Die Moskauer Metro als Modell für den Weltfrieden

Mag. Hubert Thurnhofer

Es ist gar nicht so selbstverständlich, dass dort alles so friedlich abläuft, wenn man es genau analysiert, ist es eigentlich ein Wunder, dass sich die Menschen in der Moskauer Metro nicht dauernd die Köpfe einschlagen. Aber dazu später.

Zunächst muss ich eines vorweg nehmen. Ich bin zwar ein gläubiger Mensch, aber wenn es immer heißt, Gott ist immer bei dir, Gott ist überall, dann muss ich ehrlich gestehen, ich stell mir das ein bisschen anders vor. Ich glaube, Gott hat für jeden Stern, für jeden Planeten einen Kontrollposten, der ununterbrochen beobachtet, was sich auf den einzelnen Sternen und Planeten abspielt. Der für die Erde zuständige Beobachtungsposten berichtet dann etwa:

    - Hey God, there are troubles on Earth.
Und ER sagt:
    - Send Isabel, she will clear it.

Oder:
    - Hey God, the relationship between Irakis and Yankees seems to freeze!
Und der Herr spricht:
    - Send a bush fire, this will warm them.

Sie finden das jetzt komisch – aber es ist wirklich so, man spricht jetzt Englisch im Himmel. Früher hat man ja Latein gesprochen, aber auch da oben ändern sich die Zeiten.

Aber zurück zum Kontrollposten. Schauen wir uns mal an, was der durch sein kosmisches bzw. metaphysisches Fernrohr sieht. Man muss dabei bedenken, er nutzt für seine Beobachtung eine ganz spezifische Optik, die es bei uns noch gar nicht gibt. Er fokussiert sich auf einen Punkt, sieht dort irgendwelche Wesen ganz geschäftig hin und her laufen, manche schleppen was, andere nicht, manche verschwinden in Löchern, tauchen wieder auf – Das ist ein Ameisenhaufen im Wienerwald.

Dann schwenkt er das Fernrohr weiter. Nur ganz wenig, nicht einmal einen Millimeter, noch weniger als einen Mikrometer, genau genommen schwenkt er nur um eine Idee weiter. Und da findet sich genau das gleiche Bild: Unzählige Wesen laufen hin und her, tauchen unter, tauchen wieder auf, es ist nicht erkennbar, ob sie das nach einem bestimmten System machen oder nur nach dem Zufallsprinzip. Der kosmische Beobachter befindet sich in Moskau und dem Moskauer Metro-System.

Und dann geht der Beobachter wieder eine Idee weiter. Ich muss an der Stelle auch sagen, was eine Idee eigentlich ist. Eine Idee ist die kleinste Maßeinheit in der metaphysischen Welt. Es gibt nichts, was noch kleiner wäre als eine Idee, zwischen zwei Ideen da passt nichts mehr, nicht einmal ein Atom oder ein Atomkern. Das widerspricht natürlich unserer menschlichen Perspektive. Wir glauben immer: Die Idee ist ganz was großes, meine Idee ist besonders groß, und die Ideen aller anderen sind ja davon meilenweit entfernt. Aber das ist halt die menschliche Perspektive.

Aber schauen wir weiter. Unser kosmischer Beobachter schwenkt eine Idee weiter, er sieht eine Stelle, da macht es immer zsch, zsch, zsch... Er ist da auf einem Gesicht von einem 14-jährigen gelandet. Der steht am Balkon und quetscht sich seine Pickel aus. Und wieder eine Idee weiter, findet sich wieder so ein Platz, wo dauernd etwas platzt: zsch, zsch, zsch... Das ist irgendwo in Israel oder Palästina, wo ununterbrochen eine Bombe explodiert oder Granaten hoch gehen. – Ja, aus kosmischer Perspektive liegen diese Phänomene nicht so weit auseinander, im Grunde sind sie nur eine Idee von einander entfernt.

Aber ich will jetzt auf den Konflikt in Israel nicht weiter eingehen. Ich gestehe, wann immer die Nachrichten davon berichten, dann dreh ich ab, dann schalte ich einfach aus. Das ist jetzt natürlich kein universelles Rezept zur Friedensbildung. Aber in dem Fall mach ich es so, und zur Entschuldigung muss ich sagen, ich gönn mir ja sonst keinen Luxus. Es ist ja auch nicht zum Aushalten, täglich das Gleiche. Selbstmordattentat und militärischer Vergeltungsschlag. Haben Sie schon mal was anderes gehört? Ich nicht. Selbstmordattentat - militärischer Vergeltungsschlag. Selbstmordattentat - militärischer Vergeltungsschlag. Selbstmordattentat - militärischer Vergeltungsschlag. ABER: vielleicht ist es ja genau umgekehrt: Militärisches Attentat und Selbstmordvergeltung. Militärisches Attentat – Selbstmordvergeltung. Militärisches Attentat – Selbstmordvergeltung. ... Soviel nur zu unserer Medienberichterstattung.

