'Komplott und Leselust
Von Michael Kurz (Die Presse)

1853: Als der Wirt Franz Muß abfällige Bemerkungen über den Kaiser macht, schlägt die Staatsmacht zu. Das Salzkammergut und seine "verspätete" Gegenrevolution: eine vergessene Episode der Geschichte.

Die Lage nach 1848 war im Salzkammergut sehr schwierig. Die Auflösung der Grundherrschaften und die Umwandlung des Salzoberamtes in einen reinen Wirtschaftskörper stürzten viele ehemalige Untertanen in tiefe Not. Zur ökonomischen Talfahrt gesellte sich behördliche Unsensibilität, die die Gesellschaft traf. Die protestantischen Bergarbeiter des Salzkammerguts waren der Obrigkeit immer verdächtig gewesen, auch Jahrzehnte nach dem Toleranzpatent galten sie als illoyal und politisch unzuverlässig.

In der Bevölkerung gärte es schon seit der Niederschlagung der Revolution, allerorten trafen sich die Arbeiter und Bürger um die missliche Situation zu diskutieren. Einige Eiferer waren längst amtsbekannt. Bezahlte Spitzel und Agenten wie zur besten Metternichschen Zeit versuchten die Menschen auszuhorchen und ihre Meinungen zu erfahren.

Die Stimmung entzündete sich an der neuen Schichtenordnung für die Holzknechte, die längere Arbeitszeit ohne Pausen anordnete: Vor dem Forstamt Aussee geriet ein Auflauf der Holzknechte am 17. Mai 1852 zu einem Tumult. Der Forstmeister wurde derart bedrängt, dass die Gendarmerie einschreiten musste. Hier zeigte sich das erste Mal die volle Wucht des neuen Staatsapparates: Gegen die vier Haupträdelsführer und 13 Mitläufer wurde Anklage erhoben, zu einer Verurteilung kam es nicht. Allerdings wurden mehr als 100 Personen angezeigt und Verfahren eröffnet!

Mit Beginn des Jahres 1853 regte sich wieder der Geist des Widerstands: In Mailand kam es am 6. Februar zu einer Revolte. Am 18. Februar wurde auf Kaiser Franz Joseph von einem ungarischen Nationalisten ein Attentat verübt, das den Behörden eindrucksvoll belegte, dass der Staat noch immer nicht zur Ruhe gekommen war. Dieser Akt erregte in der ganzen Monarchie Aufsehen, auch im Salzkammergut.

In der Pfarre Maria Kumitz bei Bad Mitterndorf gab es einige politische Hitzköpfe wie den Bauern und Wirt Franz Muß oder Dionis Heiß. Sie waren den Behörden schon mehrmals aufgefallen. Als Muß nichtsahnend einem Spitzel gegenüber abfällige Bemerkungen zum Attentat auf den Kaiser machte, schlug die Staatsmacht im Mai 1853 in einer konzertierten Aktion zu. Muß wurde verhaftet, mehrere Wohnungen wurden durchsucht. Durch zahlreiche Befragungen wurde rasch die Verbindung nach Oberösterreich (insbesondere zum Wirt Konrad Deubler) bekannt. Auch hier begannen nun - zunächst heimlich - die Untersuchungen. Der Ischler Badeinspektor Anton Landsteiner - seine Tätigkeit war die Be-, aber auch Überwachung der Badegäste - nahm seine Arbeit auf und sandte Ende Mai seine erste Einschätzung ein: "Dass die Bewohner des Salzkammergutes von jeher zu religiösen Umtrieben, die sich insbesondere unter dem protestantischen Theile der Bevölkerung bemerkbar machten, geneigt waren, und die Aufmerksamkeit der Regierung veranlassten, ist zu wohl bekannt."

