Die Yeziden...
Eine Fragestellung oder eine Realität...

Zur Lebenssituation von yezidischen Jugendlichen und der Erziehung der yezidischen Söhne

Prüfer: Prof. Dr. Friedhelm Vahsen

Fachhochschule HHG
Fakultät für Soziale Arbeit und Gesundheit
Prüfungsleistung im Leistungsbereich L3
Prüfungssemester WS 2002/03

Ausgearbeitet von:

Hasan Aksünger
E-Mail: hasan.hildesheim@yahoo.de

und

Süleyman Ersu
E-Mail: suleyman-ersu@gmx.de

  

 

Gliederung

Einleitung

  
I.

  
Das Yezidentum und die Yeziden

  
   1.1
   1.2
   1.3
   1.3.1
   1.3.2
   1.3.2.1
   1.3.2.2
   1.4
   1.5
   1.6

  
Definition
Ursprung und Herkunft
Die Struktur der Religion und der Gesellschaft
Das Kastensystem
Regeln und Rituale
Rituale
Heiratsregeln
Die Reform
Die Siedlungsgebiete
Die Emigration

  
II.

  
Lebenssituation von Familien unter besonderer Berücksichtigung der patriarchalischen Struktur

  
   2.1
   2.2
   2.3

  
Traditionelle Prägung yezidischer Männer
Erziehung der Söhne
Außerfamiliäre Sozialisation

  
III.

   3.1

  
Lebenssituation von yezidischen Jugendlichen

Leben in der Bundesrepublik Deutschland / Leben in Zwei Welten

  
IV.

V.

  
Fazit

Quellenangaben

„Ich will frei sein,
und bin als dann frei,
so bin ich gefangen in der Freiheit
meiner Realität und meines Schicksals...“

                                                                          S. Berxwedazum Seitenanfangn

 

Einleitung

Wie sich die Geschichte eines Volkes entwickelt hängt von vielen Faktoren ab. Eines der wichtigsten Faktoren ist es, Informationen über dieses Volk zu haben und das Wissen an diese weiter zu geben. Es ist von wesentlicher Bedeutung, ob diese Gesellschaft ihre Traditionen und Sitten im Verborgenen praktiziert oder damit an die Öffentlichkeit geht.

I. Das Yezidentum und die Yeziden

1.1 Definition

Für diese Religionsgemeinschaft gibt es sowohl innerhalb, als auch außerhalb der Gemeinschaft viele Namensbegriffe. Êzîdî, Yêzîdî, Ezdayî, Azdayî, Êzdî oder auch Îzîdî. Alle diese Worte finden ihre Erklärung in einer Begriffsgebung, bzw. in einem Ursprung. „Der, der mich erschaffen hat“. Im weiteren Verlauf dieser Hausarbeit werden wir den Begriff „Êzîdî“, bzw. den in der deutschen Sprache geläufigen Begriff „Yezidi“ benutzen.

1.2 Ursprung und zum Seitenanfang Herkunft

Eine allgemeingültige Aussage über die Herkunft der Yeziden gibt es zum Heutigen Zeitpunkt nicht. Auf Grund der Splittung der yezidischen Gesellschaft in drei wesentliche Gruppierungen (Lager) und einigen kleineren Splittergruppen werden verschiedene Theorien über die Herkunft dieser Gesellschaft vertreten. Jeder dieser Gruppierungen ist der Auffassung, das ihre Theorie bezüglich der Herkunft unserer Religion die richtige ist. Was aber sicher ist, ist die Tatschache, das es Elementare Verbindungen zu anderen Religionen gibt und das die yezidische Religionsgemeinschaft auf Grund ihrer Lebenssituation im Laufe der Zeit Grundelemente anderer Religionen übernommen hat.

Im Einzelnen will ich hier Gemeinsamkeiten und Verbindungen zwischen der yezidischen und anderen Religionsgemeinschaften darstellen.

Auf Grund dessen, das es verschiedene Theorien aber kein Schriftmaterial über die Herkunft der Yeziden und der Entstehung der eigentlichen yezidischen Religion gibt ist es schwierig, genau zu bestimmen wie alt diese Religionsgemeinschaft nun wirklich ist. Einige Hardliner klammern sich an die Zeit des dem Sufismus angehörenden Reformators Sheik Adi bin Musafir (Mitte 11.- Mitte 12. Jhdt.), zu dem ich im Nachfolgenden noch ausführlicher Berichten werde. Andere gehen bis zur Zeit der Sumerer (6000-7000 Jahre v. Ch.) zurück und suchen die Verbindung zu Nabo, dem Gott der Sumerer.
Dem irakischen Wissenschaftler Georg Habib zu Folge war die alte Religion des Iran und der Babylonier die ursprüngliche der Yeziden. Die Verbindung liegt unter anderem darin, das Tausi Melek (Engel Pfau), der Oberste aller yezidischen Engel, die gleichen Charakteren aufweist, wie Nabo. Genau so wie Nabo, dem Sohn von Murduck, der wiederum Herr aller Götter war, hatte auch Tausi Melek die Macht über Leben und Tod, Gut und Böse auf der Erde verliehen bekommen. Eine weitere Verbindung, so Habib gäbe es beim Namen „Tausi Melek“. Der Name soll aus dem aramäischen stammen und zur Zeit der Herrschaft der Sassaniden über Mesopotamien von den Yeziden für den Namen Nabos eingesetzt worden sein, um die Religion zu verbergen und so der Verfolgung zu entgehen. Im Bezug auf die Verbindung der Yeziden zu den Sumerern ist auch zu beachten, das der Tempel Nabos in der Stadt Nimrod, in der Nähe des yezidischen Tempels Lalis stand und sein Haupttempel in Bersippa (am Euphrats) den Namen „Izîdî“ trug.

Weiter gibt es Verbindungen zwischen den Yeziden und den Yarasan (Ahl-i Haqq) aus dem Iran. Auch hier steht in der Verbindung die Verehrung Tausi Meleks im Vordergrund. In beiden Religionssystemen ist Tausi Melek der Oberste der von den Anhängern verehrten sieben Engel und sie glauben an einen einzigen Gott. Vermutlich auf den Kult der Wassergötter zurück zu führen sind auch die zwei heiligen Wasserquellen, die es auch bei den Yarasan gibt. Hierbei handelt es sich um „Kanya Spî“ und „Zimzim“, die bei den Yarasan aber andere kurdische Namen haben. Weitere Ähnlichkeiten gibt es da beispielsweise bei der Erschaffungstheorie der Erde. So glauben beide Religionen an die Perlen-Theorie und das die Erde, laut Sagen, auf den Hörnern eines Bullen oder dem Buckel eines Wales lag.
Bei der Schöpfungstheorie glauben die „Ahl-i Haqq“ oder auch Yarasan das Adam als erster Mensch von Gott erschaffen und ihm die göttliche Macht verliehen wurde. Ähnlich ist es auch bei den Yeziden. So habe Gott als nur das Nichts existierte, aus dem Nichts eine Perle und durch sein Licht daraus die vier Engel erschaffen, dursch deren Offenbarung später aus der flüssigen eine feste Masse (die Erde) entstand. Diese vier Engel waren Gabriel, Michael, Israfil und Esrafil.

Viele Elemente, oder gar der Ursprung der yezidischen Religion sollen, so eine weitere Hypothese, von der Mitras-Religion abstammen. Ähnlichkeiten gibt es da beispielsweise bei dem Namen der Yeziden, der Yazata, dem im alten Iran für die Mitras-Religion verwandten Begriff ähnelt. Weiter ist die Sonne, die bei den Yeziden von Sheikh Schems symbolisiert wird in beiden Religionen heilig. Charakteristisch bei der yezidischen Feier für „Izîd“ und bei der Mitrasfeier zu Geburtstag Mithras, was zur gleichen Zeit stattfindet ist die Zündung des Feuers. Genau so, wie die Anhänger der Mitras-Religion zu Ehren Mithras, opfern auch die Yeziden im heiligen Lalis zu Ehren Sheikh Schems einen Bullen bei den Herbstfeierlichkeiten.
Auch wenn der Name Mithras in der yezidischen Religion nicht erwähnt wird muss davon ausgegangen werden, das die Verbindungen nicht nur regional bedingt sind. So ist der Name Mithras erstmalig im Norden Mesopotamiens bei den Mitani entdeckt worden und es innerhalb des yezidischen Stammes der Xalti, so Dr. Kizilhan, den Clan der Matini gab. Eine Theorie kann aber im Bezug auf die Erwähnung, bzw. Nichterwähnung des Namen Mithras auch sein, das im Laufe der Jahrhunderte landen Unterdrückung der Name Sheikh Schems´ für den Namen Mithras´ eingesetzt wurde. Das ist eine Theorie, von der auch Donald A. Mackenzic ausgeht. Andere Beobachter schlossen aus den Zeremonien der Yeziden das der Ursprung und die Herkunft bei den Assyrern läge, weil Scheikh Schems bei den Yeziden genau so wie der assyrische Shamash die Sonne symbolisiert.

