Kirchlicher Besitz in Hernals
Der untere Lauf der Als
Ein gewisser Dr. Luther
Hernals, das "Nest der Ketzer"
"... rottet sie aus!"
Die gereinigte neue Lehre
Der Eid des Habsburgers
Das Symbol des Sieges
Die erste Prozession
Ein Kalvarien-Berg
In den letzten zweihundert Jahren
Kirchlicher Besitz in Hernals
Abgesehen vom Kloster St. Peter in
Salzburg, in dessen Urbarien die Einkünfte von "hern allse" seit dem 11.
Jahrhundert aufscheinen, besaßen einige Wiener Klöster hier Grund und
Boden.
Die Babenberger bedachten die Abtei Unserer Lieben Frau zu den
Schotten, das als erstes Wiener Kloster 1155 gegründet worden war, reichlich mit
Grund und Boden. Die Areale vor der Stadt, Hernalser Gebiet eingeschlossen,
waren gleichsam das Einstandsgut des Kaisers. Interessant ist, daß die Schotten
1208-1227 fingierte Dokumente ausfertigten, um die landesfürstlichen Pläne eines
ersten Wiener Bistums realisieren zu können. Durch diese sollte die
Sonderstellung des fürstlichen Hofklosters bestätigt sein. Ein solcher
gefälschter Stiftungsbrief war auch die Urkunde über die Kapelle zum Heiligen
Johannes an der Als ...
Weiters besaßen der Deutsche Ritterorden, das Kloster
der Beschuhten Augustiner Eremiten, die Stifte Zwettl und Heiligenkreuz,
selbstverständlich auch das Kapitel zu St. Stephan in Wien Vogt- und Grundrecht
an Hofstätten, Äckern, Wiesen und Weingärten an der Als. Auch Nonnenklöster
wurden mit Gütern bedacht: das Kloster St. Klara in Wien, die Zisterzienserinnen
in St. Niklas vor dem Stubentore, das Kloster zur Himmelpforte und das Maria
Magdalena-Kloster vor dem Schottentor (das bekehrte "sündige Frauen" aufnahm).
Die Grundbesitzungen waren einträglich.
Abgesehen vom kirchlichen Besitz
hatten später auch angesehene Wiener Anteil an Weinrieden in Hernals, unter
anderem der Bürgermeister Chunrat der Wiltwercher, Paltram vor dem Freythof, der
als einer der reichsten Männer von Wien galt, Leopold und Jans von Puchs, der
Smerstozzel, Bürgermeister Wernhart der Chrannest, Michel der Lyenfelder
...
Dokumente beweisen, daß die Hernalser Liegenschaften oft ihre Besitzer
wechselten. Gottfried der Tuchscherer verpfändete seinen Weingarten an Dietrich
von Liechtenstein, Helmbeig der Scherer verkaufte an Ulreich den Pader. Bei
einem Erbschaftsstreit unterlagen Michel der Pol und Jans der Peiein gegen
Friedrich den Schrannenschreiber ...
In einem Bericht aus dem 14. Jahrhundert
über Wien und seine Umgebung ist zu lesen: "...entlang der Wienerwald-Bäche und
Ausfallstraßen breiten sich inmitten von Weingärten und Feldern die zahlreichen
Dörfer aus, die zu wohlhabenden Siedlungen wuchsen. (Jene, die der Stadt am
nächsten waren, galten schon damals als Vorstädte.) Wiens ganzes Gebiet ist ein
ungeheurer herrlicher Garten, mit schönen Rebhügeln und Obstgärten gekrönt ...
an diesen liegen anmutreiche Vorberge, geziert mit den lieblichsten Landhäusern,
geschmückt mit Fischteichen und Jagdbarkeiten ..."
So idyllisch, wie man
danach meinen könnte, waren die Zeiten allerdings nicht. Mißernten und
Heuschreckenschwärme brachten Hungersnot. Mitte des 14. Jahrhunderts brach die
Pest aus. Die Bewohner "ze Allzze" blieben davon nicht verschont.
Der untere Lauf der Als
Das Siechenhaus, am unteren Lauf der Als,
wird 1298 erstmals urkundlich erwähnt. Es lag samt seiner Kapelle auf Gründen
des Schottenstiftes (nach heutiger Verbauung Ecke Währinger Straße-Spitalgasse)
am rechten Ufer der Als, die hier die Grenze zwischen dem Wiener Burgfrieden und
dem Dorfe Währing bildete. Hier erreichte die alte Fernstraße an der Donau, von
Klosterneuburg kommend, das Vorstadtgebiet.
