Als Hernals noch protestantisch war . . .

Kirchlicher Besitz in Hernals
Der untere Lauf der Als
Ein gewisser Dr. Luther
Hernals, das "Nest der Ketzer"
"... rottet sie aus!"
Die gereinigte neue Lehre
Der Eid des Habsburgers
Das Symbol des Sieges
Die erste Prozession
Ein Kalvarien-Berg
In den letzten zweihundert Jahren

Kirchlicher Besitz in Hernals
Abgesehen vom Kloster St. Peter in Salzburg, in dessen Urbarien die Einkünfte von "hern allse" seit dem 11. Jahrhundert aufscheinen, besaßen einige Wiener Klöster hier Grund und Boden.
Die Babenberger bedachten die Abtei Unserer Lieben Frau zu den Schotten, das als erstes Wiener Kloster 1155 gegründet worden war, reichlich mit Grund und Boden. Die Areale vor der Stadt, Hernalser Gebiet eingeschlossen, waren gleichsam das Einstandsgut des Kaisers. Interessant ist, daß die Schotten 1208-1227 fingierte Dokumente ausfertigten, um die landesfürstlichen Pläne eines ersten Wiener Bistums realisieren zu können. Durch diese sollte die Sonderstellung des fürstlichen Hofklosters bestätigt sein. Ein solcher gefälschter Stiftungsbrief war auch die Urkunde über die Kapelle zum Heiligen Johannes an der Als ...
Weiters besaßen der Deutsche Ritterorden, das Kloster der Beschuhten Augustiner Eremiten, die Stifte Zwettl und Heiligenkreuz, selbstverständlich auch das Kapitel zu St. Stephan in Wien Vogt- und Grundrecht an Hofstätten, Äckern, Wiesen und Weingärten an der Als. Auch Nonnenklöster wurden mit Gütern bedacht: das Kloster St. Klara in Wien, die Zisterzienserinnen in St. Niklas vor dem Stubentore, das Kloster zur Himmelpforte und das Maria Magdalena-Kloster vor dem Schottentor (das bekehrte "sündige Frauen" aufnahm). Die Grundbesitzungen waren einträglich.
Abgesehen vom kirchlichen Besitz hatten später auch angesehene Wiener Anteil an Weinrieden in Hernals, unter anderem der Bürgermeister Chunrat der Wiltwercher, Paltram vor dem Freythof, der als einer der reichsten Männer von Wien galt, Leopold und Jans von Puchs, der Smerstozzel, Bürgermeister Wernhart der Chrannest, Michel der Lyenfelder ...
Dokumente beweisen, daß die Hernalser Liegenschaften oft ihre Besitzer wechselten. Gottfried der Tuchscherer verpfändete seinen Weingarten an Dietrich von Liechtenstein, Helmbeig der Scherer verkaufte an Ulreich den Pader. Bei einem Erbschaftsstreit unterlagen Michel der Pol und Jans der Peiein gegen Friedrich den Schrannenschreiber ...
In einem Bericht aus dem 14. Jahrhundert über Wien und seine Umgebung ist zu lesen: "...entlang der Wienerwald-Bäche und Ausfallstraßen breiten sich inmitten von Weingärten und Feldern die zahlreichen Dörfer aus, die zu wohlhabenden Siedlungen wuchsen. (Jene, die der Stadt am nächsten waren, galten schon damals als Vorstädte.) Wiens ganzes Gebiet ist ein ungeheurer herrlicher Garten, mit schönen Rebhügeln und Obstgärten gekrönt ... an diesen liegen anmutreiche Vorberge, geziert mit den lieblichsten Landhäusern, geschmückt mit Fischteichen und Jagdbarkeiten ..."
So idyllisch, wie man danach meinen könnte, waren die Zeiten allerdings nicht. Mißernten und Heuschreckenschwärme brachten Hungersnot. Mitte des 14. Jahrhunderts brach die Pest aus. Die Bewohner "ze Allzze" blieben davon nicht verschont.

Der untere Lauf der Als
Das Siechenhaus, am unteren Lauf der Als, wird 1298 erstmals urkundlich erwähnt. Es lag samt seiner Kapelle auf Gründen des Schottenstiftes (nach heutiger Verbauung Ecke Währinger Straße-Spitalgasse) am rechten Ufer der Als, die hier die Grenze zwischen dem Wiener Burgfrieden und dem Dorfe Währing bildete. Hier erreichte die alte Fernstraße an der Donau, von Klosterneuburg kommend, das Vorstadtgebiet.
Das "Siechenals" genannte Dorf lag am linken Alsufer und gehörte zur Pfarre Währing. Später entstand hier die Vorstadt" Thurygrund".
Das Siechenhaus wurde als Gemeinschaft der "Sondersiechen" von einem Wiener Bürger als "Meister" geleitet.
1476 übergab Kaiser Friedrich III. die Verwaltung des Siechenhauses dem Augustiner-Chorherrenstift St. Dorothea, dessen Reichtum Gewähr für den Fortbestand der Anstalt zu bieten schien. Nach der Zerstörung im Türkenjahr 1529 lag das Siechenhaus längere Zeit öde, bis Ferdinand I. 1540 die Anstalt mit Einwilligung des Dorotheerklosters der Stadt Wien übergab, die auch die Wiederherstellung finanzierte. Seither führte die Anstalt den Namen "Lazarett".
In das Siechenhaus wurden Aussätzige aufgenommen, aber auch Arme und Obdachlose. Als die Pest in Wien wütete, herrschte reger Betrieb. Die Todkranken lagen "haufenweise beieinander", weshalb man auch an eine Erweiterung der Krankenräume dachte. Bei den Pestseuchen 1679 und 1713 war die Anstalt total überbelegt und die Schachtgräber im nahegelegenen Friedhof füllten sich rasch. Aus dem Pestjahr 1713 gibt es Berichte über die einzelnen Räume: "Es gab fünf Männerstuben, vier Weiberstuben, vier 'Meliorationsstuben' für Genesende, ferner eine Kinderstube und mehrere Ärztezimmer", heißt es da.
1858 wurde auf Veranlassung von Kaiser Franz Joseph der gesamte Komplex abgerissen und an seiner Stelle das Bürgerversorgungshaus errichtet.