Eine unter dem yezidischen Volk stark verbreitete Theorie ist die der Verbindung zum Zoroathrismus, der durch die Reform Zarathustras entstand. Man ist sich innerhalb der Gesellschaft nur nicht einig, welche Religion zu erst da war. Die Yeziden oder die Zoroathustrier. Indizien für Gemeinsamkeiten gibt es viele, wie beispielsweise die von den Yeziden gesprochene Sprache (vgl. Kizilhan 1997). Als viele Zarathustrier nach den arabischen Eroberungen aus Persien flüchteten, wurden die, die in den Norden Emigrierten „Yezdan Perest“, also Gottesanbeter genannt, was wiederum die Verbindung über den Namen der Yeziden darstellt. So sollen die Yeziden ihren Ursprung im alten Persien gehabt und sich erst durch Flucht in den anderen Regionen Kurdistans nieder gelassen haben.

Einer ebenfalls sehr wichtigen Theorie nach soll der Name der Yeziden früher Schemsani, also Sonnenanbeter, gewesen und erst durch die Reform des Sheikh Adi bin Mousafir, wodurch ein neues System eingeführt wurde, geändert worden sein.

1.3. Die Struktur der Religion und der zum Seitenanfang Gesellschaft

1.3.1. Das Kastensystem

Die yezidische Gesellschaft unterteilt sich seit Scheich Adi in drei streng endogame Kasten. Die Scheichs stellen die oberste Kaste und sollen, so die Yeziden, von den Engeln abstammen die die Yeziden verehren (vgl. Bulut 2000; Nippe 2002). Innerhalb der Kaste unterteilen sich die Scheichs nochmals in Sieben Unterkasten, die sich wiederum nach drei endogamen Gruppen ausrichten. Den Adani, Schemsani und Khatani (Xatani). In dieser Reihenfolge ist auch die Führungsstellung dieser Unterkasten zu sehen. Informationen nach, die ich aus verschiedenen Gesprächen mit yezidischen Gelehrten habe, sollen die Adani Scheichs Nachfahren der Familie von Scheich Adi und die Schemsani Scheichs Nachfahren der Familie von Scheich Schems, dem damaligen Oberhaupt der Yeziden vor Scheich Adi sein. Die Khatani Scheichs wiederum sollen Begleiter und Freunde von Scheich Adi gewesen sein. Dafür spricht auch, das die Adani Scheichs auch heute noch die höchste religiöse Autorität innerhalb der Gesellschaft vertreten. Es darf auch nur innerhalb dieser Untergruppen geheiratet werden. Auf die Heiratsregeln werde ich im nachfolgenden Punkt noch näher eingehen, weil diese meiner Meinung nach heute nicht mehr zeitgerecht sind und eine Gefahr für den Fortbestand der Bevölkerung bedeuten. Die Aufgabe der Scheichs ist es die Religion an die yezidische Bevölkerung weiter zu geben und die Zeremonien zur "Taufe" der Söhne einzuleiten, bzw. durch zu führen. Weiter gehört es zu den Aufgaben der Scheichs als Schlichter bei Streitigkeiten innerhalb der Bevölkerung für "Ordnung und Gerechtigkeit" zu sorgen. Es ist hierbei zu bemerken, das der Scheich, besonders heute, keine richtende, sondern nur eine schlichtende Funktion hat. Jeder yezidische Clan, es sollen bis zu 60 sein, wird von einer bestimmten Untergruppe der Scheichs "betreut", während die Mitglieder der Clans dem Scheich gegenüber Abgabepflichtig sind.

In der Hierarchiefolge der Kasten folgen den Scheichs die Kasten der Pîr, die es als Priester schon vor der Reform Scheich Adis gegeben hat. Die Pîr waren ursprünglich die religiösen Führer der Yeziden gewesen und haben eigentlich den gleichen Status wie die Scheich. Durch die Reformen Scheich Adis wurden die Scheichs, vermutlich um die Position der Adi Familie zu stärken, hervor gehoben. Auch hier ist jeder Yezide verpflichtet einem Pîr, bzw. einer Pîr-Kaste zu folgen. Einer Pîr-Kaste aus dem Grund weil sich auch die Kaste der Pîr in Neun verschiedene Unterkasten teilt, von denen heute wenigsten schon eine durch die Heiratsregeln von Aussterben bedroht sind. Als religiöse Führer haben die Pîr die Aufgaben unter anderem, wie auch die Scheichs, die Waschungen der Toten durch zu führen und die Religion zu vermitteln.

Die Murids (Laien) stellen die größte Gruppe der Yeziden und das unterste Glied der Hierarchiefolge. Sie sind verpflichtet den Scheichs und den Pîrs zu folgen und haben auf der anderen Seite das Recht von den Scheichs und den Pîrs in die Religion eingewiesen aber nicht unterwiesen zu werden. Das resultiert wahrscheinlich auch aus der Situation das man vor ca. 900 Jahren die Angst hatte an Einfluss zu verlieren, wenn zu viele Anhänger zu viel wussten.

Das sind die drei Kasten innerhalb der Religion und der Gesellschaft. Weiter gibt es eine streng geprägte Hierarchiefolge innerhalb der Funktion der Gelehrten und der religiösen Führer. Die gesamte Hierarchie ist wie nachfolgend gegliedert.

1. Mîr (Fürst)

Der Mîr stellt heute das absolute Oberhaupt der Yeziden dar. Er steht in einer hierarchischen Erbfolge und kann bis zu seinem Tod nicht ersetzt werden. Scheich Adi und auch Taus î Melek werden symbolisiert. Von den Yeziden wird beschrieben. das er seit her das Oberhaupt der Gemeinschaft gewesen ist, was meiner Ansicht nach nicht der Fall sein kann weil es den Berichten über Scheich Schems, der sich nicht als Mîr bezeichnete und Scheich Adi nach erst im 13. Jhdt. zu einer Zwangsübernahme der Führung der Gesellschaft durch einen Fürsten kam. Sicher hatten die Yeziden schon vor Scheich Adi Fürstliche Oberhäupter, es bleibt aber zu bezweifeln, das es die Vorfahren der heutigen Fürstenfamilie gewesen sind.

2. Pismîr

Die Pismîr sollen, so Kizilhan, Verwandte von Scheich Adi gewesen sein. Sie vertraten über lange Zeit die Gruppe der Intellektuellen und derer, die die politische Richtung gewiesen haben (vgl. Kizilhan 1997). Auch hier komme ich zu dem Schluss, das diese gesellschaftliche Stellung bewusst auf Verwandte des Scheich Adi übertragen worden ist, weil man sich damit die macht und die gesellschaftliche Stellung sichern wollte. Wenn das Volk nicht zu viel weiß, so kann es die Autorität der Oberen nicht in Frage stellen. Und das ist es auch, was hier teilweise bewirkt wurde.

3. Baba Sheikh (Vater der Scheichs)

Der Baba Sheikh ist einer aus einer Schemsani oder auch Fakhradinfamilie stammende, von den Führern der Yeziden gewählte und von Mîr bestätigte Instanz. Seine Aufgabe ist es, die einzelnen Priestergruppen zu unterweisen und das Grab von Scheich Adi, das in der Nähe des Tempel Lalis liegt zu schützen. Jährlich muss er wenigstens zehn Versammlungen mit den Priestern einberufen, in denen hauptsächlich religiöse Themen behandelt werden sollen. Er lebt in mehr oder weniger ärmlichen Verhältnissen und erbt nach dem Tod des Mîr dessen Kleidungsstücke. Der Vater der Scheichs ist somit auch das Oberhaupt aller Scheichs und der Pîrs und ist verpflichtet jedes Jahr 42 Jahre zu fasten. Die Festtage und Gebete werden von ihm eröffnet, die nach einem bestimmten Ritual durchgeführt werden müssen. Ebenfalls ist er dafür verantwortlich, das den Yeziden ihre religiösen Rechte erklärt werden. Seinen Lebensunterhalt bestreitet Baba Sheikh hauptsächlich von Almosen, die er auf Reisen in benachbarte Dörfer und von Gästen des Heiligtums erhält.

4. Pêsîman

Dieses Wort heißt soviel wie Gelehrter ersten Ranges und entstammen der Erbfolge des Scheich Hassan, also einem Adani Scheich. Das ist auch der Grund dafür warum eine Heirat zwischen den Familien der Pêsîmam und Scheich Hassan Scheichs erlaubt ist. Die Scheich Hassan Scheichs stellten auch eine lange Zeit das Oberhaupt der Yeziden.

5. Scheich

Die Scheichs unterteilen sich in drei Grundgruppen, den Adani, Schemsani und den Khatani (Xatani). Bei religiösen Fragen müssen die Scheichs den Murids zur Seite stehen, für die Murids jährlich eine Abgabe entrichten müssen. Die Höhe dieser Abgabe bestimmt der Murid selber. Es wird als Spende gesehen und darf somit nicht vom Scheich fest gelegt werden. Auf der Anderen Seite ist der Scheich wiederum verpflichtet dem ihm zugeordneten Murid Hilfe zu gewähren, wenn dieser in Not ist. Jede Scheichkaste hat innerhalb der Gesellschaft besondere Aufgaben. So sind beispielsweise einige Scheichfamilien dafür verantwortlich, das die Menschen bei bestimmten Krankheiten durch verschiedene Rituale geheilt werden. Andere wiederum haben die Aufgabe, böse Geister zu vertreiben.