Das "Siechenals" genannte Dorf
lag am linken Alsufer und gehörte zur Pfarre Währing. Später entstand hier die
Vorstadt" Thurygrund".
Das Siechenhaus wurde als Gemeinschaft der
"Sondersiechen" von einem Wiener Bürger als "Meister" geleitet.
1476 übergab
Kaiser Friedrich III. die Verwaltung des Siechenhauses dem
Augustiner-Chorherrenstift St. Dorothea, dessen Reichtum Gewähr für den
Fortbestand der Anstalt zu bieten schien. Nach der Zerstörung im Türkenjahr 1529
lag das Siechenhaus längere Zeit öde, bis Ferdinand I. 1540 die Anstalt mit
Einwilligung des Dorotheerklosters der Stadt Wien übergab, die auch die
Wiederherstellung finanzierte. Seither führte die Anstalt den Namen
"Lazarett".
In das Siechenhaus wurden Aussätzige aufgenommen, aber auch Arme
und Obdachlose. Als die Pest in Wien wütete, herrschte reger Betrieb. Die
Todkranken lagen "haufenweise beieinander", weshalb man auch an eine Erweiterung
der Krankenräume dachte. Bei den Pestseuchen 1679 und 1713 war die Anstalt total
überbelegt und die Schachtgräber im nahegelegenen Friedhof füllten sich rasch.
Aus dem Pestjahr 1713 gibt es Berichte über die einzelnen Räume: "Es gab fünf
Männerstuben, vier Weiberstuben, vier 'Meliorationsstuben' für Genesende, ferner
eine Kinderstube und mehrere Ärztezimmer", heißt es da.
1858 wurde auf
Veranlassung von Kaiser Franz Joseph der gesamte Komplex abgerissen und an
seiner Stelle das Bürgerversorgungshaus errichtet.
Ein gewisser Dr. Luther
Pest und "Türkennot" hatten ihre Spuren
gesetzt, Menschen getötet, Land verwüstet. Die Armut ging um. Alte Weltbilder
begannen sich zu verzerren und zu wandeln. Das soziale Gefüge war
erschüttert.
Der Adel lebte für sich, unter seinesgleichen; mehr denn je. Die
Not und Verzweiflung der Untertanen kümmerte ihn, wenn überhaupt, kaum.
Die
Kirche widmete sich mehr und mehr weltlicher Machtpolitik. Die Kirchenfürsten
lebten feudal und maßlos. Der verweltlichte Klerus wandte sich weltlichen
Aufgaben zu. Von einer Erneuerung der Kirche wollte Rom nichts wissen. Wer dafür
sprach, sich auflehnte, wurde als Ketzer verurteilt und getötet. Im Namen
Christi.
Neue Entdeckungen, wissenschaftliche Erkenntnisse, neuorientiertes
philosophisches Denken, das den Menschen in den Mittelpunkt stellte, mußten zu
einer Wende führen; zum großen Umbruch vom Mittelalter in eine neue Zeit. Ein
Prozeß, der sich durch Jahrhunderte gezogen hatte, schien zu Beginn des 16.
Jahrhunderts ausgereift zu sein.
Die Kirche lehnte jegliche Bereitschaft zu
Änderungen und Diskussionen darüber ab. Sie ignorierte die Entdeckungen der
Wissenschaftler, das Denken der großen Humanisten ebenso wie andere Zeichen der
Zeit.
Etwa die ersten Bauernunruhen Anfang des 16. Jahrhunderts (und noch vor
Luthers Thesenanschlag in Wittenberg). Der Ruf "Setzt aufs Kirchendach den roten
Hahn!" war das Signal späterer Auseinandersetzungen mit Feuer und
Schwert.
Dr. Martin Luther, geboren 1483 in Eisleben, Mönch und Professor der
Theologie in Wittenberg, dachte nicht an Veränderungen der herrschenden
politischen Strukturen. Er wollte auch keine Kirche gründen, sondern die
bestehende erneuern, von innen heraus reformieren. Der Papst hatte taube Ohren,
reagierte nicht, beziehungsweise anders: Er sprach den Bann über den deutschen
Theologen.
