Interreligiöser Dialog als Basis der Toleranz
Salzburg, 25.Sept. 1999

Entsprechend der an mich ergangenen Einladung, eine kurze Einführung vorzulegen zu der Forumsdiskussion zum Thema "Interreligiöser Dialog als Basis der Toleranz", sehe ich meine Aufgabe darin, aus der Sicht eines katholischen Christen einige Richtpunkte für das Gespräch vorzulegen. Ich setze Ihr Verständnis voraus, wenn ich hinweise zuerst auf das vielgebrauchte Wort "Dialog", in Verbindung mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Ich erinnere damit an das kurze, aber bedeutende Konzilsdokument "Nostra aetate" mit dem Hinweis, wörtlich: "Das Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen" verlange von Seiten der kirchlichen Versammlung eine besondere Aufmerksamkeit. Zum ersten Mal findet sich in einem Konzilsdokument ein solcher Hinweis; zudem mache ich aufmerksam auf die Existenz eines Vatikanischen Sekretariates oder päpstlichen Rates für den interreligiösen Dialog, von Paul VI. 1964, also zur Zeit des Konzils eingerichtet. Drittens weise ich hin auf jene Begegnung der Weltreligionen in Assisi im Herbst 1986, zu der Johannes Paul II. selbst eingeladen hatte. - Aus diesen drei Gesichtspunkten ergibt sich dann die Frage, wie dadurch unser heutiges Verständnis von Toleranz durch den interreligiösen Dialog beeinflusst wird oder beeinflusst werden kann.

Zum Ersten: Wie sich aus den Texten ergibt, hat das letzte Konzil dem innerkirchlichen Dialog ganz allgemein, dem ökumenischen Dialog, dem Dialog mit dem Judentum sowie der Religionen, und dem Dialog mit der Welt eine große Bedeutung beigemessen. "Es ist", so in "Christus Dominus", Nr. 13, "Pflicht der Bischöfe, zu den Menschen zu gehen und das Gespräch mit ihnen zu suchen und zu fördern . . ." Es ist dies der sogenannte "Heilsdialog", als Heilsauftrag der Kirche zu verstehen. Die Notwendigkeit des interreligiösen Dialoges wurde vom Konzil in der Einleitung zu "Nostra aetate" begründet mit den Worten: "In unserer Zeit, das sich das Menschengeschlecht von Tag zu Tag enger zusammenschließt ... erwägt die Kirche mit umso größerer Aufmerksamkeit, in welchem Verhältnis sie (d. h., die katholische Kirche) zu den nichtchristlichen Religionen steht."( Nostra aetate, Nr. 1, Einleitung). Damit sollte auch zum Ausdruck bringen, dass Wahrheitsfindung ganz allgemein in der Kirche dialogisch gesehen werden muss.
Bei einem so verstandenen Dialog dürfen weder äußere Überlegenheit, noch Zwang des Mächtigen eine Rolle spielen. Daraus folgt: Das Bemühen, den Standpunkt des Gesprächspartners zu verstehen, ihn ernst zu nehmen, ja, von ihm selber zu lernen, um den eigenen Standpunkt präzisieren zu können, - das darf nicht mit Standpunktlosigkeit verwechselt werden oder als Verlust der eigenen Identität angesehen werden.

Zum Zweiten: der interreligiöse Dialog. Die in unserer Zeit fast selbstverständlich gewordenen Begegnungen der verschiedenen Religionen und Kulturen durch eine globale Kommunikation veranlassten das letzte Konzil in einer eigenen "Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen" auf den Dialog mit anderen Religionen mit Nachdruck hinzuweisen, Ziele und Aufgaben zu benennen, wörtlich: "Nichts von alledem, was in diesen Religionen wahr und heilig ist", wird von der katholischen Kirche abgelehnt; ja, sie lassen vielmehr "einen Strahl jener Wahrheit erkennen, die alle Menschen erleuchtet." Man müsse mit "aufrichtigem Ernst" die Begegnung mit Menschen nichtchristlicher Religion suchen, "Gespräch und Zusammenarbeit" im Dialog werden daher begleitet vom Zeugnis des christlichen Glaubens und Lebens" (Nostra Aetate, 2). Der so bezeichnete interreligiöse Dialog ist daher nicht nur eine Theorie, sondern er schließt das gesamte menschliche Zusammenleben sowie den Dienst der Liebe und den Dienst des Zeugnisses ein, was ohne Vertiefung und Festigung des eigenen Standpunktes kaum möglich sein wird.
Im Jahre 1991 publizierte die zuständige päpstliche Kommission einige ergänzende Hinweise auf die Art dieses Dialoges. So zum Beispiel: es soll ein "Dialog des Lebens" sein, der das nachbarschaftliche Zusammenleben, Freud und Leid, alle Schwierigkeiten und Beschwernisse miteinander teilen hilft. Ein "Dialog des Handelns" soll der gesellschaftlichen Entwicklung und Orientierung der Menschen dienen, ein "Dialog des dialogischen Austausches" soll das Verständnis für die gegenseitigen Werte vertiefen und schätzen helfen und ein "Dialog der religiösen Erfahrung" den Dialogpartnern helfen, ihre eigene Religiosität zu vertiefen.