6. Pîr

Als Priester der Yeziden haben die Pîr schon vor Scheich Adi eine bedeutende Stellung innerhalb der Gesellschaft gehabt. Nach Scheich Adi wurden die Scheichs hervor gehoben, wobei die Pîrkasten ein wenig an gesellschaftlicher Bedeutung verloren. Auch die Pîr sind für verschiede Rituale, wie beispielsweise Waschung von Toten oder Heilung bei Krankheiten zuständig.

7. Qewal

Als Erzähler von religiösen Gedichten, Mythen und Sagen gehören die Qewals der Kaste der Murid an. Ihre Aufgabe besteht unter anderem darin das religiöse Wissen in verbaler Form zu behalten, damit es nicht verloren geht. Sie habe die Aufgabe von Dorf zu Dorf zu Reisen und die Erzählungen weiter zu geben und eines der sieben Statuen des Taûs î Melek zu zeigen und dem Volk bei der Umkreisung des Symbol des Engel Pfau (der Statue) das heilige "Berat", aus der Erde von Lalis hergestellte Kügelchen zu verteilen. Diese kleinen Kugeln (Steine), die sich mittlerweile auch außerhalb der Herkunftsgebiete der Yeziden in den Wohnungen der Yeziden befinden, sollen vor Unheil und Krankheit schützen.

Als die Gefahr bestand, dass die Qewals, die ebenfalls endogam lebten, aussterben könnten, entschieden der Mîr (Fürst) und Baba Sheikh im Jahr 1950, dass die Gruppe der Qewals innerhalb der Muridkaste heiraten dürfen (vgl. Kizilhan 1997).

8. Kocek

Kocek wird auch als der Hörende beschrieben, der aus dem nicht Sichtbaren hört. So nimmt er innerhalb der verschiedenen Riten Verbindung mit der unsichtbaren Welt auf und berichtet von dem Schicksal der Verstorbenen, was auch seine vorrangige Aufgabe ist. In Zeiten des Unheils, so wird berichtet, hat er auch die Aufgabe, Träume zu interpretieren. Er das Recht und die Pflicht, bei Abwesenheit des Scheich und des Pîr diese zu vertreten. Die Koceks treffen mindestens zehn mal im Jahr mit dem Baba Sheikh zusammen, um über Pflichten und Verantwortung der Koceks du diskutieren und entsprechende Aufgaben entgegen zu nehmen. Der Kocek ist verpflichtet, 40 Tage im Sommer und 40 Tage im Winter zu fasten. Kocek kann den mir bisher vorliegenden Informationen zu Folge jeder Yezide werden, der die spirituelle Gabe hat.

9. Feqîr

Das aus dem kurdischen stammende Wort Feqîr bedeutet soviel wie "arm" oder "mittellos". Einer, der sich entschließt, Feqîer zu werden, gibt damit bekannt, das er sich allen weltlichen Gütern entsagt und nur noch Gott dienen will. Nach Dr. Ilhan Kizilhan kann jeder Yezide nach bestimmten Voraussetzungen Feqîr werden. So muss dieser die Aufnahme beim Mîr und Baba Sheikh beantragen und wird nach bestandener Prüfung in den Rang eines Feqîr gehoben (vgl. Kizilhan 1997). Nach den mir bisher vorliegenden Informationen muss der Bewerber Angehöriger einer Familie sein, die diesen Titel bereits trägt.
Als Zeichen der Ergebenheit zu Gott muss der Feqîr das Xerqe, ein aus rauer Schafwolle gewebtes Unterhemd tragen, das sehr rau auf der Haut liegt. Dieses Xerqe darf der Feqîr nur abnehmen, wenn er sich wäscht. Sonst wird es bis zum Tod und über den Tod hinaus noch getragen. Der Feqîr wird nach seinem Tod mit dem Xerqe beerdigt.

10. Micewir

Micewir sind Wächter und Pfleger der Heiligtümer, nehmen aber auch in den Dörfern die Aufgabe als Helfer und Berater wahr. Sie sind dort auch als Priester tätig.

11. Kebanî

Der Rang der Kebanî ist der höchste, den eine Frau in der religiösen Hierarchie belegen kann. Kebanî sind Angehörige eines Frauenorden im Heiligtum Lalis, dem nur Frauen beitreten können, die nie gegen die religiösen Regeln verstoßen haben. Diese Frauen leben dort auf Lebzeiten im Zölibat und sind für die Erhaltung der Tempel verantwortlich. Sie kümmern sich dort um die Haushaltsführung, die Gäste und sind so etwas wie Haushälterinnen im Heiligtum. Kebanî kann jede Yezidin werden, die von mindestens zwei lokalen Priestern befürwortet wurde.

12. Murîd

Die Murid stellen die unterste aller Kasten. Sie sind verpflichtet, dem für sie zuständigen Scheich und Pîr zu folgen. Die Zuständigkeit der einzelnen Scheichs Pîrs für den einzelnen Muridclans wurde schon zur Zeit Scheich Adis festgelegt. Es ist den Murid nicht möglich gewesen, den Scheich oder Pîr zu wechseln. In der heutigen Zeit kann es aber dennoch zu entsprechendem Wechsel kommen, wobei dabei berücksichtigt werden muss, das der Scheich oder der Pîr aus der richtigen Unterkaste ist. Dieser Wechsel ist aber eher selten und wird von der Gesellschaft nicht gerne gesehen.

1.3.2 Regeln und zum Seitenanfang Rituale

Die yezidische Gesellschaft ist von vielen Regeln und Ritualen geprägt, denen Folge geleistet werden muss. Ein Verstoß gegen die Regeln kann entsprechende Folgen haben, auf die ich am Beispiel der Heiratsregel nachfolgend näher eingehen will.

1.3.2.1. zum Seitenanfang Rituale

In der Zeit vom siebten bis zum elften Lebensmonat müssen die Söhne durch die rituelle Haarbeschneidung (Bisk), was fälschlicherweise oft mit Taufe bezeichnet wird, in die yezidische Gesellschaft aufgenommen werden. Dabei schneidet der Scheich der Familie dem Jungen drei Haarlocken ab und spricht dabei das Gebet des Bisk auf. Auf Grund der Tatsache, dass den Mädchen das Schneiden ihrer Haare verboten ist, wird die Bisk bei den Mädchen nicht durchgeführt. Das Ritual der Beschneidung der Söhne, was in der Regel im frühen Kindesalter durchgeführt wird, ist ein Ritual, das Ähnlichkeiten mit der Beschneidung im Islam hat und auch oft darauf zurückgeführt wird. Durch die Unterdrückung durch das islamische Umfeld wurden im Laufe der Zeit viele Grundelemente anderer Religionen übernommen. Jeder Murid muss mit dem Eintritt in die Geschlechtsreife einen Bruder oder eine Schwester aus einer Scheich- oder Pîrkaste für das Jenseits wählen, der/die eine evtl. Sündenlast im Jenseits mitträgt. Diese "Brüder" oder "Schwestern" haben unter anderem die Aufgabe, am Totenbett gemeinsam mit dem Scheich der/des Sterbenden für diesen zu beten.

Ein weiteres sehr wichtiges Ritual stellt die Bestattungszeremonie dar. Die Bestattungszeremonie soll nicht nur das Ende vom Leben, sondern auch gleichzeitig der Anfang der Reinkarnation sein. Dabei wird der Tote so beerdigt, dass die mitbegrabenen Steine beim Zuschütten des Grabes auf den Toten fallen, damit sich die Seele vom Körper lösen kann. Dieses Ritual wird beispielsweise bei in der Bundesrepublik Deutschland Beerdigten nicht mehr in vollem Umfang traditionsgemäß durchgeführt. So werden die traditionellen Gebete gesprochen, nachdem der Sarg mit Erde bedeckt bzw. das Grab zugeschüttet ist.

Zu den Regeln und Ritualen gehören auch, dass die Yeziden zu den Feiertagen im Winter in drei Wochen neun Tage Fasten müssen und dabei von Sonnenaufgang bis zum Untergang der Sonne nichts essen und auch nicht trinken dürfen. Diese Pflicht wurde, wie mir bekannt ist, zur Zeit der Reform durch Scheich Adi eingeführt (vgl. dazu auch Kizilhan 1997).

Einer der wichtigsten Feiertage der Yeziden ist der Rote Mittwoch, welcher jedes Jahr der erste Mittwoch im Monat April nach dem yezidischen Kalender ist. Der Sage nach soll sich an diesem Mittwoch Gott Taus î Melek offenbart haben dieser Gott als sein Oberhaupt anerkannt haben, worauf Gott ihm die Macht über Leben und Tod auf der Erde verliehen habe.

Den Regeln Scheich Adis nach muss jeder Yezide auch wenigstens einmal in seinem Leben das Heiligtum "Lalis" in der Nähe von Mosul besucht haben.