Kommen wir nun aber zurück zur entscheidenden Frage: Warum herrscht in der Moskauer Metro Frieden, aber in Israel und Palästina nicht?

Die Metro enthält ein gewaltiges Konfliktpotenzial. Die Ringlinie mit rund 25 Stationen hält an allen großen Bahnhöfen, wo die Menschen aus der gesamten ehemaligen Sowjetunion in Moskau ankommen. Die Züge auf der Ringlinie fahren im Minutentakt und bringen Massen von Menschen ohne Pause in Bewegung. Dabei stoßen Inländer auf Ausländer aller Nationalitäten, Reiche auf Arme, Gescheite auf Blöde, Elegante auf Zerlumpte, Aggressive auf Lammfromme. Wenn diese Menschen nun alle beginnen würden zu fragen:
Warum sind da schon wieder so viele Menschen?
Warum kann ich da nicht durch?
Warum muss ich schon wieder Schlange stehen?
Warum muss ich überhaupt Schlange stehen?
Warum kommen die Ausländer alle zu uns?
Warum geht es den Moskauern besser als den Zugereisten?
Warum muss ich stehen und der kann sitzen?
Warum schaut mich der so blöde an?
Warum drängeln die schon wieder?

Sie sehen, es gäbe jede Menge an Gründen, dass sich die Menschen dort gegenseitig pausenlos die Köpfe einschlagen. Und trotzdem passiert nichts. Alles ist ruhig. Es herrscht – im weitesten Sinne des Wortes – Frieden in der Moskau Metro. Wie ist das möglich? Es mag banal klingen, aber einfach deshalb, weil die Menschen in der Metro alle diese Fragen nicht stellen.

Als Benutzer der Metro wollen sie wissen, wo kann ich ein Ticket kaufen, wo muss ich einsteigen, wo muss ich umsteigen und aussteigen, wie muss ich dann weiter fahren, wie lange dauert die Fahrt? Und auf alle diese Fragen liefert das System der Metro klare Antworten.

Hier muss man schon auch einmal die Ursachenforschung der Friedensexperten einmal hinterfragen. Offenbar ist es nicht zielführend, ewig zu fragen:
Warum habt Ihr die Bombe gelegt?
Weil die anderen angefangen haben!
Warum habt Ihr angefangen?
Weil die anderen kein Recht haben, hier zu sein, usw.

Es können unendlich viele Gründe für jede Aggression genannt werden. Aber die Gründe, die hier genannt werden, liegen immer nur eine Idee von einander entfernt. Jede Begründung ist im Prinzip eine Idee von dem, was wirklich passiert ist, also aus metaphysischer Betrachtung etwas sehr, sehr Kleines.

Was ist also die Quintessenz meiner Überlegungen? Man kann in Israel nur zu einem Frieden gelangen, wenn man endlich anfängt, die richtigen Fragen zu stellen. Das ist ja auch selbstverständlich. Man kann nur die richtigen Antworten finden, wenn man vorher die richtigen Fragen gestellt hat. Wenn die Menschen ununterbrochen die falschen Fragen stellen, folgen darauf auch die falschen Antworten. Und dieser Kreislauf endet schließlich in der Frage aller Fragen: Warum endet warum auf -um?

Bevor die Friedensforscher die Frage beantworten, warum können Israelis und Palästinenser nicht mit einander leben, sollten sie einmal die Frage beantworten: WIE könnten Israelis und Palästinenser neben einander leben. Wer braucht wie viel Platz. Wo können sie ihre Häuser und Schulen bauen. Wie sind die Straßen anzulegen. Woher bekommen sie ihr Wasser usw. Es wäre ja schon viel gewonnen, wenn sie, so wie die Menschen in der Moskauer Metro, einmal lernen würden, neben einander zu leben, bevor sie in ferner Zukunft wieder lernen mit einander zu leben.

Solange man also nicht die richtigen Fragen stellt, bleibt der Friede nur eine Idee, vielleicht auch eine wirklich große Idee, die aber nur eine Idee von der Realität des permanenten Konfliktes entfernt ist.