Religiosität ist in unserem Zeitalter - man kann sagen leider - verschwunden. Und das war die Situation der deutschen und österreichischen Juden, deshalb die vielen Taufen. Was war denn das jüdische, wozu man im Selbstbewusstsein sich anklammern konnte? Es war nicht die Religion, es war vielleicht die Kultur, aber die Kultur, die war eine symbiotische Kultur. Natürlich ist diese Symbiose nicht vorbei, kann nicht vorbei sein. Weil ein Schnitzler ist aus der Österreichischen Literatur nicht wegzudenken, sodass diese Symbiose immer weiterleben wird, auch dann, wenn wir heutzutage als Nachfolger, als nachgewachsene Generation es viel leichter haben, unser Selbstverständnis als Österreicher und unser Selbstverständnis als Jude zu behaupten, und zwar warum: Weil es Israel gibt, weil man ein Zentrum hat, Wozu man sich auch, vielleicht als nicht nichtreligiöser Jude oder nicht So religiöser Jude bekennen kann. Und deshalb gibt es jetzt die Möglichkeit einer jüdischen Existenz als assimilierter Jude in einem anderen Land als Israel.

WEISER: Bitte Herr Professor Zimmermann.

ZIMMERMANN: Wir müssen selbstverständlich davon ausgehen, dass, auch wenn wir vom Judentum als Begriff ausgehen, uns mit Konstrukten befassen. Diese Konstrukte sind immer ein Produkt des Give and Take zwischen der einen und der anderen Gruppe.
Dass das Judentum sich selbst als Religion verstanden hat bis zum 19. Jh., sogar einzig und allein als Religion oder Religionsgemeinschaft, hing davon ab, das ist wieder das assimilatorische Element, dass die Umgebung sich selbst auch primär religiös bestimmt und definiert hat. In dem Moment, wo die Umwelt neue kollektive Begriffe geschaffen hat und politisch einsetzen konnte, war auch das Judentum herausgefordert. Und die eine Möglichkeit war selbstverständlich eine neue Art von Selbstwahrnehmung, Selbstbestimmung als Jude zu erfinden. Das heißt, dieser Prozess, sich neu als Jude zu definieren, auf einer anderen Basis ist ein Teil des Prozesses der Assimilation. Am Ende kann man sagen ist auch der jüdische Nationalismus ein Produkt der Assimilation. Die Umwelt erfindet den Nationalismus, die Umwelt erfindet die Nation, und dementsprechend reagiert man im Judentum oder in der jüdischen Gesellschaft, indem man die jüdische Nation und den jüdischen Nationalismus
erfindet. Und Teile der jüdischen Gesellschaft bestimmen sich von nun an als Juden auf der Grundlage der nationalen Definition. Andere machen weiter mit der anderen Vorstellung, mit dem anderen Begriff. Das heißt, auch wenn wir nicht von Heimat sprechen, sondern Selbstbestimmung, ist das ein Produkt des langen Prozesses der Anpassung, der Assimilation, wo die Begriffe immer ihre Inhalte ändern oder neu konstruieren. Die andere Frage mit der Loyalität ist selbstverständlich auf einer anderen Ebene, weil dort schon Autorität eine Rolle spielt. Also wie setzt man Prioritäten, wenn man loyal gegenüber A, B, C sein muss. Das ist eine andere Frage, vorwiegend eine politische Frage, die ich im Bereich der Breitensphäre der Heimat und Assimilation nicht angetastet habe.

WEISER: Ich sage jetzt, damit Sie nicht viel zu viel aufzeigen, wer die ersten sind, die aufgezeigt haben. Herr Asher Ben Natan, dann Frau Ruth Steiner, dann Herr Professor Ehrlich, dann Frau Nittenberg. Bitte Asher Ben Natan.

