Essay von Nico Rubeli, erschienen in: tachles, Das jüdische Wochenmagazin, 1(28. Dezember 2001) 52, 27.
Es gibt liebe Menschen, die unangenehme Aggressionen ausstrahlen. Sie sprechen gerne von Versöhnung und Frieden. Sie malen grausige und schaurige Dinge aus und empfinden einen wohligen Schauder. Was sie so gut beschreiben und phantasieren, lehnen sie in allerheftigster Sprache wieder ab. Den interreligiösen Raum verwandeln sie zu einem Ort eigentümlicher Ansprüche: Wenn es darum geht, dem anderen Dinge zuzumuten, wird der Katalog länger und länger. Das Gegenüber empfindet nicht selten Scham, wenn es hört, was von ihm erwartet wird. Es kann schon peinlich werden. Aber vielen Menschen bliebt das Glück auf erstaunliche Weise treu: sie merken nicht, wenn es dem anderen unangenehm wird. Denn: sie wollen ja nur Gutes.
Interreligiös sein, gehört heute zum guten Ton. Da bläst ein Rabbiner in der Kirche den Schofar, da spricht ein missionarischer Pfarrer sein Gebet in hebräischer Sprache. Ist damit etwas gewonnen? Ist es sinnvoll, dass zum Beispiel eine Kirche im säkularen Raum ungefragt sich mit den Symbolen aller Religionen schmückt, um allen Vertreter/innen aller Religionen zuzurufen: Ihr seid alle unter unserem Kirchendach willkommen!?
Es gibt Gruppierungen, die sich klar abgrenzen. Sie sagen: Wir sind anders. Bis hierhin gehen wir einander gerne entgegen. Wir machen aber nicht alles mit. Diese Gruppierungen gelten oft als sehr böse, vor allem bei lieben Menschen, die aggressiv sind. Ihre reine Existenz, ihr Anders-Sein scheint sie zu provozieren. Sie stören die Idylle, wo alle doch gleich sein könnten, zum Beispiel in einer Kirche, die eigentlich keine mehr sein soll (Wie man seit einigen Jahren behauptet.), oder in einer Synagoge, wo die Riten anderer Religionen ihren Platz erhalten sollen (Warum eigentlich?). Was wären Vegetarier, die auch Fleisch essen sollten - mit Sicherheit keine Vegetarier mehr.
Es ist wichtig, das Anders-Sein im Anderen nicht nur zu entdecken, sondern zu respektieren. Interreligiös arbeiten hiesse eigentlich, sensibler zu werden dafür, was dem Anderen wichtig ist. Vielleicht ist es dem Anderen auch einmal wichtig, alleine zu sein. Vielleicht braucht er eine Intimsphäre. Vielleicht findet er nicht jede Aktivität toll. Und gerade bei diesem Nein, bei der Schranke, dass der Andere eben wirklich anders ist, bei der Grenze, dass der Andere das, was ich will, eben manchmal nicht will und nicht wollen soll: erst da würde eine mitenschliche Begegnung beginnen.
"Ich will keine Geschichte erzählen", schrieb Emmanuel Bove als ersten Satz seines über 200seitigen Buches, einer Geschichte über einen Aussenseiter, einer Geschichte über sich selber. Und er konstatiert: "Ich habe vom Leben nichts Aussergewöhnliches verlangt. Nur eines. Es ist mir immer verwehrt worden. ... Es ist ein Platz unter den Menschen, ein Platz für mich, ein Platz, der mir ohne Neid zugestanden würde, weil er nichts beneidenswertes hätte."
Basel, 19. Dezember 2001
Pfr. Nico Rubeli (evang.-ref.)
Initiant, Projekt- und Studienleiter
Christlich-Jüdische Projekte (Basel/Schweiz)
Inhaber von "in-tego Nico
Rubeli"