OFFEN GESAGT
Dr. Tassilo Wallentin
Rechtsanwalt in Wien und Bestseller-Autor
tassilo.wallentin@wallentinlaw.com
Trotz der Flüchtlingsströme nach Europa soll die internationale Syrien-Friedenskonferenz – nach dem Willen der USA – ohne die EU stattfinden. Auch Russland will Brüssel wegen der Sanktionen am Tisch haben. Dafür biedert die EU sich jetzt dem türkischen Hardliner, Ministerpräsident Recep Erdógan, an, damit ausgerechnet der für Europa die Flüchtlingsfrage löst. Die geforderte Gegenleistung? Geld, Visafreiheit und EU-Beitritt der Türkei.
Die EU-Außenpolitik, sofern man von einer solchen überhaupt noch ernsthaft sprechen kann, verkommt zu einem skurrilen, beispiellosen Desaster: Die Amerikaner sind wütend, weil EU-Diplomaten am Rande der letzten UNO-Generalversammlung in New York vorgeschlagen haben, den "US-Erzfeind Iran" an der Syrien-Lösung zu beteiligen. Die Russen sind wütend, weil Brüssel sich von der US-Außenpolitik in die Russland-Sanktionen hat treiben lassen. Syriens Präsident Assad ist wütend, weil Brüssel das Wirtschafts-Embargo gegen sein Land verlängert hat, obwohl das den Zulauf zu den Terrorgruppen IS sowie Al-Kaida und der Völkerwanderung erst so richtig anfacht. Die vom Westen finanzierte und als "Partner der EU" bezeichnete "Freie Syrische Armee" ist mittlerweile ein Phantom und existiert nicht mehr, dafür jede Menge islamistischer Terroristen, die – trotz EU-Sanktionen gegen Assad – so richtig wütend sind und zu neuen Anschlägen in Europa aufgerufen haben. Saudi-Arabien denkt nicht daran, Syrien-Flüchtlinge ins Land zu lassen, weil man dort keinen radikalen Islamismus importieren will, bietet aber Brüssel "entgegenkommend" an, den Bau von 200 Moscheen in Deutschland zu finanzieren.
Das Ergebnis: Weder die Amerikaner noch die Russen wollen diese EU bei der internationalen Syrien-Friedenskonferenz noch am Tisch haben. Für die Golfstaaten und im gesamten Nahen Osten ist Brüssel ohnehin – freundlich gesagt – keine Kategorie. Die Flüchtlingsströme nach Europa reißen nicht ab, und die Terrorgefahr nimmt zu: Doch Brüssel darf nur aus der Ferne zusehen, was bei der Syrien-Konferenz da weltpolitisch für uns beschlossen wird, und das Ergebnis wie ein "G'schamster Diener" hinnehmen und ausbaden.
Der Blamage nicht genug, biedert die EU sich in der Flüchtlingsfrage auch noch dem türkischen Hardliner, Ministerpräsident Recep Erdógan, an. Der ist in letzter Zeit nicht nur wegen der Einschüchterung der Presse, Kurdenverfolgung, Bombenangriffe im Irak und Mundtotmachung politischer Gegner international aufgefallen, sondern auch wegen seiner – sagen wir – "gewagten" Thesen: So behauptet er, "nicht Christoph Kolumbus, sondern Muslime hätten Amerika entdeckt"; Frauen seien bestenfalls gleichwertig, könnten aufgrund ihrer "zarten" Beschaffenheit nicht so hart arbeiten wie Männer, und für alle in der EU lebenden Türken sei immer noch er, Erdógan, zuständig. Sein Premierminister, Ahmet Davutoglu, will sogar die Ursache entdeckt haben, wieso die Selbstmordrate in Europa so hoch ist: Weil dort Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau herrscht.
Erdógan soll nun unser Flüchtlingsproblem lösen, indem er die Menschen in türkischen Lagern festhält. Dafür will er Geld, freie Hand im Krieg gegen die Kurden, Visafreiheit und den EU-Beitritt. Nebenbei darf er sich vor den türkischen Wahlen als "Retter Europas" aufspielen. Wofür Viktor Orbán kriminalisiert worden war, wird Recep Erdógan – der von einem "muslimischen Jerusalem" spricht – nun von der EU hofiert. Chapeau!
(Quelle: Dr. Tassilo Wallentin, Offen gesagt, Krone, 11.10.2015)