FRAGE 2: Nur ganz kurz. Zuerst mal: Hätte es keinen Zionismus gegeben, hätten die Eltern von Moshe Zimmermann nicht nach Israel auswandern können, und er hätte heute den Vortrag nicht hier halten können. Das ist mal die erste Bemerkung. Eine zweite Bemerkung ist: Moshe Zimmermann hat völlig recht, seine eigene Meinung zu sagen, das ist seine Meinung, dazu kann man entweder ja oder nein sagen. Er kann sie nicht wissenschaftlich begründen, das ist nicht Wissenschaft. Das ist seine Meinung, einige können dafür sein, ich glaube, die meisten werden dagegen sein. Was die Symbiose betrifft, die Symbiose der deutschen Juden war meiner Meinung nach ein Missverständnis, denn wenn Symbiose Assimilation ist, dann muss das was Gegenseitiges sein. Nicht etwas Einseitiges, man assimiliert sich an. Die anderen haben sich nicht zurückassimiliert. Es gab gewisse Affinitäten, das kann sein, aber das ist keine Symbiose. Die Geschichte hat bewiesen, dass das keine Symbiose ist. Außerdem wenn ein jüdischer Marokkaner nach Marokko fährt oder ein jüdischer Pole nach Polen, fahren sie nicht hin, weil das ihre Heimat ist, sondern weil sie gewisse Erinnerungen haben, deswegen fahren sie hin, und nicht weil das ihre Heimat ist. Heimat ist meiner Meinung nach ein sehr individueller Begriff, kein wissenschaftlicher. Jeder kann anders definieren, was Heimat ist, ich kann anders definieren, was Heimat ist. Wir lieben Österreichs Walzer. Dass ich Walzer liebe, bedeutet nicht, dass ich glaube, dass Österreich meine Heimat ist. Meine Heimat ist Israel heute. Es war vielleicht einmal Österreich bis zu einem gewissen Augenblick, wo ich verstanden habe, dass das nicht meine Heimat sein kann. Aber zu sagen, es kann eine doppelte Heimat geben, ja wenn man Heimat als einen allgemeinen Begriff nimmt, aber nicht etwas, was normalerweise unter Heimat verstanden wird, dann können Sie sagen, was Sie wollen. Aber das ist eine sehr individuelle Auffassung, was Heimat betrifft.

ZIMMERMANN: Zum einen bin ich selbstverständlich dankbar dafür, dass der Zionismus entstand, ohne den Zionismus hätte es keine Möglichkeit für meine Eltern gegeben, nach Palästina auszuwandern. Und ohne diese Auswanderung nach Palästina wäre es mir nicht möglich, Fußball zu spielen. Die Antwort kann aber noch einen Schritt weitergehen. Meine Existenz verdanke ich nicht nur dem Zionismus, und da bin ich schon auf einem sehr gefährlichen Terrain. Ohne den Nationalsozialismus wäre für mich Jerusalem eine ganz andere Heimat. Und ich weiß nicht, ob ohne den Nationalsozialismus für mich die Kombination Hamburg-Jerusalem in einer anderen Form nicht genauso optimal wäre, wie die Kombination, die hier mit der Geschichte entstand. Ich versuche hier, sehr vorsichtig zu relativieren. Was die Assimilation angeht: Assimilation ist doppelseitig- Heißt, man passt sich an, die Juden, als die Minderheitengruppe, passt sich an die Mehrheit an, aber die Mehrheit bleibt nicht unberührt oder unbeeinflusst von der Minderheit. Es gibt ein Give-and-Take, und in diesem Prozess geht es nicht nur um die Selbstaufgabe der einen Gruppe, nämlich der Minderheitsgruppe, sondern um Entwicklungen in beiden Gruppierungen, in der Mehrheit wie in der Minderheit. Das, was als die sehr persönliche Einstellung zum Thema Heimat hier betont wurde: Klar, Heimat ist per definitionem eine sehr persönliche Entscheidung und eine sehr persönliche Einstellung, die mit Politik weniger zu tun hat als mit kulturellen Elementen. Man ist auch deswegen, glaube ich, So im Sprachgebrauch, weniger in Österreich beheimatet, als in Wien oder Klagenfurt oder irgendwo am Wolfgangssee. Die Heimat stellt sich anders dar als in Formen, die man politisch definieren kann, das gleiche gilt für das Wort Heimat auch anderswo. Deshalb ist der Zugang zu diesem Begriff immer ein persönlicher.

