Entsprechend der an mich ergangenen Einladung, eine kurze Einführung vorzulegen zu der Forumsdiskussion zum Thema "Interreligiöser Dialog als Basis der Toleranz", sehe ich meine Aufgabe darin, aus der Sicht eines katholischen Christen einige Richtpunkte für das Gespräch vorzulegen. Ich setze Ihr Verständnis voraus, wenn ich hinweise zuerst auf das vielgebrauchte Wort "Dialog", in Verbindung mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Ich erinnere damit an das kurze, aber bedeutende Konzilsdokument "Nostra aetate" mit dem Hinweis, wörtlich: "Das Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen" verlange von Seiten der kirchlichen Versammlung eine besondere Aufmerksamkeit. Zum ersten Mal findet sich in einem Konzilsdokument ein solcher Hinweis; zudem mache ich aufmerksam auf die Existenz eines Vatikanischen Sekretariates oder päpstlichen Rates für den interreligiösen Dialog, von Paul VI. 1964, also zur Zeit des Konzils eingerichtet. Drittens weise ich hin auf jene Begegnung der Weltreligionen in Assisi im Herbst 1986, zu der Johannes Paul II. selbst eingeladen hatte. - Aus diesen drei Gesichtspunkten ergibt sich dann die Frage, wie dadurch unser heutiges Verständnis von Toleranz durch den interreligiösen Dialog beeinflusst wird oder beeinflusst werden kann.
Zum Ersten: Wie sich aus den Texten ergibt, hat das letzte Konzil dem
innerkirchlichen Dialog ganz allgemein, dem ökumenischen Dialog, dem Dialog mit
dem Judentum sowie der Religionen, und dem Dialog mit der Welt eine große
Bedeutung beigemessen. "Es ist", so in "Christus Dominus",
Nr. 13, "Pflicht der Bischöfe, zu den Menschen zu gehen und das Gespräch
mit ihnen zu suchen und zu fördern . . ." Es ist dies der sogenannte
"Heilsdialog", als Heilsauftrag der Kirche zu verstehen. Die
Notwendigkeit des interreligiösen Dialoges wurde vom Konzil in der Einleitung
zu "Nostra aetate" begründet mit den Worten: "In unserer Zeit,
das sich das Menschengeschlecht von Tag zu Tag enger zusammenschließt ...
erwägt die Kirche mit umso größerer Aufmerksamkeit, in welchem Verhältnis
sie (d. h., die katholische Kirche) zu den nichtchristlichen Religionen
steht."( Nostra aetate, Nr. 1, Einleitung). Damit sollte auch zum Ausdruck
bringen, dass Wahrheitsfindung ganz allgemein in der Kirche dialogisch gesehen
werden muss.
Bei einem so verstandenen Dialog dürfen weder äußere Überlegenheit, noch
Zwang des Mächtigen eine Rolle spielen. Daraus folgt: Das Bemühen, den
Standpunkt des Gesprächspartners zu verstehen, ihn ernst zu nehmen, ja, von ihm
selber zu lernen, um den eigenen Standpunkt präzisieren zu können, - das darf
nicht mit Standpunktlosigkeit verwechselt werden oder als Verlust der eigenen
Identität angesehen werden.
Zum Zweiten: der interreligiöse Dialog. Die in unserer Zeit fast
selbstverständlich gewordenen Begegnungen der verschiedenen Religionen und
Kulturen durch eine globale Kommunikation veranlassten das letzte Konzil in
einer eigenen "Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den
nichtchristlichen Religionen" auf den Dialog mit anderen Religionen mit
Nachdruck hinzuweisen, Ziele und Aufgaben zu benennen, wörtlich: "Nichts
von alledem, was in diesen Religionen wahr und heilig ist", wird von der
katholischen Kirche abgelehnt; ja, sie lassen vielmehr "einen Strahl jener
Wahrheit erkennen, die alle Menschen erleuchtet." Man müsse mit
"aufrichtigem Ernst" die Begegnung mit Menschen nichtchristlicher
Religion suchen, "Gespräch und Zusammenarbeit" im Dialog werden daher
begleitet vom Zeugnis des christlichen Glaubens und Lebens" (Nostra Aetate,
2). Der so bezeichnete interreligiöse Dialog ist daher nicht nur eine Theorie,
sondern er schließt das gesamte menschliche Zusammenleben sowie den Dienst der
Liebe und den Dienst des Zeugnisses ein, was ohne Vertiefung und Festigung des
eigenen Standpunktes kaum möglich sein wird.
Im Jahre 1991 publizierte die zuständige päpstliche Kommission einige
ergänzende Hinweise auf die Art dieses Dialoges. So zum Beispiel: es soll ein
"Dialog des Lebens" sein, der das nachbarschaftliche Zusammenleben,
Freud und Leid, alle Schwierigkeiten und Beschwernisse miteinander teilen hilft.
Ein "Dialog des Handelns" soll der gesellschaftlichen Entwicklung und
Orientierung der Menschen dienen, ein "Dialog des dialogischen
Austausches" soll das Verständnis für die gegenseitigen Werte vertiefen
und schätzen helfen und ein "Dialog der religiösen Erfahrung" den
Dialogpartnern helfen, ihre eigene Religiosität zu vertiefen.