Als Dr. Martin Luther im Jahre 1517 seine 95 Thesen an die
Schloßkirche von Wittenberg nagelte, sah er darin eine öffentlich
"angeprangerte" geistige Herausforderung. Er ahnte jedenfalls nicht, daß sein
Thesenanschlag Anstoß zu einer geistig-revolutionären Bewegung geben sollte,
die, unter Berufung auf Gottes Wort, die bestehende Ordnung in Frage
stellte.
Die Lehre Luthers verbreitete sich schnell. In den österreichischen
Erblanden war es vor allem der Adel, der sich aufgeschlossen zu der neuen Lehre
bekannte. Bereits 1522 predigte ein Protestant von der Kanzel des
Stephansdomes!
Das habsburgische Kaiserhaus war mit dieser neuen
Religionsbewegung nicht einverstanden. Die strenge spanisch-katholische
Erziehung verwehrte Aufgeschlossenheit und setzte enge Schranken.
Der Adel
fühlte sich nicht beeinträchtigt. Kraft seines Standes verlangte er seine Rechte
und sicherte sie sich. Der Kaiser mußte nachgeben und bestätigte im "Augsburger
Religionsfrieden" (1555) volle Glaubensfreiheit und Rechtsgleichheit, allerdings
mit der Auflage ausschließlicher Gültigkeit für den Adel. Diese entscheidende
Einschränkung führte zu dem berühmt-berüchtigten "cuius regio, eius religio"
(Wessen das Land, dessen der Glaube). Die Religion der Herrschaft war demnach
verpflichtend für die Untertanen.
Die zahlreichen Edikte, die von den
Habsburgern erlassen wurden, fruchteten nicht viel. Was nützte dem jungen
Ferdinand das Edikt "wider den Glauben lutherischer Bücher", was nützten ihm
Anklagen gegen die Häresie, das "Generalmandat wegen Vertilgung der Lutheraner"?
Er konnte nur dort strafen, wo die Menschen getroffen werden konnten: im
Volk.
Ferdinand I., 1556 zum Kaiser gekrönt, tolerierte nur notgedrungen die
Religionsfreiheit des Adels - als Standesprivileg. Er berief aber 1542 die
"Missionare Gottes", die Jesuiten, nach Wien, die für ihn der geistige Gegenpol
waren. Die Gründung des Ordens war 1540 durch den Spanier Ignatius von Loyola
erfolgt.
Der Adel kümmerte sich wenig um die Maßnahmen des Kaisers und wandte
sich unbeirrt dem neuen Glauben zu. Zu den Konvertierten gehörten unter anderen
auch die Herren von Geyer in Hernals.
Als Maximilian II., Sohn Ferdinands I., das väterliche Erbe antrat (1564),
waren neun Zehntel des österreichischen Adels evangelisch. Maximilian selbst war
in jungen Jahren protestantisch orientiert,. mußte aber dann aus Gründen der
Staatsräson als strenggläubiger Katholik agieren.
Man sagte von ihm, daß er
eine Doppelrolle gespielt hätte. In diesem Sinne wäre auch das Toleranzedikt zu
interpretieren, das Maximilian 1568 erließ: "... den Ständen des Landes unter
der Enns ... sei vergönnt, in ihren Schlössern, Städten und Dörfern und in allen
Kirchen, über welche sie das jus Patronatus hätten, ihre Lehren und Ceremonien
so, wie sie ... in der Augsburger Confession kurz zusammengefaßt wären,
anzurichten und auszuüben ..."
Ferdinands Edikt traf die Wiener nicht - die
protestantisch gesinnten Bürger pilgerten in die Vorstadt, nach Hernals, wo sie
den Zeremonien nach evangelischem Ritus beiwohnen konnten. "Die Leute laufen
aus", stellte Melchior Khlesl, nachmaliger Bischof von Wien und Erzfeind der
"Ketzer", fest.
Hernals, das "Nest der Ketzer"
Hatte schon der einstige
Lehensträger von "Herrenalls", Dr. Simon Geyer, in der von ihm patronierten
Kirche evangelische Meßfeiern abgehalten und Prediger nach Hernals gerufen, so
setzte Adam von Geyer - Herr von Als und zu Inzersdorf am Wienerberg - diese
Tradition fort. Er berief berühmte Prediger nach Hernals, wie den Nürnberger
Ambrosius Ziegler, den hoch berühmten Theologen David Chyträus aus Rostock und
Joachim Cameratius, einen der gelehrtesten Männer Europas in jener
Zeit.