WEISER: Die nächste Frage stellt Frau Ruth Steiner, sie leitet sehr verdienstvoll eine christlich-jüdische Vereinigung. Sie selbst kommt aus einem jüdischen Haus, hat sich aus Überzeugung als Erwachsene taufen lassen und hat ein hervorragendes Buch geschrieben, wo sie sich die Frage stellt, ob sie eine jüdische Christin oder eine christliche Jüdin ist. Bitte ihre Frage.

FRAGE 3: Danke. Ich schlage Sie mit den Heimaten, ich habe mehr Heimaten als Sie. Ich bin in einem chinesischen Spital während der japanischen Besatzungszeit in einem amerikanischen Commonwealth auf den Philippinen von österreichischen Eltern mit deutscher Staatsbürgerschaft geboren, also für mich ergibt sich die Frage Heimat nicht. Ich habe nur große Probleme, wie Sie gesagt haben, Assimilation so lange die jüdische Identität da ist. Mehr und mehr bin ich davon überzeugt, dass, wenn die jüdische Identität nicht mit der jüdischen Religion verbunden wird, so wie andere vor mir gesagt haben, halte ich es für sehr problematisch. Ich erlebe mehr und mehr so die Säkularisierung, die in unserer Gesellschaft fortschreitet, und wenn die Identität nicht mit einer Religion verbunden ist, ist es sehr schwierig, die Identität zu bewahren. Während des Krieges auf den Philippinen wollten meine Eltern, dass wir uns assimilieren wie andere Teile der jüdischen Gemeinde auch. Meine Eltern waren nicht religiöse Juden und alle meine Freunde, mit denen ich aufgewachsen bin, haben zwar eine jüdische Identität mitbekommen, aber haben die jüdische Religion verloren. Ich glaube, es wäre sehr wichtig, dass man das auch betont.

ZIMMERMANN: Wie ich bereits betont habe, handelt es sich um Konstrukte. Das Judentum als Religion wurde konstruiert im Zeitalter der Religiosität oder bevor wir den Prozess der Säkularisierung genießen konnten. In dem Moment, wo so ein Prozess bereits eingesetzt hat, muss sich die kollektive Subidentität neu gestalten, sie muss sich mit der neuen Realität auseinandersetzen. Es kann zu einer Schlussfolgerung kommen, unsere alte Subidentität gilt nicht mehr, wir geben sie auf. Es gibt eine andere: Wir verwandeln die Begründung, die Rechtfertigung für diese kollektive Subidentität in eine neue Form und so kann es auch eine säkularisierte Art von Judentum geben. Ich persönlich halte mich für einen säkularisierten Juden. Das heißt, wenn man nach der Selbstwahrnehmung oder Selbstbestimmung fragt, kann ich ohne weiteres sagen, ich gehöre zum jüdischen Kollektiv. Die Begründung oder die Elemente der Zugehörigkeit hole ich aus dem nichtreligiösen Bereich, obwohl ich genau weiß, dass der Übergang oder die graue Zone zwischen der einen und der anderen Begründung ziemlich breit ist. Ich würde es aber nicht als Gefahr bezeichnen, wenn man die religiösen Elemente aus der Definition der kollektiven Subidentität, die man Judentum nennt, weglässt.