Ein gewisser Dr. Luther
Pest und "Türkennot" hatten ihre Spuren gesetzt, Menschen getötet, Land verwüstet. Die Armut ging um. Alte Weltbilder begannen sich zu verzerren und zu wandeln. Das soziale Gefüge war erschüttert.
Der Adel lebte für sich, unter seinesgleichen; mehr denn je. Die Not und Verzweiflung der Untertanen kümmerte ihn, wenn überhaupt, kaum.
Die Kirche widmete sich mehr und mehr weltlicher Machtpolitik. Die Kirchenfürsten lebten feudal und maßlos. Der verweltlichte Klerus wandte sich weltlichen Aufgaben zu. Von einer Erneuerung der Kirche wollte Rom nichts wissen. Wer dafür sprach, sich auflehnte, wurde als Ketzer verurteilt und getötet. Im Namen Christi.
Neue Entdeckungen, wissenschaftliche Erkenntnisse, neuorientiertes philosophisches Denken, das den Menschen in den Mittelpunkt stellte, mußten zu einer Wende führen; zum großen Umbruch vom Mittelalter in eine neue Zeit. Ein Prozeß, der sich durch Jahrhunderte gezogen hatte, schien zu Beginn des 16. Jahrhunderts ausgereift zu sein.
Die Kirche lehnte jegliche Bereitschaft zu Änderungen und Diskussionen darüber ab. Sie ignorierte die Entdeckungen der Wissenschaftler, das Denken der großen Humanisten ebenso wie andere Zeichen der Zeit.
Etwa die ersten Bauernunruhen Anfang des 16. Jahrhunderts (und noch vor Luthers Thesenanschlag in Wittenberg). Der Ruf "Setzt aufs Kirchendach den roten Hahn!" war das Signal späterer Auseinandersetzungen mit Feuer und Schwert.
Dr. Martin Luther, geboren 1483 in Eisleben, Mönch und Professor der Theologie in Wittenberg, dachte nicht an Veränderungen der herrschenden politischen Strukturen. Er wollte auch keine Kirche gründen, sondern die bestehende erneuern, von innen heraus reformieren. Der Papst hatte taube Ohren, reagierte nicht, beziehungsweise anders: Er sprach den Bann über den deutschen Theologen.
Als Dr. Martin Luther im Jahre 1517 seine 95 Thesen an die Schloßkirche von Wittenberg nagelte, sah er darin eine öffentlich "angeprangerte" geistige Herausforderung. Er ahnte jedenfalls nicht, daß sein Thesenanschlag Anstoß zu einer geistig-revolutionären Bewegung geben sollte, die, unter Berufung auf Gottes Wort, die bestehende Ordnung in Frage stellte.
Die Lehre Luthers verbreitete sich schnell. In den österreichischen Erblanden war es vor allem der Adel, der sich aufgeschlossen zu der neuen Lehre bekannte. Bereits 1522 predigte ein Protestant von der Kanzel des Stephansdomes!
Das habsburgische Kaiserhaus war mit dieser neuen Religionsbewegung nicht einverstanden. Die strenge spanisch-katholische Erziehung verwehrte Aufgeschlossenheit und setzte enge Schranken.
Der Adel fühlte sich nicht beeinträchtigt. Kraft seines Standes verlangte er seine Rechte und sicherte sie sich. Der Kaiser mußte nachgeben und bestätigte im "Augsburger Religionsfrieden" (1555) volle Glaubensfreiheit und Rechtsgleichheit, allerdings mit der Auflage ausschließlicher Gültigkeit für den Adel. Diese entscheidende Einschränkung führte zu dem berühmt-berüchtigten "cuius regio, eius religio" (Wessen das Land, dessen der Glaube). Die Religion der Herrschaft war demnach verpflichtend für die Untertanen.
Die zahlreichen Edikte, die von den Habsburgern erlassen wurden, fruchteten nicht viel. Was nützte dem jungen Ferdinand das Edikt "wider den Glauben lutherischer Bücher", was nützten ihm Anklagen gegen die Häresie, das "Generalmandat wegen Vertilgung der Lutheraner"? Er konnte nur dort strafen, wo die Menschen getroffen werden konnten: im Volk.
Ferdinand I., 1556 zum Kaiser gekrönt, tolerierte nur notgedrungen die Religionsfreiheit des Adels - als Standesprivileg. Er berief aber 1542 die "Missionare Gottes", die Jesuiten, nach Wien, die für ihn der geistige Gegenpol waren. Die Gründung des Ordens war 1540 durch den Spanier Ignatius von Loyola erfolgt.
Der Adel kümmerte sich wenig um die Maßnahmen des Kaisers und wandte sich unbeirrt dem neuen Glauben zu. Zu den Konvertierten gehörten unter anderen auch die Herren von Geyer in Hernals.

Als Maximilian II., Sohn Ferdinands I., das väterliche Erbe antrat (1564), waren neun Zehntel des österreichischen Adels evangelisch. Maximilian selbst war in jungen Jahren protestantisch orientiert,. mußte aber dann aus Gründen der Staatsräson als strenggläubiger Katholik agieren.
Man sagte von ihm, daß er eine Doppelrolle gespielt hätte. In diesem Sinne wäre auch das Toleranzedikt zu interpretieren, das Maximilian 1568 erließ: "... den Ständen des Landes unter der Enns ... sei vergönnt, in ihren Schlössern, Städten und Dörfern und in allen Kirchen, über welche sie das jus Patronatus hätten, ihre Lehren und Ceremonien so, wie sie ... in der Augsburger Confession kurz zusammengefaßt wären, anzurichten und auszuüben ..."
Ferdinands Edikt traf die Wiener nicht - die protestantisch gesinnten Bürger pilgerten in die Vorstadt, nach Hernals, wo sie den Zeremonien nach evangelischem Ritus beiwohnen konnten. "Die Leute laufen aus", stellte Melchior Khlesl, nachmaliger Bischof von Wien und Erzfeind der "Ketzer", fest.