Immer mehr Menschen pilgerten zur Patronatskirche des Herrn von Geyer,
um hier das "lautere Wort Gottes" zu hören. Als die Kirche zu klein wurde, ließ
Geyer die "Prädikanten", wie die Prediger genannt wurden, vom Erker seines
Schlosses zu einer kaum übersehbaren Menschenmenge sprechen. Hernals wurde zur
"Hochburg des Luthertums".
Die protestantisch gesinnten Bürger Wiens
empfingen hier das Abendmahl, hatten ihre Hochzeiten und Taufen und trugen dafür
Sorge, auch am Hernalser Friedhof begraben zu werden. Ende der siebziger Jahre
des 16. Jahrhunderts erreichte der Protestantismus in Wien seinen
Höhepunkt.
Derartige Pilgerfahrten nach Hernals beschrieb Emilie Hany in
einem Heimatbuch für den 17. Gemeindebezirk: "... Es war einer jener sonn
goldigen Frühjahrstage, die den Landschaftszauber der alten Donaustadt noch
erhöhten. Aus engen, dämmerdunklen Gäßchen kamen, drängten sich Menschen aus den
mächtigen Mauerwölbungen der Stadttore. Sie zogen nach Hernals, um das
Gotteswort zu hören. Hoffnung glühte in den Herzen der vielen Tausenden, die
durch die 'wiener straß' entlang dem gewundenen Lauf des Alsbaches pilgerten.
Hier duckten sich die kleinen Häuser des Dorfes, inmitten blühender Gärten, eng
aneinander geschmiegt, blickten sie mit zwei oder drei Fensteraugen mit den
giebelseitigen Stirnfronten auf die Als. ... Mehrere Häuschen trugen eine Stange
mit einem Reifen, in dem ein 'Strohwisch' oder ein Reisigbündel schaukelte: ein
aufmunternder Hinweis zu geselligem Umtrunk. Wer Wein baute, konnte als
'Leutgeb' in seiner guten Stube den geernteten Goldtrank ausschenken ...
Die
frommen Pilger waren festlich gekleidet, und der Zug hatte feierliches Gepräge.
Der Adel trug, nach seinem Vorrecht, ein purpurnes oder violettes, mit
Edelsteinen reich geschmücktes Samtgewand, fuhr in Staatskarossen, auf deren
Hintersitzen die Diener in starrer Haltung standen. Ritter in pelzverbrämten
Scharlachmänteln ritten einher ... Langsamen Schrittes kamen die Bürger.
Gewöhnlich trugen sie ihre braune Schaube, aber viele hatten auch ihre
Prunkkleider aus Samt und Atlas angelegt, die mit farbigen Damaststreifen
besetzt und mit kunstvoll gearbeiteten Zierknöpfen versehen waren. Viele trugen
um Hals und Schultern goldene Schaugehänge, Meisterwerke der kunstsinnigen
Wiener Goldschmiede. Das halblange Haar war zumeist mit dem flachen, reich
befiederten Barett bedeckt, das an einer eigenen Haarhaube (Kalotte) befestigt
war. Die Mode kannte aber auch schon den mit kostbaren Schnüren geschmückten
Spitzenhut. Daß hier Protestanten pilgerten, zeigte sich schon nach außen hin an
dem weitfaltigen Schlitzkostüm. Die Katholiken, damals meist Papisten genannt,
trugen die eng-steife spanische Tracht mit dem verkürzten Schenkelbeinkleid. Die
schmucklosen, vorne breit auslaufenden Schuhe hatten nur wenig
Oberleder.
Ebenso reiche Farbenpracht wiesen die Kleider der Frauen auf. Der
weite, schleppende Faltenrock zeigte prächtige Stickereien. Zu den kurzen oder
angesetzten Jacken trug man Bauschärmel ebenso wie eng anliegende. Der lose um
die Hüfte liegende Gürtel war kostbar, hatte Hängespiegel und Riechfläschchen,
sogenannte 'Ambraäpfel' oder 'Bisamköpfe', aus wohlriechendem Holz gefertigt und
mit duftenden Gewürzen oder Moschus gefüllt.
Die Jungfrauen trugen das lange
Haar offen oder hielten es in einem mit Perlen geschmückten Goldnetz fest.
Frauen hatten die 'Flunder' (Flitterhaube) auf oder bargen ihr Haar in 'Risen',
worüber Matronen noch ein Kinntuch legten.
