Zum Gewissen des Kapitals
Interview mit Klaus Werner-Lobo

Was meinen wir eigentlich damit, wenn wir von armen und "reichen" Ländern sprechen? Inwiefern beeinflusst mein Kauf im Supermarkt die Weltpolitik? Ist Bill Gates böse? In den Büchern "Schwarzbuch Markenfirmen", "Schwarzbuch Öl, "Uns gehört die Welt" finden wir Antworten auf diese Fragen.
Mit dem Buchautor Klaus Werner-Lobo sprach die BZ.

BUNTE ZEITUNG: Herr Werner-Lobo, in Ihrem Buch "Uns gehört die Welt" heißt es bei der Frage der Menschenrechte im Schatten der Globalisierung, dass 500 der reichsten Menschen ein höheres Jahreseinkommen haben als 416 Millionen der ärmsten Bürger zusammen. Armut ist für Sie die schlimmste Krankheit der Welt? Was heißt für Sie "arm sein"?

KLAUS WERNER-LOBO: In diesem Fall heißt "arm sein" ökonomisch arm sein und keinen Zugang zu den ökonomischen Ressourcen zu haben. Die Erde könnte 12 Milliarden Menschen ernähren. Derzeit sind 6,7 Milliarden Menschen auf der Erde und es werden bis 2050 ungefähr neun Milliarden sein. Dann geht's wieder bergab, sagt die UNO. Es ist genug für alle da, aber durch genau diese Tatsache, dass 500 Leute genauso viel haben wie 416 Millionen ist es so, dass mehr als eine Milliarde Menschen mit weniger als 1 Dollar am Tag auskommen muss, oder die Hälfte der Weltbevölkerung mit weniger als 2 Dollar am Tag auskommen muss. Laut UNO wird in einem Jahr 1 Milliarde Menschen unmittelbar von Hunger betroffen sein und 2 Milliarden werden unterernährt sein. Diese eine Milliarde dieser absolut Ärmsten muss ohne sauberes Trinkwasser, ohne Zugang zu Medikamenten auskommen, es gibt keine Schulen für die Kinder, und sie haben kein Dach über dem Kopf. Armut ist die schlimmste Krankheit der Welt. Nicht, weil Armut so eine Art Aussatz wäre, sondern weil Armut Krankheit erzeugt, weil Arme unterernährt sind, weil sie keine hygienischen Bedingungen haben. Arme sterben schneller an Krankheiten. Armut bedeutet nicht nur, dass man weniger Geld hat, es bedeutet in erster Linie, dass man keine Freiheit hat, keine Lebensqualität und keine Lebenserwartung. Es gibt Länder, da beträgt die Lebenserwartung 33, 34 Jahre durchschnittlich.

BUNTE ZEITUNG: Ist Ihre Kategorisierung für reiche und arme Länder normativ, wie die Sprache der Mächtigen, die sagen, es gibt die Reichen von Natur aus, so wie die Armen?

KLAUS WERNER-LOBO: In Wahrheit ist es völlig paradox. Wenn wir von den armen oder ärmeren Ländern sprechen, dann meinen wir Länder wie Nigeria, Brasilien, Kongo, Somalia, Sudan usw. In Wahrheit sind alle diese Länder, wenn man die Ressourcen und die landwirtschaftlichen Möglichkeiten betrachtet viel, viel, reicher als alle Länder Europas. Das heißt, diese Begriffe "arm" und "reich" sind kontextabhängig. Wenn ich sage, der Kongo ist ein armes Land, dann ist das ein völliger Blödsinn, weil Österreich und ganz Europa sind wesentlich ärmer an Ressourcen als der ganze Kongo. Ein Großteil dieser Ressourcen wird in die Industrieländer gebracht, weswegen diese reich sind. Im Kongo sind 80% der Bevölkerung unmittelbar von Hunger betroffen, obwohl das Land viel, viel reicher ist als ganz Europa.