Zweitens bin ich immer, und das versuchte ich auch in meinem Vortrag hier vorsichtig, wenn man nach Homogenität strebt. Der Versuch, homogene Gesellschaften zu gestalten, homogene Gesellschaften, wo der Kern klar definiert wird und alles andere aus dem Rahmen fällt, ist eine Garantie für einen unendlichen Gruppenkampf zwischen angeblich homogenen Gesellschaften, nach Homogenität strebendenden Gesellschaften. Deswegen die Betonung des Begriffs multipel. Das heißt mehr als einer. Pluralismus, auch so ein Begriff, der hier betont sein muss. Und darüber hinaus immer die Angst vor dem Begriff Alleinvertretung. Es gibt immer wieder die Sprecher der einen Gruppe, die den Anspruch auf Alleinvertretung der Gruppe erheben. Das heißt, nur wenn hier jemand in einem Land dasteht mit einer Kipa, dann steht ein Vertreter des Judentums da. Das habe ich schon öfter gehört, dass man mich nicht als Vertreter des Judentums akzeptieren wollte, weil ich eben nicht dem entspreche, was man im stereotypischen Bild des Juden sucht. Und ganz zuletzt: Sie haben da gesagt, Ihre Eltern wollten, "dass wir uns assimilieren". Der Prozess der Assimilation ist nicht nur etwas, was man plant, das ist ein Prozess, der sehr oft und eher im Unterbewusstsein geschieht, und es muss nicht, und das betone ich wieder, zum Ausmerzen der alten Subidentität führen.

WEISER: Danke vielmals. Bitte Herr Professor Ehrlich.

FRAGE 4: Moshe, ich glaube, Du kannst die heutige amerikanische Situation nicht mit dem deutschen Judentum und seiner Umgebung vergleichen. Es ist doch so, und ich habe das gestern in einem anderen Zusammenhang gesagt, dass Hitler nicht vom Himmel gefallen ist, sondern eine sehr lange Vorgeschichte, sowohl in Deutschland wie in Österreich gehabt hat. Ich habe das einmal mir selbst klar machen wollen, indem ich ein Jahr herausgegriffen habe aus der deutschen Geschichte, das weit genug entfernt war von der vollendeten Emanzipation 1871 und noch entfernt war vom Ersten Weltkrieg 1914. Und ich habe das Jahr 1912 genommen, weil ich mir selbst klarmachen wollte, was ist in Deutschland geschehen, als die Juden emanzipiert waren, aber noch nicht der Erste Weltkrieg da war, wobei im Ersten Weltkrieg, wie Du weißt, 1916 die infernalische Judenzählung war, wo man behauptet hat, die Juden wollten nicht Frontkämpfer sein. Und ich stellte fest, dass 1912 in Deutschland eine eminente antijüdische Haltung herrschte, Stichwort Kunstwort, wo eben die Zugehörigkeit der Juden zu Deutschland als deutsche Juden bestritten worden ist. Und ich muss sagen, wenn vielleicht auch in Einzelheiten Gershon Scholem überzieht, da sind wir einig, hat er im wesentlichen recht gehabt, ich bin ein deutscher Beamtensohn gewesen, wir waren Deutsche, aber dazu gehören zwei Seiten, nämlich die anderen, die uns als Deutsche akzeptierten und das haben sie niemals getan ohne Taufe. Wenn die Taufe stattgefunden hat, dann ist es in der zweiten Generation ganz gut gegangen, besonders, wenn man den jüdischen Namen geändert hat. Wenn man Levi geheißen hat und sich Lagatz genannt hat, dann war die Sache in der zweiten Generation mehr oder weniger in Ordnung. Der Lagatz, der sich hat taufen lassen, der ein Kollege meines Vaters bei der deutschen Reichsbahn war, da wusste man noch, das ist einer, der getauft ist. Aber in der zweiten Generation hat man das schon vergessen, aber das nenne ich nicht deutsch-jüdische Symbiose. Die Juden wollten Deutsche sein, und die anderen haben es nicht zugelassen. Und das ist der Unterschied zum heutigen amerikanischen Judentum, wo etwas stattgefunden hat, was Du nicht erwähnt hast. Du hast den Begriff der Assimilation erwähnt, ich würde lieber sprechen von der Integration. Die amerikanischen Juden heute sind integriert
und zwar als Juden, und zwar auch mit der starken Betonung der Religion.

