Menschenhandel hat dem Drogen- und Waffengeschäft längst den Rang
abgelaufen. Dieses gewaltige Business wird durch Zahlungen der EU und Deals mit Diktatoren kaum zu stoppen sein.
Im Oktober 2008 inmitten der Finanzkrise ließ der Chef des Wiener UNO-Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung UNODC aufhorchen. "Drogengeld ist derzeit das einzig liquide Kapital", so der damalige Direktor Antonio Maria Costa.
Mafia-Mittel ermöglichten laut UNODC im Herbst 2008 die Kreditvergabe zwischen den Banken, sonst wäre alles still gestanden.
Das organisierte Verbrechen ist längst Teil der globalen Wirtschaft. Der Menschenhandel ist makabrer Wachstumsmarkt angesichts der hohen Zahl von Kriegsvertriebenen und Wirtschaftsmigranten. Politik und Justiz hecheln trotz UN-Konventionen und polizeilicher Zusammenarbeit den Schleppern und ihren Hintermännern hinterher. Wer die Filme bzw. Romane "Der Pate" von Francis Coppola und Mario Puzo in Erinnerung hat, weiß, wie aus Kleinkriminellen und Auftragsmördern ehrenwerte Geschäftsleute werden. Der Pate Don Corleone verstand auf Rat seines Anwalts in einer Schlüsselszene in "Der Pate III", wie man mit wenig Geld viel Geld bewegt; also nicht mehr Schutzgelder im Viertel eintreibt, sondern oben mitmischt. Nicht umsonst rügt der Verbrechensexperte Costa "das Heer der Gentlemen-Verbrecher" - der Geldwäscher im Nadelstreif.
Es geht um gewaltige Umsätze, die sich niemand so rasch entreißen lässt
Seit Jahren gewinnt der Menschenhandel gegenüber Drogen und Waffen an Bedeutung in der Kriminalitätsstatistik. Menschenhandel ist nicht Menschenschmuggel, und Schleuser oder Schlepper sind keine Menschenhändler. Aber es gibt Überschneidungen. Denn die Schleuser, die sich selbst als Fluchthelfer sehen, setzen ebenso oft Gewalt ein und täuschen ihre Opfer. Ein großer Unterschied liegt aber darin, dass das Schleusen eines Migranten am Zielort zu Ende ist. Menschenhandel hingegen kann erst dort beginnen, wo es um Ausbeutung, ob als Erntehelfer oder in der Prostitution, geht.
Der UNO-Diplomat Costa warnte vor Jahren angesichts der Bedrohungen durch das globalisierte Verbrechen, dass "die strafrechtliche Verfolgung der
Mafia die illegalen Aktivitäten nicht stoppen wird, solange die dahinterstehenden Märkte nicht angegangen werden". Zu meinen, man könnte derart lukrative Geschäfte wie jenes mit Flucht durch Verhaftung von Schleppern und Verträge mit Diktatoren unter Kontrolle bringen, ist naives Wunschdenken. Denn es geht um gewaltige Umsätze, die sich niemand so rasch entreißen lässt. Schon gar nicht, wenn diese der Finanzierung
von Terrormilizen dienen. Zu den finanzstärksten Gruppen der Branche zählt der Islamische Staat IS, der gemeinsam mit Schwesterorganisationen, wie Boko Haram in Nigeria, Menschen von Westafrika nach Europa schmuggelt.
Das organisierte Verbrechen und der Terrorismus bilden traditionell ein Tandem, das oftmals in der Terrorismusbekämpfung unterschätzt wird. Wenn Drogen synthetisch im Labor produziert werden und bei dem Überangebot auf dem Waffenmarkt die Preise schwächeln, dann gewinnt die Schlepperei von Migranten an Gewicht. Terroristen vom Atlantik bis um Pazifik haben dies erkannt. Märkte des internationalen Verbrechens sind mit Gewalt und Bestechung zu Zentren der Macht geworden.
Libyen war unter Langzeitherrscher Muammar al-Gaddafi Garant für die Eindämmung der Flüchtlingsströme aus Subsahara-Afrika. EU-Staaten und die Brüsseler Kommission überwiesen entsprechende Subventionen. Als im Zuge der "humanitären Intervention" der NATO im März 2011 al-Gaddafi gestürzt wurde, hielt er seine grotesk anmutende Abschiedsrede zwischen Ruinen.
Der in Ungnade seiner westlichen Geschäftspartner gefallene Oberst warnte vor einer Somalisierung Libyens, als Chaos, und großen Flüchtlingsströmen nach Europa.
Im Frühjahr 2011 begann die Mittelmeer-Route zu florieren, denn die Zäune und Patrouillen im zerfallenden Libyen funktionierten nicht mehr. Schlepper witterten die Gunst der Stunde und begannen, entlang der Mittelmeerküste von Gibraltar bis Albanien ihr Geschäftsmodell neu zu organisieren. Parallel wächst dieser Markt zwischen Lateinamerika und den USA, wo jährlich 2,5 bis 3 Millionen Migranten geschmuggelt werden. Dies bringt den Schmugglern allein in diesem Sektor fast sieben Milliarden US-Dollar ein. Bauten die USA ihre berüchtigte Mauer bereits vor Jahren, setzten die Europäer lange auf Bündnisse. Diese Verbündeten wurden aber gestürzt oder erweisen sich als Hypothek, wie der türkische Machthaber Erdoğan.
Einer Studie zufolge befeuert Rettung aus Seenot das Schleppergeschäft
Nunmehr soll die EU-Marine-Operation "Sophia", gestärkt mit einem Mandat des UNO-Sicherheitsrats, nicht nur Schlepper ausbooten, sondern auch Waffenschmuggel eindämmen. Bisher war dies auf internationale Gewässer beschränkt, beim Orten, Retten, bei der Übergabe von Schleusern an die italienische Justiz und dem Zerstören von Schleuser-Booten. "Sophia" soll dies künftig, auf Einladung der libyschen Regierung, auch in libyschen Hoheitsgewässern tun können. Und die Europäer werden darüber hinaus den Libyern beim Wiederaufbau einer Küstenwache unter die Arme greifen. Es gilt zu verhindern, dass wieder mehr Flüchtlinge aus Afrika über Libyen kommen, nachdem der Weg von der Türkei über Griechenland so gut wie blockiert ist. Die NATO könnte bald ihre Teilnahme beschließen.
Noch lässt diese Operation zum Schutz der EU-Außengrenzen mit konkreten Ergebnissen warten. Eine Studie der Universität Palermo zufolge befeuert die Rettung aus Seenot das Schleppergeschäft. 65 Millionen Menschen waren 2015 auf der Flucht. Dies sind um 10% mehr als im Jahr zuvor. Auch bei einer Stabilisierung der Kriege in Syrien oder in Somalia wird die Migration infolge des Bevölkerungswachstums weitergehen.
Afrika, weniger der Nahe Osten, wird zukünftige Flüchtlingsdramen bestimmen. Für Schleuser zeigen derzeit die Prognosen - tragisch, aber logisch - nur nach oben.
Quelle: Die Krone vom 26.06.2016