BUNTE ZEITUNG: Sie haben eine Empfehlung hinsichtlich der Konzerne und Großunternehmen dieser Welt abgegeben, dass ein neues Bewusstsein entstehen sollte, und zwar bei jungen Menschen zwischen 18 und 24 Jahren. Die Jugendlichen sollen sich multinational und unternehmerisch der Welt stellen. In diesem Zusammenhang sprechen Sie von den "Machenschaften" der Konzerne? Im Grunde genommen verfolgen Konzerne ihre "Machenschaften", um einen bestimmten Proporz der Bevölkerung zu schützen, nämlich u.a. die Jugendlichen, die als Zukunft für die nördliche Hemisphäre gelten. Deshalb stelle ich Ihnen die Frage, auf welcher Seite stehen Sie?

KLAUS WERNER-LOBO: Ich will die Welt nicht in gut und böse einteilen. In Wahrheit kritisiere ich dieses System des Kapitalismus, was letztendlich nichts anderes ist als Neokolonialismus. Dieses System macht niemanden glücklich. Am glücklichsten sind jene Menschen, deren Bedürfnisse ökonomisch gedeckt sind, die ein Dach über dem Kopf, etwas zum Anziehen und Zugang zu Medikamenten und Bildung haben. Ich stehe auf der Seite von Menschen, die sagen: Ich will das nicht nur für mich, sondern auch für alle anderen Menschen und nachfolgenden Generationen. Die Welt bietet diese Möglichkeiten. Aber wenn jetzt einige wenige sagen, wir nehmen das alles an uns, dann bietet die Welt diese Möglichkeiten nicht mehr. Und die, die sehr reich sind, sind letztendlich auch nicht glücklich, weil die ihren Reichtum schützen müssen. Ich habe vier Jahre in Brasilien gewohnt, wenn du in Brasilien sehr reich bist, dann geht's dir eigentlich Scheiße. Die Reichen leben alle mit einem hohen Zaun ums Haus, da ist ein bewaffneter Wächter davor, die Kinder können nicht alleine in die Schule gehen, und wenn sie am Abend fortgehen, geht ein Bodyguard mit. Was ist das für ein Leben? Das ist ja nicht Glück. Das betrifft nicht nur die Superreichen, sondern bereits den oberen Mittelstand. Das heißt, ich stehe auf der Seite derer, die sagen: Wir versuchen es hier auf der Erde gerecht aufzuteilen und in einer Form zu nützen, dass auch unsere Kinder und Enkel das noch nützen können mit dem Respekt vor anderen Lebewesen.

BUNTE ZEITUNG: Glauben Sie, dass die Entscheidungsträger nicht wissen, dass eine solidarische Politik notwendig wäre?

KLAUS WERNER-LOBO: Sie machen es soweit sie es erkennen. Es gibt Entscheidungsträger, die irgendwann erkannt haben, dass es in die falsche Richtung geht, denken wir zum Beispiel an Georges Sorbos, der ist extrem reich, war Jahrzehnte lang Verfechter einer neoliberalen, ausbeuterischen, kapitalistischen Politik und hat dann erkannt, dass das nicht funktioniert, und jetzt versucht er eine andere Politik zu machen.

BUNTE ZEITUNG: Wie beurteilen Sie die Asylpolitik in Österreich, warum verhalten sich die Politiker in dieser ablehnenden Weise, insbesondere Afrikanern gegenüber?

