BOSNIENREISE SEPTEMBER 2005


Der mühsame Weg über den Bach ohne Brücke
 


Die Wäsche ist schon fertig
 


Mutter und Sohn sind füreinander da
 


Gebrauchte Sachen verkaufen um zu überleben
 


Die verzweifelte Familie im April 2005
 


Dieselbe Familie glücklich mit ihren Ziegen
 


Nirmel übersetzt bei der feierlichen Verleihung der
Ehrenbürgerschaft


Vesela mašina - die fröhliche Maschine


Annemarie Kury
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Wien, im Oktober 2005

Liebe Bosnienunterstützer, liebe Bosnieninteressierte!

Erdbeben erschüttern die Welt, Stürme wirbeln die Menschen auf, Regengüsse lassen Straßen, Wege und Häuser verschwinden, Regenlosigkeit lässt so manche Erde vertrocknen, Vögelzüge mit Viren machen Angst. Dies alles betrifft uns Menschen. Was können wir gegen diese Katastrophen machen? Die Medien rufen zum Spenden auf; und das ist gut so!!
Im Akutfall berührt uns die Sache am meisten, doch oft geraten Menschen in großer Not sehr bald in Vergessenheit, denn neue Katastrophen brechen herein.

In Bosnien sind fast zehn Jahre nach Kriegsende immer noch sehr viele Menschen in großer Not, aber von uns nicht vergessen. Sie sind in materieller Not und zusätzlich in seelischem Leid durch Verluste von Angehörigen, oft auch durch Verlust der Heimat, ihres Hab und Gutes, oft nicht im Stande selbst aktiv zu werden.

Ende September - Anfang Oktober war ich wieder 12 Tage mit humanitärer Hilfe in Bosnien unterwegs.

Die Arbeitslosigkeit wird immer noch mit 50% beschrieben, es gibt kein Arbeitslosengeld, nur wenige bekommen eine minimale Sozialunterstützung (zwischen € 20.- und € 50.-), es gibt keine Familienbeihilfe (Kindergeld), kein Pflegegeld. So haben wir weiterhin 50 Patenschaften, davon sind 30 für Behinderte.

Da ich diesmal viel für kranke und/oder alte und/oder behinderte Leute, die in kleinen Orten ohne Supermarkt wohnen, eingekauft habe, kenne ich die aktuellen Preise. Sie sind im Vergleich zum Einkommen sehr hoch:

 

Bosnien

Österreich

 

1 kg Mehl

 € 0,51

  € 0,79

Diesen Einkauf habe ich in Bosnien und

1 Liter Öl

 € 0,92

  € 0,93

in Österreich selbst getätigt!!

1 kg Zucker

 € 0,62

  € 0,99

 

1 l Milch

 € 0,72

  € 0,69

 

1 kg Reis

 € 1,28

  € 0,90

 

500g Teigwaren

 € 0,77

  € 0,49

Nettomonatsgehalt einer Volksschullehrerin

10 Eier

 € 1,02

  € 1,29

        in Bosnien:    €    220.-

100 g Schokol.

 € 1,13 (!!)

  € 0,79

        in Österreich: € 2.000.-

500g Weißbrot

 € 0,50

  € 0,79

 

zusammen:

 € 7,47

  € 7,66

 

Täglich sitzen und stehen Menschen längst den Straßen von Tuzla und verkaufen ihre gebrauchten Sachen: Kleidung, Schuhe, Geschirr, Elektrogeräte ... alles ... damit sie Geld für Lebensmittel, Miete oder Heizmaterial bekommen. So ist es auch zu verstehen, dass Staatsangestellte versuchen, sich etwas "dazu zuverdienen".
Ein Beispiel: Ich komme von Österreich-Kroatien zur bosnischen Grenzstation und habe mein Auto voll mit Paketen für die Patenkinder, auch ein paar Rucksackerl als Schultaschen für die Kinder. Der Zollbeamte möchte, dass ich ihm alle Sachen aus dem Auto zeige/herausnehme und Zoll bezahle, außer ich gebe ihm einen Rucksack und Geld für Kaffee hinein. Noch weiß ich nicht, für wieviel "Kaffee" und versuche es mit € 10.-, es genügt.
Bei der Verkehrskontrolle der Polizei läuft es ähnlich ab. So ist es auch verständlich, dass die Zusammenführung der Polizei der zwei Teilrepubliken in Bosnien (eine Bedingung für Verhandlungen über ein EU-Abkommen) endlich zustande kam, als die bosnisch-serbischen Polizisten erfuhren, dass damit eine Angleichung ihrer Gehälter an die der Gehälter ihrer Kollegen in der Föderation verbunden sei. Geld macht es möglich!