Hernals, das "Nest der Ketzer"
Hatte schon der einstige Lehensträger von "Herrenalls", Dr. Simon Geyer, in der von ihm patronierten Kirche evangelische Meßfeiern abgehalten und Prediger nach Hernals gerufen, so setzte Adam von Geyer - Herr von Als und zu Inzersdorf am Wienerberg - diese Tradition fort. Er berief berühmte Prediger nach Hernals, wie den Nürnberger Ambrosius Ziegler, den hoch berühmten Theologen David Chyträus aus Rostock und Joachim Cameratius, einen der gelehrtesten Männer Europas in jener Zeit.
Immer mehr Menschen pilgerten zur Patronatskirche des Herrn von Geyer, um hier das "lautere Wort Gottes" zu hören. Als die Kirche zu klein wurde, ließ Geyer die "Prädikanten", wie die Prediger genannt wurden, vom Erker seines Schlosses zu einer kaum übersehbaren Menschenmenge sprechen. Hernals wurde zur "Hochburg des Luthertums".
Die protestantisch gesinnten Bürger Wiens empfingen hier das Abendmahl, hatten ihre Hochzeiten und Taufen und trugen dafür Sorge, auch am Hernalser Friedhof begraben zu werden. Ende der siebziger Jahre des 16. Jahrhunderts erreichte der Protestantismus in Wien seinen Höhepunkt.
Derartige Pilgerfahrten nach Hernals beschrieb Emilie Hany in einem Heimatbuch für den 17. Gemeindebezirk: "... Es war einer jener sonn goldigen Frühjahrstage, die den Landschaftszauber der alten Donaustadt noch erhöhten. Aus engen, dämmerdunklen Gäßchen kamen, drängten sich Menschen aus den mächtigen Mauerwölbungen der Stadttore. Sie zogen nach Hernals, um das Gotteswort zu hören. Hoffnung glühte in den Herzen der vielen Tausenden, die durch die 'wiener straß' entlang dem gewundenen Lauf des Alsbaches pilgerten. Hier duckten sich die kleinen Häuser des Dorfes, inmitten blühender Gärten, eng aneinander geschmiegt, blickten sie mit zwei oder drei Fensteraugen mit den giebelseitigen Stirnfronten auf die Als. ... Mehrere Häuschen trugen eine Stange mit einem Reifen, in dem ein 'Strohwisch' oder ein Reisigbündel schaukelte: ein aufmunternder Hinweis zu geselligem Umtrunk. Wer Wein baute, konnte als 'Leutgeb' in seiner guten Stube den geernteten Goldtrank ausschenken ...
Die frommen Pilger waren festlich gekleidet, und der Zug hatte feierliches Gepräge. Der Adel trug, nach seinem Vorrecht, ein purpurnes oder violettes, mit Edelsteinen reich geschmücktes Samtgewand, fuhr in Staatskarossen, auf deren Hintersitzen die Diener in starrer Haltung standen. Ritter in pelzverbrämten Scharlachmänteln ritten einher ... Langsamen Schrittes kamen die Bürger. Gewöhnlich trugen sie ihre braune Schaube, aber viele hatten auch ihre Prunkkleider aus Samt und Atlas angelegt, die mit farbigen Damaststreifen besetzt und mit kunstvoll gearbeiteten Zierknöpfen versehen waren. Viele trugen um Hals und Schultern goldene Schaugehänge, Meisterwerke der kunstsinnigen Wiener Goldschmiede. Das halblange Haar war zumeist mit dem flachen, reich befiederten Barett bedeckt, das an einer eigenen Haarhaube (Kalotte) befestigt war. Die Mode kannte aber auch schon den mit kostbaren Schnüren geschmückten Spitzenhut. Daß hier Protestanten pilgerten, zeigte sich schon nach außen hin an dem weitfaltigen Schlitzkostüm. Die Katholiken, damals meist Papisten genannt, trugen die eng-steife spanische Tracht mit dem verkürzten Schenkelbeinkleid. Die schmucklosen, vorne breit auslaufenden Schuhe hatten nur wenig Oberleder.
Ebenso reiche Farbenpracht wiesen die Kleider der Frauen auf. Der weite, schleppende Faltenrock zeigte prächtige Stickereien. Zu den kurzen oder angesetzten Jacken trug man Bauschärmel ebenso wie eng anliegende. Der lose um die Hüfte liegende Gürtel war kostbar, hatte Hängespiegel und Riechfläschchen, sogenannte 'Ambraäpfel' oder 'Bisamköpfe', aus wohlriechendem Holz gefertigt und mit duftenden Gewürzen oder Moschus gefüllt.
Die Jungfrauen trugen das lange Haar offen oder hielten es in einem mit Perlen geschmückten Goldnetz fest. Frauen hatten die 'Flunder' (Flitterhaube) auf oder bargen ihr Haar in 'Risen', worüber Matronen noch ein Kinntuch legten.
In all der Flimmer- und Farbenpracht der festlich geschmückten Menschen hob sich die schwarze Tracht der Gelehrten düster ab. Nur eine breite, weiße Fältelkrause erhellte das dunkle Gewand.
Mehr als Zehntausende waren es manchmal, die an den Sonntagen nach Hernals zogen, auf dem weiten Weg im Gebet verharrten, knieten, die Arme weit ausgebreitet zum Himmel gestreckt. Sie waren jedoch alle von der Seligkeit befallen, beten zu können in der Gemeinsamkeit duldender Glaubensgenossen.
Wanderten die getrösteten Menschen Stunden später den Weg nach Wien zurück, dann ernteten Krüppel und Bettler, die am Wegrand kauerten, die Gaben des Mitleids und der helfenden Güte ..."

