Erscheint in: Tiroler Schule. Fachzeitschrift des katholischen Lehrerverbandes, Nummer 4, Dezember 2006.

Jakob Hutter und die Tiroler Täuferbewegung
Ein sozialhistorischer Überblick von Dr. Peter Schulte

Wir schreiben das Jahr 1521. Erzherzog Ferdinand I. (1503-64) gelangt mit Anfang Zwanzig in den Besitz der Österreichischen Erblande und Tirols. In der spanischen Tradition erzogen, kannte er weder die Sprache noch die Kultur seiner Untertanen. Mit überzogenen Vorstellungen von seiner persönlichen Macht kam er in die alten Stammländer der Habsburger. Als Unterstützer des katholischen Glaubens sah er seine gottgegebene Aufgabe darin, dass Corpus Christianum zu erhalten und die ihm anvertrauten Gebiete von Häresien zu reinigen. Für Ferdinand I. war das Täufertum eine "verdambte, verfuerisch, kätzerisch secten und Ketzereyen". Um den sektiererischen Umtrieben in seinem Land Einhalt zu gebieten, erließen Ferdinands Räte u.a. das August-Mandat, welches das Apostolische Glaubensbekenntnis und die sieben Sakramente als minimalen Maßstab der Rechtgläubigkeit definierte. All diejenigen, die diesen Kriterien der Rechtgläubigkeit nicht genüge taten, sollten bestraft werden. Die Strafen reichten von Berufsverbot, Verlust der bürgerlichen Rechte, Konfiszierung der Güter, Landesverweis, Gefängnis bis hin zur Todesstrafe. Ferdinand I. hatte festgelegt, dass dieses Mandat von Weihnachten 1527 bis Ostern 1528 in allen Pfarrkirchen Tirols verlesen werden sollte. Die Kirche sollte dabei als "Namensagentur" dienen. Den Priestern wurde befohlen, Listen von Personen anzufertigen, die nicht an der Beichte oder Messe teilnahmen. Durch diese Maßnahme wurde die enge Kooperation von Kirche und Staat verstärkt.

Soziale Unruhen in Tirol
Tirol selbst befindet sich zu diesem Zeitpunkt auf einem moralischen Tiefpunkt. Während die Tiroler Bevölkerung Hunger leidet, gibt sich der katholische Klerus dem Luxus hin. Die Bauern und Knappen werden in ihren Rechten und Freiheiten eingeschränkt. Überzogene Zinsen und Spendenerlässe der katholischen Geistlichkeit empören die verarmte Bevölkerung Tirols. Die katholische Kirche befindet sich in einer tiefen Krise. In Deutschland will Luther die Kirche von innen reformieren, vergeblich. Stattdessen löst er mit seinen Thesen eine kirchliche Spaltung und einen religiösen Flächenbrand in ganz Europa aus. Es wurden immer radikalere Forderungen nach religiöser und gesellschaftlicher Neugestaltung gestellt, mit dem Ziel, die Kirche zu erneuern und dem Menschen wieder religiöse Inhalte zu vermitteln. Michael Gaismair, ein Gerichtsschreiber des Bischofs von Brixen, ist fest entschlossen, den historischen Freiheitswillen des Tiroler Volkes zu nützen und dieses vom Joch der katholischen Kirche zu befreien. Er fordert eine christlich-soziale und demokratische Bauernrepublik und somit, als Konsequenz, die Abschaffung der Vorrechte von Adel und Geistlichkeit. Gaismairs Landesverfassung sieht eine klassenlose Gesellschaft vor, dessen Grundlagen auf der Reformation und dem Evangelium beruhen. Diese Vorstellungen wurden in den Bauernaufständen blutig niedergeschlagen.