Meine Tage in Bosnien waren mit 37 Besuchen bei Familien in Not sehr ausgefüllt. Nicht nur Patenschaftsgeld (25-30 EUR pro Monat) und Lebensmittel konnte ich verteilen, auch Heizmaterial, Holz und vor allem von der dort abgebauten Kohle konnte ich 118 Tonnen kaufen und 60 Familien bringen lassen. Die Tonne Kohle zum Ausnahmepreis von € 35.-.

Das alles muss organisiert werden (Logistik heißt das jetzt!), und so bin ich sehr dankbar, dass "meine" zwei bosnischen Medizinstudenten Dalibor und Miroslav ganz fest mithelfen. Im Laufe dieses Studienjahres werden sie in Wien mit dem Studium fertig, und ich weiß nicht, wo sie Fuß fassen werden und wie ich dann die Besuche bewältigen werde.

Zwei von den Besuchen schreibe ich als Beispiel (35 weitere auf Anfrage!):

Einer alten Frau (Jahrgang 1923) wurde etwas außerhalb von Kozluk ihr Haus einigermaßen wieder bewohnbar gemacht. Sie selbst ist nach einem nicht versorgten Schenkelhalsbruch fast unbeweglich und lebt mit ihrem behinderten Sohn (1970!) (Downsyndrom) ohne Einkommen, außer unserem Patenschaftsgeld.
Sie ist glücklich, dass sie diesen Sohn hat, der sie pflegt und den Haushalt nach ihren Anordnungen führt. Bei einem Unwetter vor ein paar Wochen hat es die einzige Brücke, die die Zufahrt zu ihrem Häuschen möglich gemacht hat, weggerissen. Wir haben Glück, dass wenig Wasser im Bach ist und können ihn auf den Resten der Brücke und Steinen mit unseren mitgebrachten Sachen mühsam queren. Der besonders liebe Sohn wird die bestellte Kohle kleinweis über den Bach tragen. Ganz stolz zeigt er uns seine im Bach selbst gewaschenen langen grauen Unterhosen, die er Sommer und Winter ohne Überhose trägt. Diese Bescheidenheit - Zufriedenheit - Freude!

Die zweite Familie lebt in Šerići: der Vater arbeitslos/arbeitsunfähig, psychisch krank, die Mutter war oft ganz verzweifelt, da sie den sechsjährigen spastisch gelähmten Sohn, den Mann und die gesunde Tochter zu versorgen hat. Zwei Ziegen, die wir der Familie im Frühjahr gegeben haben, haben das Leben der ganzen Familie verändert, denn der kranke Vater hat nun eine ihm adäquate Aufgabe, er versorgt die Ziegen mit sehr viel Freude ganz allein, die ganze Familie liebt die Ziegen und die Milch. Die Mutter schrieb mir schon im Sommer: "Denken sie jeden Tag daran, dass sie eine ganz verzweifelte Familie wieder zum Leben erweckt haben." Ich konnte mich selbst von der "erweckten" Familie und den lustigen gut gepflegten Ziegen überzeugen. Außer dem Patenschaftsgeld und der Kohlelieferung konnten wir die Arbeit und das Material für ein Badezimmer/WC samt Senkgrube bezahlen. Ich konnte es gar nicht glauben, dass dies zusammen nur € 1.025.- ausmacht. Vehid, ein zurückgekehrter sehr erfahrener Baumeister, übernahm kostenlos die Bauaufsicht und freute sich selbst, wie alles ordnungsgemäß fertig wurde.
Unsere im Frühjahr begonnene Schafaktion "Schafe schaffen Hoffnung" (Schaschaho) konnte dank der Hilfe des österreichischen Militärs in Bosnien sehr gut weitergehen. Es kam noch Geld von der Hochzeit von Marlene und Hannes dazu, die statt Geschenken die Schafaktion unterstützten. Ich konnte schon die ersten gestrickten Schafwollsocken nach Österreich bringen. Das Schafprojekt ist nun abgeschlossen.

Meine Gedanken, meine Ziele sind nun verstärkt bei den Behinderten. Der im Vorjahr aus Österreich überstellte VW-Bus für den Transport der Behinderten zum und vom Tagestherapiezentrum Koraci nade (Schritte der Hoffnung) in Tuzla ist weiterhin optimal. Doch wie geht es weiter wenn diese Kinder erwachsen sind? Ausbildung für diese ist in Bosnien aus finanzieller Hinsicht sehr schwierig. Auch geht der Prozess des Umdenkens von Wert des behinderten Menschen noch sehr langsam vor sich. Koraci nada leistet da vorbildliche Arbeit und bindet auch die Mütter (selten kommen Väter) mit in die Therapie ein. Die Mütter werden gestärkt und bekommen doch ein wenig mehr Selbstbewusstsein.
Koraci Nade (KN) haben wir unterstützt und werden es auch weiter tun. Ich lege den von Nirmel in Deutsch selbst geschriebenen Lebenslauf und Wohnungs-Situationsbericht bei.