Nur ein Beispiel: Ich bin vor einiger Zeit in New York mit einem jüdischen Taxifahrer gefahren, der total assimiliert war. Da habe ich ihn gefragt: "Fahren Sie auch an Yom Kippur?" Er hat gesagt: "Nein". Und dann fragte ich ihn: "Wie viele jüdische Taxifahrer, und es gibt eine Menge, fahren am Yom Kippur?" Da hat er gesagt, er nimmt an, fünf oder zehn Prozent. Das heißt, das religiöse Element spielt selbst bei total säkularisierten Juden eine Rolle und ist heute in Amerika, selbst bei Juden, die nun wirklich in Deinem Sinn assimiliert sind, eine ganz wesentliche Rolle. Also man soll Deutschland von vor' 33 mit Amerika von heute vergleichen.

ZIMMERMANN: Das akzeptiere ich ohne weiteres als Bestätigung der antizionistischen Argumentation. Wenn der Zionismus in seiner historischen Argumentation davon ausgeht, dass die Assimilation oder eine Symbiose prädestiniert ist zu scheitern, soll man auf den nicht möglichen Vergleich von Deutschland vor '33 und Amerika von heute hinweisen. Tatsächlich, die Tatsache, dass eine weitgehend assimilierte jüdische Gesellschaft ihre jüdische Subidentität weiter bewahren kann, beweist, dass der Zionismus, oder der Zionismus, der nur die palästinazentrische Lösung vorschlägt, nicht die einzige Lösung der "Judenfrage" oder die einzige Alternative für den Erhalt des Judentums ist. So far so good.

Nun beginnen wir mit dem Taxifahrer: Der Taxifahrer ist in meinen Augen nicht so wichtig wie zwei andere Figuren, die amerikanische Juden besser kennen. Ich rede von Hank Greenberg und Sandy Coofox. Ich hoffe, dass diese Gestalten bekannt genug sind. Das sind echte Helden der jüdischen Kultur in Amerika. Hank Greenberg profilierte sich als Jude in den dreißiger Jahren. Sandy Coofox in den fünfziger Jahren. Beide waren Baseballplayers, das heißt Teilnehmer am nationalen amerikanischen Sport, mehr noch, am nationalen amerikanischen Way of life. Beide haben es bis zum Award Serious geschafft, das heißt vor dem Endspiel. Beide standen vor diesem Problem. Diese Endspiele finden Ende September -Anfang Oktober statt, wo Rosch Haschana und Yom Kippur gefeiert werden. Und beide haben sich dafür entschieden, nicht am Yom Kippur zu spielen. Die tun das deswegen, weil die Umgebung das Judentum als Religion auffasst und weil das dann eben zum Symbol wird. Wäre die Umgebung in Amerika weniger religiös, wäre es für Hank Greenberg in den dreißiger Jahren und ganz bestimmt Sandy Coofox in den fünfziger Jahren bei weitem nicht so wichtig, ob sie am Yom Kippur spielen oder nicht. Wenn die Umgebung die Juden auf einer bestimmten Basis definiert, kommt die Reaktion von Seiten der Juden, die Umgebungsgesellschaft ist bei weitem noch nicht so säkularisiert, wie sie sich manchmal darstellt oder anbietet. Der Unterschied ist im Endeffekt, heute ist Amerika sehr groß, aber der Vergleich muss gezogen werden, Deutschland damals und Amerika damals. Sie haben gesagt: Die Deutschen haben die Juden damals nicht akzeptiert, oder nicht integrieren wollen. Das gleich gilt auch für die amerikanische Gesellschaft. Ohne diese Einstellung in der amerikanischen Gesellschaft wären Filme wie Crossfire und Gentlemen Agreement in den fünfziger Jahren überflüssig. Das hat sich in Amerika auch verwandelt, es hätte sich auch in Deutschland verwandeln können. Einzig und allein schuld daran, dass es nicht so in Deutschland gekommen ist, ist Adolf Hitler oder die nationalsozialistische Bewegung, und wenn man das etwas vorsichtiger formulieren soll, ist es diese mitteleuropäische Vorstellung von Nationalismus. Eine homogene, organistische Art von Nationalismus.