Wie Anfang Mai in der Steiermark wartete die Obrikeit günstige Umstände ab und schlug akkordiert an einem Wochenende - unter der Woche waren die Berg- und Holzknechte abwesend - zu. Vom 4. auf den 5. Juni 1853 fanden die ersten Hausdurchsuchungen zwischen Obertraun und Ischl statt. Dabei kamen wenige verdächtige Anhaltspunkte zum Vorschein, weshalb der Kommissär Landsteiner annahm, die Betreffenden wären gewarnt worden. Sichtlich enttäuscht schreibt er: "Das Ergebnis der gepflogenen Amtshandlung lässt wohl nicht bezweifeln, dass die obgenannten Individuen bereits früher vorsichtsweise alle jene Lektüre und Korrespondenzen entfernt hatten, durch die dieselben eine Kompromittierung zu befürchten hätten, was uns dem Grunde schon nicht unwahrscheinlich ist, da die gerichtlichen Einschreitungen in Steyermark hierorts schon bekannt erscheinen."

Eine weitere Hausdurchsuchung bei Deubler brachte endlich den ersehnten Fahndungserfolg. Der schlaue Wirt hatte verbotene Bücher und Schriften in Truhen und Kästen auf dem Dachboden versteckt, was er offenbar erst nach längerem Verhör preisgab. Minuziös kostet Kommissär Landsteiner den Triumph aus und zählt akribisch alle inkriminierten Bücher und Schriften der Bibliothek auf. Unter den zahlreichen Werken fanden sich viele mit revolutionärem und deutschkatholischem Inhalt oder auch Auswanderungsliteratur . Zur gleichen Zeit wurde der Holzknecht Georg Gamsjäger aus Obertraun verhaftet. Die oberösterreichischen Angeklagten wurden wie vereinbart bei Nacht zur weiteren Vernehmung nach Aussee gebracht.

Die Untersuchungen zogen immer weitere Kreise. Am 28. Juni wurden zwei Lauffner Arbeiter, Anton Loidl und Johann Ellmer, verhaftet, weil sie im "Weißen Rössl" in Lauffen laut gegen den Kaiser polemisiert hatten. Polizeikommissär Landsteiner forderte zusätzliches Personal für Hausdurchsuchungen. Anfang Juli wurden die Beamten beim Müller Franz Schmalnauer in Sulzbach bei Ischl fündig.

Über den Sommer 1853 fehlen die sonst so üppigen Quellen in Oberösterreich, "für die Gegend von Ischl (wurden die Erhebungen) aus Anlasse der Anwesenheit des allerhöchsten Hofes daselbst sistiert". Das "allerhöchste Kaiserhaus" wusste von den Vorgängen, Franz Joseph ließ sich von seinem Polizeiminister Kempen auf dem Laufenden halten. So ernst die Behörden die Angelegenheit intern nahmen, ihre offizielle Gangart war auf Beschwichtigung ausgelegt, nichts sollte den Aufenthalt des Kaiserhauses über den Sommer trüben.

Nach dem Sommer nahm die Polizei wieder ihre Arbeit auf; mit Ende des Jahres waren alle am "Komplott" Beteiligten in Haft und warteten auf ihren Prozess.

Nach der Sammlung der Daten wurde 1854 an die Auswertung gegangen, um die Anklageschrift zu formulieren. Einige Personen mussten enthaftet werden, da sich die Vorwürfe als völlig überzogen erwiesen, andere warteten im Grazer Gefangenenhaus auf ihre ungewisse Zukunft. Nicht alle ertrugen psychisch oder physisch die misslichen Umstände: Mathias Edlinger, ein Bergknecht aus Obertraun, Vater von fünf Kindern, erhängte sich: "aus Furcht vor der Strafe und aus Gewissensbissen", so der Staatsanwalt. Sein Freund, der Holzknecht Georg Gamsjäger aus Obertraun, brach körperlich und geistig zusammen, wurde wahnsinnig und starb schließlich an Typhus.

Bis 21. April 1854 dauerten die Vorerhebungen des Bezirksgerichts Graz, im Mai wurde die Anklageschrift beim Oberlandesgericht Graz formuliert. Die 
Anklagekammer lieferte in ihrem Eingangsstatement eine Analyse der Zustände im Salzkammergut aus ihrer Sicht und eine Zusammenfassung der wesentlichen Anklagepunkte: "In dem an den Grenzen Obersteyermarks und Oberösterreichs liegenden Salzkammergute ist schon lange vor dem Jahre 1848, durch vom Auslande eingeschmuggelte Bücher bei den Bergarbeitern die Lust zum Lesen, zu Zusammenkünften und zu Lesevereinen geweckt und dadurch der Hang zur pietistischen Schwärmerei und Sektiererei unter den Arbeitern von gemischter Religion erzeugt worden. Auch tauchten Wünsche zur Erzielung politischer Freiheit und zur Verbesserung der Lage der Arbeiter auf." Die Anklagekammer verwarf die ursprüngliche Annahme eines Komplottes, klagte aber die Mehrheit der Personen wegen Staatsgefährdung an.