1.3.2.2. zum Seitenanfang Heiratsregeln

Durch die endogame Kastenregelung ist es den Yeziden nur gestattet, innerhalb der eigenen Kaste zu heiraten. Eine Heirat außerhalb der yezidischen Gesellschaft bzw. außerhalb der eigenen Kaste wird mit dem Ausstoß aus der yezidischen Gesellschaft bestraft. Es gab bis vor einigen Jahrzehnte auch die Fälle, dass "Abtrünnige" mit dem Tod bestraft wurden. Das ist aber eine Praxis, die auf Grund der Lebenssituationen in der Ferne glücklicherweise nicht mehr zur Einstellung unserer Gesellschaft gehört, und ich glaube auch nicht, dass es einen solchen Fall in der Zukunft wieder geben wird. Der letzte mir bekannte Fall der Tötung ist 1993 auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gewesen. Eine Sache, die mir bis heute nicht aus dem Kopf geht, weil die eigentlichen Schuldigen ungestraft davon gekommen sind. Heute ist es die Regel, dass die, die außerhalb der Gesellschaft heiraten, zumindest anfänglich aus der Gesellschaft verbannt und teilweise nach einiger Zeit wieder akzeptiert werden.

Weiter ist es auch verboten, den Bruder oder die Schwester für das Jenseits zu heiraten, weil diese mit leiblichen Geschwistern gleichgestellt werden bzw. auch nicht zur eigenen Kaste gehören.

Weil viele davor Angst haben, ausgestoßen zu werden, wurde bis vor einigen Jahren noch verschärft innerhalb der eigenen Verwandtschaft geheiratet. Teilweise wurden die Kinder auch schon im Kindesalter einander versprochen. Somit hatten diese Jugendlichen später keine Möglichkeit diesen für sie so wichtigen Schritt selber zu entscheiden. Es gibt viele Jugendliche, die mit dieser Praxis nicht zurecht kamen und aus der Gesellschaft ausbrachen, um einer Zwangsheirat zu entgehen. Der Tradition nach muss für die Braut ein Brautgeld (Qelend) entrichtet werden. Zur Zeit, als die Yeziden noch in ihrer Heimat lebten, entsprach dieses Brautgeld einem verhältnismäßig geringen Betrag, welcher auch in Naturalien bzw. Edelmetallen entrichtet werden konnte. In den vergangenen Jahren hat es innerhalb der yezidischen Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland einen rasanten Anstieg dieses Brautgeldes gegeben. So gab es Fälle, in denen es ein Brautgeld von bis zu 140.000,00 DM gezahlt werden musste. In den letzten Jahren haben sich verstärkt Jugendliche zum Teil erfolgreich gegen eine solche Zwangsabgabe gewehrt. Viele Clans sind mittlerweile dazu übergegangen, kein Brautgeld mehr zu verlangen oder zu empfangen. In einigen wenigen Fällen wird, um der Tradition gerecht zu werden, ein symbolischer Betrag von wenigen hunderten Euro vereinbart. Mîr Tahsim, auch Tahsim Beg genannt, hat als führender Mîr (Fürst) der Yeziden das Brautgeld 1997 für schlecht und somit für sündhaft erklärt.

1.4. Die zum Seitenanfang Reform

Wie lange es die Yeziden schon gibt, ist unklar. Sicher gab es das Volk der Yeziden und die Ansätze ihrer Religion schon lange vor der Reform des Heute bekannten Yezidentums. Aus verschiedenen Gesprächen, die ich mit Angehörigen der yezidischen Gesellschaft geführt habe konnte ich heraushöre, das sich die Anhänger dieser Religion auch in dem Punkt der Reform und der Umstrukturierung, die Anfang des 12 Jhdt. Statt fand nicht einig sind. Einige beschreiben, das der Reformator der Religion vom Ursprung her schon Yezide gewesen ist und andere wiederum sind der Ansicht er wäre ein Anhänger des Sufismus gewesen. Das er ein Anhänger des Islam gewesen sein soll wird von der yezidischen Bevölkerung nicht akzeptiert, ob wohl vieles dafür spricht.

Scheich Adi bin Musafir (ca. 1070 - ca. 1160 n. Ch.) emigrierte in jungen Jahren nach Bagdad und kam aus Syrien, was schon ein Zeichen dafür sein kann das er eigentlich nicht Yezide war. Nach seiner Aufnahme in den Sufi-Orden in Bagdad blieb er eine Zeit dort und ließ sich in den Sufismus unterweisen. Erst einige Zeit später entschloss er sich in die Berge von Hakkari zu reisen und blieb dann im Tal Lalis das er durchqueren musste. Bis auf zwei kurze Reisen blieb Scheich Adi bis zu seinem Tod Mitte des 12. Jhdt. in Lalis und gab sich dem Gebet.

In Lalis, bzw. in der Nähe von Lalis lernte er auch den Prinzen der Yeziden Scheich Schems kennen, den er überzeugte nicht zu sehr an materiellen Gütern zu hängen. Scheich Schems verteilte darauf hin seine Ländereien und seinen Besitz unter dem Volk und übertrug Scheich Adi die Oberste Autorität über die Yeziden. Es dauerte mehr als Zehn Jahre bis die Lehren von Scheich Adi vom Volk anerkannt wurden (vgl. Kizilhan 1997). Er wurde als sehr gütiger Mensch beschrieben der mit den Toten sprechen und auch Wunder vollbringen konnte.

Dadurch, das Scheich Adi niemals geheiratet hatte gab es auch keine Kinder, die seine Nachfolge hätten antreten können. Nach seinem Tod übernahm sein Neffe Scheich Berakat und später dessen Sohn die Autorität als Oberhaupt der Yeziden. Zu Beginn des 13. Jhdt., also, 1217 übernahm sein Sohn Scheich Hasan wiederum die Führung der yezidischen Bevölkerung. Auf Grund der Führungsansprüche der Nachfahren des Scheich Schems kam es später zu blutigen Auseinandersetzungen um die Herrschaft über die Yeziden, wobei Angehörige der Fürstenfamilie Khurasan aus einem Gebiet im heutigen Iran die Gelegenheit nutzten und die Führung übernahmen.

Die Yeziden wissen größtenteils nicht wer Scheich Adi gewesen ist. Sie wissen nur das er die Religion und damit die Gesellschaft reformiert hat. Die meisten Anhänger des Yezidentums akzeptieren beispielsweise auch nicht das der als Prophet verehrte Reformator höchstwahrscheinlich ein Anhänger des Islam gewesen ist. Diese Reform und die Daraus resultierenden Ergebnisse lassen aber auch denn Schluss zu, das man von Bagdad her versucht hat die yezidische Gesellschaft zu vernichten, indem man ihnen einfach nur neu, strengere Regeln auferlegt und diese als Religion anpreist. Das ist eine Auffassung, die viele Yeziden, besonders Angehörige der Scheichkasten teilen aber nicht offen äußern.

1.5. zum Seitenanfang Siedlungsgebiete

Da es, wie schon vorab erwähnt, über die Yeziden und die yezidische Religion nur sehr wenig Literatur gibt und viele Hypothesen bezüglich dieser Gemeinschaft aufgestellt wurden und noch werden, ist es sehr schwierig die genaue regionale Zugehörigkeit dieses Volkes zu bestimmen. Aus diesem Grund kann ich mich hier im wesentlichen nur auf die Daten und Angaben der letzten 100 Jahre berufen. Sicher ist, das der historische Ursprung in Mesopotamien liegt, wobei nicht genau bestimmt werden kann ob die Yeziden zu Anfang in ganz Mesopotamien verstreut, oder nur in Mittel- und Nordmesopotamien angesiedelt waren.

Die Siedlungsgebiete der Yeziden umfassen heute die Regionen des Nordöstlichen Syriens, der Südöstlichen Türkei und den Norden des Irak, wo auch das Hauptsiedlungsgebiet und das Heiligtum Lalis liegen (vgl. Kizilhan 1997; Bulut 2000; Nippe 2002). Durch Migration und Auswanderung innerhalb der vergangenen 100 - 150 Jahren können aus heutiger Sicht auch Armenien und Georgien als Siedlungsgebiete der Yeziden gesehen werden. Innerhalb der letzten 20 - 25 Jahren hat sich eine regelrechte Massenauswanderung der yezidischen Bevölkerung entwickelt. Anfänglich aus der Türkei und später aus Syrien und dem Irak, haben die Menschen ihre Heimat verlassen und sind nach Europa (hauptsächlich in die Bundesrepublik Deutschland) Emigriert, worauf ich aber im Nachfolgenden noch näher eingehen werde.

