Ich bin Jahrgang 1955 und habe mich im Laufe meines Lebens mit allen möglichen Religionen und Glaubenssystemen beschäftigt, ohne mich irgendwo richtig heimisch gefühlt zu haben. Das änderte sich erst, als vor einigen Jahren durch einen dieser berühmten "Zufälle" die Lakota in mein Leben traten.
Ich habe seitdem etliche Monate in Reservaten in Süd Dakota verbracht. Von meinen indianischen Freunden durfte ich viel über ihre Kultur und Spiritualität lernen. Und indem ich während meiner Reservatsaufenthalte bei ihnen wohne und ihr tägliches Leben mit ihnen teile, weiß ich um die Not und das Elend, die in ihrem Dasein allgegenwärtig sind. Aufgrund dieser persönlichen Erfahrungen liegt es mir sehr am Herzen, auf die Situation der Lakota aufmerksam zu machen und um Hilfe für diese Menschen zu bitten. 
Für alle, die sich für die Spiritualität der Lakota interessieren, habe ich eine kleine Einführung dazu geschrieben:

Die Stammesreligion der Lakota-Indianer

Stell Dir vor, Du stehst im westlichen Süd Dakota  irgendwo mitten in der Prärie.  Der Boden unter Deinen Füssen ist karg und doch sorgt er dafür, dass Leben bewahrt wird und ständig neu entstehen kann. Der Himmel über Dir dehnt sich schier unendlich aus, genau wie das Land. Egal in welche Richtung Du schaust, es scheint keine Begrenzung für diese Weite zu geben; jedenfalls keine, die Du wahrnehmen kannst. Und inmitten dieser unermesslichen Weite bist Du - ein winziges Teilchen eines unüberschaubaren, gigantischen Puzzles.  So winzig Du auch erscheinen magst, ohne Dich wäre das Ganze nicht komplett und auch nicht ohne irgendein anderes Puzzleteil, unabhängig von seiner Beschaffenheit.

Es weht ständig ein - mal sanfterer, mal kräftigerer - Wind und erinnert Dich daran, dass dieses Puzzle nicht erstarrt ist, sondern lebt und ständig in Veränderung begriffen ist. Wenn eines der Teile sich verändert, dann verändern sich die anderen Teile um es herum zwangsläufig ebenfalls, damit wieder alles ineinander passt. Jede Veränderung hat Auswirkungen auf das Grosse Ganze, denn alles ist miteinander verbunden. Es gibt keine Macht außerhalb dieses Grossen Ganzen, die Veränderungen herbeiführt - sie entstehen aus sich selbst heraus.

Bis die Weißen kamen, kannten die Lakota keine Schriftsprache. Besondere Ereignisse wurden in Piktogrammen festgehalten und alles Wissen wurde mündlich von einer Generation zur nächsten weitergegeben. Auch die Inhalte der Stammesreligion. Als dann die Weißen begannen die Lakota über alle möglichen Themen zu befragen um alles niederzuschreiben stellten sie fest, dass es - bedingt durch die mündliche Art der Überlieferung - zu ein und demselben Thema verschiedene Variationen gibt. Wobei nicht festzustellen ist, welche Variation vielleicht "richtiger" ist als die anderen. Die Grundgedanken der Religion sind aber gleich:

Das höchste Wesen der Lakota-Indianer, das "Wakan Tanka" ("Grosses Geheimnis") genannt wird,  besteht aus 16 verschiedenen "Höheren  Wesen". Dieser Begriff täuscht, denn es sind Wesen, die ein Teil dieses Grossen Ganzen sind, wie z.B. der Mond, die Sonne, die vier Himmelsrichtungen, der Himmel selbst und die Erde.

Besondere Bedeutung werden den vier, bzw. sechs Himmelsrichtungen (Westen, Norden, Osten, Süden, oben/Himmel und unten/Erde) beigemessen. In diesen sechs Richtungen ist alles vorhanden, was man braucht, um sich sein physisches, psychisches und mentales Gleichgewicht zu bewahren bzw. es (wieder) zu erlangen. Diese Höheren Mächte repräsentieren zwar "Wakan Tanka", verfügen aber jeweils über spezielle heilige Kräfte. Man kann daher in bestimmten Situationen seine Gebete gezielt an eines dieser Höheren Wesen richten. Das Symbol für die vier Himmelrichtungen ist das Medizinrad.