In all der Flimmer- und
Farbenpracht der festlich geschmückten Menschen hob sich die schwarze Tracht der
Gelehrten düster ab. Nur eine breite, weiße Fältelkrause erhellte das dunkle
Gewand.
Mehr als Zehntausende waren es manchmal, die an den Sonntagen nach
Hernals zogen, auf dem weiten Weg im Gebet verharrten, knieten, die Arme weit
ausgebreitet zum Himmel gestreckt. Sie waren jedoch alle von der Seligkeit
befallen, beten zu können in der Gemeinsamkeit duldender
Glaubensgenossen.
Wanderten die getrösteten Menschen Stunden später den Weg
nach Wien zurück, dann ernteten Krüppel und Bettler, die am Wegrand kauerten,
die Gaben des Mitleids und der helfenden Güte ..."
"... rottet sie aus!"
Als Kaiser Maximilian II. plötzlich starb,
verloren die Protestanten ihren geheimen, verständnisvollen Gönner. Maximilians
Nachfolger, Rudolf II., hatte nicht die Toleranz seines Vaters. Er sah vielmehr
in den Protestanten den "Erzfeind", und es war sein Wunsch und Wille, "die
Erblande wieder der römischen Kirche zurückzuführen.
Sensibel, introvertiert
und unzugänglich stand Rudolf II. der bildenden Kunst und vor allem der Alchimie
weit näher als den Regierungsgeschäften. Er zog sich nach Prag zurück und gab
seine Weisungen von dort aus.
1577 verbot Rudolf II. öffentliche Predigten
der evangelischen Geistlichen, Vermählungen und Taufen - alles, was dem
protestantischen Ritus entsprach. Bekannte Prediger ließ er ausweisen, wie zum
Beispiel Josua Opitz.
Die empörten Proteste der Stände gegen die
Einschränkungen der zugesagten Religionsfreiheit wies der Kaiser ab. Er zog es -
dem Vorschlag des" Wiener Konsistoriums" folgend - vor, verschärfte Verfügungen
zu treffen, unter anderem: "... die Kirche zu Hernals unweit Wien sey zu sperren
...!"
Eine kaiserliche Kommission wurde zur Durchführung eingesetzt und die
Kirche, mit kaiserlichem Siegel versehen, versperrt. Die Eingabe der Brüder Adam
und Balthasar von Geyer gegen diesen Bescheid blieb natürlich erfolglos. Dafür
gab es eine weitere Verfügung, wonach "allen Bewohnern von Wien das Auslaufen
aus der Stadt zu anderer Seelsorge und die Hineinziehung evangelischer Prediger
von Haus zu Haus zu verbieten und die Verbrecher zu bestrafen seyen ..."
Die
kaiserliche Verfügung, die Patronatskirche zu versiegeln und zu versperren,
nahmen die Herren von Geyer zur Kenntnis, aber nicht hin. Die erste Antwort war,
den Saal des Hernalser Herrensitzes als Gebets- und Predigtraum zur Verfügung zu
stellen. Erneut zogen die Wiener Protestanten in die Vorstadt, immer mehr und
mehr.
Wie an jenem Ostersonntag des Jahres 1578, der in die Geschichte Wiens
und des österreichischen Protestantismus einging.
Es waren so viele Anhänger
der lutherischen Lehre gekommen, daß der große Saal des Schlosses viel zu klein
wurde. Die Geyer hatten einen bekannten Prediger aus Kagran herberufen, einen
Demagogen und Fanatiker. Die Predigt des Prädikanten verhieß zwar die
Osterbotschaft, nährte aber nicht seelischen Frieden, sondern Haß. Aggressionen
wurden geweckt, genährt und eskalierten ... eine aufgebrachte Menschenmenge
stürmte die versperrte Kirche, zerriß das kaiserliche Siegel, verschaffte sich
gewaltsam Einlaß in das Gotteshaus. In einem Triumphzug geleitete man den Prädikanten in die Kirche - und auf die Kanzel.
Trotz der abermaligen Sperre
der Kirche und der Vertreibung protestantischer Prediger ließen sich die Stände
in der Weiterausübung protestantischer Riten nicht beirren. So wurden auch in
Hernals - eben im Saal des Schlosses - weiterhin evangelische Messen,
Vermählungen und Taufen gefeiert.
