VOM GLÜCK DER KARIKATUREN

Blasphemisch, kriminell, rücksichtslos, geschmacklos, peinlich ... solcherart haben Politiker und Religionsführer in aller Welt die zwölf im September 2005 in der dänischen Tageszeitung Jyllands-Posten abgedruckten Zeichnungen über den Propheten Mohammed apostrophiert.

       INHALT
VOM GLÜCK DER KARIKATUREN
WAS IST PASSIERT
WAS VERSTEHT MAN UNTER DEM
       ISLAMISCHEN BILDERVERBOT?
WAS WÄRE RECHTENS?

Irgendwie scheinen mir diese Beurteilungen nicht zum Kern des Geschehenen vorzudringen. Andernfalls hätten wir nämlich auch Stimmen der Freude und Erleichterung darüber gehört.

Kurz gefasst: Ich finde es nun einmal sympathischer, einander mit Karikaturen zu treffen als mit Schwermetall. Und wenn jemand sagt, dass die Karikaturen ja den Bleigehalt in der Luft vermehrten, stelle ich das schlichtweg in Abrede. Nicht die Karikaturen waren das.

Der als Gegenmaßnahme im Iran ausgeschriebene Karikaturen-Wettbewerb indiziert doch eindeutig, dass es auch Muslime reizt, jemanden zeichnerisch aufs Korn zu nehmen - eine zweifelsfrei zivilisiertere und kreativere Ambition als das Explodierenlassen von Sprengkörpern oder das Drechseln von Hasspredigten.
Um jemanden treffend zu zeichnen - und sei es auch zum Spott - muss man ihn doch einigermaßen gut kennen. Karikaturen investieren also in das gegenseitige Kennenlernen.
Sodann ist das Zeichnen Selbstexpression des Künstlers. Er drückt aus, wie er den anderen sieht, als Ich-Botschaft "Ich nehme dich so wahr ...", weniger als Du-Botschaft "Du bist so ...". Ich-Botschaften sind Grundbausteine gelungener Kommunikation. Somit sind Karikaturen auch wertvolle Kommunikation.

Ich halte also die Mohammed-Karikaturen für ein Glück. Sie stellen einen Fortschritt der Beziehungen zwischen der islamischen und der westlichen Welt dar.

Im Folgenden werden die Hintergründe ein bisschen aufgefrischt, um anschließend einen Rechtsstandpunkt zu formulieren.

WAS IST PASSIERT?
Kore Bluitgen, Jugendbuchautor, hatte seine Story auf Parties erzählt, die also ging, dass niemand sein Buch über Mohammed illustrieren wollte. Keiner der von ihm gefragten Grafiker war mutig genug, das religiöse Ethos der Muslime zu verletzen und potentieller Schicksalsgenosse des islamkritischen Filmemachers Theo van Gogh zu werden, der 2005 von einem Muslim ermordet wurde.

Irgendwie machte diese Story ihren Weg bis hin zu den Luchsohren von Jyllands-Posten. In "Was du nicht schafftest, schafften wir!"-Manier druckte sie hämisch zwölf Karikaturen ab - in voller Kenntnis des muslimischen Bilderverbots, bewusst dänische Muslime damit treffen wollend - justament.

Proteste von Vertretern des Islam aus Dänemark und anderen Staaten stießen bei der dänischen Regierung monatelang auf taube Ohren. Schließlich machten sich im Dezember zwei Imame auf den Weg zu nordafrikanischen Regierungen. Im Gepäck hatten sie Fotokopien der zwölf erwähnten Karikaturen und von drei noch schleußlicheren, via E-Mail erhaltenen.

Der Rest ist Geschichte.

WAS VERSTEHT MAN UNTER DEM ISLAMISCHEN BILDERVERBOT?
Gesichter zu zeichnen, ist bei Muslimen verpönt. Tiergesichter sind schon nicht mehr erlaubt, Menschengesichter noch weniger, am allerverbotensten sind Propheten- und Engelgesichter. Unbeanstandet bleiben hingegen Pflanzen, Landschaften und Ornamentik.
Fixer Bestandteil islamischer Katechese ist die Geschichte vom Engel Gabriel, der sich weigert, Wohnungen zu betreten, in denen sich Hunde (unreine Tiere) aufhalten oder Bilder von Wesen mit Lebensodem ("ruh"), worunter Tiere und Menschen fallen. Das steht aber nicht im Koran, sondern in den Hadithen, einer ab etwa 200 Jahre nach Mohammed's Tod niedergeschriebenen Lehrtradition.
Das Bilderverbot dürfte  zur Warnung vor Götzendienst entstanden sein, analog zum Judentum ("Du sollst dir kein Bildnis machen" [2. Mos. 20:4; 5. Mos 5:8]). Götzendienst ist Ersatz von Transzendentem durch Materielles, von Menschen Gemachtes. Abraham war gemäß Islam und jüdischer Tradition der Sohn eines Götzenherstellers, dessen Holzstatuen er als wertlos erkannt hat - und damit hatte sein Weg in die Freiheit begonnen.

Theologen bemühen als metaphysische Begründung: Die Schöpfung ist vom Schöpfer gemacht, ge"bild"et. Ein Gemälde wird vom Menschen ge"bild"et. Etwas von Gott Ge"bild"etes noch einmal ins Bild zu bringen, ist daher unnötig und mit guter Einstellung nicht machbar. Der Mensch, der Gesichter zeichnet, maßt sich an zu tun, was nur Gott darf bzw. bereits getan hat. Er tritt in Konkurrenz zu Gott - für den Islam sinnwidrig, blasphemisch, diabolisch hochmütig. Außerdem schafft ein Bild ein fixes Konzept und unterbricht damit den Fluss des Lebens, den steten Wandel, in dem nichts von langer Dauer ist.

Nicht alle islamischen Theologen halten das Bilderverbot für islamisch. Manche halten es für vorislamisch und kulturell bedingt. Schließlich haben ja auch Koran-Gläubige ihren Propheten oft genug gemalt - und später sein Gesicht weiß übermalt.

WAS WÄRE RECHTENS?
Unter seinesgleichen wird ein Muslim die Einhaltung des Bilderverbots einfordern können. Es wird da Stellen geben, bei denen er sich beschweren kann: Religionsvertreter, in islamischen Staaten auch Gerichte.
Unter Andersglaubenden wird er das nicht können. Ein Muslim kann mich nicht dazu verpflichten, den Propheten Mohammed nicht zu zeichnen, nur weil er das nicht tun darf.
Genauso wenig kann ich einen Araber dazu verpflichten, drei seiner vier Frauen wegzuschicken, weil sein Verhalten mit meinem Glauben nicht zu vereinbaren ist und ihn hierzulande straffällig machen würde.
Hier wie dort fällt die Grenze des Einforderbaren mit der Grenze der Gesinnungsgemeinschaft zusammen.
Unsere Gesetze werden Muslime nicht vor dem Schmerz beschützen können, sich Mohammed-Karikaturen ansehen zu müssen. Der Islam wird - wie jede Religion - mit demokratiekonformen Methoden für sein Anliegen werben müssen: Konferenzen, Vorträge, Demonstrationen, Schriften ... Daran führt kein Weg vorbei. Keine Religion kann eines ihrer Verbote per Gesetz für die ganze Welt verbindlich machen.
Die Karikaturen zwingen so zur Auseinandersetzung mit der Frage, wie in einer freien Welt Ansprüche durchgesetzt werden können. Insofern dienen sie einem guten Zweck.

Martin Deininger
mag. et lic.theol.
martin.deininger@net4you.at