"... rottet sie aus!"
Als Kaiser Maximilian II. plötzlich starb, verloren die Protestanten ihren geheimen, verständnisvollen Gönner. Maximilians Nachfolger, Rudolf II., hatte nicht die Toleranz seines Vaters. Er sah vielmehr in den Protestanten den "Erzfeind", und es war sein Wunsch und Wille, "die Erblande wieder der römischen Kirche zurückzuführen.
Sensibel, introvertiert und unzugänglich stand Rudolf II. der bildenden Kunst und vor allem der Alchimie weit näher als den Regierungsgeschäften. Er zog sich nach Prag zurück und gab seine Weisungen von dort aus.
1577 verbot Rudolf II. öffentliche Predigten der evangelischen Geistlichen, Vermählungen und Taufen - alles, was dem protestantischen Ritus entsprach. Bekannte Prediger ließ er ausweisen, wie zum Beispiel Josua Opitz.
Die empörten Proteste der Stände gegen die Einschränkungen der zugesagten Religionsfreiheit wies der Kaiser ab. Er zog es - dem Vorschlag des" Wiener Konsistoriums" folgend - vor, verschärfte Verfügungen zu treffen, unter anderem: "... die Kirche zu Hernals unweit Wien sey zu sperren ...!"
Eine kaiserliche Kommission wurde zur Durchführung eingesetzt und die Kirche, mit kaiserlichem Siegel versehen, versperrt. Die Eingabe der Brüder Adam und Balthasar von Geyer gegen diesen Bescheid blieb natürlich erfolglos. Dafür gab es eine weitere Verfügung, wonach "allen Bewohnern von Wien das Auslaufen aus der Stadt zu anderer Seelsorge und die Hineinziehung evangelischer Prediger von Haus zu Haus zu verbieten und die Verbrecher zu bestrafen seyen ..."
Die kaiserliche Verfügung, die Patronatskirche zu versiegeln und zu versperren, nahmen die Herren von Geyer zur Kenntnis, aber nicht hin. Die erste Antwort war, den Saal des Hernalser Herrensitzes als Gebets- und Predigtraum zur Verfügung zu stellen. Erneut zogen die Wiener Protestanten in die Vorstadt, immer mehr und mehr.
Wie an jenem Ostersonntag des Jahres 1578, der in die Geschichte Wiens und des österreichischen Protestantismus einging.
Es waren so viele Anhänger der lutherischen Lehre gekommen, daß der große Saal des Schlosses viel zu klein wurde. Die Geyer hatten einen bekannten Prediger aus Kagran herberufen, einen Demagogen und Fanatiker. Die Predigt des Prädikanten verhieß zwar die Osterbotschaft, nährte aber nicht seelischen Frieden, sondern Haß. Aggressionen wurden geweckt, genährt und eskalierten ... eine aufgebrachte Menschenmenge stürmte die versperrte Kirche, zerriß das kaiserliche Siegel, verschaffte sich gewaltsam Einlaß in das Gotteshaus. In einem Triumphzug geleitete man den Prädikanten in die Kirche - und auf die Kanzel.
Trotz der abermaligen Sperre der Kirche und der Vertreibung protestantischer Prediger ließen sich die Stände in der Weiterausübung protestantischer Riten nicht beirren. So wurden auch in Hernals - eben im Saal des Schlosses - weiterhin evangelische Messen, Vermählungen und Taufen gefeiert.

"Man muß die Ketzer endlich zur Räson bringen! Und wenn nicht anders, dann mit Gewalt!" sagte der Mann im Priesterrock leidenschaftlich. Melchior Khlesl, Vikar von Niederösterreich, saß Seiner Majestät Kaiser Rudolf II. gegenüber. Der Vikar war eigens nach Prag gereist, um von den jüngsten Vorfällen in Wien zu berichten. Vor allem in der Vorstadt Hernals. Eine verhetzte Menschenmenge hatte das kaiserliche Siegel mißachtet, das Gotteshaus gestürmt. Das war aber nicht genug. Man hatte einen Ketzer auf die Kanzel gestellt, die bisher nur katholischen Priestern vorbehalten gewesen war.
Khlesl schäumte vor Wut. Der Kaiser zeigte kaum Bewegung, man wußte nicht einmal, ob er zuhörte. Das irritierte Khlesl noch mehr. Er wollte doch auch von seiner unermüdlichen Tätigkeit berichten, um im Zusammenwirken mit besonders eifrigen Jesuiten Tag für Tag die Seelen verirrter Menschen zu retten! Da der katholische Glaube der einzig wahre sei. Khlesl, der einst im Hause seines Vaters die Bibeltexte Luthers gehört und gelesen hatte, war nun ein von den Jesuiten überzeugter Katholik. Fanatisch.
Das asketische Gesicht des Kaisers blieb weiterhin unbeweglich. Schließlich sagte eine brüchige, leise Stimme bedächtig: "Monsignore! Es ist doch Eure Aufgabe ... im Glauben verirrten Menschen die Folge ihrer Verblendung zu verkünden...und es wird auch Euer Werk sein, diese Menschen zum katholischen Glauben zurückzuführen ... oder sie zu verstoßen" - die Stimme des Kaisers wurde laut und zornig - "... sie aus meinen Ländern hinauszuwerfen ...!"
Der Geistliche versicherte den Kaiser seines blinden Gehorsams. Mit der Blindheit des Hasses.
Melchior Khlesl, nachmaliger Bischof von Wien, Hauptfigur der Gegenreformation in Österreich, war von seiner missionarischen Sendung überzeugt: "Bei dieser Arbeit begehre ich entweder zu sterben oder mit Gottes Hilfe und Gnade das katholische Wesen in Österreich - und wenn es sein muß, mit weltlicher Gewalt - in einen besseren Stand zu bringen." Diese Aussage meinte Khlesl ehrlich. Jahre später erhielt der nun hohe geistliche Würdenträger sämtliche Vollmachten, "... alles zu tun, was zur Aufnahme der katholischen Kirche aller erforderlich seyn werde ... und alle, die dem Luthertum nicht entsagen wollen, aus den kaiserlichen Landen innerhalb von drei Monaten zu verweisen."

