SÜDTIROLER TAGESZEITUNG  4. März 2007 - Nr. 46/15. Jg.

Paul und Susi Hofer sind Hutterer und leben auf einem Bruderhof in Kanada. Dieser Woche waren sie mit einer Delegation in Südtirol und in Tirol, um die für Herbst geplante Versöhnung vorzubereiten. Ein Gespräch über ihre Lebensweise, ihren Glauben und ihren Tiroler Dialekt.

"Wir haben keinen Groll"

SÜDTIROLER TAGESZEITUNG (ST): Wo leben Sie?

Paul HOFER: Auf einem Bruderhof in Alberta, Kanada. Unser Hof umfasst 99 Mitglieder, und wir bewirtschaften ein Land von über 20.000 Acker. Das sind umgerechnet ungefähr 15.000 Hektar.

ST: Ein riesiges Grundstück ...

Paul HOFER: Das ist die neue Welt. Alles ist groß.

ST: Eine Landwirtschaft?

Paul HOFER: Ja, wir haben 500 Rinder, 400 Schweine, Mastkälber, viele Pferde, Gänse und Hühner: Nicht viele, weil der Staat eine Quote für die Hühnerzucht vergibt, und die ist sehr teuer. Es gibt in Kanada eine Überproduktion, und man darf nicht Hühner haben, wie viele man will. Deshalb haben wir nur so viele, um genug Eier für unsere Gemeinschaft zu haben.

ST: Eine richtige Industrie?

Paul HOFER: Es ist sehr groß, aber das braucht es, damit alle Leute auf dem Hof Arbeit haben. Es ist ein großes Unternehmen, aber ich habe gar nichts. Wenn ich 
fortgehen würde vom Bruderhof, hätte ich nichts. Nur meine Hosenträger. Der ganze Besitz gehört der Gemeinschaft.

ST: Was machen Sie mit den Erträgen aus der Landwirtschaft?

Paul HOFER: Wenn es notwendig ist, kaufen wir neues Land und bauen neue Bruderhöfe. Sonst geht das Geld in die Unterstützung der Alten, der Kranken, der Waisen oder wenn es im Krankenhaus eine Maschine braucht. Oft fahre ich als Lehrer mit den Kindern in die Stadt, und wir nehmen Gemüse aus dem Garten und Mehl und Zucker mit und geben es den armen Leuten in der Ausspeisung. Viele Hutterergemeinden sind verschuldet, und denen helfen wir auch. Aber zuerst wird die Gemeinde untersucht, ob sie nicht verliederlicht ist, ob sie noch gemeinschaftlich lebt, ob nicht zu viel eigenes Geld darin ist. Wir leben nach dem Prinzip: Trachte zuerst nach dem Reich Gottes, so wird dir alles andere zufallen. Oftmals fehlt in den verschuldeten Gemeinden genau das: dass sie nicht mehr trachten nach dem Reich Gottes.

ST: Also, es gibt auch arme Hutterergemeinden?

Paul HOFER: Jawohl. Oftmals sind die Haushälter der Gemeinde nicht gut.

ST: Was macht der Haushälter?

Paul HOFER: Er ist für das Geld zuständig. Wir nähen unsere Kleider selbst, aber den Stoff zahlt er. Für unsere Reise hat er uns eine Wegzehr mitgegeben. Bis 5.000 
Taler kann er ausgeben ohne zu fragen, wenn es mehr ist, muss er die Zeugbrüder anrufen und ihnen erklären, wofür er das Geld braucht. Wir haben zwei 
Prediger in der Gemeinde, einen Haushälter, zwei Zeugbrüder und einen Weinzedel, der für das Landheft zuständig ist.

ST: Werden die gewählt?

Paul HOFER: Ja, die Anführer per Abstimmung werden gewählt. Die anderen Ämter in der Gemeinde wie Melcher oder Schweinefütterer bekommt man, wenn man die Gabe dafür hat.

ST: Wie viele Kinder haben Sie?

Paul HOFER: Fünf. Zwei Buben und drei Dirnen. Unser ältester Sohn ist 22, und heuer hat er gefragt, getauft zu werden.

ST: Wie läuft eine Taufe ab?

Paul HOFER: Wir glauben nicht an die Kindstaufe, sondern warten, bis die Kinder groß sind und selber darum bitten, getauft zu werden. Wenn jemand getauft werden will, muss er sieben Wochen lang jeden Sonntag zum Gemeindevorsteher. Dort wird er ermahnt und unterrichtet. Etliche lassen sich auch erst mit 30 taufen, weil Jesus auch erst mit 30 getauft wurde. Die Zeit ist nicht so wichtig. Sie gehen nur zur Taufe, wenn sie ganz sicher sind, dass Gott sie rufen tut und dass sie eher den Tod leiden werden, als mutwillig zu sein.

ST: Was passiert, wenn jemand sich nicht taufen lässt?

Paul HOFER: Er kann auf dem Hof bleiben, aber er ist kein Mitglied der Gemeinde.

