Leben von Vorbildern und Vorbildliches
Leben in der heutigen Zeit
(aus islamischer und christlicher Sicht)
Referat von Dr. Hamid Kasiri
vorgetragen am 11. Mai 2002 im Islamisches Bildungs- und Kulturzentrum in Wien
"Wahrlich, im Gesandten Gottes hattet ihr ein schönes Vorbild (alle
haben in ihm ein schönes Vorbild), die auf Gott hoffen und sich auf den
jüngsten Tag gefasst machen und Gott ohne Unterlass gedenken"
(Der Heilige Koran 33,21).
Vorwort
Dieses Referat beabsichtigt, einige brennende Fragen zu behandeln. Es will die Frage beantworten, was islamisches vorbildliches Leben ist. Es enthält deshalb auch eine Lehre über den Heiligen Koran, und Themen wie "Offenbarung" und "Prophetentum" werden behandelt im Hinblick auf ein besseres Verständnis des Koran und dessen Auslegung. In diesem Aufsatz möchte ich mich im Koran selber umsehen und hören, was die Texte von sich "vorbildliches Leben und Leben von Vorbildern" zu sagen haben. Der Islam ist - wie Judentum und Christentum - eine Offenbarungsreligion. Er gründet sich darauf, dass Gott die Welt, die Menschen und ihre Geschichte nicht nur geschaffen hat, sondern dass Er in dieser Geschichte wirkt und durch sie zu den Menschen gesprochen hat. Was Er ihnen von Sich sagen wollte, ist nach islamischen Verständnis in dem einen "Wort Gottes" zusammengefasst, im Heiligen Koran.
Der Heilige Koran ist ein "Buch" (2,2). Dieses Buch, "daran ist kein Zweifel, ist eine Leitung für die Gottesfürchtigen" (2,2). Er ist eine Offenbarungsschrift und kein Produkt menschlicher Phantasie. Der Heilige Koran steht über allen Büchern und wurde zum Buch der Bücher. Er ist darüber hinaus vom theologischen Standpunkt her die wichtigste und die heiligste Schrift der islamischen Religion. Die Heilige Schrift der Moslems, 'der Koran', führt uns beispielsweise eine andere Art der Schriftwerdung und Konzeption vor, die im Bezug auf die Bibel von Prinzip her als Integration bezeichnet werden kann, denn der Koran übernimmt eine ganze Reihe von prophetischen Traditionen (z.B. von Abraham, Isaak, Ismael, Moses, Jesus, Hl. Maria usw.) und integriert diese in die Berufung von einem Vorbild und das eine, unter offenbarungstheologischem Gesichtspunkt einheitliche und geschlossene Buch, der Hl. "Koran".
2. Islamfreu(n)de
Die Intensität, mit der heute der Koran und die Lebensgeschichte des Propheten Mohammad in manchen christlichen Kreisen studiert wird, ist für islamische Gemeinden im Allgemeinen und insbesondere für mich als Moslemtheologe Anlass zu Freude und gleichzeitig eine Herausforderung, die eigene Beurteilung des Koran und die Stellung zu ihm und zum Leben des Propheten Mohammad neu zu klären. Was also sowohl in den islamischen Ländern als auch im Westen als Bewegung aufgebrochen ist, sollen wir - und darauf kommt es nun an - nicht als ein Bestreben ansehen, den Hl. Koran und die Berufung des Gesandten Gottes und seine Bedeutung zu untergraben. Im Gegenteil, es geht in in dieser Bewegung vielmehr darum, den Hl. Koran und den Propheten Mohammad zu ehren und sie dadurch zu ihrer wahren Bedeutung gelangen zu lassen, dass man sie heute, in der Welt der Moderne bzw. Postmoderne, den Gemeinden und der Welt verständlich macht. Wir können sogar zu unserer Freude hinzufügen, dass es auch im Westen viele Gläubigen gibt, die deutlicher als je zuvor das Bekenntnis zum Hl. Koran als einzigartiger Glaubensquelle und Richtlinie und dem Propheten Mohammad als Vorbild für den Glauben, Lehre und Leben wieder entdeckt und gleichsam reaktiviert haben.
3. Das Vorbild und die Rechtleitung
Der Koran als Offenbarung des allwissenden Gottes und das Leben Seines letzten Gesandten Mohammad (s.a.s.) als vorbildhaftes, fehlerfreies Leben und praktische Interpretation des offenbarten Buches, weisen uns auf bestimmte Rechte, Normen, Pflichten und Lehren hin. Im Lichte der Koranischen Lehre wird uns klar, dass es in dieser Welt kein Wesen gibt, das stabil und unveränderlich wäre; alles verändert seinen Zustand und bewegt sich fortwährend auf ein Ziel zu. Alle Phänomene des Daseins zeugen von einer Kraft, die sie zu einem Ziel hinbewegt. In diesem Zusammenhang heißt es im Koran: "Unser Herr ist Der, Der jedem Ding sein Dasein gab und es dann rechtleitete" (20,51). Die Welt bewegt sich auf ein Ziel zu, d.h. im Inneren aller Geschöpfe existiert eine Dynamik zur eigenen Vervollkommnung. Der Koran wird als das Licht der Rechtleitung für die Menschheit angesehen (57,9). Durch die koranische Rechtleitung leitete der Prophet Muhammad den Menschen zum Frieden, rechten Glauben und guten Handlungen und schützte ihn vor dem Irregehen, weil er Werte betont, die die gesamte Menschheit in diese Richtung orientiert.