Genau so wie bei den meisten anderen Punkten dieser Gesellschaft gibt es auch bei der Mitgliederzahl keine genauen, oder verlässlichen Angaben. Heute wird vermutet, das es weltweit noch annähernd 500.000 Anhänger dieser alten Religion gibt (vgl. Kizilhan 1997; Bulut 2000; GfBV). Genaue Angaben da drüber gibt es nicht. Das resultiert aus der Ursache, dass das Yezidentum nach staatlicher Auffassung der ursprünglichen Siedlungsländer der Yeziden nicht existierte, bzw. nicht existiert oder nur als vom Islam abtrünnige Sekte angesehen wurde und wird. Angaben der Gesellschaft für Bedrohte Völker zu folge lebten in den vergangenen Jahren ca. 400.000 Yeziden im Irak, etwa 30.000 in Syrien, schätzungsweise 30.000 in Armenien und Georgien und rund 130.000 in den türkischen Provinzen Diyarbakir, Urfa, Batman und Mardin. Sechs yezidische Dörfer sollen sich laut der Gesellschaft für Bedrohte Völker im Südiran bei Kermanschah befinden, wobei über die genaue Mitgliederzahl dort keine Informationen vorliegen (vgl. Nippe 2002). Durch die andauernde Migrationsbewegung der yezidischen Bevölkerung können diese Zahlen aber nicht mehr als aktuell gesehen werden. Meiner Ansicht nach kann die Zahl der Yeziden heute nur auf maximal 250.000 - 300.000 beziffert werden, wenn berücksichtigt wird das Angehörige die gegen verschiedene Regeln verstoßen haben auch nicht mehr als Yeziden gesehen werden. Eine bedeutende Zahl der Yeziden leben zur zeit in Europa hauptsächlich auf Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden, Belgien, der Schweiz und besonders der Bundesrepublik Deutschland verteilt. Einige wenige leben auch in Schweden, Dänemark, Österreich und in außereuropäischen Staaten.

Wenn berücksichtigt wird, das der größte Teil der kurdischen Bevölkerung bis zur Zwangsislamisierung ab dem 7. Jhdt. und späteren Zwangschristianisierung durch die Armenier dieser Religion angehörten und sich heute nur ein Bruchteil der kurdischen Bevölkerung als Yeziden bezeichnen, so ist dies eine Entwicklung die den Schluss zulässt, das dieses Volk durch die Dezimierung nur noch eine geringe Grundlage zum Überleben.

1.6. zum Seitenanfang Emigration

Ich bin Fremd, dort wo ich geboren bin,
dort wo ich aufgewachsen bin, bin ich es auch....

Bedingt durch viele verschiedene Gründe ist es in der Vergangenheit immer wieder zu Auswanderungen innerhalb der yezidischen Bevölkerung gekommen. So sind einige Tausend Yeziden um die Jahrhundertwende nach Armenien und Georgien ausgewandert, weil sie damals hofften, dort ein besseres Leben führen zu können. Aber auch die Verfolgung, unter der die Yeziden zu leiden hatten, war der Grund für die Emigration die innerhalb der letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte stattgefunden hat.

Der letzten großen Migrationbewegung sollten, so die Yeziden, keine weiteren folgen, als sie teilweise freiwillig, teilweise auch unter dem Druck der Verfolgung in die verschiedenen Europäischen Länder Emigrierten. Die Yeziden, die ab Anfang der 70'er im Rahmen der Anwerbung der Gastarbeiter in die Bundesrepublik Deutschland reisten hatten feste Vorstellungen was sie hier wollten. Sie hatten die Absicht, einige Jahre zu arbeite, genug Geld zu erwirtschaften und anschließend wieder in ihre Heimat (Südosttürkei) zurück zu kehren. Später, ab Ende der 70'er Jahre, begann der eigentliche Migrationsprozeß der yezidischen Bevölkerung. In der Hoffnung ihre Religion und Traditionen schützen und offen Leben zu können, begannen einige Einzelne Personen, die besonders stark unter der Verfolgung durch, vorwiegend muslimische Mitmenschen, zu leiden hatten nach und nach ihre Dörfer, teilweise in Nacht- und Nebelaktionen zu verlassen um ins Ausland zu gelangen. Viele von ihnen kamen damals, wie die Gastarbeiter unter den Yeziden auch, hauptsächlich in die Bundesrepublik Deutschland, vorwiegend in die Kreise Celle und Burgdorf. In diesen Kreisen, aber auch in anderen Regionen der Bundesrepublik, stellten diese Flüchtlinge dann Asylanträge, die Anfang der 80'er Jahre teilweise abgelehnt wurden, weil eine Verfolgung dieser Ethnie, aus Sicht der Bundesdeutschen Gerichte nicht nachgewiesen werden konnte. Teilweise war das Problem aber auch, das die Gerichte die Yeziden nicht kannten, bzw. nicht genug Informationsmaterial über dieses Volk hatten. Seit 1985 haben die Yeziden angefangen ihre Heimat systematisch zu verlassen. Anfangs aus der Türkei und später auch aus Syrien, dem Irak und den Republiken der damaligen UdSSR. Anfangs war es nur ein Hoffnungsschimmer, den die Yeziden gesehen haben. Sie wollten ihre Religion leben, wie jedes andere Volk auch. Später ging es um die Frage des überleben. Um bestimmte Traditionen und Riten ausüben zu können fehlten teilweise die entsprechenden Würdenträger, weil diese mittlerweile nach Europa emigriert waren. Ein Grund für diesen zwanghaften Wahn des Folgen besteht in der endogamen Kastenstruktur der yezidischen Religion. Ein weiterer Grund war für viele der wirtschaftliche Faktor.

Die Yeziden lebten überwiegend von der Landwirtschaft und waren von den überwiegend muslimischen Großgrundbesitzern abhängig. Was sie verdienten, reichte oftmals nicht für den Unterhalt der Familie aus. Man erhoffte sich ein Leben im Wohlstand, wenn die Grenze zu Europa und somit zur BRD überschritten wurde. Den Wohlstand und das Ziel der Bildung, das den Yeziden in ihrer Heimat nicht möglich war, haben sie hier erreichen können. Nach einiger Zeit stellten aber einige fest, dass sie ihre Religion auch hier nicht so leben konnten, wie sie es gelernt hatten. Das lag nicht daran, das sie es nicht durften, weil es vielleicht verboten ist. Nein, mehr war es der Aspekt der Fremde und der fremden Kultur. Viele Yeziden, besonders die der ersten Generation, hatten und haben teilweise immer noch Schwierigkeiten, mit der anderen Kultur zurecht zu kommen. Für die heutige Jugend ist es teilweise leichter, aber teilweise auch schwieriger, mit dieser Fremde zurecht zu kommen. Diese Jugend, die die eigentliche Heimat der Yeziden größtenteils nur aus Erzählungen und Bildmaterial kennt, soll sich heute einerseits der Kultur ihrer Eltern und andererseits der hiesigen Kultur anpassen.

Seit Ende der 80er Jahre bzw. seit 1993 wird den Asylanträgen von Yeziden, die ihre Religionszugehörigkeit und Herkunft nachweisen können, stattgegeben, weil der völkerrechtliche Status und somit auch der Tatbestand der Verfolgung anerkannt werden.

Anfang der 90er Jahre haben die ersten Angehörigen der yezidischen Religionsgemeinschaft damit begonnen, ihren Migrationsprozess damit zu beenden, dass auch sie angefangen haben, ihre Toten hier in der Bundesrepublik zu begraben. In Lahe, einem Stadtteil von Hannover, wurde damals erstmalig auf einem Friedhof (Stadtfriedhof Lahe) ein Sektor für die Begräbnisse der Yeziden freigegeben. Dem folgte wenige Jahre später ein weiterer Friedhof in Wesel, in Nordrhein-Westfalen.

Wenn man heute die Yeziden fragen würde, wo ihre Heimat sei, so antworten die meisten, vorwiegend jüngeren, ihre Heimat sei hier.

 

2. zum Seitenanfang Lebenssituation von Familien unter besonderer Berücksichtigung der patriarchalischen Struktur.

2.1. Traditionelle Prägung yezidischer Männer

Unter traditioneller Prägung sind nicht dogmatische Zustände gemeint, die in keiner Weise Veränderungen zulassen. Vielmehr muss auch in diesem Zusammenhang vorbeugend das Individuum und die Gesellschaft vor Stigmata und Klischees geschützt werden, indem Allgemeinzuschreibungen vermieden werden beziehungsweise individuell hinterfragbar sind.

Dennoch soll im folgenden der Versuch unternommen werden, Teilaspekte der traditionellen Prägung von Männern aus Yeziden zu beschreiben, um damit einen allgemeinen Hintergrund in bezug auf Kultur, Religion, Familie und Gesellschaft zu vermitteln. Auch in bezug auf die Vater-Sohn-Beziehung werden prägende Elemente der Tradition betrachtet.

Kultureller Hintergrund

Kultur ist „die besondere und distinkte Lebensweise, die Bedeutungen, Werte und Ideen, wie sie in den Institutionen in den gesellschaftlichen Beziehungen in Glaubenssystemen, in Sitten und Bräuchen, im Gebrauch der Objekte und im materiellen Leben verkörpert sind“.

In dieser Definition wird Kultur zum einen als ein Orientierungssystem, an dem die einzelne Person und die Gesellschaft ihr Handeln ausrichten, betrachtet. Zum anderen gibt sie einen Hinweis auf die Wechselwirkung zwischen diesem Orientierungssystem und den materiellen Lebensgrundlagen der jeweiligen Gruppen.

Das Bewusstsein kann die Tätigkeiten des Menschen nur dann steuern, wenn es modellhafte Bilder der jeweiligen Lebensbedingungen, der gegenständlichen Welt überhaupt, enthält.

Symbolische Mittel, wie Sprache, Rituale, Wohnstile usw. kennzeichnen diese Modellbildung. Eine Verbindung unter den Mitgliedern einer Kultur entsteht durch das Verstehen und Kennen der Bedeutung der Symbole. Eine Kultur zeichnet sich durch ein Repertoire an Symbolbedeutungen oder auch „Kommunikations- und Repräsentationsmittel“ aus.

