Die Krone, Sonntag, 28. Februar 2007, Seite 17
Die Kleinsassers, Wollmans und Hofers (v.l.) bei ihrem ersten Besuch im Land
der Ahnen
Auf den Tag genau vor 471 Jahren wurde Jakob Hutter, Symbolfigur und
Namensgeber der Tiroler Täuferbewegung, vor dem Goldenen Dachl am
Scheiterhaufen verbrannt. 400 seiner Glaubensbrüder und -schwestern wurden
ebenfalls hingerichtet, die anderen aus Tirol vertrieben.
Dass die hutterische Gemeinschaft nicht zerfiel und heute noch an die 45.000
Mitglieder in Nordamerika zählt, hat vor allem mit einer Tatsache zu tun: Wie
kaum eine Gemeinschaft halten die Hutterer an ihren jahrhundertealten
Traditionen und Lebensentwürfen fest. Bei einem Tirol-Besuch gewährten drei
Hutterer-Familien aus Kanada im "Krone"-Gespräch Einblick in ihr
Leben auf den so genannten Bruderhöfen.
"Wir sind 21 Familien mit derzeit 98 Männern, Frauen und Kindern",
erzählt Fred Kleinsasser von jenem Bruderhof in Kanada, dem auch er angehört.
Kein Privateigentum
Privateigentum gibt es keines, die Gemeinschaft steht über dem Einzelnen.
Kirchliche und weltliche Machtstrukturen lehnen die Hutterer ab, ebenso den
Kriegsdienst. Sie haben ihre eigenen Ordnungen, ihre eigenen Hierarchien, die
das Leben auf den Bruderhöfen strukturieren. Die Ehe ist bei den Hutterern noch
immer ein Bund fürs Leben. Scheidungen gibt es praktisch keine. "Ein
Nachbar fragte einmal, warum unsere Hochzeiten zehn Tage dauern. Ich antwortete
ihm, weil das nur einmal im Leben vorkommt", weiß Paul Hofer, dass dieses
Verständnis von Ehe nicht mehr der Norm entspricht.
Tirolerisch zuerst
Eine weitere Besonderheit: Die Ausbildung der Kinder erfolgt nicht in den
staatlichen Schulen, sondern wird von der Gemeinschaft selbst übernommen.
"Alle unsere Kinder lernen zuerst die Muttersprache", erklärt Paul
Horer in jenem unverkennbaren tiroler-kärntnerischen Dialekt, den die Hutterer
auch heute noch sprechen. Ganz erstaunt ist Hofer, dass ihn bei seinem
Tirol-Besuch alle verstehen. Er ist das erste Mal hier und hatte bis jetzt keine
rechte Vorstellung davon, wie originalgetreu die Sprache von Generation zu
Generation weitergegeben worden war.
Lebensmodell in Gefahr
Dass das unbedingte Festhalten an den Traditionen und die damit verbundene
Abschottung zur Außenwelt Gefahren in sich birgt, ist Hofer und seinen
Begleitern bewusst. "Die jungen Leute zieht es in die Stadt", seufzt
Mike Wollman. Sie wollen die Anschaffung eines Computers oder eines
Fotoapparates nicht zuerst Jahre diskutieren müssen. Sie wollen teilhaben am
modernen Leben. Die Balance zwischen Öffnung nach außen und der Pflege des
alten Lebensmodells gilt es zu finden.
Tipp: Dr. Astrid von Schlachta von der Universität Innsbruck hat ein Buch über die wechselvolle Geschichte der Hutterer geschrieben: "Die Hutterer zwischen Tirol und Amerika" (Universitätsverlag Wagner). Das 232 Seiten umfassende Werk wird morgen im Innsbrucker Claudiasaal (Herzog-Friedrich-Straße 3) vorgestellt. Beginn der Veranstaltung ist um 19 Uhr.