4. Offenbarung
In verschiedenen Religionen gibt es sehr ähnliche Begriffe für "Offenbarung" und "Inspiration", wenngleich die Akzente etwas verschieden sind. Es gibt eine transzendentale, wahre Religion Gottes, die durch alle Propheten empfangen, erlebt und verkündet wurde. Sie ist eine einzige allumfassende Offenbarung Gottes; und darunter verstehen wir, dass der essentielle Gehalt der Ur-Religion in allen derselbe ist. Im koranischen Sinne jedoch ist Offenbarung der Grundsatz der göttlichen Religionen, der sie von menschlichen Glaubenslehren und Denksystemen unterscheidet. Vielmehr hat Gott mit der Offenbarung dem Menschen ein Mittel und einen Weg gegeben zur Erkenntnis seiner selbst, seines Herrn und seiner Welt. Dazu hat er bestimmte Personen auserwählt und ihnen die Gnade gewährt, mit Ihm in Verbindung zu treten. Dank Seiner Gnade und Barmherzigkeit sind diese Auserwählten und Vorbilder in ihrer Persönlichkeit so vollkommen, dass sie die Aufgabe, den Menschen Seine Botschaft zu überbringen, erfüllen können. Wir nennen sie die >Propheten<. Diese Offenbarung ist schrittweise in verschiedenen Büchern zusammengefasst. In welchem Verhältnis der Prophet zu seinem Gott steht, zeigt eine Stelle aus dem fünfzehnten Kapitel (Vers 49) "als Künder von Gericht und Heil". Die Propheten waren Vorbilder und Charismatiker, das heißt von Gott begeisterte Menschen, die ihr Volk im Namen Gottes aufrüttelten. Es gibt bestimmte Orte - der Sinai, der (Ölberg) und das hl. Gebiet von Mekka (95,2-3) -, an denen die Offenbarung in besonderer Weise erschienen ist. Diese Orte behalten auch später den Charakter besonderer Heiligkeit und werden zu Mittelpunkten kultischer Verehrung. Gott ließ die Menschheit nie ohne Wegweisung und Führung, daher ließ er als erstes die Psalmen herabsteigen, dann die Tora und dann das Evangelium nachfolgen. Tatsächlich gibt der Koran eine Reihung der Offenbarungsbücher und eben die Vollendung und damit die vollwertige und endgültige Heilige Schrift, den Hl. Koran.
5. Offenbarung durch den Propheten Mohammad
Gott hat je und je in der Geschichte Individuen als Vorbild gewählt, die in besonderer Weise geistig-göttliche Kräfte in sich tragen. Einer dieser Offenbarungsträger, ihr höchster und größter, ist Prophet Mohammad (s.a.s.) gewesen. Indem er an seinem inneren Leben teilnimmt, kräftigt sich sein Menschsein und Knechtsein und reift er zur freien geistig-sittlichen Persönlichkeit heran.
6. Beruf oder Berufung
Nicht alle, die mit dem Ausspruch auftreten, Propheten zu sein, tragen diesen Titel zu Recht. Wir hören von einzelnen, zu meist namentlich bekannten Propheten!, die aus der Berufung einen Beruf machten. Eine klare Scheidung ist oft schwierig. Die wichtigsten Kriterien sind unbedingte Treue zu Gott und seinem Auftrag und Wunder. Die echten Propheten bleiben wirklich Charismatiker, das heißt von Gott unmittelbar berufene Männer, die sich notfalls über alle Tradition und alle gesellschaftliche Bindung hinwegsetzen, wenn der Dienst Gottes es fordert. Die Autorität der Propheten liegt grundsätzlich in ihrer Gottesnähe. Im Hl. Koran gilt als die eigentliche Ermächtigung zum Prophetenamt die unmittelbare Berufung durch Gott (4,79\4,166\29,51). Der Hl. Koran erzählt uns gleich im ersten Kapitel Mohammad's Berufung und bestellt ihn zum Propheten (96,1-5). "Dieser Koran ist wahrlich eine Offenbarung des Herrn der Weltenbewohner, und Treue hütende Geist (der Engel Gabriel) hat ihn in dein Herz gelegt, damit du predigst in deutlicher arabischer Sprache" (26,193-197): "Nur (Allahs) Offenbarung ist es. Er (der Koran) ist nichts als eine geoffenbarte Offenbarung. Der Mächtige und Starke (Engel Gabriel) hat ihn alles gelehrt. So war er der vollkommene (Prophet)" (53,3-5). Ja, der Prophet Mohammad wird zum Sprechen gesandt, er muss die Botschaft Gottes in >Menschenworten< künden. Seine Aufgabe besteht darin, die Worte Gottes dem Volke zu verkündigen. Sendung, Verkündigung, Sprache: das sind die Elemente, die in der Berufungsgeschichte erscheinen. Alles kommt vom Diktat Gottes bzw. des Engels.
