Unterricht eines Winnebago-Vaters *

(An kleinere Knaben):

Mein Sohn, je älter du wirst, um so mehr musst du dich bemühen, den Mitmenschen Gutes zu tun und ihnen nützlich zu sein. Der beste Weg, dich darauf vorzubereiten, ist öfteres Fasten. Auf diese Weise wirst du den Segen unserer Großväter, der guten Geister, erlangen. Sieh zu, dass sie Mitleid mit dir haben und dich segnen. Schwärze dein Gesicht, gehe in die Einsamkeit, faste, bete und weine! Den Segen kann man nicht durch gute Wünsche allein sichern; er muss durch andauerndes Bemühen, durch Opfer, Hunger und Flehen erworben werden. Von allen Geistern, die der Erdmacher geschaffen hat, wird dann einer dich segnen, dir sein Mitleid schenken und deiner Seele im Traum erscheinen. Was immer er dir mitteilt, wird sich in deinem Leben erfüllen.

Füge den Mitmenschen nie einen Schaden zu und mache niemanden traurig! Im Gegenteil, du sollst anderen stets Freude bereiten. Wenn du draußen im Wald, wo niemand dich sieht, eine alte Frau antriffst, erschrecke sie nicht, sondern wende dich vom Weg ab, damit du nicht in Versuchung kommst, deinen Übermut an ihr auszulassen.

Wenn du nichts anderes zu tun hast, nimm eine Axt und geh hinaus, um dürre Äste abzuschlagen. Deine Mutter wird sich freuen, wenn du ihr aus eigenen Stücken mehr Brennholz bringst. Oder nimm Bogen und Pfeile und übe dich im Zielschießen. So wirst du ein guter Jäger werden; vor allem aber sollst du eines Tages ein kühner, tapferer Krieger sein. Je früher du dich darauf vorbereitest, um so größer werden deine Kriegsehren sein.

Mein wichtigster Rat jedoch ist, dass du immer wieder das Fasten freiwillig auf dich nimmst und die Geister um ihren Segen bittest. Auf diese Weise wirst du alles erlangen, was du ersehnst und brauchst.

 

(An größere Knaben):

Mein Sohn, sei großmütig und freigebig, besonders gegenüber den Armen! Dadurch tust du allen Gutes, und die Mitmenschen werden dich achten und lieb haben. Wenn du alte, hilflose Leute antriffst, steh ihnen bei, gib ihnen etwas zu essen und einen Mantel.

Wenn du einmal heiraten wirst, ehre und liebe deine Frau! Es ist besser, nur eine Gemahlin zu haben. Wenn du aber später noch eine andere heiratest, vor allem eine ledige Schwägerin, wird man dich nicht tadeln. Nur wirst du dann doppelte Mühe haben, beide Gattinnen und alle Kinder aufs Beste zu versorgen.

Hüte dich, deiner Frau in allem nachzugeben. Je mehr du sie zu einem Abgott machst, um so mehr will sie angebetet werden. Du wirst im ganzen Dorf zum Gespött werden, und schließlich wird auch sie selbst dich jämmerlich machen und verachten. Ich warne dich, mein Sohn: sei freundlich, aber stark! Es ist ein Unglück, wenn ein Mann von seinem Weibe beherrscht wird.

Lerne, soviel du nur kannst, über die Medizinen (Zaubermittel), die uns vor Krankheit und Missgeschick bewahren, unser Leben und Eigentum schützen und die bösen Geister abwehren.

Unsere Großväter, die guten Geister, sind es, die uns durch Traumerscheinungen oder durch den Medizinmann diese wertvollen Hilfsmittel anbieten. Auf diese Weise wirst du später im Leben immer alles Notwendige haben. Dein Wigwam wird stets in Ordnung sein, du wirst nicht in Not geraten. Du musst unermüdlich für dich und deine Familie arbeiten und so ein ehrenhaftes, zufriedenes Leben führen.