KLAUS WERNER-LOBO: Ich glaube nicht, dass die österreichische Gesellschaft rassistischer ist als andere. Es ist aber so, dass es Ressentiments gibt und dass man nach dem machiavellistischen Prinzip "teile und herrsche" sagen kann: Diese Gruppen sind schlecht, und deswegen wollen wir die jetzt weg und wir schützen euch jetzt vor denen. Sogar die Grünen reden von einem sogenannten Ausländerproblem. Die Grünen sagen: "Wir müssen jetzt endlich sagen, dass es ein Ausländerproblem gibt." Es gibt kein Ausländerproblem. Es gibt Probleme zwischen Gruppen mit unterschiedlicher Sozialisierung. Und außerdem haben Ausländer ein viel größeres Inländerproblem als die österreichischen Inländer ein Ausländerproblem. Meine Frau ist zum Beispiel eine sogenannte Ausländerin, die hat viel mehr Probleme mit Österreichern als ich, als Österreicher, mit Ausländern. Es gibt eigentlich ein Inländerproblem, aber niemand würde auf die Idee kommen, das zu sagen, weil diese Ethnifizierung völlig absurd ist. Zum Beispiel: Es gibt Afrikaner, die im Flex Kokain verkaufen. Das ist eine Tatsache. Wir sehen, das ist für die Gesellschaft ein Problem. Jetzt können wir sagen, das sind die Afrikaner, die Kokain verkaufen, die machen das, weil sie Afrikaner sind. Das ist Ethnifizieren. Oder wir sagen, es gibt einen Markt für Kokain, es gibt Menschen, die nicht die Möglichkeit haben, durch legale Berufe Geld zu verdienen. Gewisse Menschen, die z.B. aus Nigeria kommen, erfüllen diese Marktnachfrage für Kokain. Das ist eine soziale und ökonomische Analyse. Die ethnische Analyse ist natürlich viel leichter. Man sieht, die Leute sind schwarz, sie verkaufen Kokain, also denken wir, Afrikaner sind so wie Drogendealer.

BUNTE ZEITUNG: Glauben Sie, dass die Behörden das nicht wissen?

KLAUS WERNER-LOBO: Die Behörden und die Politiker wissen das, aber Politiker profitieren, wenn sie sagen: Das sind die bösen Afrikaner, und deswegen müssen wir die wegschicken. Wenn sie sagen würden, was viele von ihnen wissen, müssten sie sagen, dass das ein soziales Problem ist, eines das sie selbst mitprovoziert haben. Es ist eine Tatsache, dass es in Österreich Menschen gibt, die nicht legal arbeiten dürfen, sodass sie illegal Geld verdienen müssen. Da sind Menschen dabei, die gut gebildet sind, die könnten gute Jobs machen, die könnten Gutes beitragen zur Gesellschaft, aber die dürfen gar nicht legal arbeiten. Aber sie dürfen, wenn sie nicht sterben, nicht erfrieren wollen, wenn sie ihre Kinder nicht verhungern lassen wollen, mit Drogen handeln, weil der Staat ihnen keine anderen Möglichkeiten gibt. Das ist ja nicht zufällig. Man kann dieses machiavellistische Prinzip, "parte et imperia", gut nachvollziehen. Politiker, die das machen, gewinnen.

BUNTE ZEITUNG: Ist es nicht so, dass diese Art zu denken und zu handeln eine monotheistische Tradition ist, dass man einen Feind sucht, als Substitut des Satans für Probleme, für die man keine andere Lösung gefunden hat?

KLAUS WERNER-LOBO: Ist ein guter Gedanke, aber das weiß ich nicht. Ich sehe auch, dass innerhalb der monotheistischen Gesellschaften Autoritätsdenken und dieses "Teile und herrsche" sehr erfolgreich sind.

BUNTE ZEITUNG: Ich merke, dass immer nur Hunger als Krankheit, als der einzige Ausdruck von Armut vorkommt. Ich bin Jugendlichen verschiedener Nationen sehr nahe, auch österreichischen Jugendlichen. Viele Burschen tendieren zu Gewalt und Drogen, und die Mädchen haben andere populäre Krankheiten wie Essstörungen, oder sie empfinden ihren Körper nicht natürlich, sie "ritzen" sich, um eine Empfindung zu spüren. Der gesamte Körper ist irgendwie in einem Kühlschrank. Aber die Politiker sprechen diese Armut nicht an, die haben "Masken", um diese Armut zu verstecken. Vielleicht ist die strenge Asylpoliti keine Kompensation dafür?