ST: Darf er dann heiraten?

Paul HOFER: Zuerst kommt die geistliche Ehe mit Gott, dann die gepaarte Ehe. Wenn ein Mann, und eine Dirne heiraten wollen, dann müssen sie zuerst die Neugeburt in der Taufe vollziehen. Sonst ist es keine christliche Ehe. Nur eine, die vielleicht nicht lange hält. Es gibt keine Scheidung bei der Hutterern. Das ist verboten. Wenn man in die Ehe eintritt, muss es ganz sicher sein. Es muss von Gott erbeten werden.

ST: Was passiert, wenn Ihr Sohn sich eine Braut sucht, die nicht Huttererin ist?

Paul HOFER: Das geschieht nicht. Dann muss er fortgehen oder sie muss unseren Glauben annehmen und die Gütergemeinschaft akzeptieren.

ST: Kommt das vor?

Paul HOFER: Ja. Wir haben schon Menschen bei uns, die von außen zu uns gekommen sind. Aber normal ist, dass nur in der Gemeinschaft geheiratet wird. Unser Sohn hat sich verliebt, obwohl ich gemeint habe, er solle noch ein bisschen warten. Aber er hat sich verliebt mit ihr und sie mit ihm, und dann gibt es im kommenden Jahr vielleicht eine Heirat.

ST: Gehen viele Junge aus der Gemeinde fort?

Paul HOFER: Nicht aus unserer Gemeinde, aber bei manchen schon. Wenn sie einmal fort sind und sie bekommen das erste eigene Geld: Das ist zu viel für einen jungen Menschen. Dann bekommen sie gleich eine Gier nach mehr Geld. Vor zwei Monaten ist ein junger Mann weggegangen. Er wollte Geld. Geld. Geld. Das ist ihm in den Kopf geschossen. Ich bin sein Lehrer in der Sonntagsschule, und vor Kurzem hat er mich angerufen und gesagt: "Paul Vater, in der Welt ist gar nichts. Geld bringt keinen Frieden. Es bringt keine Liebe. Es ist nichts. Ich komme heim." Für die Gemeinde ist es jedes Mal ein großer Schrecken, wenn ein junger Mann wegläuft. Wir haben Angst, dass sie die Welt liebgewinnen und niemals mehr zurückkommen.

ST: Wenn einer zurückkommt und Geld mitbringt: Darf er das?

Paul HOFER: Wenn es zur Taufe kommt, darf der junge Mann kein eigenes Geld mehr haben. Manchmal kaufen sie sich etwas, aber es hat niemals ein gutes End' gebracht, wenn einerweggelaufen ist und Geld mitgebracht hat.

ST: Wie schaut ein Tag bei den Hutterern aus?

Paul HOFER: Um halb sieben werden alle geweckt, dann gibt es um sieben ein Frühstück. Um halb acht unterrichte ich die Kinder in Deutsch, danach kommt eine 
Englischlehrerin aus der Stadt.

ST: Frau Susi, Sie sind die Frau des Deutschlehrers. Welche Aufgaben haben die Frauen bei den Hutterern?


Die Hutterer zu Besuch bei Bischof Wilhelm Egger: "Was mit unseren Altvätern geschehen ist, kann nicht ungeschehen gemacht werden."

Susi HOFER: Wenn eine Dirne 17 Jahre alt wird, muss sie eine Woche lang für die ganze Gemeinde kochen und backen. Bis die Weiber 45 Jahre alt sind, tun sie abwechselnd eine Woche kochen. Dem Lehrer sein Weib muss schauen, dass die Kinder zu essen bekommen. Wenn die Weiber 45 Jahre alt sind, lehren sie die Kinder im Kindergarten. Alle Kleider, die wir tragen, sind selbstgenäht, und im Sommer helfen wir im Garten.

ST: Dürfen Frauen auch Ämter übernehmen?

Susi HOFER: In unserer Gemeinde nicht. Bei den Schmiedenleuten dürfen Frauen auch in der Stadt etwas lernen, aber das ist nicht oft.

Paul HOFER: Es ist nicht gefällig und angenehm, dass die Frauen lernen oder reden. Wenn die Brüder zu einer Ratshandlung zusammenkommen, sind die Frauen nicht dabei. Sie sind zuhause, wischen und waschen und die Kinder erziehen, und die Männer treffen alle Entscheidungen.

ST: Frau Hofer: möchten Sie nicht an den Entscheidungen beteiligt werden?

Susi HOFER: Nein, wir Weiberleit können zuhause den Männern sagen, was wir meinen. Das tun wir auch.

Paul HOFER: Der Mann ist der Kopf, und das Weib ist das Genick, und was dreht den Kopf: das Genick (lacht).

ST: Wie wichtig ist für den Zusammenhalt in der Gemeinde der alte Tiroler Dialekt?