"Man muß die Ketzer endlich zur Räson bringen! Und wenn nicht anders, dann
mit Gewalt!" sagte der Mann im Priesterrock leidenschaftlich. Melchior Khlesl,
Vikar von Niederösterreich, saß Seiner Majestät Kaiser Rudolf II. gegenüber. Der
Vikar war eigens nach Prag gereist, um von den jüngsten Vorfällen in Wien zu
berichten. Vor allem in der Vorstadt Hernals. Eine verhetzte Menschenmenge hatte
das kaiserliche Siegel mißachtet, das Gotteshaus gestürmt. Das war aber nicht
genug. Man hatte einen Ketzer auf die Kanzel gestellt, die bisher nur
katholischen Priestern vorbehalten gewesen war.
Khlesl schäumte vor Wut. Der
Kaiser zeigte kaum Bewegung, man wußte nicht einmal, ob er zuhörte. Das
irritierte Khlesl noch mehr. Er wollte doch auch von seiner unermüdlichen
Tätigkeit berichten, um im Zusammenwirken mit besonders eifrigen Jesuiten Tag
für Tag die Seelen verirrter Menschen zu retten! Da der katholische Glaube der
einzig wahre sei. Khlesl, der einst im Hause seines Vaters die Bibeltexte
Luthers gehört und gelesen hatte, war nun ein von den Jesuiten überzeugter
Katholik. Fanatisch.
Das asketische Gesicht des Kaisers blieb weiterhin
unbeweglich. Schließlich sagte eine brüchige, leise Stimme bedächtig:
"Monsignore! Es ist doch Eure Aufgabe ... im Glauben verirrten Menschen die
Folge ihrer Verblendung zu verkünden...und es wird auch Euer Werk sein, diese
Menschen zum katholischen Glauben zurückzuführen ... oder sie zu verstoßen" -
die Stimme des Kaisers wurde laut und zornig - "... sie aus meinen Ländern
hinauszuwerfen ...!"
Der Geistliche versicherte den Kaiser seines blinden
Gehorsams. Mit der Blindheit des Hasses.
Melchior Khlesl, nachmaliger Bischof
von Wien, Hauptfigur der Gegenreformation in Österreich, war von seiner
missionarischen Sendung überzeugt: "Bei dieser Arbeit begehre ich entweder zu
sterben oder mit Gottes Hilfe und Gnade das katholische Wesen in Österreich -
und wenn es sein muß, mit weltlicher Gewalt - in einen besseren Stand zu
bringen." Diese Aussage meinte Khlesl ehrlich. Jahre später erhielt der nun hohe
geistliche Würdenträger sämtliche Vollmachten, "... alles zu tun, was zur
Aufnahme der katholischen Kirche aller erforderlich seyn werde ... und alle, die
dem Luthertum nicht entsagen wollen, aus den kaiserlichen Landen innerhalb von
drei Monaten zu verweisen."
Die gereinigte neue Lehre
Die Herren zu Als des 16. Jahrhunderts
waren die Herren Geyer und Jörger. Von der Lehre Luthers überzeugt,
konvertierten beide Geschlechter.
Der Herrensitz in Hernals wurde zum Zentrum
des sich verbreitenden Protestantismus. Bei der 1. Türkenbelagerung dürfte der
Herrensitz zerstört worden sein. Dafür spricht auch die an den Kaiser gerichtete
Petition des Dr. Simon Geyer, wonach man ihm aufgrund seiner treuen Dienste (er
war unter anderem mit den Inventarien der Schatzbriefe Ferdinands I. betraut)
und des nur geringen Wertes des Herrensitzes und des zerstörten Dorfes beides
überlassen solle. Die Bittschrift wurde abgewiesen, "... da Hernals ein
ansehnlich stuck sey, das jährlich 200 Pfund Pfennige trage ..."
Simon Geyers
Nachfolger waren dem Landesherrn weniger treu als der protestantischen Lehre.
Der Besitz blieb Lehen, das 1566 nochmals erneuert wurde. 1587 verkaufte Geyer
ohne lehensherrliche Zustimmung an die Freiherren von Jörger, ein
oberösterreichisches Geschlecht. Hatte sich Hernals schon zur Zeit der Familie
Geyer zu einem protestantischen Zentrum entwickelt, so stellten sich die
Freiherren von Jörger noch mehr in den Dienst der neuen Religion, schon aufgrund
familiärer Tradition. Schon Dorothea von Jörger war mit Luther in brieflichem
Verkehr gestanden und hatte arme oder verfolgte Protestanten protegiert.