Die gereinigte neue Lehre
Die Herren zu Als des 16. Jahrhunderts waren die Herren Geyer und Jörger. Von der Lehre Luthers überzeugt, konvertierten beide Geschlechter.
Der Herrensitz in Hernals wurde zum Zentrum des sich verbreitenden Protestantismus. Bei der 1. Türkenbelagerung dürfte der Herrensitz zerstört worden sein. Dafür spricht auch die an den Kaiser gerichtete Petition des Dr. Simon Geyer, wonach man ihm aufgrund seiner treuen Dienste (er war unter anderem mit den Inventarien der Schatzbriefe Ferdinands I. betraut) und des nur geringen Wertes des Herrensitzes und des zerstörten Dorfes beides überlassen solle. Die Bittschrift wurde abgewiesen, "... da Hernals ein ansehnlich stuck sey, das jährlich 200 Pfund Pfennige trage ..."
Simon Geyers Nachfolger waren dem Landesherrn weniger treu als der protestantischen Lehre. Der Besitz blieb Lehen, das 1566 nochmals erneuert wurde. 1587 verkaufte Geyer ohne lehensherrliche Zustimmung an die Freiherren von Jörger, ein oberösterreichisches Geschlecht. Hatte sich Hernals schon zur Zeit der Familie Geyer zu einem protestantischen Zentrum entwickelt, so stellten sich die Freiherren von Jörger noch mehr in den Dienst der neuen Religion, schon aufgrund familiärer Tradition. Schon Dorothea von Jörger war mit Luther in brieflichem Verkehr gestanden und hatte arme oder verfolgte Protestanten protegiert.
Da die sogenannte "Kapitulations-Resolution" (1609) ein neuerliches "freies Religions-Exercitium" zuließ, war Helmhardt von Jörger einer der eifrigsten Bekenner. In seiner Patronatskirche fanden evangelische Gottesdienste statt, die öffentlich zugänglich waren. Herbeigerufene Prediger sorgten dafür, daß die Wiener Protestanten wieder nach Hernals "ausliefen". Der Zustrom war unvorstellbar groß.
Hernals besaß nun für einige Jahre eine evangelische Pfarre.: Der Superintendent aus Plauen, Dr. Mattias Hock (ein gebürtiger Österreicher), lobte: "... Hernals kann als wahrer Hort und Schutz der gereinigten Lehre gerühmt werden, die von Hohen und Niedrigen aus Wien in fast unzählbarer Menge besucht wird ..."

Der Eid des Habsburgers
"Der katholische Glaube muß in meinen Ländern der einzige wahre sein und dies gilt für jeden einzelnen, der dort lebt und wohnt, ohne Ausnahme! Jeder, der anders denkt, muß mein Land verlassen. Das schwöre ich, so wahr mir Gott helfe!" gelobte der junge Ferdinand II. auf seiner Rückreise aus Rom in Loretto. Der Habsburger, der 1619 den Thron bestieg, war der Kaiser des Dreißigjährigen Krieges, der Kaiser der Gegenreformation.
Unerbittlich und rücksichtslos war er von missionarischem Eifer erfüllt, die Protestanten zu vernichten. "Lieber will ich mich in Stücke hauen lassen", erklärte Ferdinand, "als eine Beeinträchtigung des katholischen Glaubens zu gestatten." Und er handelte danach: Dem tiefgläubigen Katholiken war jedes Mittel zur Vernichtung der Andersgläubigen recht. Auch das unchristlichste.
Lutherische Prädikanten und Schulmeister wurden ausgewiesen, protestantische Literatur dem Feuer übergeben (!), adeligen Patronatsherren befohlen, ihre Pfarren innerhalb kürzester Zeit mit katholischen Priestern zu besetzen. Vor allem aber mußte das "Luthernest Hernals" ausgeräuchert werden. Restlos, total!
Kam der Zufall dem Kaiser zu Hilfe? Die kaiserliche Huldigung am 13. Juli 1620 fand nicht in dem Ausmaß und mit der Beteiligung statt, wie sie der Kaiser erwartet hatte.
Die protestantischen Stände "streikten". Sie wollten die ihnen zustehende Religionsfreiheit. Solange dieses Privileg nicht bestätigt war, verweigerten die "Rebellen" die Erbhuldigung.
Zu jenen, die sich der Gunsterweisung entzogen, gehörte Helmhardt von Jörger. Er nützte auch nicht die vierzehntägige Frist, beim Kaiser Gnade zu finden.
"Ohnehin schon bey Hof notiert", also in kaiserlichen Ungnaden, wurde Jörger "mit Leib, Ehre, Hab und Gut" zum Feind des Vaterlandes erklärt; sein Besitz verfiel dem Landesherren.
Freiherr von Jörger mußte "in seiner Behausung als Staatsgefangener so lange leben, bis sein Sach' von dem kayserlichen Gericht untersucht und dann ein Urteil zu sprechen sey ...". Helmhardt von Jörger wurde zum Tode verurteilt, aber nicht hingerichtet, sein Gut konfisziert und dem Staat zugesprochen. Drei Jahre später hat man Jörger "durch kayserliche Clemenz pardoniert", und er soll schließlich auch später Teile seiner Besitzungen zurückerhalten haben. Hernals blieb allerdings Lehensgut des Kaisers, der es dem Domkapitel zu St. Stephan zusprach.
Die erste Predigt im rekatholisierten Gotteshaus St. Bartholomäus in Hernals wurde von einem Jesuitenpater gehalten.
Inzwischen vollzog Kardinal Khlesl die kaiserlichen Verfügungen: erbarmungslos, unmenschlich. Er stellte den "Ketzern" zur Wahl, entweder die einzige wahre, reine Lehre Christi wieder anzunehmen oder innerhalb kurzer Zeit Hab und Gut aufzugeben und die Heimat zu verlassen. Unzählige, zutiefst überzeugte Anhänger der Lehre Luthers - darunter auch Angehörige höchster Adelsgeschlechter - entsagten Haus und Besitz und gingen als Bettler in die Fremde. Um des Glaubens willen. Emigrantenelend des 17. Jahrhunderts.