Wenn es die Freiheit für Kapital- für Waren- und Dienstleistungen gibt, dann muss es auch eine Freiheit für Menschen geben.

KLAUS WERNER-LOBO: Das ist ein bisschen zu direkt, aber es hat schon damit zu tun. Immer, wenn ich aus Ländern wie Brasilien, Uganda, Tansania, Kongo, zurückkomme, habe ich hier einen Kulturschock, weil man fast depressiv wird. Ich denke mir: Habt ihr keine anderen Probleme? Und die Leute haben hier oft wirklich grobe psychische Probleme. Ich habe das Gefühl, das ist in Ermangelung von echten Problemen, wie vom "Kampf ums Überleben". Diese existentiellen Dinge spürt man gar nicht mehr, weil das einzige Problem ist, kaufe ich mir jetzt das neueste Handy, welche Sportschuhmarke trage ich, oder wie viele Freunde habe ich im Internet.

BUNTE ZEITUNG: Statistiken berichten, dass 60.000 Leute zur Pädophilie tendieren. Das sind nicht nur ältere, sondern auch jüngere Leute. Da muss man sich kausal fragen, wie das kapitalistische System dahin bringt, dass sie ihre Dynamik verlieren.

KLAUS WERNER-LOBO: Ja eben. Das kapitalistische System führt dazu, dass wir alles nur mehr ökonomisch bewerten, dass alles nur mehr konsumierbar ist. Wenn du Geld hast, dann kannst du Dinge konsumieren. Und das ist etwas, was das Denken total ökonomisiert, bis hin zum ganz radikal ökonomischen
Denken. Das man heute Werbung machen kann mit einem Spruch wie "Geiz ist geil" und damit auch noch erfolgreich ist! "Geiz" ist eine der sieben Todsünden. Das zeigt, wie sehr sich die Ethik ökonomisiert hat. "Geiz" war bis vor kurzem ein böses Verhalten, das gesellschaftlich bestraft wurde - das war auch gut so, weil es ein antisoziales Verhalten ist. Während heute "Geiz" belohnt wird. "Geiz ist geil", d. h. Geiz ist ein positiver Wert, dann können wir aber auch gleich sagen: "Mord ist Mode. Killen ist cool." Das ist dann der nächste Schritt, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn die Gesellschaft in die falsche Richtung geht, wo Jugendliche antisozial, destruktiv, autodestruktiv usw. werden, das ist eine ganz, ganz logische Folge.

BUNTE ZEITUNG: In Ihren Argumenten gegen die Konzerne führen Sie die Verflechtungen der Aidsstiftung an, die 37,5 Milliarden besitzt und es sich auf ihre Fahnen geheftet haben, den Ärmsten der Armen zu helfen. Tatsächlich, wurden allerdings nur 5% davon für Projekte ausgegeben. Während die Stiftung 1,5 Milliarden im Kampf gegen Aids verdient, verdient sie im Gegenzug ein Vermögen durch Aktien von Pharmafirmen, wie Pfizer. Diese verkaufen ihre Medikamente sehr teuer an Länder der so genannten "Dritten Welt". Eine andere Stiftung hat 167 Millionen Euro im Programm gegen Kinderlähmung und Masern gestartet. Die verdienen doppelt soviel an den Ölfirmen, die letztendlich auch verantwortlich sind für die Gesundheitsprobleme von diesen Kindern. Ist das nicht schizophren, eine kapitalistische Doppelbödigkeit?