Die Hauptverhandlung fand von Mitte Juni bis Mitte Juli 1854 statt. Mehr als 60 Personen wurden als Zeugen vorgeladen, meist jene aus dem Ausseer Land, während von den aus dem oberösterreichischen Salzkammergut Stammenden meist nur die Befragungsprotokolle verlesen wurden. Von etwa 130 Vernommenen kamen die Protokolle zur Sprache.

Das Oberlandesgericht fällte sehr milde Urteile. Konrad Deubler, Heiß und Muß wurden anstatt des Hochverrates bloß der öffentlichen Ruhestörung für schuldig befunden, Heiß und Muß zusätzlich wegen Religionsstörung verurteilt. Ihre Haftstrafen betrugen zwischen 10 und 18 Monaten. Da gegen Deubler und andere kein weiterer Grund vorlag, wurden sie der allgemeinen Amnestie vom 16. April 1854 für teilhaftig erklärt und freigelassen.

Allerdings beschäftigte sich nach Rekursen der Oberste Gerichtshof mit der Angelegenheit und fällte ein komplett gegensätzliches Urteil. Er verwarf die Nichtigkeitsbeschwerde der Verurteilten und folgte weitestgehend den Erläuterungen des Staatsanwaltes, der die Verurteilung wegen Religionsstörung und Hochverrates forderte. Aus dem Spruch ist zu ersehen, dass alle bis auf Deubler wegen Hochverrates verurteilt wurden. Ihm lasteten die Richter bloß öffentliche Ruhestörung an. Im Salzkammergut nahmen viele Freunde der Häftlinge die Nachricht mit Bestürzung auf.

Franz Muß und Dionis Heiß wurden in die Strafanstalt Garsten bei Steyr gebracht, Konrad Deubler nach Brünn. Deubler saß seine volle Haftstrafe in Brünn ab, zu seiner bevorstehenden Entlassung reiste seine Frau dorthin, um mit ihm heimzukehren. Die Enttäuschung war sehr groß, als er jedoch nicht fortgelassen, sondern auf unbestimmte Zeit in Olmütz interniert wurde. Hier war er zwar nicht eingesperrt, stand aber unter Hausarrest und musste sich täglich bei der Polizei melden. Erst ein neuerliches Gesuch seiner Frau fruchtete, und so konnte Deubler in seine Heimat zurückkehren. Die Haft war beendet, doch bis zur Wiedereinsetzung in die bürgerlichen Rechte musste erst eine liberalere Zeit anbrechen.

Franz Muß suchte 1863 um seine Rehabilitierung an, Konrad Deublers Schuld wurde ebenfalls um diese Zeit getilgt, 1860 war er schon als Bürgermeisterkandidat gehandelt worden, was ihm noch verwehrt blieb. Erst 1870 konnte Deubler Ortsvorsteher werden, eine Aufgabe, die ihm nach einem Jahr schon widerstrebte. Auch Muß war jahrelang angesehenes Mitglied im Gemeinderat von Pichl-Kainisch.

Die meisten der Häftlinge fügten sich wieder in die Gesellschaft ein und konnten in der liberalen Ära und danach ihre leicht revidierte Gesinnung freier äußern. Bis auf Deubler verschwanden alle Verurteilten nach ihrer Entlassung aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit, sie kehrten in ihre alten Berufe zurück und lebten unauffällig und bieder. Über die Angelegenheit breitete sich der Mantel des Vergessens. Deubler selbst legte keinem seiner Ankläger etwas zur Last, auch die Behörde rekurrierte nicht mehr auf den Fall. Die betreffenden Dokumente wurden zu den Akten gelegt. Das gespannte Verhältnis zur Kirche wich einer "ignoranten" Koexistenz.'

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