Das Symbol des Sieges
Pater Carolus Mussart aus der Gesellschaft Jesu kam zu der Überzeugung, sich der Bartholomäus-Kirche in Hernals annehmen zu müssen.
Zweifellos verzeichnete man bei der nach Jahren ersten katholischen Messe in der Hernalser Kirche eine unerwartet große Besucherzahl. Johann Baptist Labbe, ein Bruder seines Ordens, hatte eine Ehrenpredigt gehalten, ein feierliches Hochamt zelebriert. Ob alle die Gläubigen, die an diesem Fest teilnahmen, tatsächlich der lutherischen Lehre abgeschworen hatten, stellte der Pater in Frage. Sicherlich waren viele nur gekommen, um eben dabei zu sein, und für so manchen waren die Gebete nichts anderes als ein Lippenbekenntnis. Man konnte nicht in die Herzen der Menschen sehen!
Um die Wiener, vor allem die Hernalser, völlig zum Katholizismus zu bekehren, mußte noch viel geschehen. Sehr viel.
Vielleicht konnte die Leidensgeschichte Jesu Christi in einer anschaulichen Darstellung die Menschen aneifern und die Zweifler überzeugen.
In einem Skriptum legte Pater Mussart 1638 seine Gedanken und Vorschläge dar: Ein Kreuzweg sollte von der Stadt nach Hernals führen; in jene Vorstadt, in der sich vor nicht einmal zwanzig Jahren der "wahre Hort und Schutz der ketzerischen Lehre" befunden hatte. Gerade dort mußte ein Sinnbild, ein Machtzeichen der siegreichen Gegenreformation erstehen. Für alle Zeiten.
"... Denn es habe das Ansehen, dass ... nicht ohne sonderbare Vorsehung Gottes diese Wallfahrt von St. Stephan nach Hernals erweckt worden und aufgenommen sey, damit eben an demjenigen Orte, an welchem die Ketzer meistenteils ihre Wohnung gehabt und ... ausgetrieben worden seyen, wo auch lange Zeit die Burg der lutherischen Sekte gestanden, anjetzt das ansehnlich gewaltige Trophäum der katholischen Religion und Andacht aufgerichtet werden sollte ..." Die Grabkirche wäre "accurat nach dem hölzernen Modell zu erbauen, welches R. P. Egydius Franciscaner Ordens, damals Conventualis bey St. Hieronymus in der Stadt, mit sich von Jerusalem gebracht ..."
Der Jesuitenpater hatte festgestellt, daß der Passionsweg, beginnend in der Stephanskirche ("Gotts-Leichnam-Altar") bis zu der zu errichtenden Grabkapelle genau der Länge der" via dolorosa" in Jerusalem entsprach. Andererseits war es auch jene Strecke, die von den protestantischen Wienern beim "Auslaufen" zurückgelegt worden war.
Innerhalb weniger Monate erhob das Domkapitel zu Wien den Vorschlag des eifrigen Jesuiten zum Beschluß. Die "Heilig-Grab-Kirche" konnte auf kircheneigenem Grund, nächst der alten Hernalser Pfarrkirche, erbaut werden.
Der Kaiser sanktionierte nicht nur den Beschluß, sondern versprach auch seine Teilnahme an den Einweihungsfeierlichkeiten. Der Magistrat der Stadt Wien erteilte die Baubewilligung für die Errichtung .der Leidensstationen an den hierfür bestimmten Plätzen, die von einer Sonderkommission festgelegt wurden. Von den sieben Kreuzwegstationen wurde die erste in der Nähe des Schottentores errichtet, die zweite am heute noch ebenso bestehenden Eck Alserstraße-Schlösselgasse, zwei weitere ebenfalls noch in der Alserstraße und zwei in der Hernalser Hauptstraße. Die siebente und letzte befand sich am Endziel. Die einzelnen Figuren der Kreuzwegstationen hatten fast Lebensgröße.
Die Einweihungsfeierlichkeiten wurden für den 23. August 1639 festgesetzt, als Vorfeier für den als Patron der Hernalser Pfarrkirche verehrten heiligen Bartholomäus, (am 24. August). Somit fiel dieses große Fest der katholischen Kirche mit jener unseligen, berüchtigten "Bluthochzeit" zusammen, bei der 60 Jahre zuvor in Paris die Hugenotten niedergemetzelt worden waren...