Damit die Kultur ihre Funktion als Orientierungssystem nicht verliert, passt sie sich veränderten gesellschaftlichen Bedingungen und Produktionsverhältnissen an. Die deutsche Geschichte gibt hierfür ein aufschlussreiches Beispiel. Mit der Unterteilung in BRD und DDR wurden viele Gemeinsamkeiten verändert. Andere politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen verursachten zum Teil veränderte Symbole und Orientierungen. Das Ergebnis der plötzlichen Wiedervereinigung war von zeitweiser Desorientierung gekennzeichnet.

Auch wenn wir von einer Ansammlung oder Verschmelzung von Kulturen ausgehen können, ist die Betrachtung der kulturellen Hintergründe für das Verständnis und die Inhalte der Deutungsmuster, bezogen auf die Individualität prägende Funktion der Kultur, für heute yezidische Menschen von Bedeutung. Hierbei soll die Kultur nicht gewertet werden- ein Vergleich ist immer problematisch.

Die verwandtschaftlichen Bindungen hatten unter diesen Lebensbedingungen eine existenzsichernde Bedeutung. Das Miteinander wurde damit geregelt, ebenso die Zusammenarbeit, zum Beispiel auf den Weidegebieten. Nicht zu vernachlässigen sind in diesem Zusammenhang auch die gestärkten Verteidigungsmöglichkeiten.

Bündnisse und große verwandtschaftliche Zusammenhänge riefen Fürsten oder Khane hervor. Von wesentlicher Bedeutung zur Festigung der sozialen Besingungen waren Feste, die mit erheblichem Aufwand durchgeführt wurden. Der verwandtschaftliche Zusammenhalt wird auch zum Beispiel durch die Regelung des sogenannten Levirats deutlich, was besagt, dass ein Mann die Frau des verstorbenen Bruders heiraten musste. Die Männer übernahmen die Schutzfunktion für ihre Familie und repräsentierten diese auch zum Beispiel über Reiterspiele, welche Stärke demonstrieren sollte.

Neben diesen Khan- oder Stammesorganisationen entwickelte sich eine politisch-militärische Organisation mit hierarchischem Aufbau und Führertum. Jeder Mann wurde in diese Organisation „hineingeboren“, ihre Basis beruhte ebenso wie in den sozialen Organisationen auf unauflösbaren, verwandtschaftlichen Bindungen. Bei Bedarf wurden größere politische Einheiten als Zweckbündnisse gegründet.

Es ist festzustellen, dass die Veränderung vom Nomadenstamm zu festen territorialen Bereichen und anderen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel die Bildung von Stadt- und Dorfstrukturen, die Kultur, insbesondere die Stammes- und Klanorganisationen, verändert und damit eine Anpassung an die neuen Lebensbedingungen zur Folge hat. Allerdings gibt es Elemente der Kultur, die sich in angepasster Form bis in die heutige Zeit erhalten haben, wie zum Beispiel die autoritäre und unantastbare Position des Vaters oder die Bedeutung der verwandtschaftlichen Bindungen.

Die yezidischen Männer sind im soziokulturellen Wertgefüge von unterschiedlichsten Werten betroffen, die relevanten Werten sind:

SAYGI (Achtung, Respekt): Was so viel bedeutet wie Respekt oder Achtung, regelt sowohl das Zusammenleben in der Familie als auch den Umgang miteinander in der Gesellschaft. Dieser Begriff gibt auch Aussagen über die hierarchischen Strukturen der Familie wieder. Respekt und Achtung werden allen höher gestellten Personen entgegengebracht, zum Beispiel älteren Menschen (Vater, älterer Bruder usw.), Personen in angesehenen Positionen (Lehrer, Ärzte usw.) oder der Handkuss als äußeres Zeichen der Achtung werden allen älteren Menschen gegeben. In Gegenwart von Respektpersonen, insbesondere des Vaters, darf nicht geraucht werden, um diese Regel einzuhalten, rauchen die Söhne hinter dem Rücken der Vater. Dieses Verhalten könnte aus deutscher Sicht als „Hintergehen“ interpretiert werden.

NAMUS (Ehre oder Ehrenhaftigkeit): Eine klare Grenzziehung zwischen dem inneren Bereich - der Familie - und dem äußeren Bereich - der Gesellschaft - vorzunehmen. Der Vater obliegt auch der Schutz der Familie nach „außen“. Erfolgt eine Verletzung des inneren Bereiches, z. B. durch Belästigung der weiblichen Familienmitglieder von Außenstehenden, so kommt es zu einer bedingungslosen und entschiedenen Gegenwehr durch die männlichen Familienmitglieder. Namus, als eine festgelegte Normkonstante, lässt keine Differenzierungen zu. „Ein wenig Ehre“ existiert nicht.

SEREF (Ansehen): Bedeutet, im Unterschied zur Ehre kann Ansehen erworben, gemehrt oder angehäuft werden und fällt somit, je nach Engagement, bei jedem Einzelnen als eine von der Öffentlichkeit ausgehende Größe unterschiedlich aus.

2.2 Erziehung der zum Seitenanfang Söhne

Vielmehr handelt es sich bei der hier geschilderten traditionellen Erziehung in ländlichen Gebieten um eine kulturelle Basis. Von Familie zu Familie und hängt von deren individueller Einstellung ab. Sie ist in den Städten eher weniger traditionell geprägt als auf dem Land.

Die Erziehung der Söhne ist zunächst die Aufgabe der Mutter, die dabei von den anderen Frauen des Haushaltes unterstützt wird. Der Vater und die männlichen Familienmitglieder haben mit dem Kind vorerst wenig zu tun. Die Kinder werden an ihre Umwelt gewöhnt, wobei bewusst Risiken in Kauf genommen werden.

Die Sicherheit, die das Kind in (der familiären Umwelt) erfährt, erlaubt ihm eine aktive und erobernde Haltung gegenüber der Außenwelt. Die Schmerzen, die damit auch verbunden sind, werden in der Familie aufgefangen. Die Unterscheidung von innen und außen, die das ganze Leben bestimmt, wird in den ersten beiden Lebensphasen erworben und später nur noch verstärkt.

Im Alter von etwa drei bis sechs Jahren wird die Erziehung dann bewusst geschlechtsspezifisch vollzogen. Die Söhne gehen von der Obhut der Mutter allmählich in die Obhut des Vaters über und werden von nun an von diesem erzogen.

Die Lebenswelten von Sohn und Tochter beginnen sich zu unterscheiden. Die Töchter müssen sich stets „innen“ aufhalten, während die Söhne viel Zeit für Aktivitäten außerhalb der Familie haben und das ganze Dorf kennen lernen. Die Bereiche von Kindern und Erwachsenen sind kaum getrennt. Man lebt eher mit Kindern, als dass man ihnen pädagogisch gegenübertritt. Es wird nicht versucht, den Kindern gegenüber Widersprüche zu vermeiden. Das Erziehungsverhalten hat weniger mit pädagogischer Behutsamkeit als mit Unbekümmertheit und Konfrontation zu tun. Soziale Regeln werden sprachlos und implizit angeeignet und nicht mit Begründungen gelehrt. Es ist deshalb kaum möglich, ihnen zu widersprechen. Verstand und Charakter des Kindes gelten als etwas Gegebenes, nicht Formbares. Sträfliche Handlungen können hart sanktioniert werden, doch werden diese nicht mit dem Charakter des Kindes erklärt, sondern auf das Alter des Kindes zurückgeführt. Der Sohn kommt in die Obhut des Vaters, dann wird dieser für den Sohn die strenge und befehlende Respektsperson. Der Sohn wird langsam in die Erwachsenenwelt eingeführt, wobei er anfänglich viel Freiraum hat. Er erlernt zunächst spielerisch leichtere geschlechtsspezifische Arbeitsgänge und entfernt sich so immer mehr vom Bereich der Frauen.

Zeitgleich mit der endgültigen Übernahme der Obhut durch den Vater findet auch das Ritual der Beschneidung statt, in der der Junge zum Mann werden soll. Ausschließlich vom Vater und anderen männlichen Autoritätspersonen lernt der Sohn nun, wie er sich als Mann zu verhalten hat. Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Begriff deli kanli, der wörtlich übersetzt soviel wie „verrücktes Blut“ bedeutet. Dieser Begriff ist Grundlage für eine sehr große Toleranz und Nachsichtigkeit, die dem Handeln der Jugendlichen entgegengebracht wird. Werden jedoch grundlegende Normen verletzt, wird mit Druck und Zwang reagiert, wobei auch Prügel Mittel der Erziehung sind.

Im Alter von etwa zwanzig Jahren tritt der männliche Jugendliche mit der Heirat und der Einberufung zum Militärdienst in die Welt der Erwachsenen ein. Obwohl er nun als Mann - mit allen Rechten eines Mannes - anerkannt ist, bleibt der Vater Respektsperson.