Zum Dritten: Noch ein kurzer Hinweis auf jenes Ereignis von Assisi aus dem
Jahre 1986: Jenes Zusammentreffen verschiedener Vertreter der großen Religionen
hatte seinerzeit Verwunderung ausgelöst und den Papst selber in manche
Schwierigkeiten gebracht. Er hatte damals in Assisi, vor seinen geladenen
Gästen festgestellt, wörtlich: "Die Herausforderung des Friedens, wie sie
sich gegenwärtig jedem menschlichen Gewissen stellt, übersteigt die
religiösen Differenzen. Es geht um das Problem einer angemessenen Qualität des
Lebens für alle, um das Problem des Überlebens für die Menschheit, um das
Problem von Leben und Tod, ... mehr vielleicht als je zuvor in der Geschichte
ist die innere Verbindung zwischen einer aufrichtigen religiösen Haltung und
dem großen Gut des Friedens allen deutlich geworden." - Die einzelnen
Vertreter der Religionen hatten damals im Sinne der Friedensaufgabe der
Religionen jeweils ein Friedensgebet gesprochen.
Der interreligiöse Dialog verlangt daher gegenseitige Toleranz, das heißt,
Duldung der Meinung und des Standpunktes eines anderen. Er führt zur Koexistenz
des Miteinander Lebens und Handelns, wie es etwa das Gemeinwohl in einem
demokratischen Zusammenleben erfordert. Durch eine tolerante Einstellung,
Haltung soll die Verschiedenheit bewältigt und das vorhandene Konfliktpotential
miteinander aufgelöst werden. Ein praktisches Beispiel ist hiefür die
friedliche Koexistenz von sprachlichen, nationalen, religiösen Minderheiten und
Mehrheiten in einem Staat.
Im Katechismus der katholischen Kirche wird der Begriff "Toleranz"
in folgender Weise beschrieben: "Zum menschlichen Umgang miteinander
gehört immer die Haltung der Toleranz. Sie verlangt, dass ein Mensch darauf
verzichtet, den anderen auf etwas festzulegen, was dieser nicht anerkennen kann.
Toleranz gönnt dem anderen sein anders-sein, sie erträgt dieses anders-sein
und schützt es gegenüber der Bedrohung durch Macht und Gewalt. Deshalb ist
Toleranz besonders dort am Platze, wo Minderheiten ihre berechtigten Ansprüche
nur ungenügend in die Öffentlichkeit einbringen können. In der Haltung der
Toleranz gibt der Christ keineswegs die im Glauben erkannte Wahrheit auf, aber
er respektiert die Würde der Person des anderen in dessen persönlicher
Überzeugung, die er selbst nicht teilt." (Erwachsenenkatechismus II, 246).
Für den praktischen Gebrauch wird in der Regel zwischen einer formalen und
einer inhaltlichen Toleranz unterschieden. Eine formale Toleranz nimmt die
Meinung, den Standpunkt des anderen widerspruchslos zur Kenntnis, ohne nach dem
Warum zu fragen, ohne gegenseitig Vorurteile abzubauen, das gegenseitige
Verständnis im Gespräch zu fördern. Das heißt, Vorurteile und Widersprüche
bleiben bestehen. Die Gefahr der Überheblichkeit oder der einfachen Ausgrenzung
liegt nahe. - Eine inhaltliche Toleranz besteht in einer freien Anerkennung
verschiedener und gegensätzlicher Meinungen und Standpunkte, im Gespräche
voneinander zu lernen, Vorurteile abzubauen und aus Gründen des Respektes vor
der menschlichen Freiheit und Würde, vor den menschlichen Grundrechten zu
akzeptieren.
In einer "Erklärung über die Religionsfreiheit" stellt das letzte
Konzil fest (Nr. 2), dass die menschliche Person das Recht auf religiöse
Freiheit hat. Diese Freiheit besteht darin, dass alle Menschen frei sein müssen
von jedem Zwang, sowohl von Seiten einzelner wie gesellschaftlicher Gruppen,
besonders jeglicher menschlichen Gewalt; "in religiösen Dingen kann
niemand gezwungen werden, gegen sein Gewissen zu handeln, kann auch nicht daran
gehindert werden, privat und öffentlich, als Einzelner oder in Verbindung mit
anderen, nach seinem eigenen Gewissen zu handeln." Und der Text fügt dann
am Schluss noch hinzu: "Dieses Recht der menschlichen Person auf religiöse
Freiheit muss in der rechtlichen Ordnung der Gesellschaft so anerkannt werden,
dass es zum bürgerlichen Recht wird." (Nr. 2) - Der Respekt vor der
menschlichen Würde, vor seinem Gewissen, sowie vor den unverletzlichen
Menschenrechten begründet die sogenannte religiöse Toleranz im Sinne der
katholischen Kirche von heute.
Dank nach der Auszeichnung
1. Toleranz ist aber nicht nur ein Begriff, eine begriffliche Feststellung, sondern ein menschliches Verhalten, das durch ein besonderes Training zu erreichen ist. In diesem Zusammenhang erinnere ich an die alte Tradition der Kardinalstugenden: der Klugheit, die fähig macht, sich ein Urteil über Folgen seines eigenen Handelns zu bilden, die Gerechtigkeit als Grundhaltung, jedem das Seine zu geben; die Tapferkeit als Bereitschaft, Zeugnis zu geben und das Maßhalten als Selbstbeherrschung und ein Finden des rechten Maßes. - In der Welt von heute fügen wir noch ergänzend weitere vier Begriffe hinzu, die für das menschliche und ethische Verhalten maßgebend sind: Es ist dies: Toleranz und Ehrfurcht, Solidarität und Friedensliebe.
2. Eine menschliche und religiöse Toleranz hat schließlich ihre Wurzeln in der Gottes- und Nächstenliebe des Alten Testamentes wie der Bergpredigt.
3. Gefahren für die Toleranz: Gleichgültigkeit und Egoismus - die Gefahr des Durcheinanders und der Ruf nach dem "starken Mann".