Morgenland

Der Osten, dort, wo die Sonne aufgeht, musste auch der Sitz der Weisheit sein. So folgten "Weise aus dem Morgenland" dem Stern und machten sich auf die Suche nach dem Kind. Die Dreikönigsaktion der Katholischen Jungschar soll Licht in dunklere Regionen bringen und die Welt ein wenig freundlicher machen. In den Nachrichten ist heute das "Morgenland" eher Quell von Horrorgeschichten über blutige Bürgerkriegstragödien und die Gewaltherrschaft unheiliger "heiliger Krieger". Und moslemische Intellektuelle verzweifeln an den Zuständen in ihren Heimatländern und beklagen den "Zusammenbruch der arabischen Zivilisation".

Um sich jedoch so kritisch äußern zu können, haben die meisten dieser Weisen ihr Morgenland verlassen und ein Flüchtlings- oder Exildasein auf sich nehmen müssen. Die, die geblieben sind, leiden schweigend oder beten aus Existenzgründen offizielle Meinungen nach. Denn "der religiöse Faschismus ergreift das ganze Leben bis in den privaten Alltag hinein". Diese Diagnose stellte der aus Syrien stammende wohl berühmteste arabische Lyriker Adonis in Paris. Dort lebt der 85-jährige Dichter, der oft als Nobelpreiskandidat genannt wird.

Die liberalen Geister im Islam sind zutiefst pessimistisch. Revolutionäre Träume endeten in islamistischem Terror. "Die Religion unterwirft die Menschen ihrem Text, bis hin zur Vernichtung des Menschen", so Adonis im "Spiegel". "Mal tötet man seine Gedanken, mal seinen Körper. Am Anfang steht der Mord, nicht das Wort." Überm Morgenland liegt tiefe Finsternis ...

(Ernst Trost, Kronenzeitung, 6.1.2015)

  

Siehe auch die Artikel von ...

  1. Carl Power: GottKrieger. Jihad für den Ur-Islam: November 2014
  2. Hans Rauscher, Die Allgegenwart des Bösen: Der Standard 20.12.2014
  3. Hamed Abdel-Samad, Inner-islamischer Kulturkampf auf europäischem Boden: Kurier 11.1.2015
  4. Kurt Seinitz, Wie der Dschihadismus begann: Kronenzeitung 17.1.2015
  5. Walter Friedl, Liefert Türkei den Islamisten Waffen?: Kurier 18.1.2015