KLAUS WERNER-LOBO: Natürlich ist es schizophren. Es entspricht genau dieser Logik: Die Stiftung existiert, weil es erstens eine sehr Steuer schonende Möglichkeit ist, Geld anzulegen. Zweitens kann man damit sehr gut Geld verdienen, weil in die Konzerne investiert wird, drittens bekommt man ein superöffentliches Image und guten Einfluss, beruhigt damit auch die öffentliche Meinung, bekommt sehr viel politischen Einfluss. Wenn kritisiert wird, dass Bill Gates so reich ist, dass der soviel Geld hat, wird immer gesagt: Ja, aber er hat es ja gespendet, er spendet das ja für die Armen, er spendet das ja für den Kampf gegen Aids. Das ist so, wie wenn ich einen Bankräuber dafür lobe, dass er die Bank ausraubt, alle Leute erschießt bei und dann fünf Euro in den Opferfonds bezahlt. Bill Gates ist wie dieser Bankräuber. Der hat die Bank ausgeraubt, hat alle Leute in der Bank getötet und dann nimmt er fünf Euro und sagt vor allen Kameras: "Das ist meine Spende für den Opferfonds." Und alle applaudieren.

BUNTE ZEITUNG: Wie ist dann die Mentalität im Zusammenhang mit Asylwerber zu verstehen, die fast alle abgeschoben werden, vor allem junge Leute aus Nigeria?

KLAUS WERNER-LOBO: Nigeria ist ein extrem reiches Land, viel, viel reicher als alle europäischen Länder. Die meisten Menschen, die aus Nigeria kommen, kommen, soviel ich weiß, aus dem südlichen Teil des Landes. Denen könnte es extrem gut gehen, nur ist dort seit den 50iger Jahren die Erdölindustrie, allen voran Shell, die haben das Land ausgebeutet, die haben das Land zerstört, die haben Nigeria daran gehindert, eine Demokratie zu werden, weil sie immer wieder korrupte Diktatoren unterstützt haben. Es heißt immer, dass es den Menschen in den afrikanischen Ländern so schlecht geht, weil die Regierungen dort so korrupt sind. Das stimmt zum Teil. Allerdings gehören zur Korruption immer zwei: derjenige, der korrumpiert wird, und derjenige, der korrumpiert. Und diejenigen, die korrumpieren, das sind in fast allen afrikanischen Ländern multinationale Rohstoffkonzerne. Im Fall von Nigeria ist es eben allen voran Shell. Das ist der Grund, warum es diesen Menschen so schlecht geht und warum eigentlich die Mehrheit der Nigerianer und Nigerianerinnen zum Beispiel von Hunger bedroht ist. So, jetzt hat man denen alles weggenommen und in die reichen Länder gebracht. Und jetzt kommen die Leute natürlich auch, weil, wenn ich dir alles wegnehme, was du hast und ich trag es zu mir, dann wirst du auch kommen. Das ist logisch. Das ist so wie wenn ich meiner Nachbarin den ganzen Kühlschrank ausräume, ihr ganzes Bier nehme, und dann mach ich bei mir ein Fest, und sie klopft dann an die Tür und sagt, darf ich mitfeiern, und ich sag, nein, du musst wieder gehen. Das ist die Asylpolitik, die wurden von den hier beheimateten Industriekonzernen ausgeraubt, und dann kommen ein paar von ihnen, ohnehin nur ganz wenige, die es schaffen, und dann sagt man: Nein. Dein Erdöl wollen wir, deine Arbeitskraft wollen wir, deine Rohstoffe wollen wir, deine Lebensmittel wollen wir, aber dich wollen wir nicht. Das ist Asylpolitik.

BUNTE ZEITUNG: Stichwort Schwarzbuch Markenfirmen. Adidas, Coca Cola, Nestle usw. Wer sind diese Unternehmen?

