Der mächtigste Mann Israels

19. Oktober 2008 | 14:55 | | (SN).
Ein Rabbiner aus Bagdad. Ovadia Josef, einst geistliches Wunderkind in Israel, entscheidet mit über die Zukunft des Nahen Ostens.

gil yaron jerusalem (SN). Trotz seiner eigenwilligen, mit glitzernden Fäden bestickten Kaftane gilt der Rabbiner Ovadia Josef als graue Eminenz der israelischen Politik. Seit gut 25 Jahren bestimmt er die Geschicke des Nahen Ostens maßgeblich mit. Als unangefochtener geistlicher Führer der religiösen Schas-Partei wird Josef von rechts und links hofiert. Josef, der sich niemals einer Wahl stellte, entscheidet, wer letztlich Israels Premier wird, denn Schas ist das Zünglein an der Waage, das entscheidet, wer an die Macht kommt - oder scheitert.
Die angehende Premierministerin Tzippi Livni hat die Koalitionsverhandlungen mit der der linken Arbeiterpartei zwar erfolgreich abgeschlossen. Doch um zu regieren, benötigt sie die zwölf Mandate von Schas. Dafür braucht sie den Segen von Josef.
Der 88-Jährige ist eine der unumstrittensten Persönlichkeiten Israels. Seine Anhänger nennen ihn "Maran" - "unser Meister". Doch auch vielen anderen religiösen Juden gilt er als "wichtigster Rabbiner unserer Generation". Seine Rechtssprüche dienen als Quellentexte, da sie wie eine Enzyklopädie alle relevanten Zitate zu einem Thema enthalten. Josef veränderte das moderne Judentum vielleicht mehr als jeder anderer Rabbiner. Er erklärte Schwarze in Äthiopien zu Juden und ermöglichte ihre Einwanderung nach Israel. Er stand im Gegensatz zu den Ultraorthodoxen hinter einem Gesetz, dass den Hirntod zum klinischen Tod erklärt und so Organspenden ermöglichte. Als Oberrabbiner erklärte er 1973 nach dem Jom-Kippur-Krieg Ehefrauen gefallener Soldaten, deren Leichen unauffindbar waren, im Widerspruch zu jüdischem Brauch zu Witwen. So erlaubte er Tausenden Frauen, neue Familien zu gründen.

Ein irakischer Einwanderer
Seine Gegner hingegen stoßen sich an seinen Ausbrüchen und Flüchen. Der Rabbi mit der Sonnenbrille schimpfte den Premier Benjamin Netanjahu etwa eine "blinde Ziege".
Josef wurde 1920 in Bagdad als ältester Sohn eines Goldschmieds geboren. Als seine Familie vier Jahre später nach Jerusalem einwanderte, wo sein Vater einen Kleinwarenladen betrieb, wurde sie nur noch ärmer. In einer Thoraschule wurde früh das Talent des kleinen Ovadia deutlich. Mit zwölf Jahren veröffentlichte er sein erstes eigenes Werk. Mit 17 war das Wunderkind mit dem fotografischen Gedächtnis bereits eine anerkannte Autorität. Nicht nur das: Josef ist ein Misrahi, ein aus arabischen Ländern stammender Jude. Die geistige Elite der Orthodoxie wird aber traditionell von "Aschkenasim" gestellt, Juden europäischer Herkunft.
Mit 20 wurde Josef zum Rabbiner ordiniert, mit 25 zum Richter am Rabbinergericht berufen und schließlich sephardischer Oberrabbiner Israels. Nach Ende seiner Amtszeit trat er an die Spitze der eben erst gegründeten Schas, einer Partei, die als Stimme der Misrahim gilt.
Für westliche Beobachter ist Josef schwer einzuordnen. Den einen gilt er als Vorreiter eines gerechteren und jüdischeren Israels, den anderen als Feind der israelischen Demokratie. Einmal will er die Bibel für weltliche Juden erträglicher machen, indem er Frauen gestattet, Hosen zu tragen. Dann wieder erklärte er, die Opfer des Holocaust seien wieder geborene Seelen, die ihre Sünden büßten. Josef rechtfertigt territoriale Kompromisse mit Palästinensern, solange sie Menschenleben retten. Gleichzeitig ist er für rassistische Kommentare gegen Araber bekannt. Heute macht seine Schas-Partei eine Koalition davon abhängig, dass Jerusalem von den Friedensverhandlungen ausgenommen wird. Eine Bedingung, die aus palästinensischer Sicht Gespräche überflüssig machen würde.

Geld für die Partei
Der Ausgang der Koalitionsgespräche wird aber weniger davon abhängen, ob über Jerusalem verhandelt wird. Entscheidender sind staatliche Zuwendungen für die Schas-Partei. Sie fordert mehr Kindergeld für den unteren Mittelstand, den traditionellen Anhängern Josefs. Schas braucht außerdem Mittel, um das Netzwerk aus Schulen und Kindergärten aufrechtzuerhalten. Neben Josefs moralischer Autorität bildet dieses Netzwerk ihre Machtbasis. So gibt Schas zu erkennen, dass man für rund 200 Millionen Euro bereit wäre zu vergessen, dass man ideologisch inzwischen der rechten Opposition des Likud-Chefs Benjamin Netanjahu näher steht als der liberalen Livni.

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