Die Kronenzeitung, Sonntag, 7. September 2008
Als vagabundierender Kulturwissenschafter wandere ich vom Bahnhof in Innsbruck zur katholischen Fakultät der Universität Innsbruck. Herr Dr. Johannes Panhofer hat mich hierher eingeladen, um über meine Forschungen zu erzählen. Ich tue dies auch und hoffe, dass meine Art des Forschens Verständnis findet. Ich verabschiede mich nach einem Schluck Wein herzlich.
Ich wandere zum Platz beim nahen "Goldenen Dachi". Mich fasziniert der Anblick dieses spätgotischen Erkers, der zwischen 1497 und 1500 auf Wunsch Kaiser Maximilians I. errichtet und mit 2657 feuervergoldeten Kupferschindeln gedeckt wurde. Japaner bleiben stehen, fotografieren dieses in der Sonne glänzende "Dachl", und eine Fremdenführerin erzählt auf Englisch offensichtlich Spannendes über Kaiser Maximilian und seine beiden Gemahlinnen, die mit dem Kanzler, dem Hofnarren und so genannten Moriskentänzern im Relief an der Mauer des "Dachls" dargestellt sind. Diese Moriskentänzer haben es mir angetan. Morisken wurden die Mauren in Spanien genannt, nachdem sie dort im Jahre 1492 besiegt worden waren. Im Wort "Moriske" steckt das spanische Wort "morisco", was so viel wie "kleiner Maure" bedeutet. Die Mauren, daran denke ich hier, hatten 700 Jahre in Spanien geherrscht. Sie waren auf Wunsch von einigen Goten im Jahre 711 nach Spanien gekommen, eroberten dieses und bauten eine wunderbare Kultur auf, der wir die Null, das Papier und das tägliche Waschen verdanken. Gegen diese Maurenkultur wurde der heilige Jakob eingesetzt und der Jakobsweg geschaffen. Den in Spanien gebliebenen Mauren, also den Morisken, ging es schlecht. Sie wurden gezwungen, katholisch zu werden oder Spanien zu verlassen.
Ausgewiesenen brachten Tänze in das übrige Europa, die zu den Volksbelustigungen der damaligen Art gehörten. Bei diesen Tänzen traten die Akteure in bunten Gewändern und engen Beinlingen und lockeren Obergewändern auf. Darstellungen dieser Tänzer finden sich am Alten Landhaus in München, aber auch hier in Innsbruck am "Goldenen Dachl".
Die Mauren erscheinen dem Kaiser gefährlich
Seit damals, also seit dem 15. Jahrhundert, soll auf der kroatischen Insel Korcula der Moriskentanz jährlich am 29. Juli aufgeführt werden, ähnlich auch in England. Hier am Relief des "Goldenen Dachls" fällt auch ein Schriftband auf, das bis heute nicht entziffert werden konnte. Es ist höchst geheimnisvoll. Ich überlege, ob nicht arabische Zeichen Pate für diese Schrift gestanden sein könnten. Der Maler war vielleicht nicht einer von den Morisken, die hier prächtig dargestellt sind, begeistert, sondern auch von der Schrift der Mauren. Genaue Hinweise fehlen. Ich blicke herum und setze mich, es ist ein warmer Tag, in den Sessel eines Kaffeehauses unweit beim "Dachl". Ich genieße meinen Tee. Noch etwas fällt mir hier auf. An einer Tafel wird eines gewissen Jakob Hutters gedacht, der im Jahre 1536 in Innsbruck beim "Goldenen Dachl" als Ketzer verbrannt wurde. Nicht nur die Mauren erschienen den katholischen Kaisern für gefährlich, sondern auch dieser wackere Jakob Hutter. Er ist der Namensgeber für die heute noch in Kanada und den USA lebenden Hutterer, die einen alten deutschen Dialekt sprechen. Jakob Hutter stammte aus dem kleinen Ort St. Lorenzen bei Bruneck in Südtirol. Als Hutmacher hatte er sich auf Wanderschaft begeben und hatte sich dabei mit jenen Leuten zusammengetan, die meinten, nur die Erwachsenentaufe würde die echte sein. Man nannte sie die Täufer oder Wiedertäufer. Diese Leute wurden brutal verfolgt. Einige wanderten von Tirol nach Mähren aus. Hutter selbst blieb zunächst in Tirol. 1527 hatte Erzherzog Ferdinand verkündet, dass man derartige "verführerische Lehren und ketzerischen Sekten" nicht dulden werde. Um der Verfolgung zu entgehen, flüchtete nun auch Jakob Hutter nach Mähren. Unter seiner Führung erreichten die Täufer in Mähren eine Blütezeit, Siedlungen wurden gegründet, in denen die urchristliche Gütergemeinschaft verwirklicht werden konnte. Hutter reiste wieder nach Tirol, das war sein Fehler, denn am 30. 11. 1535 wurde er in Klausen verhaftet. Er wurde grausamen Verhörmethoden unterzogen, die ihn aber nicht brechen konnten. Im Februar 1536 wurde er schließlich hier beim "Goldenen Dachl" verbrannt. Daran denke ich, während ich meine Schritte zum Bahnhof lenke. Ich wünsche Herrn Dr. Johannes Panhofer und jenen Damen und Herren, die ich in seiner Umgebung kennen gelernt habe, das Beste und ziehe weiter.