Bosnienreise 30. März – 3. April 2004

Mit dem Herzen habe ich Annemaries Fahrten fast seit Anbeginn begleitet. Ich kenne alle ihre Schützlinge aus ihren Erzählungen und Berichten. Mitgefahren bin ich zum ersten Mal und bin sehr froh darüber. Wir sind am Samstag vor dem Palmsonntag zurückgekommen. Unter dem Eindruck des Erlebten habe ich am Palmsonntag die Passion noch nie so innig, so traurig, aber auch so zweifelnd gehört.
Mein erster Eindruck von Bosnien war: unvorstellbare Umweltverschmutzung. Nicht in den Städten, sondern auf den Feldern, im Wald und in den Flüssen. Alles, vor allem Plastik, wird weggeworfen und dann vom Wind vertragen. Manche Gebiete könnte man, selbst wenn man wollte, nicht reinigen, weil vermint.

Mein zweiter Eindruck war: "die" brauchen gar keine Hilfe mehr. Rechts und links neben der Straße stehen überdimensionierte Häuser, mit Protzzäunen und Protzbalkonen. Ein Statussymbol scheint ein weißer Schwan zu sein, anzunehmen: made in Hongkong. So geht es vermutlich den internationalen Hilfsorganisation. Wenn man aber mit Annemarie und Miroslav fahrt, dann allerdings erfährt man von dem anderen Bosnien, dem Bosnien der Flüchtlinge im Land. Die Protzhäuser, die auch meist leer stehen, wurden von den Flüchtlingen gebaut, die ins Ausland geflüchtet sind. Jene, die geblieben sind, sind auch heute noch mit großer Armut und ethnischen Konflikten (um nicht Hass zu sagen) konfrontiert. So will eine Muslimin die Dekubitusmatratze für ihren schwer kranken Sohn nicht verwenden, weil sie von Christen stammt; so will ein katholischer Priester seine Schuhe vor einem muslimischen Haus nicht ausziehen. So antwortet ein katholischer Kaplan auf die Frage, welche Sicherheit er bieten könnte, dass die von ihm geforderte Investition von € 50.000,- entsprechend der Widmung verwendet wird: "Wenn wir das Geld veruntreuen, können Sie uns ja am nächsten Baum aufhängen." So zeichnet ein 4jähriges Kind eine Landschaft, in der man nicht den direkten Weg zum erwünschten Ziel wählen kann, weil vermint. Die einzigen Worte, die dieses Vorschulkind schreiben kann, sind sein Name, Mine und Bombe.

Aber dank Annemarie haben wir auch viel Positives gesehen, nämlich all das, was sie in jahrelanger Kleinarbeit aufgebaut hat. Wir haben ein Behinderten-Tages- und Therapiezentrum besucht, das vor Liebe strahlt und ein Beispiel für so manche unserer Behindertenzentren sein könnte; wir haben Nermina besucht, die nur Dank Annemaries Fürsorge noch leben will.

Wir haben Samra auf ihren operierten Beinen stehen und lachen gesehen.

Immer wieder kam Annemarie auf eine Sorge zu sprechen: es werde immer nur ihr gedankt, dabei ist alles nur dank der unermüdlichen Spenden möglich, mögen sie auch noch so klein sein. Wie kann man alle Spender an der Freude teilhaben lassen? Ich kann nur sagen: Es können sich alle freuen, und es können alle sicher sein, dass ihr Geld und ihre Spenden und die Anteilnahme am richtigen Ort landet.
Ich habe gerade einen Satz in einem Kommentar zu den Abschiedsreden im Johannes-Evangelium gelesen: "Wo wir einander ein Stück begleiten und der andere sich selber durch uns für wichtig und wesentlich angesehen fühlt, so sehr, dass er das Vertrauen aufbaut, in alle Ewigkeit eine solche Gültigkeit und Unvertauschbarkeit in seinem Dasein zu besitzen, werden wir fähig, das abgründige Geheimnis hinter aller Welt zu bezeichnen als unseren Vater."

Annemarie - und mit ihr alle Spender - tun eben dies: vom Schicksal sozusagen Vergessene ein Stück begleiten, und bauen dadurch Vertrauen in die Mitmenschen und sich selbst, vielleicht sogar in Gott auf.

Dr. Johanna Kammerlander, Wien 12.4.2004

 

annemariekury@hotmail.com