7. Die Erfahrung des Lichtes
Die Vielheit der Prophetischen Offenbarungsbücher wird in einem Buch abgelöst. In ihm konzentriert sich die ganze Offenbarung Gottes. An die Stelle der früheren heiligen Orte tritt der "Berg Noor" und die "Höhle Hira" als Stätte der göttlichen Gegenwart. So wird der Heilige Koran von Gott zur endgültigen und ausschließlichen Offenbarung Gottes an die Menschheit. Mit dieser exklusiven Botschaft ist der Prophet Mohammad (s.a.s.) als ein schönes Vorbild zur Mission in die Welt beauftragt. "Dieser Koran ist wahrlich eine Offenbarung des Herrn der Weltenbewohner, und Treue hütende Geist (der Engel Gabriel) hat ihn in dein Herz gelegt, damit du predigst in deutlicher arabischer Sprache" (26,193-197); "Nur (Allahs) Offenbarung ist es. Er (der Koran) ist nichts, als ein geoffenbarte Offenbarung. Der Mächtige und Starke (Engel Gabriel) hat ihn alles gelehrt. So war er der vollkommene (Prophet)" (53,3-5). Jetzt sah er die Nichtigkeit der Götzen ein und erkannte zugleich seine hohe Aufgabe als eine Frucht seines langen Suchens in der Bergeinsamkeit des Hira. Der Prophet ist von allem Materiellen losgelöst und einzig mit Gott, dem Erhabenen, verbunden. Dies ist die spirituelle Voraussetzung dafür, dass er im Zustand der Offenbarung die vertraute materielle Welt verlässt und sich mit der transzendenten Welt verbindet. Der Gesandte Gottes, Mohammad, ist der vollendete Mensch, in dem die Gottesoffenbarung in der reinsten und klarsten Weise hervortritt. Der hl. Koran selbst spricht von ihm als "Siegel der Propheten" (33,41) und als eine "Manifestation allumfassender Gnade und Barmherzigkeit Gottes für alle Welten" (21,107). Mohammad ist der Prophet, den Moses voraussagte und den Jesus uns als frohe Botschaft verheißen hat (7,757). Mohammad (s.a.s.) ist der letzte, der die Funktion des großen Propheten und des politischen Volksführers in seiner Person vereinigt.
Im Lichte der vorgetragenen Thesen erweisen sich:
a. Die koranische Irrtumslosigkeit; denn aus der Entstehungsgeschichte des Koran, wie sich nach den Forschungen der modernen Exegese darstellt, ergibt sich wohl von vornherein, dass der Koran einfach vom Himmel gefallenes Offenbarungsbuch ist. Dieses Buch kann nicht Produkt eines profunden Einzeldenkers sein, der zufällig auf derartige Gedanken gekommen ist.
b. Die prophetische Berufung des Propheten Mohammad; - Mohammad ist ein Prophet; aber "Siegel der Propheten" (33,40). - Er ist Gesandter Gottes; aber "für die ganze Menschheit" (34,28); und "an euch alle" (7,158). - Mohammad ist ein Offenbarungsträger; aber die Gottesoffenbarung wird ein HI. Text bzw. eine HI. Schrift, die himmlische Urschrift aller Offenbarungen, die "Mutter des Buches" (3,7). - (Im Vergleich mit Jesus Christus: Ich bin der Weg ...) Er ist auf dem Weg; aber "auf einem geraden Weg" (36,4; 43,43). Außerdem er ist nicht nur auf dem geraden Weg, sondern er "ruft sie (die Menschen) auf einem geraden Weg" (23,73). - Alle Propheten haben die Völker rechtgeleitet; aber er "leitet zum Richtigsten" (17,9). - In den Heiligen Büchern des Judentums und des Christentums gibt es ein Licht (5,44; 5,46); aber sein Buch ist selber Licht (4,174). - Alle Propheten sind Vorbilder; aber der Prophet Mohammad ist ein "schönes Vorbild" (33,21). Ja, er ist ein schönes Vorbild, aber sicher nicht für diejenigen, die taub und blind sind und keinen Verstand haben (10,42-44). Er kann auch "nicht bewirken, dass die Toten hören" (30, 52), sondern er ist "ein schönes Vorbild für diejenigen, die auf Allah und den Jüngsten Tag hoffen und Gott ohne Unterlass gedenken" (33,22). "Damit leitet Allah jene, die Sein Wohlgefallen suchen, auf den Pfaden des Friedens, und Er führt sie aus der Finsternis zum Licht nach Seinem Willen und leitet sie auf den geraden Weg" (5,16).
SALAM
(mit freundlicher Genehmigung des Autors)