Der wichtigste zeremonielle Gegenstand der Lakota ist die Heilige Pfeife. Diese Pfeife ist den Lakota von der White Buffalo Calf Woman gebracht worden, die identisch ist mit dem Höheren Wesen das "Wohpe" genannt wird (die Sternschnuppe). Die Lakota glauben, dass die Heilige Pfeife, wenn sie auf korrekte Weise benutzt wird, mit Hilfe der Höheren Mächte das Wohl der ganzen Schöpfung fördern kann.

Die Pfeife ist von großer Bedeutung bei den "Sieben geheimen Riten", die auf Veranlassung hin eines der großen spirituellen Führer der Lakota, Nicholas Black Elk, niedergeschrieben wurden. Von diesen Zeremonien  werden die drei wichtigsten auch heute noch praktiziert:
 - Die Schwitzhüttenzeremonie
 - Die Visionssuche
 - Der Sonnentanz

Die Schwitzhüttenzeremonie wird entweder als Vorbereitung auf weitere Zeremonien (Sonnentanz, Visionssuche) durchgeführt oder als eigenständige Zeremonie.

Sie dient der Reinigung, im körperlichen und geistigen Sinne. Eine Schwitzhütte besteht aus einem Gestell aus Weidenzweigen, das - früher mit Büffelhäuten - heute mit Decken und Planen bedeckt wird, bis es innen ganz dunkel ist. In einem Feuer werden große Steine heiß gemacht, die dann in die Schwitzhütte gebracht werden. Der Leiter der Zeremonie gießt Wasser auf diese Steine und es wird sehr heiß. Die Teilnehmer bringen - indem sie diese Hitze ertragen - ein Opfer für andere, denen es nicht gut geht.

Dies ist einer der zentralen Gedanken des Lakota Weltbildes: Alles muss immer im Gleichgewicht sein. Wir leben in einer dualen Welt, in der es Gegensätze gibt. Wenn es einem Teil der Menschen gut geht, muss es aber auch einen anderen Teil geben, dem es schlecht geht, damit das Gleichgewicht wieder stimmt. Indem man selbst Leiden auf sich nimmt (siehe auch beim Sonnentanz), kann man dafür sorgen, dass das Leiden eines anderen abnimmt; und für denjenigen wird während der Schwitzhüttenzeremonie gebetet.

Es wird traditionell aber auch für alle Wesen dieser Schöpfung gebetet, denn ein weiterer zentraler Gedanke des Lakota Weltbildes ist es, dass wir mit allen diesen Wesen verbunden sind. In dem Ausdruck "Mitakuye Oyasin", der ein wichtiger Bestandteil aller Lakota-Zeremonien ist und  übersetzt etwa "alle meine Verwandten" heißt, spiegelt sich diese Vorstellung wider.

Die Visionssuche wird entweder als Vorbereitung für die Teilnahme am Sonnentanz oder als eigenständige Zeremonie durchgeführt. Traditionell musste man vier Tage und Nächte ohne Essen und Trinken, nur mit dem Nötigsten bekleidet, einer Decke und der persönlichen Heiligen Pfeife in der Wildnis auf einem speziell dafür vorbereiteten Platz verbringen, um zu beten. Es kann um Einsicht in einer bestimmten Angelegenheit gebetet werden oder aber auch für jemand anderen, der Hilfe benötigt.  Manchmal helfen die Geister, die "spirits", indem sie dem Menschen, der fastet und betet, eine Vision schenken. Heute ist es auch üblich für 1, 2 oder 3 Tage und Nächte auf Visionssuche zu gehen. Die Visionssuche spielte früher auch eine wichtige Rolle beim Überschreiten der Grenze zum Erwachsenwerden; wird in diesem Zusammenhang heutzutage allerdings nicht mehr so häufig praktiziert.