Jakob Hutter, Schlüsselfigur und Hauptorganisator der Tiroler Täuferbewegung
Jakob Hutter war ohne Frage eine Schlüsselfigur der Tiroler Täuferbewegung. Geboren 1500 im kleinen Weiler Moos bei St. Lorenzen im Pustertal, erlernte er in seiner Jugend den Beruf des Hutmachers. Hutter konnte lesen und schreiben, was auf einen zumindest elementaren Schulunterricht schließen lässt. Sein Charakter wird als stur und explosiv beschrieben. In Bozen erwarb er das Neue Testament, welches er intensiv studierte und anderen vorlas und auslegte. Im Jahr 1529 erfolgten die ersten Gefangennahmen von Täufern, von denen einige auf dem Scheiterhaufen endeten. Hutter entkam den Verfolgern, doch im Juni 1529 hatte die Innsbrucker Regierung ihn und Jörg Zaunring, der zu dieser Zeit eine Art Verbindungsmann zwischen dem südlichen und nördlichen Teil Tirols war, als führende Täufervorsteher identifiziert. Zu dieser Zeit hatte die Täuferbewegung südlich des Brenners schon beträchtliche Organisationsstrukturen entwickelt, da schon Gemeindeversammlungen abgehalten wurden, an denen nur Getaufte teilnehmen durften. Hutters Erfahrungen in der Austerlitzer Gemeinde in Mähren dürften ihn wohl auch zur Übernahme der Praxis der Gütergemeinschaft bewogen haben, ein Gemeinschaftsmodell, was bis heute eines der grundlegenden Merkmale der Hutterer ist. Die Gütergemeinschaft wurde als wahre neutestamentliche Norm akzeptiert und beruht auf Basis der Apostelgeschichte, Kapitel 2, "Und sie hatten alles gemeinsam". Ein weiteres Grundprinzip der Hutterer ist ein bedingungsloser Pazifismus gemäß dem Gebot der Bergpredigt über die Feindesliebe.

Der Tod Jakob Hutters 1536 in Innsbruck
Viele Jahre waren Jakob Hutter und seine Anhänger ständig auf der Flucht. Es war ein Leben im Untergrund, voller Sorge um das Schicksal der Täuferbewegung. Den massiven Verfolgungen durch Ferdinands Unterdrückungspolitik ausgesetzt, wurden viele von ihnen verhaftet, gefoltert und getötet.
Am 30. November 1535 wird Jakob Hutter in Klausen gefangen genommen. Zwei Tage später bringt die Innsbrucker Regierung in einem Brief an den Fürstbischof von Brixen ihre Zufriedenheit über die Gefangennahme zum Ausdruck und befiehlt, Hutter nach Innsbruck zu bringen. Während die Tiroler Bevölkerung sich auf das Weihnachtsfest vorbereitet, wird Jakob Hutter im Innsbrucker Kräuterturm, einem als besonders sicher geltenden Gefängnis, gefangen gehalten. Der Vorsteher der Tiroler Täufergemeinde weiß, dass sein Ende nahe ist. Vergeblich bemühen sich seine Folterer ihn zur religiösen Umkehr zur zwingen und seine Brüder zu verraten. Hutter schweigt und bleibt standhaft in seinem Glauben. Dieser ist stärker als die unglaublichen Schmerzen, die ihm tagelang zugefügt werden. Ferdinands Wiedertäufermandat kennt keine Gnade. Wer die Wiedertäufer anführt oder ihre Weisungen vorantreibt, soll selbst bei Widerruf nicht begnadigt werden. Auf Jakob Hutter wartet der Scheiterhaufen. Am 25. Februar 1536 wird er vor einer großen Menschenmenge vor dem Goldenen Dachl in Innsbruck lebendig verbrannt. Eine kleine Gedenktafel, die vor diesem historischen Ort angebracht wurde, erinnert noch an dieses dunkle Kapitel der Tiroler Landesgeschichte.
Nach dem Tod von Jakob Hutter wurde die Täuferbewegung in ganz Tirol mit Nachdruck verfolgt. Allein in Rattenberg wurden 71 Hutterer, in Kitzbühel 68 und in Schwaz 20 Hutterer hingerichtet. Vielen gelingt die Flucht aus Tirol nach Mähren, um so ihrem sicheren Tod zu entgehen. Trotz dieser Verfolgungswelle bilden sich in Tirol immer mehr Täufergemeinden. 80 Jahre später gibt es in Tirol keine Hutterer mehr.