KLAUS WERNER-LOBO: Das wesentliche Ziel all dieser Unternehmen ist der Profit. Alles, was es sonst gibt, Konsumentenzufriedenheit, Umweltschutz, vielleicht auch Menschenrechte, soziale Rechte, das gibt's dort auch, aber das ist total nachrangig. Das Ziel, das Hauptinteresse, der eigentliche Zweck dieser Unternehmen ist der Profit. Um die, die schon sehr, sehr viel haben, noch größer zu machen. Das ist das Ziel, das ist Kapitalismus. Nur das Wort Wirtschaft kommt von "Werte schaffen". Mein Ziel wäre eine Wirtschaft, die Werte schafft, nicht nur als Shareholder Value für einige wenige, die ohnehin schon sehr viel haben, sondern die echten sozialen Wohlstand schafft, unter Anerkennung der ökologischen Grenzen des Planeten. Die Gerechtigkeit, Wohlbefinden, Gesundheit, Freiheit, all diese Dinge schafft. Wirtschaft muss dazu dienen, gesellschaftlichen Wohlstand und einen Ausgleich gesellschaftlicher Interessen zu schaffen. Ich betreibe ja auch Wirtschaft, ich bin selbstständig, schreibe ein Buch und verkauf es dann, und ich möchte damit auch Geld verdienen und möchte mir um dieses Geld auch schöne Dinge kaufen können, ich möchte reisen können, ich möchte schön essen können und all diese Dinge. Das ist im guten Sinne egoistisch, aber ich kann nicht glücklich sein, wenn andere aufgrund meines Verhaltens unglücklich sind.

BUNTE ZEITUNG: Wer sind die Konsumenten?

KLAUS WERNER-LOBO: Der Konsument ist gerade in den letzten Jahren ein politisches Wesen geworden. Wenn ich einkaufe, kaufe ich nicht nur das beste oder das billigste Produkt, sondern ich denke auch darüber nach: Wie wurde dieses Produkt hergestellt? Was ist die politische Folge meines Einkaufs? Es gibt Leute, die sagen: Du wählst heute in einer Demokratie nicht mehr in der Wahlzelle, sondern an der Supermarktkasse.

BUNTE ZEITUNG: Diese Firmenmarken, die du beschreibst, sind Global Players. Ihre Werte sind teilweise einflussreicher als die der Regierung. Wie schätzt du die EU in diesem Zusammenhang ein?

KLAUS WERNER-LOBO: Für mich ist dieses Modell der EU deshalb so interessant, weil es nicht nur die Warenfreiheit und die Kapitalfreiheit hat, sondern auch die Freiheit der Menschen bedeutet. Innerhalb der EU dürfen alle Menschen reisen, wohin sie wollen. Das hat dazu geführt, dass innerhalb der EU nicht einige Länder extrem reich und einige extrem arm werden, sondern dass es einen Ausgleich sozialer Interessen gibt. Warum? Wenn ein Land sich sehr bereichern würde, würden alle Leute dorthin gehen. Wenn es in Portugal gar keine Jobs gibt, aber in Deutschland sehr viele, dann gehen alle Portugiesinnen und Portugiesen nach Deutschland. Damit das nicht so ist, hat man einen ökonomischen Ausgleich innerhalb der EU. Und das müsste man globalisieren. Wenn es die Freiheit für Kapital-, für Waren- und Dienstleistungen gibt, dann muss es auch eine Freiheit für Menschen geben. Das heißt, ich würde als Politiker dafür eintreten, dass bis 2050 alle Grenzen geöffnet werden, und jeder Mensch darf dort leben, wo er oder sie will. Dann haben wir bis 2050 Zeit die Ausbeutung dieser Länder zu stoppen, und wenn wir das tun, dann gibt es ganz, ganz wenige Nigerianerinnen und Nigerianer, die nach Österreich kommen, und zwar wahrscheinlich zum Skifahren, und ganz wenige Österreicherinnen und Österreicher, die nach Nigeria auf Urlaub fahren, weil dort das Wetter besser ist, und das war es dann, weil die meisten Menschen wollen dort leben, wo sie geboren sind. Fast alle. Das heißt, wenn es keine Ausbeutung gibt, dann gibt es auch keine Migrationsprobleme, und deshalb bin ich dafür zu sagen, alle Grenzen aufzumachen bis 2050. Dann haben wir jetzt noch mehr als 40 Jahre Zeit uns darauf vorzubereiten.

Quelle: DIE BUNTE ZEITUNG  1/2009, 34-37