WEISER: Die nächste Frage stellt Frau Dr. Nittenberg, die Herausgeberin der "Neuen Welt", jener Zeitung, die Theodor Herzl gegründet hat.

FRAGE 5: Sicher, es gibt verschiedene Heimaten, verschiedene Identitäten und jeder einzelne hat sozusagen eine Welt in sich. Man kann das nicht genau definieren, was ist Heimat, was ist Identität, das ist sicher ein Zusammenschluss von allem. Aber um auf die Statements von Herrn Professor Weiser zurückzukommen: Herzl, der sich nicht taufen ließ, Burgtheaterautor und renommierter Journalist war und als solcher wohlbekannt, hat aus der Judennot, aus dem Antisemitismus etwas gemacht. Den Antisemitismus gibt es lange vor Hitler und schon bei den frühchristlichen Katholiken. Es ist zu einfach zu sagen, wegen Hitler hat diese Symbiose nicht stattgefunden. Ich habe keine Antwort auf diese Fragen, nur glaube ich, Hitler ist nicht, wie hier jemand gesagt hat, aus heiterem Himmel gekommen. Das ist schon eine ganz lange Entwicklung. Gustav Mahler konnte nicht Operndirektor werden, wenn er nicht übergetreten wäre. Aber das sind nur Ausdrücke, Geisteshaltungen, die immer, würde ich sagen, schwanken. Es gibt eine liberale Phase, wo Juden sehr wohl den Zutritt zu allem haben, und wenn, wie Sie, Herr Professor gesagt haben, die allgemeine Stimmung, das Pendel dagegen geht, dann sind die Juden die ersten, die als Sündenböcke daran glauben müssen.

ZIMMERMANN: Ich habe das Wort Hitler hier als Ikone benutzt, nicht als ausschließliche Antwort auf die Frage, was macht den Unterschied zwischen Amerika und Deutschland 2002 und 1933 aus. Es ist eine klare Sache, dass Antisemitismus oder Judenfeindschaft eine Rolle in der nichtjüdischen Gesellschaft seit eh und je gespielt hat, und die der Anlass war für einen Mann wie Theodor Herzl über die jüdische Identität oder über die jüdische Frage neu nachzudenken und eine Antwort neu zu geben. Aber es ist keine Selbstverständlichkeit, dass die Juden, immer der Feind Nummer eins für die Gesellschaften, die früher christlich waren, heute säkularisiert oder nationalisiert sind. Dass die Juden immer Ziel Nummer eins sein müssen, das sehen wir mit der Entwicklung nach 1945. Nach 1945 ist in Europa, wo Antisemitismus die Juden zum Feind Nummer 1 gemacht hat, der Jude als Feind oder als Feindbild weitgehend verblasst. Ohne den Antisemitismus in der zweiten Hälfte des 20. Jh. zu bagatellisieren. Es ist aber klar, dass es nicht mehr selbstverständlich die Juden sind, die dann Ziel der Angriffe oder der Feindschaft der Mehrheitsbewegung sind. Die Sozialfragen ändern sich, oder die soziale Frage nimmt eine neue Wende und damit ändert sich auch die Rolle der Juden in dieser Kombination. Das ist für mich wichtig, weil man eben nicht davon ausgehen muss, dass die Juden immer selbstverständlich das Ziel Nummer 1 von Mehrheiten in der westlichen oder in der nichtjüdischen Gesellschaft sein müssen. Es gibt Alternativen. Und eine Alternative erlebt man auch jetzt.