Wer sind die Hutterer?
Die Hutterer gehören zur religiösen Bewegung der Täufer, die während der Reformationszeit in Tirol weit mehr Anklang fand als die Lehren Martin Luthers. Schätzungen gehen von über 20.000 Anhängern aus. Das Täufertum war in seinen Anfängen und in seinem Kern eine bewusst religiöse Reformbewegung, die die Nachfolge Christi und die Wiederherstellung der neutestamentlichen Gemeinde predigte. Die Führungsschicht kam überwiegend aus den Reihen der Handwerker und Bauern, teils auch aus dem Klerus. Viele von ihnen konnten lesen und schreiben, für die damalige Zeit nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit. Man spricht von einer "Bewegung der Enttäuschten" und "der Entfremdeten". Geprägt war sie von moralischer Aufrichtigkeit, einem zurückhaltendem Lebensstil und praktischer Nächstenliebe. Von Neubekehrten wurde verlangt, dass sie Profitgier, Luxus, Völlerei, Ausschweifungen, Trunkenheit und Unmoral von sich weisen. Täufer zu sein, das bedeutete das Versprechen, nicht mehr zu sündigen. Sie sollten sich in ihrem Lebenswandel von Nicht-Täufern durch eine bewusste Lebensführung unterscheiden. Die Kindstaufe wird abgelehnt, denn sie soll eine freiwillige Verpflichtung sein. Die leibliche Anwesenheit Christi im Altarssakrament wird verneint, denn nach Ansicht der Hutterer sitzt der auferstandene Jesus "Zu der Rechten" Gottes und wird erst zum jüngsten Gericht wiederkommen. Die mündliche Beichte gegenüber dem Priester wird abgelehnt. Der Wunsch, die gesamte Gesellschaft zu verändern, wurde zugunsten des Aufbaus separatistischer Gemeinden nach neutestamentlichem Vorbild aufgegeben. Damit wurde die Grenze zwischen den Täufern und der übrigen Gesellschaft stärker und eindeutiger gezogen.
Die Täufer wiesen im Prinzip die gesamte sakramentale, priesterliche und hierarchische Struktur der Kirche zurück. Im Täufertum emanzipierten sich die Laien von der klerikalen Führung, sie waren nicht nur um die Errettung der Seelen besorgt, sondern versuchten auch, die existierenden, religiös sanktionierten Machtstrukturen neu zu arrangieren. Diese Zurückweisung wurde von der etablierten Kirche als Angriff auf die bestehende obrigkeitliche Ordnung angesehen.

Entwicklung der Hutterer bis heute
In Mähren konnten sich unter toleranteren Grundherren Gemeinden bilden, deren Nachkommen heute noch als Hutterer in Kanada und in den USA siedeln. Sie leben entsprechend alter Traditionen und Ordnungen in Gütergemeinschaft, praktizieren die Glaubenstaufe, propagieren Pazifismus und Wehrlosigkeit und sprechen einen kärntnerisch-tirolerischen Dialekt, der sich immer stärker mit englischen Begriffen durchmischt.
Die Hutterer können auf eine lange und weite Reise zurückblicken. 1621/22 mussten sie Mähren verlassen; Siebenbürgen (heute Rumänien) und Oberungarn (heute Slowakei) wurden die neuen Siedlungsgebiete. Hier hielten sie sich trotz zunehmender Identitätsprobleme (Gütergemeinschaft und Erwachsenentaufe wurden allmählich aufgegeben) bis ins 18. Jahrhundert.
In Siebenbürgen schlossen sich den Hutterern in den 1750er Jahren Kryptoprotestanten aus Kärnten an, die unter Maria Theresia ihre Heimat hatten verlassen müssen. Unter dem Druck harter Maßnahmen zur Rekatholisierung, die nun auch in Siebenbürgen begannen, zogen die "personell erneuerten" Hutterer 1767 über die Karpaten in die Walachei, dann in die nördliche und schließlich in die südliche Ukraine. Gütergemeinschaft und Erwachsenentaufe wurden wieder eingeführt und 1874 begann der Aufbruch zur bisher letzten Station ihrer Reise, in die USA und nach Kanada.
Heutzutage wohnen dort über 42.000 Hutterer in den USA und in Kanada auf großen Höfen ("colonies") mit bis zu 100 Bewohnern. Die Gemeinde lebt ohne Verfolgung, jedoch in der "inneren" Spannung zwischen alten Traditionen und einem erneuerten lebendigen Glauben. Der zunehmende Druck durch die englische Sprache sorgt immer wieder für Diskussionen über den Erhalt der alten "deutschen" Kultur.

Ausblick
Ab Mitte 2007 ist eine Ausstellung im Museum im Goldenen Dachl geplant, welche historische, soziale und kulturelle Hintergründe der Tiroler Hutterer zeigen wird. Zugleich wird eine begleitende Ausstellung die aktuelle Situation religiöser Minderheiten in Tirol aufzeigen. Lehrer und Schüler sind zugleich eingeladen, an dieser einmaligen Gelegenheit teilzunehmen.

Rückfragen an:
Dr. Peter Schulte, kult & co tirol (Informations- und Beratungsstelle des Landes Tirol zu religiösen und weltanschaulichen Fragen)
Michael-Gaismair-Str. 1, 6020 Innsbruck
Tel.: 0512/ 508-2996
Email: kult.co@tirol.gv.at
www.kult-co-tirol.at

Dr. Peter Schulte (Soziologe, Sozialpsychologe), seit 1998 Leiter von kult & co, der Informations- und Beratungsstelle des Landes Tirol zu religiösen und weltanschaulichen Fragen. Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Beratung von Erwachsenen und Jugendlichen in Bezug auf so genannte Sekten und Psychogruppen, neuer Religiosität und Spiritualität sowie Okkultismus und Satanismus.