Zum Dritten: Noch ein kurzer Hinweis auf jenes Ereignis von Assisi aus dem Jahre 1986: Jenes Zusammentreffen verschiedener Vertreter der großen Religionen hatte seinerzeit Verwunderung ausgelöst und den Papst selber in manche Schwierigkeiten gebracht. Er hatte damals in Assisi, vor seinen geladenen Gästen festgestellt, wörtlich: "Die Herausforderung des Friedens, wie sie sich gegenwärtig jedem menschlichen Gewissen stellt, übersteigt die religiösen Differenzen. Es geht um das Problem einer angemessenen Qualität des Lebens für alle, um das Problem des Überlebens für die Menschheit, um das Problem von Leben und Tod, ... mehr vielleicht als je zuvor in der Geschichte ist die innere Verbindung zwischen einer aufrichtigen religiösen Haltung und dem großen Gut des Friedens allen deutlich geworden." - Die einzelnen Vertreter der Religionen hatten damals im Sinne der Friedensaufgabe der Religionen jeweils ein Friedensgebet gesprochen.
Der interreligiöse Dialog verlangt daher gegenseitige Toleranz, das heißt, Duldung der Meinung und des Standpunktes eines anderen. Er führt zur Koexistenz des Miteinander Lebens und Handelns, wie es etwa das Gemeinwohl in einem demokratischen Zusammenleben erfordert. Durch eine tolerante Einstellung, Haltung soll die Verschiedenheit bewältigt und das vorhandene Konfliktpotential miteinander aufgelöst werden. Ein praktisches Beispiel ist hiefür die friedliche Koexistenz von sprachlichen, nationalen, religiösen Minderheiten und Mehrheiten in einem Staat.

Im Katechismus der katholischen Kirche wird der Begriff "Toleranz" in folgender Weise beschrieben: "Zum menschlichen Umgang miteinander gehört immer die Haltung der Toleranz. Sie verlangt, dass ein Mensch darauf verzichtet, den anderen auf etwas festzulegen, was dieser nicht anerkennen kann. Toleranz gönnt dem anderen sein anders-sein, sie erträgt dieses anders-sein und schützt es gegenüber der Bedrohung durch Macht und Gewalt. Deshalb ist Toleranz besonders dort am Platze, wo Minderheiten ihre berechtigten Ansprüche nur ungenügend in die Öffentlichkeit einbringen können. In der Haltung der Toleranz gibt der Christ keineswegs die im Glauben erkannte Wahrheit auf, aber er respektiert die Würde der Person des anderen in dessen persönlicher Überzeugung, die er selbst nicht teilt." (Erwachsenenkatechismus II, 246).
Für den praktischen Gebrauch wird in der Regel zwischen einer formalen und einer inhaltlichen Toleranz unterschieden. Eine formale Toleranz nimmt die Meinung, den Standpunkt des anderen widerspruchslos zur Kenntnis, ohne nach dem Warum zu fragen, ohne gegenseitig Vorurteile abzubauen, das gegenseitige Verständnis im Gespräch zu fördern. Das heißt, Vorurteile und Widersprüche bleiben bestehen. Die Gefahr der Überheblichkeit oder der einfachen Ausgrenzung liegt nahe. - Eine inhaltliche Toleranz besteht in einer freien Anerkennung verschiedener und gegensätzlicher Meinungen und Standpunkte, im Gespräche voneinander zu lernen, Vorurteile abzubauen und aus Gründen des Respektes vor der menschlichen Freiheit und Würde, vor den menschlichen Grundrechten zu akzeptieren.
In einer "Erklärung über die Religionsfreiheit" stellt das letzte Konzil fest (Nr. 2), dass die menschliche Person das Recht auf religiöse Freiheit hat. Diese Freiheit besteht darin, dass alle Menschen frei sein müssen von jedem Zwang, sowohl von Seiten einzelner wie gesellschaftlicher Gruppen, besonders jeglicher menschlichen Gewalt; "in religiösen Dingen kann niemand gezwungen werden, gegen sein Gewissen zu handeln, kann auch nicht daran gehindert werden, privat und öffentlich, als Einzelner oder in Verbindung mit anderen, nach seinem eigenen Gewissen zu handeln." Und der Text fügt dann am Schluss noch hinzu: "Dieses Recht der menschlichen Person auf religiöse Freiheit muss in der rechtlichen Ordnung der Gesellschaft so anerkannt werden, dass es zum bürgerlichen Recht wird." (Nr. 2) - Der Respekt vor der menschlichen Würde, vor seinem Gewissen, sowie vor den unverletzlichen Menschenrechten begründet die sogenannte religiöse Toleranz im Sinne der katholischen Kirche von heute.

Dank nach der Auszeichnung

1. Toleranz ist aber nicht nur ein Begriff, eine begriffliche Feststellung, sondern ein menschliches Verhalten, das durch ein besonderes Training zu erreichen ist. In diesem Zusammenhang erinnere ich an die alte Tradition der Kardinalstugenden: der Klugheit, die fähig macht, sich ein Urteil über Folgen seines eigenen Handelns zu bilden, die Gerechtigkeit als Grundhaltung, jedem das Seine zu geben; die Tapferkeit als Bereitschaft, Zeugnis zu geben und das Maßhalten als Selbstbeherrschung und ein Finden des rechten Maßes. - In der Welt von heute fügen wir noch ergänzend weitere vier Begriffe hinzu, die für das menschliche und ethische Verhalten maßgebend sind: Es ist dies: Toleranz und Ehrfurcht, Solidarität und Friedensliebe.

2. Eine menschliche und religiöse Toleranz hat schließlich ihre Wurzeln in der Gottes- und Nächstenliebe des Alten Testamentes wie der Bergpredigt.

3. Gefahren für die Toleranz: Gleichgültigkeit und Egoismus - die Gefahr des Durcheinanders und der Ruf nach dem "starken Mann".

 

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