Die höchste Ehre eines Mannes ist es, ein tapferer Krieger zu sein und kühn gegen die Feinde zu ziehen. Solltest du mit den Waffen in der Hand auf dem Kampfplatz den Tod finden, dann wird dein Geist in der Oberen Welt auf immer ein besonderes Glück genießen. Es ist gut, im Krieg zu sterben. So haben es unsere Vorväter gelehrt und uns ein Beispiel gegeben. Du wirst es nie bereuen, wenn du meine Worte beachtest und sie befolgst. Vor allem jedoch vergiss nicht, durch wiederholtes Fasten den Segen Manunas und der guten Geister zu erflehen.

 

(An kleinere Mädchen):

Meine Tochter, höre immer auf deine Eltern und gehorche ihnen bereitwillig. Las deine Mutter keine Arbeit tun, die du selbst verrichten kannst. Sieh darauf, dass du dem Vater und den älteren Brüdern stets die kleinen Dienste leistest, die ihnen das Leben angenehmer machen. Es ist deine Aufgabe, überall im Haushalt mitzuhelfen: überwache die kleineren Geschwister, erhalte das Feuer im Wigwam, pflücke Beeren und essbare Pflanzen, bereite die Speisen für die Mahlzeiten.

Beim Umgraben, Pflanzen und Jäten musst du fleißig mitarbeiten.

Lerne, wie man Felle zubereitet und daraus Kleider oder Mokassins näht und bestickt. Deine Hände sollen immer beschäftigt sein, und das Auge deines Geistes soll nach jeder Gelegenheit spähen, für die Familie etwas Gutes und Erfreuliches zu tun.

Bald wird die Zeit kommen, da du vom Kind zur Jungfrau heranreifst. Dann musst du jeden Monat in der kleinen Hütte neben dem Haus völlig abgesondert sein, bis die Tage des Unwohlseins vorüber sind. In dieser Zeit musst du strenge fasten. Du solltest jeden Tag nicht mehr als eine Handvoll gerösteter Maiskörner essen. Dieses Fasten wird dir und deiner zukünftigen Familie viel Segen bringen.

 

(An ältere Mädchen):

Wenn du einen Mann heiratest und sein Herz an dich ketten willst, sorge für ihn und die Kinder, soviel du nur kannst. Wenn du fleißig bist, wie es die Pflicht verlangt, wird er dich stets ehren und dich nie verlassen. Führe ein keusches Eheleben und werde ihm nie untreu! Auf eine ehebrüchige Frau zeigen alle Leute mit den Fingern und zischen einander zu: "Sie ist ein schlechtes Weib!"

Sei nie trotzig oder stolz gegen deinen Gemahl. Tu, was er dir sagt; dann wird er dich mit großer Güte behandeln. Sollte er einmal unmutig werden und dich mit harten Worten anreden, dann sei ganz still und widersprich ihm nicht. Er wird es schnell bereuen und nachher um so freundlicher zu dir sein. Wenn er einmal im Zorn ein Kind auszankt, sprich kein Wort, so schwer es dir auch fallen mag. Bilde dir nicht ein, dass du deine Kinder liebst, wenn du dich auf ihre Seite gegen den Vater stellst. Sein Zorn wird bald verrauchen, und alles wird wieder gut sein. Du aber zeige den Kindern durch deine Taten und dein Beispiel, dass du sie wahrhaft liebst. Zwietracht zwischen Vater und Mutter vergiftet die Herzen der Kinder.

Meine Tochter, die Voreltern haben uns stets belehrt, dass wir nie die Verwandten beleidigen oder verletzen dürfen. Nicht nur deine Verwandten, auch alle Freunde und Nachbarn werden dich lieben, wenn du eine vorbildliche Gattin und Mutter bist. Dann werden sogar deine Schwiegereltern dich hoch achten; und dein Schwiegervater, der nicht mit dir sprechen darf, wird deinem Gemahl versichern, wie nett und gut du bist.

Sei mutig im Fasten, auch wenn es dich schwächt und erschöpft.

Die Qual des Hungers ist bald wieder vergessen, der Segen aber bleibt für immer.

* Franz X. Weiser, Orimha bei den Sioux, Wien 1973, 120 - 123

 

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