Die Tiroler Hutterer - Geschichte und Versöhnung
Eine dunkles Kapitel religiöser Intoleranz - aber auch eine Chance der Auseinandersetzung mit religiösen Minderheiten in Tirol
Die Hutterer gehörten zur religiösen Bewegung der Täufer. Ihr Name geht auf den Vorsteher der Gemeinde, den Pustertaler Jakob Hutter zurück, der 1536 vor dem Goldenen Dachl in Innsbruck auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Dadurch hofften die weltlichen und geistlichen Obrigkeiten der Täuferbewegung einen entscheidenden Schlag versetzen zu können. Doch der Sieg der Obrigkeiten war nur von kurzer Dauer. Die Täufer gewannen in Tirol weiterhin viele Anhänger, die aufgrund der harten Verfolgung im Land sukzessive nach Mähren ausgesiedelt wurden. Dort konnten sich unter toleranteren Grundherren Gemeinden bilden, deren Nachkommen heute noch als Hutterer in Kanada und in den USA siedeln. Sie leben entsprechend alter Traditionen und Ordnungen in Gütergemeinschaft, praktizieren die Glaubenstaufe, propagieren Pazifismus und Wehrlosigkeit und sprechen einen kärntnerisch-tirolerischen Dialekt, der sich immer stärker mit englischen Begriffen durchmischt.
Die Hutterer können auf eine lange und weite Reise zurückblicken. 1621/22 mussten sie Mähren verlassen; Siebenbürgen (heute Rumänien) und Oberungarn (heute Slowakei) wurden die neuen Siedlungsgebiete. Hier hielten sie sich trotz zunehmender Identitätsprobleme (Gütergemeinschaft und Erwachsenentaufe wurden allmählich aufgegeben) bis ins 18.Jahrhundert.
In Siebenbürgen schlossen sich den Hutterern in den 1750er Jahren Kryptoprotestanten aus Kärnten an, die unter Maria Theresia ihre Heimat hatten verlassen müssen. Unter dem Druck harter Maßnahmen zur Rekatholisierung, die nun auch in Siebenbürgen begannen, zogen die „personell erneuerten“ Hutterer 1767 über die Karpaten in die Walachei, dann in die nördliche und schließlich in die südliche Ukraine. Gütergemeinschaft und Erwachsenentaufe wurden wieder eingeführt und 1874 begann der Aufbruch zur bisher letzten Station ihrer Reise, in die USA und nach Kanada.
Heutzutage wohnen über 42.000 Hutterer in den USA und in Kanada auf großen Höfen („colonies“) mit bis zu 100 Bewohnern. Die Gemeinde lebt ohne Verfolgung, jedoch in der „inneren“ Spannung zwischen alten Traditionen und einem erneuerten lebendigen Glauben. Der zunehmende Druck durch die englische Sprache sorgt immer wieder für Diskussionen über den Erhalt der alten „deutschen“ Kultur.
Was bedeutet das Thema für heute?
Die Geschichte der Hutterer ist ein dunkles Kapitel der Tiroler Landesgeschichte. An ihr können viele Mechanismen religiöser Intoleranz und Ausgrenzung studiert werden. Die Suche nach den Ursachen religiöser Desintegration ist ebenso wenig abgeschlossen wie die Diskussion über den Umgang mit alternativen bzw. neuartigen Formen von Religiosität und Spiritualität. Eine aktuelle Auseinandersetzung zum Thema religiöse Ausgrenzung Einst und Jetzt bietet die Möglichkeit, die Vergangenheit zu reflektieren und Optionen für die Zukunft zu erarbeiten. Nach vielen Beobachtungen besteht die Herausforderung darin, das Problem von Annäherung und Differenz, gerade in religiösen Fragen, offener und entspannter zu diskutieren. Zugleich nehmen auch im pädagogischen Kontext Begriffe wie Religionsfreiheit, Toleranz und Integration an Bedeutung zu.
Ein Blick in die Zukunft
Die Aufarbeitung zum Umgang mit Minderheiten in der Tiroler Landesgeschichte steht erst am Anfang. Für das Jahr 2007 sind verschiedene Veranstaltungen zur Geschichte der Hutterer geplant, unter anderem eine Ausstellung in Innsbruck, St. Lorenzen, Klausen, Schloss Tirol, ein Symposium, ein Buch, Filmabende, sowie ein Versöhnungszeichen zwischen den Nachfahren der Hutterer und den kirchlichen und politischen Verantwortlichen von heute.
Peter Schulte und Astrid von Schlachta, Innsbruck