Die "spirits" sind übrigens keine Geister im Sinne von Gespenstern, sondern es können sowohl Naturgeister, aber auch die Geister von Verstorbenen sein. Darüber hinaus gibt es gemäss dem Lakota-Glauben in jedem Lebewesen eine Art "Geist" (selbst bei Steinen), der auf einer höheren Ebene mit uns kommunizieren kann.

Der Sonnentanz ist das höchste religiöse Ritual der Lakota. Es war früher eine Art von Dankeszeremonie für das Überleben des Stammes und gleichzeitig das Bitten darum, dass dies  auch ein weiteres Jahr der Fall sein möge. Heute beten die Teilnehmer des Sonnentanzes - wie in der Schwitzhütte - für alle Wesen dieser Schöpfung und für etwas, das ihnen ganz persönlich am Herzen liegt, zum Beispiel für ein krankes Familienmitglied.  Die Tänzer/innen befinden sich von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang im Sonnentanzkreis, in dessen Mitte der Sonnentanzbaum - das Symbol für "Wakan Tanka" - steht. Von einer Gruppe von Sängern werden von früh bis spät spezielle Sonnentanzlieder gesungen. Der eigentlich Tanz ist ein auf-der-Stelle-Treten, dessen Rhythmus durch die von den Sängern geschlagene Trommel vorgegeben wird. Egal ob es regnet oder die Sonne erbarmungslos vom Himmel brennt, die Sonnentänzer/innen tanzen und beten den ganzen Tag bis auf wenige kurze Pausen. Es darf während des gesamten Sonnentanzes nicht gegessen oder getrunken werden. Allein diese bis zur körperlichen Erschöpfung (und darüber hinaus) währende Anstrengung ist bereits ein großes Opfer, das sowohl von Männern, Frauen und auch Kindern gebracht wird. Manche der männlichen Tänzer bringen darüber hinaus noch ein sogenanntes "Fleischopfer" dar, indem sie sich die Haut über den Brustmuskeln mit einem dünnen, kurzen Holzstab durchbohren lassen, an dessen Enden ein Seil befestigt wird. Dieses Seil ist an den Sonnentanzbaum gebunden. Indem sie rückwärts laufen, reißen die Holzstäbe, die sogenannten "piercing sticks" heraus. Der so entstandene Hautlappen wird abgeschnitten, in Baumwollstoff gewickelt und als Opfer an den Sonnentanzbaum gebunden.

Hier kommt wieder klar zum  Ausdruck, dass das Gleichgewicht gewahrt werden muss: Man bittet die Höheren Mächte um etwas und bringt dafür ein Opfer dar.

Generell kann man sagen, dass man bei den Lakota das Spirituelle und das Alltägliche nicht trennen kann; das eine geht in das andere über. Religion ist bei ihnen nicht etwas, das nur zu bestimmten Zeiten praktiziert wird; sie durchdringt alles. So gab es zum Beispiel während der Belagerung von Wounded Knee in den 70er Jahren, als die Lakota um ihre Rechte kämpften, dort nicht nur politische Aktivisten sondern auch einen Medizinmann, der sich um die spirituellen Belange kümmerte. Darüber hinaus war auch er ein politischer Aktivist... Und so sagen die Lakota selbst, dass ihre Stammesreligion eigentlich als Lebensweise verstanden werden muss.

Bei den Lakota steht das Wohlergehen des ganzen Volkes und der ganzen Schöpfung an erster Stelle.

Jeder Einzelne trägt als Individuum seinen Teil zu diesem Wohlergehen bei auf die Art, die ihm am meisten liegt oder so, wie er von den Höheren Mächten berufen wurde - als winziges Teil eines unüberschaubaren, gigantischen Puzzles.

Dies ist selbstverständlich nur eine grobe Einführung in das komplexe Thema "Die Stammesreligion der Lakota-Indianer", die lediglich als erste Orientierung dienen soll. Ich beantworte gerne weiterführende Fragen: tektit@web.de.

 © Isabella Schön, Oktober 2001

Website:  www.tektit.de

 

UP

HOME