Dr.med.univ. Miroslav Krstić
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Wien, Mai 2006

Vor mehr als 5 Jahren war ich zum ersten Mal mit Annemarie in Bosnien unterwegs – seitdem ist dort viel passiert, auch wenn fünf Jahre für gesellschaftliche Entwicklungen zu kurz sind.

Bosnien und Herzegowina ist ein kleines armes Land. Das war es auch vor dem Krieg, danach ist vieles an Infrastruktur zerstört worden und, weitaus schlimmer, es wurde ein bis dahin nicht vermutetes Konfliktpotential ans Tageslicht gebracht, mit dem Bosnier heute noch zu tun haben. Das Land wird überadministriert, es gibt zwei fast getrennt funktionierende Staaten (Föderation und Republika Srpska), die erstere besteht aus zehn Kantonen, die wiederum über eigene Regierungen, Parlamente, Gerichte usw. verfügen. Wenn die Politiker produktive Wirtschaftskraft wären, könnte Bosnien leicht der Schweiz konkurrieren. Es ist leider das Gegenteil, so bleibt das Land ungefähr am Ort stehen und lebt vermutlich vorrangig von den vielen zumeist nicht sehr wohlwollenden Krediten aus dem westlichen Ausland. Wie lange das so gehen wird, ist wohl eine berechtigte Frage.

Auf der anderen Seite kann man die Augen vor den positiven Veränderungen nicht verschließen. Für jemanden, der den Krieg in Bosnien miterlebt hat, ist nicht ganz selbstverständlich die Reisefreiheit im ganzen Land, den Wiederaufbau, die halbwegs funktionierenden Strukturen der Wirtschaft, des Verkehrs, des Gesundheitssystems zu genießen. Die Menschen leben weiter, manche kommen schneller voran, die anderen stockend. Man ist gesellig, man feiert ungezügelt. Die Masse scheint schnell zu vergessen, wobei der bittere Beigeschmack immer wieder spürbar wird, wenn man die Pension oder den Gehalt vom Konto abhebt, wenn man mitten im Land „Welcome to Republic of Srpska“ zu lesen bekommt, wenn man den Fernsehapparat einschaltet...

Das größte Problem Bosniens ist eine Perspektivlosigkeit. Die betrifft vor allem die jungen Menschen – fast 100% der Studierenden des Landes würden es ohne nachzudenken verlassen. Korruption und „kleine“ Ungerechtigkeiten tun weh und demotivieren – die ganz wenigen schaffen es auf brutale Art und Weise, die restlichen haben wenig Chancen. Nun wie kann man das bekämpfen? Soll man sein eigenes Leben, womöglich auch jenes seiner Kinder, opfern? Mit welchem Ausgang? Kann man wirklich zwischen moralischem Anspruch und der Wirklichkeit so leichtfertig wählen?

Ein bosnischer Dichter schrieb einmal: „Bleibt hier, Sonne fremden Himmels wird euch nicht so wärmen wie es eure tut.“

Es bleibt die Gewissheit, dass die Schwachen in Bosnien Ihre/Eure Hilfe nach wie vor brauchen. Sie können danken, beten, über- und weiterleben und auf den nächsten Besuch von Annemarie hoffen. Sie brauchen eigentlich nicht viel – nur ein bisschen Menschlichkeit und jemanden, der an sie ab und zu denkt.

Ich persönlich habe gerade mein Studium der Humanmedizin in Wien abgeschlossen und bin dafür sehr dankbar – Österreich und den guten Menschen hierzulande, die es mir möglich gemacht haben.

 

annemariekury@hotmail.com

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