Die erste Prozession
Die angeborene Schaulust der Wiener, ein "Spektakel" zu genießen und mitzuerleben, bestätigte sich in der Präsenz Tausender, die seit den frühen Morgenstunden des 23. August 1639 die Straßen zwischen der Stadt und Hernals säumten.
Pünktlich um sieben Uhr früh fuhr Kaiser Ferdinand, begleitet von seinem Bruder Erzherzog Wilhelm und dem Bischof von Passau, beim Riesentor der Stephanskirche vor, wo er von geistlichen Würdenträgern begrüßt und zu dem "Gottsleichnam-Altar" geleitet wurde. Dort zelebrierte soeben Graf Breuner, der Bischof von Wien, den Frühgottesdienst. Dieser Altar, der heute nicht mehr existiert, war durch eine Tafel als Ausgangspunkt des Kreuzweges gekennzeichnet.
Es muß ein imposanter Zug gewesen sein, der dann vom "Stephans freythof" aus über den Graben, den Hof und die Freyung zum Schottentor zog. Voran schritt die Geistlichkeit von Wien in ihren goldstrotzenden Ornaten, dann folgten die Zöglinge vornehmer Institute mit Bildern und Fahnen, die Kleriker des Pazmanäums trugen die für die einzelnen Kapellen bestimmten Statuen. Es kamen die Ratsherren, Bürger und Bruderschaften mit brennenden Wachslichtern in den Händen, hierauf der Hofstaat, der Erzbischof mit dem Allerheiligsten, zum Schluß der Kaiser, durch die Schweizer Garde vom nachströmenden Volk abgeschirmt.
Außerhalb des Schottentores wurde zum ersten mal haltgemacht. Der Kaiser kniete auf einem von zwei Edelknaben bereitgehaltenen Teppich nieder, und mit ihm sank das Gefolge und die unübersehbare Menschenmenge in die Knie, während der Bischof die Weihe der kleinen Kapelle vornahm. Dieses Zeremoniell wiederholte sich sechs mal.
Der Zug kam somit nur langsam vorwärts und erreichte die Heilig-Grab-Kirche erst um die Mittagszeit. Man hatte sie in maurischem Stil - nach ihrem Vorbild in Jerusalem - gebaut; an jenem Festtag war sie noch nicht fertiggestellt.
Draußen hörte der Kaiser die Festpredigt, wohnte einer Messe bei sowie dem Hochamt in der Pfarrkirche und kehrte abermals zu Fuß inmitten des Zuges in die Stadt zurück.
In einem zeitgenössischen Bericht von P. Matthias Fuhrmann aus dem Paulinen-(auch Paulaner-)orden heißt es: "... als man zu dem Platz des zu erbauenden H. Grabes gelanget und der Weyhe-Bischof den ersten Stern ebenmäßig geweyhet hatte, überreichte solchen samt einem großen silbernen Denck-Pfennig der hochwürdige Herr Dom-Dechant dem Kayser, der solchen mit der Medaille in Grund legte ..."
Später wurde die Hauptprozession in die Fastenzeit verlegt. Auch daran beteiligte sich mitunter der Hof. Aus den Aufzeichnungen des Obersthofmeisters, Fürst Khevenhüller-Metsch, erfährt man (hundert Jahre später), daß Kaiser Franz I. alljährlich mit dem Gefolge nach Hernals pilgerte, um dem Passionsamt beizuwohnen. Die Prozessionen verloren, in die Karwoche verlegt, ihr glanzvolles Gepräge und verwandelten sich, der Karfreitagsstimmung entsprechend, in Bußgänge. Besonders reumütige Pilger beluden sich mit schweren Holzkreuzen, geißelten sich und legten Fesseln an, andere steckten sich Stäbe durch die Ärmel ihrer Kleider, sodaß sie mit ihren ausgebreiteten Armen wandelnden Kreuzen glichen. Es gab Pilger, die den Passionsweg auf den Knien zurücklegten und sich Masken vorbanden, um nicht erkannt zu werden. Es kam immer öfter zu Unruhen, sogar zu blutigen Exzessen, sodaß die offiziellen Prozessionen eingestellt wurden. Die privaten Wallfahrten blieben bestehen, fanden jedoch ein jähes Ende, als die Türken Wien belagerten.
In jenen Tagen des Schreckens und Mordens wurden die Vorstädte niedergebrannt sowie die sieben Stationen und die Grabkirche zerstört.
Etwa 25 Jahre später, als man sich von den Schrecken und Nöten der Belagerung erholt hatte, dachte man daran, anstelle des Heiligen Grabes einen Kalvarienberg zu errichten.