KN hat mich, ohne dass ich davon wusste, beim Gemeinderat von Tuzla für eine Ehrenbürgerschaft eingegeben. Während meines diesmaligen Bosnienaufenthaltes erhielt ich Nachricht, dass der Gemeinderat diese Ehrenbürgerschaft beschlossen hat und sie mir am 2. Oktober im Rahmen einer Festveranstaltung (Befreiungstag), neben 10 Herren, die eine Verdienstplankette bekommen, übergeben möchten. Ich war schon sehr verlegen, als ich dies erfuhr. Nur langsam realisierte ich, dass diese Anerkennung für soziale Arbeit einer Frau, noch dazu aus einem anderen Land, eine besondere Wertschätzung dieser sozialen Arbeit ist. Dem Aufbau von Politik, Wirtschaft und Kultur hinkt der Aufbau von Sozialem in Bosnien noch nach. Wegschauen bei Behinderungen tut weh, Mitleid hilft nicht; Anerkennung, Wertschätzung, Ehre sind notwendig. So nahm ich diese Anerkennung an mit der Bitte, dass ich mich mit ein paar Sätzen bedanken kann, dass ich auf die Behinderten aufmerksam machen kann und dass dies der gelähmte NIRMEL am Podium übersetzt. Die Bedenken, dass der Rollstuhl nicht auf das Podium gebracht werden kann, konnte ich gleich mit meiner Zusage, dass ich mich darum kümmere, entkräften.
Nach einem Telefonat mit unserem österreichischen Botschafter Dr. W. Almhofer in Sarajevo, der mir nicht nur gratulierte, sondern auch Schutz zusicherte, sagte ich mein Kommen zur Übergabe zu. Schon bald meldete sich Oberstleutnant Pokorny, ein hoher Offizier der österreichischen EUFOR-Truppe in Tuzla, der mich im Auftrag des H. Botschafters begleiten werde. Nach einem sehr langen guten Gespräch mit Oberstleutnant Peter Pokorny und dem Pressechef Major Hirsch konnte ich beruhigt der Feierlichkeit entgegen sehen, versprachen sie mir doch auch sofort und so ganz selbstverständlich, mit dem Rollstuhl zu helfen.
Am 2. Oktober vormittag war diese Feier, doch knapp vor Beginn eröffnete man uns, dass es im Protokoll nicht vorgesehen ist, dass ich etwas sagen darf und auch Nirmel nicht auf die Bühne kann/darf. Trotz diplomatischen Bemühungen von Herrn Oberstleutnant Pokorny, das Protokoll umzustürzen (und er hat Krisenmanagement Erfahrungen!!), blieb es beim Verbot. Ich hätte gerne die Ehre mit den Behinderten geteilt. "Missverständnisse" gibt es in Bosnien immer wieder.
Herr Prof. Dr. M. Salzer aus Wien, Gründer des Vereins Doctors for disabled arbeitet mit seiner Aktion in Bosnien und macht dort auf die Situation der Behinderten aufmerksam. Ihm wird es sicher gelingen, auch staatliche bosnische Institutionen für mehr Einsatz bei der Förderung von Behinderten zu motivieren.
Wir machen mit unseren Patenschaften weiter, die eine oder andere Patenschaft hört auf, aber neue "Anwärter" sind immer vorhanden. Zusätzlich gibt es immer wieder dringend benötigte EXTRAS: Heizmaterial, Haus- und Wohnungsverbesserungen, Mietzuschüsse, Nutztiere, Samen, Therapien, Heilbehelfe, Medikamente, Operationen, Ausbildungen, gesponserte Arbeitsstellen und einmal im Jahr eine Einladung für einen Urlaub für eine bedürftige Familie. Heuer hatten wir ein Ehepaar mit fünf Kindern in Murau/Steiermark. Die vielen schönen Ausflüge, die Berg- und Radtouren mit dieser Familie waren nur mit Hilfe von vielen Murauern möglich! Besonders glücklich war die Familie, dass man hier so unbesorgt in die Natur gehen kann, denn Bosnien ist noch sehr vermint.
ÖSTERREICH IST MINENFREI!
Ganz fröhlich und erholt fuhr die Familie nach 15 Tagen wieder nach Bosnien zurück. Ja, ein kleines fröhliches Rätsel zum Abschluss: Da gibt es in Bosnien eine Maschine, die "vesela masina" (fröhliche Maschine) heißt und jetzt im September und Oktober in den Dörfern arbeitet. Ich würde gerne mit dem Produkt der vesela masina jedem von euch Gesundheit und Danke zurufen!

Mit ganz lieben Grüßen Eure/Ihre/Deine

 

annemariekury@hotmail.com