2.3 Außerfamiliäre zum Seitenanfang Sozialisation

Mit zunehmendem Lebensalter gewinnt die Erfüllung von Normen an Wichtigkeit. Die Normen sind je nach Industrialisierungsgrad eines Landes verschieden strukturiert. Die Vorschulerziehung existiert so gut wie nicht. Die Pflichtschulzeit beträgt seit 1981 acht Jahre (davor waren es fünf Jahre), wobei die Schulbesuchsrate regional unterschiedlich ausfällt. Nach Angaben des staatlichen Planungsamtes liegt sie in Städten bei 97,9%. Die Analphabetenrate liegt auf die Gesamtbevölkerung bezogen bei der männlichen bei 13,5% und bei der weiblichen Bevölkerung bei 31,8%. Ein/e Lehrer/In unterrichtet im Schnitt in den Grundschulen bis zu 50 und mehr Schüler/Innen. Zwischen staatlichen und privaten Schulen gibt es eine große Diskrepanz, was die Ausstattung der Schulen mit Lehrmaterial, Räumlichkeiten und das Verhältnis Lehrer/Innen-Schüler/Innen anbelangt. In den staatlichen Schulen existiert eine akute Unterversorgung in den genannten Punkten. Private Schulen sind an finanzielle Beteiligungen der Eltern gekoppelt und kommen daher für einen Großteil der Bevölkerung nicht in Frage. Die Qualität des Unterrichts in staatlichen Einrichtungen leidet unter den schlechten Rahmenbedingungen. Lehrer/Innenzentrierter „Frontalunterricht“, autoritätsbestimmtes Lehrer/Innen-Schüler/Innen-Verhältnis, stures Auswendiglernen ohne die Möglichkeit der Reflexion des Lehrstoffes, Gehorsam und Disziplin kennzeichnen diese Schulen. Die schulische Situation und die finanzielle Existenzsicherung der Familie mögen ausschlaggebend dafür sein, dass ca. 18% der Kinder ohne Abschluss die Grundschule verlassen.

Nach Absolvierung der obligatorischen Grundschulzeit wählen viele eine traditionelle berufliche Ausbildung, das heißt, die gehen in eine „Lehre“ zu einem „Meister“, wobei die berufliche Ausbildung nicht mit der deutschen verglichen werden darf. Ohne soziale Absicherung und bei unzureichender gesetzlicher Regelung der Berufsausbildung, ohne den Besuch einer Berufsschule, verbringen die „Lehrlinge“ drei bis fünf Jahre bei einem „Meister“ (jemand, der langjährige Berufserfahrung besitzt).

Bei einem Vergleich mit deutschen Jugendlichen sind die folgenden Aspekte der außerfamiliären Sozialisation von Bedeutung, die auch die Gefühle der Jugendlichen hervorheben:

Das alltägliche Leben, weniger in der Stadt aber vor allem in dörflichen Strukturen, findet für die männlichen Kinder und Jugendlichen nach der Schule oder Arbeit vorwiegend „draußen“ statt. Die Möglichkeit, jederzeit und fast überall bekannte Gleichaltrige zu finden, lässt vielfältige soziale Kontakte und Aktivitäten zu. Eine Trennung zwischen Kinder- und Erwachsenenbereichen ist nicht sehr ausgeprägt. Dadurch kommt es zu zahlreichen Bezugspersonen. „Ungeregeltheit und Nichtsektorgierung des Alltags, ... beziehungsweise das Vorhandensein halböffentlicher Räume, die Vertrautheit der sozialen Umgebung, Kontaktmöglichkeiten und Aktivitäten...“ werden von den männlichen Kindern und Jugendlichen mit dem Begriff „Freiheit“ assoziiert.

Weil die Söhne in vielen Bereichen - sowohl durch die Familie als auch durch die Gesellschaft - einer sozialen Kontrolle unterliegen, mag es verwunderlich erscheinen, dass trotzdem „Freiheit“ empfunden wird. Dieser sozialen Kontrolle stehen aber ebenso gleichgewichtig die vielfältigen Möglichkeiten der persönlichen Entfaltung in vielen anderen Bereichen gegenüber. In diesem Zusammenhang ist besonders die Aneignung der Außenwelt zu nennen, für die den Jungen mehr Freiheiten und Zeit zugestanden wird als den Mädchen. Hieraus wird soziales und politisches Handeln gelernt, und sie wachsen immer mehr in eine als selbstverständlich und notwendig betrachtete Männerrolle hinein.

3. Lebenssituation von yezidischen Jugendlichen

3.1. Leben in der BRD; Leben zwischen zwei zum Seitenanfang Welten

In den ersten Jahren der Emigration hatten unsere Jugendlichen noch verhältnismäßig wenig "Probleme", sich in beiden Gesellschaftskreisen zurecht zu finden. Damals genossen die Jugendlichen noch den "Schutz" der Familie und der Gesellschaft. In den Köpfen der Jugendlichen war noch die Mentalität "Herkunftsheimat" sehr stark verankert.

Heute, in der Zeit, in der hier die Jugendlichen teilweise in der dritten Generation leben, durchleben diese eine immer stärker werdende Zerrissenheit zwischen beiden Gesellschaftsstrukturen. Auf der einen Seite ist die Familie und die yezidische Gesellschaft, die auf die Einhaltung der Regeln und Bräuche besteht. Auf der anderen Seite ist die Lebenssituation in einer Gesellschaft, in der die Jugendlichen aufgewachsen und ausgebildet werden, die aber auch eine Integration und eine gewisse Assimilation fordert. Den Jugendlichen sind von der eigenen Familie und der entsprechenden Gesellschaft immer nur Tabus und Verbote auferlegt und nicht die positiven Seiten unserer Religion vermittelt worden. Andererseits sehen diese Jugendlichen natürlich die Vorzüge, die sie in der freien deutschen Gesellschaft haben. Sie müssen sich anpassen, um im Schulischen und auch im Beruflichen weiter zu kommen. Dieses wird durch die von der yezidischen Gesellschaft vermittelten Verbote und Tabus in erheblichem Maße erschwert bzw. unmöglich gemacht. Besonders schwierig haben es die Mädchen bzw. die Angehörigen der höheren Kasten. Bei den Mädchen ist es vorrangig die Jungfräulichkeit, auf die im Rahmen der Heiratsregeln sehr viel Wert gelegt wird, und bei den Angehörigen der höheren Kasten ist es die sogenannte Vorbild-Funktion, auf die besonders geachtet wird.

Viele Jugendliche, die mit diesem Konflikt nicht mehr klar kommen, verlassen die yezidische Gesellschaft und somit ihre gesamte Familie. Sie brechen sozusagen aus der Gesellschaftsstruktur aus, um einen eigenen Weg zu gehen. Einigen gelingt dieses, andere wiederum schaffen diesen Absprung nicht und erleiden psychische Krisen. Sie leiden so sehr darunter, das sie krank werden, sich kaputt hungern oder auch teilweise zu Drogen greifen. Diesen Jugendlichen muss natürlich geholfen werden, weil nur die wenigsten diesen Absprung aus eigener Kraft schaffen.

Der Grund für das Handeln der Gesellschaft liegt hauptsächlich in der existenziellen Angst. Die ältere Generation befürchtet, dass die Gesellschaft zerfallen könnte, wenn die Jugendlichen zu sehr "frei gelassen werden". Dass sie damit eigentlich genau das Gegenteil erreichen, ist ihnen nicht bewusst. Teilweise kann man es den "Älteren" auch nicht zum Vorwurf machen, denn sie haben es leider nur so gelernt. Die Lebenssituation der jungen Yeziden ist aber nicht nur von negativen Aspekten geprägt. Innerhalb der vergangenen Jahre konnte ein sehr hoher Anstieg an Schul- und Berufsabsolventen verzeichnet werden. Immer mehr yezidische Jugendliche beginnen hier in Deutschland ein Studium und streben einen beruflichen Aufstieg an.

Heute sieht die Situation der Jugendlichen, zu mindest nach außen, eher gemäßigt aus. Die Wenigsten wollen über familiäre Probleme reden. Teilweise liegt es daran, dass sie Angst davor haben, durch die Offenbarung ihrer Probleme stigmatisiert zu werden, teilweise aber auch daran, das sie innerhalb der yezidischen Gesellschaft ihren eigenen Weg gehen. "Ein Weg ins Ungewisse", sagte mir vor einigen Monaten eine yezidische Jugendliche, die mittlerweile (wie ich es vorab schon beschrieben habe) um einem Zusammenbrechen unter dem Druck der Gesellschaft vorzubeugen, aus dieser ausgebrochen ist. Sie hat sich, wie mir bekannt ist durch Hilfe von Freunden ein, wie sie es bezeichnet, neues Leben aufgebaut. Ein Leben in Hoffnung, aber auch ein Leben mit dem Gedanken des Ungewissen. Den Kontakt zu ihrer Familie würde sie gerne wieder aufnehmen, nur will sie schon aus Furcht vor unüberlegten Racheakten von Verwandten ihren jetzigen Bleibeort nicht preisgeben. Im Januar 2003 erschien im Magazin Spiegel ein Bericht mit dem Titel "Jagd auf Sükrüya". Dieser Artikel entsprach in einigen Punkten nicht der Realität, was aber nicht bedeutet, dass Sükrüya nicht wirklich auf der Flucht gewesen ist. Mit diesem Fall habe ich mich auch eine geraume Zeit beschäftigt und dabei immer wieder feststellen müssen, dass die Gesellschaft derartige Geschehnisse wie das Ausbrechen von Jugendlichen aus der Gemeinschaft gerne verschweigt oder nur lückenhaft bestätigt. Die Informationen, die dann aber zu Grunde gelegt werden, sind immer mit Vorsicht zu genießen, denn wie viel daran wahr ist und wie viel nicht, können nur die Jugendlichen sagen, die den Schritt des Ausbrechens gewagt haben.