WEISER: Danke vielmals. Es haben viele Leute aufgezeigt, aber es ist unhöflich gegenüber dem nächsten Vortragenden, Professor Ben Sasson, ihn noch länger warten zu lassen. Deshalb nur noch zwei Fragen. Herr Kurt Schubert und Harris Schoenberg

FRAGE 6: Ich werde extrem kurz sein, denn ich möchte nur zwei Gegensätze oder den Gegensatz schlechthin des Referats noch verschärfen: Einerseits hat sicher Hermann Levin Goldschmidt recht, wenn er vor 25 oder 30 Jahren in einem Vortrag gesagt hat: "Am Anfang einer Periode der Symbiose beginnt die Übersetzung der Bibel in die Sprache dieser Symbiose. Im 3. Jh. vor Christus die griechische Bibel, die Septuaginta und in der zweiten Hälfte des 18. Jh. die Übersetzung ins Deutsche durch Moses Mendelssohn." Sicher eine kulturhistorisch richtige Tatsache. Andererseits aber ist es genauso richtig und durch die Unmöglichkeit, das hebräische Wort ins Deutsche richtig zu übersetzen, dass das land Israel für alle Juden, wo immer sie geboren wurden, wo sie jetzt noch leben, "Moleded" ist. Das Wort "Moleded" kann ich nicht übersetzen, es müsste heißen "Geburtsland". Auch für den Juden aus Hamburg oder Usbekistan. Und diese Solidarität, die geschaffen ist, weltweit, mit dem Zionismus und dann mit Israel in all seiner Bedrängnis, ist nach meinem Dafürhalten heutzutage der stärkste Faktor zur Stärkung der jüdischen Identität.

ZIMMERMANN: Eine kurze Gegenfrage: Wo begann die Symbiose? Mit der Übersetzung von Mendelssohn ins Deutsche oder mit der Übersetzung von Luther ins Deutsche? Das gebe ich zu bedenken. Der Prozess ist komplexer. Und das Wort "Moleded" heißt selbstverständlich auf hebräisch, Heimat, Vaterland, Geburtsland ist natürlich mit Assoziation beladen. Und deswegen ist es nicht schlicht die Übersetzung von Heimat. Und wenn man "Moleded" auf die Art und Weise auslegt, wie die zionistischen Erziehungsagenturen in Israel, wird das, was Sie betont haben, der Kern der neuen jüdischen Identität. Es gibt andere, die andere Assoziationen haben. Wenn ich das Wort "Moleded" höre, denke ich an den Namen einer der rechtsgerichteten Parteien in Israel, und mit dieser Assoziation von "Moleded" kann man als liberaler Mensch heute nichts mehr anfangen.

WEISER: Ich werde das Wort als letztem Herrn Harris Schoenberg geben. Herr Schoenberg war jahrelang Vertreter der jüdischen NGOs bei den Vereinten Nationen in New York.

FRAGE 7: Thank you. When German speaking Jews came to New York City they settled in very large number in a concentrated area in Northern Manhattan on the Washington Heights. And so dominated they were this area that it was called Frankfurt on Hudson.
This lasted for about a generation and then it totally disappeared, today there is not a trace left, the area is dominated today by the Dominican Republic. And there are signs on the stones and elsewhere in Spanish. I would have thought that the same process of assimilation would have been at work in Israel. And I'm wondering if your example is typical for Jews that came from Germany or other places where they reach out for their former homelands or the homelands of their parents.

ZIMMERMANN: The problem with the Washington Heights was a double-fold assimilation. On one hand it was Germany transferred to the United States and secondly it was German Jewry transferred to the United States. So this subidentity of being a German Jew, not a German, but a German Jew, is secondary to the majority which is coming from Germany to the United States. And that is why I assume the second generation of immigrants have more or less lost their tradition. This is very much the case also with the German Jews in Israel. They were transferring German Jewishness, Germanness into the Israel society. But there of course the question of majority is a different one. First priority is their Jewish existence in Germany and not their Germanness. This makes the difference between the two groups and this may guarantee a more stable resistance of german-jewish traditions or other landsmannschaft-traditions in Israel. But of course you are right, with time the tradition passes away because the agence of socialisation does not develop this element of subidentity in the new society.

WEISER: Mit dieser Frage haben wir den Vortrag und die Diskussion über den Vortrag beendet und ich danke Ihnen allen, dass Sie einen so konfliktbeladenen Stoff mit einer solchen Courtoisie diskutiert haben.

mit freundlicher Genehmigung des Autors