"Unter dem Goldenen Dachl hat mein Herz angefangen zu weinen, die Tränen flossen aus meinen Augen, und ich habe Gott gedankt, dass er solches alles hat zugelassen, dass die Brüder damals aufgestanden sind für ihren Glauben und eher den Tod gelitten haben, als von ihrem Glauben abzuschwören."

Paul HOFER: Sehr wichtig. Es ist die Sprache unserer Väter, und wir brauchen sie, um in einem englischsprachigen Land zu überleben. Es werden immer mehr englische Worte verwendet, aber wir müssen sie sehr pünktlich auch wieder ausrotten.

ST: Gehen Sie zur Wahl?

Paul HOFER: Nein. Aber wenn die Parteien zu uns kommen und uns bitten, zur Wahl zu gehen, sagen wir immer: "Wir werden Gott anrufen und ihn bitten, dass er den rechten Mann möge finden für dieses Amt, der das Ungute und das Böse bestrafen und Gute beschließen wird."

ST: Haben Sie mit der Regierung überhaupt nichts zu tun?

Paul HOFER: Viele Jahre zurück haben wir wegen der Schule mit der Regierung verhandelt, weil die Schule staatlich war und viele englische Worte sich eingeschlichen haben. Da haben wir gesagt: "Das wollen wir nicht." Und die Regierung ist so gut zu uns gewesen. Sie hat gesagt: "Ihr dürft eure Schule haben, weil wir wollen nicht, dass ihr aus Kanada fortgeht."

ST: Ihr Leben besteht aus Arbeiten und Beten?

Paul HOFER: Arbeit macht das Leben süß. Aber es ist nicht mehr so wie in der Bibel, wo Gott zum Mannsbild gesagt hat: "Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot verdienen." Heute muss man nur mehr auf einen Computerknopf drucken.

Susi HOFER: Nur bei die Weiber gibt es noch Schweiß bei der Gartenarbeit (lacht).

ST: Der Namensgeber Jakob Hutter wurde unter dem Goldenen Dachl verbrannt. Was haben Sie gefühlt, als Sie darunter standen?

Paul HOFER: Mein Herz hat angefangen zu weinen, die Tränen flossen aus meinen Augen, und ich habe Gott gedankt, dass er solches alles hat zugelassen, dass die Brüder damals aufgestanden sind für ihren Glauben und eher den Tod gelitten haben, als von ihrem Glauben abzuschwören. Ich habe Gott nicht genug danken können. Wenn sie es nicht getan hätten, wären wir nicht hier, dann gäbe es in Kanada und den USA keine Gütergemeinschaften. Sie haben es für uns getan.

ST: Im Herbst soll eine Versöhnungsfeier stattfinden. Was erwarten Sie sich davon?

Paul HOFER: Wir haben keinen Groll und keinen Hass auf die Tiroler. Was mit unseren Altvätern geschehen ist, kann nicht ungeschehen gemacht werden. Wir lieben die Leute hier und wir spüren, sie lieben uns auch.

ST: Sollte die katholische Kirche ein Zeichen setzen?

Paul HOFER: Wir sind nur Kundschafter hier. Wir werden jetzt nach Hause fahren und unseren Ältesten erzählen, wie es hier jetzt ist. Wie liab und wie angenehm. Als wir in Klausen durch die Gassen gegangen sind, haben die Leute uns zugerufen und uns willkommen geheißen. Wir sind auch im Haus von Jakob Hutter gewesen und haben dort Kaffee gehabt. Die Leute sind so freundlich hiet: Es ist alle Tage etwas Neues und Schönes.

Interview: Heinrich Schwazer


Die Hutterer
Vor 470 Jahre wurden die reformatorische Täuferbewegung der Hutterer von der katholischen Kirche blutig bekämpft. 400 der gewaltlos und gemeinschaftlich lebenden Hutterer wurden damals hingerichtet, der Gründer Jakob Hutter wurde in Innsbruck auf dem Scheiterhaufen verbrannt, Tausende flüchteten vor der Verfolgung nach Mähren. 1874 wanderten sie nach Amerika aus, wo heute noch 45.000 Hutterer auf 470 sogenannten Bruderhöfen in einer Art Urkommunismus ohne persönliches Eigentum leben. Ihre Muttersprache ist hutterisch, eine Mischung aus tiroler-kärntnerischem Dialekt mit slawischen und englischen Lehnwörtern. Jetzt soll das dunkle Kapitel mit einer Versöhnungsfeier aufgearbeitet werden. Der Arbeitskreis "Hutterer-Versöhnungszeichen" hat eine Delegation aus Kanada eingeladen, um die Feier vorzubereiten.
"Den Akt der Versöhnung müssen die Nachfolger der damals Verantwortlichen - also Bischof und Landeshauptmann - machen", erklärte der Leiter des Arbeitskreises, Robert Hochgruber: Sowohl Innsbrucks Diözesanbischof Manfred Scheuer und der Bischof von Bozen-Brixen, Wilhelm Egger, als auch die Landeshauptleute von Nord- und Südtirol, Herwig van Staa und Luis Durnwalder, unterstützen die Initiative.