Ein Kalvarien-Berg
Die "Bruderschaft der 72 Jünger Christi", in der viele reiche Bürger Wiens Mitglied waren, nahm sich dieses Vorhabens an. So begann man 1709 einen künstlichen Berg aufzuschütten, der, durch Gewölbepfeiler gestützt, in seinem Inneren einen so ausgedehnten Hohlraum hatte, daß er als Kirche dienen konnte. Auf 72 Stufen (sie symbolisieren die "72 Jünger Christi") gelangte man zum Gipfel des Hügels. Er trug, weithin sichtbar, die Kreuzigungsgruppe. Die Längsseiten wurden von 14 kleinen Kapellen gesäumt, in denen sich die Kreuzweg-Reliefs befanden. Die sieben Leidensstationen, die den Weg von der Stadt nach Hernals gesäumt hatten, restaurierte man, soferne sie überhaupt noch existierten. Bei den Restaurierungsarbeiten stellte man Freiplastiken auf. .
Diese ungewöhnliche Anlage wurde zu einer Wiener Attraktion. Einheimische und Fremde beteiligten sich an den Wallfahrten in einem solchen Ausmaß, daß die pfarrgeistlichkeit den gestellten Anforderungen nicht mehr nachkommen konnte. Man berief daher die Pauliner Mönche, die man mit der Überwachung des Wallfahrtswesens und der Instandhaltung des Kalvarienberges sowie der Kirche betraute. Die Mönche erhielten ein Wohnhaus nächst der Kirche. Einer der Patres war der bereits erwähnte Matthias Fuhrmann, dem viele zeitgenössische Berichte vor allem über die Errichtung und Einweihung des Kalvarienberges zu danken sind ("Historische Beschreibung von Wien").
Die in den künstlichen Hügel eingebaute Kirche bewährte sich nicht. Nässe sickerte durch die Decke und die Wände entlang herab, sodaß Pfützen entstanden. Schließlich wurde es unerträglich, die Messe in diesem Gotteshaus zu lesen, und die Mönche beschlossen einen Umbau. Sie verlegten die Kirche nach außen. Die Anlage blieb in dieser Form bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts erhalten.
Die Wallfahrten nach Hernals bürgerten sich immer mehr ein. Rings um die Kirche entstand im Laufe der Zeit eine Budenstadt, in der Andenken, Leckereien, das berühmte "Gigerlfutter" und Kinderspielzeug verkauft wurden. Auch Gastwirtschaften entstanden, dem erhöhten Bedarf entsprechend.
Das "Kalvarien-Berg-Fest" in der Fastenzeit entwickelte sich immer mehr zu einem fröhlichen, lärmenden Treiben. Die Wiener der maria-theresianischen Zeit suchten umso lieber Hernals auf, als in der Regierungszeit der frommen Kaiserin Tanzunterhaltungen nach dem Faschingdienstag verboten waren. Die vergnügungssüchtigen Wiener zogen also schon am Aschermittwoch in die Hernalser Vorstadt, die eher einem Kirchweihplatz glich als einem Wallfahrtsort. An diesen "Buß-Fahrten" nahmen auch Angehörige der vornehmen Gesellschaft teil, wie aus zeitgenössischen Berichten ersichtlich ist. Unter anderem schrieb Josef Richter, der Herausgeber der berühmten "Eipeldauer-Briefe", an seinen "Herrn Vetter in Kagran", die leichtfertige Gesellschaft in Hernals kritisierend: "... Denn wer nur immer eine Equipage gehabt hat, ist hinausgefahren, aber freilich nicht aus Andacht, sondern der Unterhaltung wegen, und da hat man mitten unter den Standlweibern, die dort Ziwebn und Kipfeln verkaufen, unsere eleganten Herrn mit ihre Schönheit am Arm herumwandeln sehn; daher wird auch Hernals von einigen Spöttern ,die 'kleine Fasten-Redoute' genannt. Da ist schon mancher Muthwilln triebn worden, sodaß sich sogar der linke Schächer drüber g'ärgert hät ..."
Eine Anspielung bezieht sich auf eine Figur der 13. Kreuzwegstation, den sogenannten "Körbeljuden". Unter dem Kreuz sieht man die Muttergottes und Maria Magdalena, die andächtig zum Himmel blicken, während ein häßlicher Mann zu ihren Füßen herumliegende Nägel in ein Körbchen sammelt. Er sollte die kleinliche Habsucht verkörpern, wurde aber von den Besuchern für einen Schergen gehalten, dem gegenüber die Vorübergehenden ihr Mißfallen durch Hiebe und Beschädigung ausdrückten, sodaß der Kopf des "Körbeljuden" nach Fastenende stets repariert werden mußte, bis jemand auf die Idee kam, die Nase des Mannes durch eine eiserne zu ersetzen.

In den letzten zweihundert Jahren
Die Klosteraufhebungen durch Kaiser Joseph II. (1783) trafen auch die Pauliner Mönche in Hernals. Sie zogen nach Ungarn, und ihre Agenden wurden wieder von der Pfarre Hernals übernommen. Im verlassenen Ordenshaus gründete man das später legendäre Offizierstöchter-Institut.
In jener Zeit wurde auch die alte, schon ziemlich baufällige Pfarrkirche abgetragen und an ihrer Stelle die Kalvarienbergkirche, die dem heiligen Bartholomäus geweiht war, mit einem Turm versehen und als Pfarrkirche in Verwendung genommen. Allerdings erwies sich dieses Gotteshaus als zu klein. Hernals hatte damals, Ende des 19. Jahrhunderts, bereits 74.000 Einwohner.
Architekt Richard Jordan leitete den Umbau des Gotteshauses. Er ließ den Berg abtragen und vergrößerte die Kirche fast um die Hälfte. Die Ecce-homo-Gruppe blieb bestehen, die holz geschnitzten Kreuzwegreliefs und die Kreuzigungsgruppe brachte man in einem gedeckten Gang unter, der die Kirche in halber Höhe von drei Seiten umschließt. Die Reliefs stammen von 1709, wenn auch mehrfach restauriert!
Aus dem Inventar der einstigen alten Höhlenkirche übernahm man die so genannte" Türken-Muttergottes", die man 1683 im verlassenen Feindlager gefunden hatte, wo sie den Türken als Zielscheibe gedient hatte.
Vor 55 Jahren (1931) mußte die Kirche neuerdings renoviert werden. Der Freskenmaler Hans Fischer schuf für Kuppel und Decke neue Fresken und Wandmalereien, das Hochaltarbild wurde renoviert.
Die wiederhergestellte Kirche sollte keinen langen Bestand haben. In den letzten Kriegstagen 1945 zerstörten amerikanische Bomben das Haus. Ein Volltreffer zerschlug das Dach und explodierte im Innenraum. Der gigantische Luftdruck vernichtete die gesamte Inneneinrichtung, Portal, Fenster und die Orgel, die Deckenfresken sowie sämtliche Gemälde. Ausgenommen die "Türken-Muttergottes" ...
In den Osterfeiertagen des Jahres 1948 wurde in der wieder aufgebauten Hernalser Pfarrkirche der erste Gottesdienst gehalten. Ein denkwürdiges Ereignis, nicht nur für die Menschen unserer Generation, auch im Rückblick auf die so bedeutungsvollen lokalen und kirchengeschichtlichen Ereignisse.

© Maria Kinz, Liebenswertes Hernals, Wien 1986

Die heutige Kalvarienbergkirche nach der Generalsanierung zwischen 1990 und 2000

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