Im Punkt eins dieser Hausarbeit habe ich beschrieben, dass die Akzeptanz einer Person, die gegen Regeln verstoßen hat, von der gesellschaftlichen Stellung abhängig ist. In einigen Fällen weiß ich, dass der Sohn, der durch seine Heirat mit einer Nichtyezidin gegen die traditionellen Regeln verstoßen hat, nach einiger Zeit sowohl von der eigenen Familie als auch von der Gesellschaft wieder "akzeptiert" wurde. Diese Begebenheit soll aber nicht bedeuten, dass die Söhne grundsätzlich eine sichere Akzeptanz in der Gesellschaft genießen. Mehr spricht dieses für einen familiären Zusammenhalt. Derartige Fälle gab und gibt es auch bei jungen yezidischen Frauen, die die Bindung zur eigenen Familie trotz des Drucks der strengen Regeln nicht verlieren wollten. Teilweise liegt es aber nicht nur an der Einstellung der Familie der Jugendlichen, wie im Fall Sükrüya, dass diese nicht mehr in der Gesellschaft aufgenommen werden. Einige Jugendliche wollen nach dem Ausbrechen mit der eigenen Gesellschaft und den Mitgliedern der yezidischen Gemeinde keinen Kontakt mehr pflegen, weil diese Angst davor haben, wieder in den Bann der religiösen Regeln zu fallen oder stigmatisiert zu werden, wie am Beispiel Dilber. Ich nenne dieses Mädchen an dieser Stelle Dilber um für den Fall, dass Dritte diese Hausarbeit lesen, die Anonymität ihrer Person zu wahren. Dilbers Eltern stammen aus einem Dorf im Südosten der Türkei und sind als Gastarbeiter in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Sie ist in Celle geboren und aufgewachsen und hatte durch ihre Wohnlage sehr viel Zeit mit yezidischen Jugendlichen verbracht. Trotz oder auch gerade wegen ihrer im Verhältnis zu anderen yezidischen Jugendlichen relativ liberalen familiären Erziehung kam sie als junges Mädchen nicht mehr mit dem Konflikt der zwei Kulturen zu recht. Darauf hin entschloss sie sich 1998, aus der yezidischen Gesellschaft auszubrechen und wollte mit dieser Gesellschaft nichts mehr zu tun haben. Auch auf mein Angebot, sie außerhalb der yezidischen Gemeinde zu unterstützen - meine Einstellung ihre Situation betreffend war ihr bekannt - reagierte sie nicht. Zur Begründung ließ sie mich wissen, das sie mit keinem Yeziden etwas zu tun haben wolle. Welche Einstellung, Auffassung oder gesellschaftliche Position dieser auch haben möge.

Ein sehr wichtiger Punkt, die Lebenssituation der Jugendlichen betreffend, ist das Gebot der Jungfräulichkeit, was ich vorab schon kurz beschrieben habe. Viel, besonders junge Mädchen/Frauen haben das Problem, das sie vor ihrer Heirat gegen dieses Gebot "verstoßen" haben. Auch das ist teilweise ein Grund, die Familie zu verlassen, weil diese Angst vor dem haben, was eventuell geschehen könnte, wenn das raus kommt. Die Jungfräulichkeit wird durch das Vorzeigen des blutigen Lakens in der Hochzeitsnacht überprüft. Bei den Jungen, die ebenfalls an dieses Gebot gebunden sind, kann dieses nicht überprüft werden, deshalb ist das eine Sache, in der diese keinen persönlichen Konflikt sehen. Ich habe viele Mädchen kennengelernt, die kurz vor der Hochzeit noch "schnell" von einem Arzt einen kleinen chirurgischen Eingriff haben vornehmen lassen, um der Stigmatisierung und der Ausgrenzung zu entgehen. Das Gebot der Jungfräulichkeit ist meines Erachtens nicht zeitgerecht und die Einhaltung dieses Gebotes sollte den Einzelnen überlassen werden.

4. zum Seitenanfang Fazit

"Gegenseitige Toleranz von Jung und Alt ist gefordert" schrieb Dilber Ekinci in einem Artikel in der Broschüre "Dengê Êzdîyan". Das ist auch der Punkt, an dem ich ansetzen will. Toleranz ist gerade in einer Religionsgemeinschaft wie der unseren sehr wichtig. Das Yezidentum ist eine auf den Menschen ausgerichtete Religion, die den Anhängern unter gewissen Rahmenbedingungen auch sehr viel Freiheit erhält. Aber gerade durch die falsche Auslegung dieser Rahmenbedingungen, die dadurch zustande kommt, weil es nur eine mündliche Überlieferung gibt, kommt es gerade innerhalb dieser Freiräume zu Konflikten, die diese Jugendlichen nicht verarbeiten können.

Diesen Jugendlichen fehlt es an professioneller Hilfe, die sich aber auch mit den Gesellschaftsstrukturen auskennen muss, wie Katharina Nippe es in ihrer Diplomarbeit richtig festgestellt hat. Die meisten Jugendlichen haben aber auf der anderen Seite auch Hemmungen davor, sich beispielsweise einem yezidischen Berater anzuvertrauen, wie die befragten yezidischen Mädchen es in dem Interview offen sagten (vgl. Nippe 2002).Diese Befragten gaben an, dass dieser oder diese ihre Probleme in der yezidischen Gesellschaft breittreten oder die Hilfe suchende Person in einem falschen Licht betrachten und somit stigmatisieren könnte. Hier ist meine Überlegung, worüber ich schon seit langer Zeit schon nachdenke, für diese Jugendlichen eine mit sich in dieser Gesellschaft auskennenden Fachleuten besetzten Anlaufstelle zu gründen, die sie vollkommen anonym kontaktieren können, um mit ihren Problemen nicht allein zu sein, bzw. fachkundige Hilfe zu bekommen.

Ein sehr großes Problem innerhalb der Religionsgemeinschaft sind auch die, wie schon erwähnt, mündlich überlieferten Regeln dieser alten Religion. Vieles ist heute nicht mehr zeitgemäß und muss überarbeitet, bzw. umstrukturiert werden. Besonders die Heiratsregeln sehe ich als eine sehr große Gefahr für den Fortbestand dieser Gesellschaft. Eine Unterkaste der Pîr, die in Syrien ansässig sind beispielsweise ist heute schon vom Aussterben bedroht. Da währe zu überlegen ob nicht gerade in diesem Bereich eine Reform nötig ist. Um das Aussterben der Qewals zu verhindern, wurde 1950 durch eine kleine Reform beschlossen das diese innerhalb der Murid Kaste heiraten dürfen. Das ist eine Maßnahme, die für alle Kasten und Unterkasten unserer Gesellschaft eingeführt werden sollte um den Fortbestand zu sichern. Weiter sollte, meiner Ansicht nach, genau so wie in den meisten anderen Weltreligionen die Möglichkeit bestehen auch als Nichtyezide in die yezidische Gemeinschaft hinein zu heiraten. Die Maßnahme, dass jeder/jede der oder die außerhalb der yezidischen Gesellschaft heiratet, nicht mehr als Yezide gesehen wird führt, gerade in der heutigen Zeit, zu einer starken Dezimierung der Mitgliederzahl. Das würde, so denke ich, dazu führen, das sich viele yezidische Jugendliche offen zum Partner, sei es jemand außerhalb der Gesellschaft oder ein Angehöriger einer anderen Kaste, bekennen und die Beziehung nicht mehr im Verborgenen praktizieren. Einem Ausbrechen aus der Gesellschaft wäre damit im wesentlichen Umfang vorgebeugt. Sicher kann ein Ausbrechen nie im vollen Maß verhindert werden, weil es immer irgend welche Probleme geben wird, mit denen die Jugendlichen nicht zurecht kommen. Das wäre aber dann der Punkt, an dem wir (angehende) Sozialarbeiter ansetzen könnten. Die Jugendlichen wären dann gleich unter Gleichen innerhalb von mehreren Gesellschaften, die wiederum nur eine einzelne ist.

zum SeitenanfangQuellenangaben

1. Kizilhan, I.: Die Yezide, Eine antropologische und sozialpsychologische Studie über die kurdische Gemeinschaft, Frankfurt a. M., 1997.
2. Bulut, N.: Examensarbeit, 2000.
3. Nippe, K.: Herausforderungen und Grenzen der Jugendsozialarbeit mit Yeziden, Hildesheim, 2002.
4. Ekinci, D.: Kecika Êzîdî - Das yezidische Mädchen und ihre Stellung in der Gesellschaft, in: Dengê Êzdîyan, Oldenburg, 2002
5. www.yeziden.de
6. www.lalis.org (inaktiv)
7. www.gfbv.de
8. www.heyva-sor.de/unterdruck.html (inaktiv)