Da
die sogenannte "Kapitulations-Resolution" (1609) ein neuerliches "freies
Religions-Exercitium" zuließ, war Helmhardt von Jörger einer der eifrigsten
Bekenner. In seiner Patronatskirche fanden evangelische Gottesdienste statt, die
öffentlich zugänglich waren. Herbeigerufene Prediger sorgten dafür, daß die
Wiener Protestanten wieder nach Hernals "ausliefen". Der Zustrom war
unvorstellbar groß.
Hernals besaß nun für einige Jahre eine evangelische
Pfarre.: Der Superintendent aus Plauen, Dr. Mattias Hock (ein gebürtiger
Österreicher), lobte: "... Hernals kann als wahrer Hort und Schutz der
gereinigten Lehre gerühmt werden, die von Hohen und Niedrigen aus Wien in fast
unzählbarer Menge besucht wird ..."
Der Eid des Habsburgers
"Der katholische Glaube muß in meinen
Ländern der einzige wahre sein und dies gilt für jeden einzelnen, der dort lebt
und wohnt, ohne Ausnahme! Jeder, der anders denkt, muß mein Land verlassen. Das
schwöre ich, so wahr mir Gott helfe!" gelobte der junge Ferdinand II. auf seiner
Rückreise aus Rom in Loretto. Der Habsburger, der 1619 den Thron bestieg, war
der Kaiser des Dreißigjährigen Krieges, der Kaiser der
Gegenreformation.
Unerbittlich und rücksichtslos war er von missionarischem
Eifer erfüllt, die Protestanten zu vernichten. "Lieber will ich mich in Stücke
hauen lassen", erklärte Ferdinand, "als eine Beeinträchtigung des katholischen
Glaubens zu gestatten." Und er handelte danach: Dem tiefgläubigen Katholiken war
jedes Mittel zur Vernichtung der Andersgläubigen recht. Auch das
unchristlichste.
Lutherische Prädikanten und Schulmeister wurden ausgewiesen,
protestantische Literatur dem Feuer übergeben (!), adeligen Patronatsherren
befohlen, ihre Pfarren innerhalb kürzester Zeit mit katholischen Priestern zu
besetzen. Vor allem aber mußte das "Luthernest Hernals" ausgeräuchert werden.
Restlos, total!
Kam der Zufall dem Kaiser zu Hilfe? Die kaiserliche Huldigung
am 13. Juli 1620 fand nicht in dem Ausmaß und mit der Beteiligung statt, wie sie
der Kaiser erwartet hatte.
Die protestantischen Stände "streikten". Sie
wollten die ihnen zustehende Religionsfreiheit. Solange dieses Privileg nicht
bestätigt war, verweigerten die "Rebellen" die Erbhuldigung.
Zu jenen, die
sich der Gunsterweisung entzogen, gehörte Helmhardt von Jörger. Er nützte auch
nicht die vierzehntägige Frist, beim Kaiser Gnade zu finden.
"Ohnehin schon
bey Hof notiert", also in kaiserlichen Ungnaden, wurde Jörger "mit Leib, Ehre,
Hab und Gut" zum Feind des Vaterlandes erklärt; sein Besitz verfiel dem
Landesherren.
Freiherr von Jörger mußte "in seiner Behausung als
Staatsgefangener so lange leben, bis sein Sach' von dem kayserlichen Gericht
untersucht und dann ein Urteil zu sprechen sey ...". Helmhardt von Jörger wurde
zum Tode verurteilt, aber nicht hingerichtet, sein Gut konfisziert und dem Staat
zugesprochen. Drei Jahre später hat man Jörger "durch kayserliche Clemenz
pardoniert", und er soll schließlich auch später Teile seiner Besitzungen
zurückerhalten haben. Hernals blieb allerdings Lehensgut des Kaisers, der es dem
Domkapitel zu St. Stephan zusprach.
Die erste Predigt im rekatholisierten
Gotteshaus St. Bartholomäus in Hernals wurde von einem Jesuitenpater
gehalten.
Inzwischen vollzog Kardinal Khlesl die kaiserlichen Verfügungen:
erbarmungslos, unmenschlich. Er stellte den "Ketzern" zur Wahl, entweder die
einzige wahre, reine Lehre Christi wieder anzunehmen oder innerhalb kurzer Zeit
Hab und Gut aufzugeben und die Heimat zu verlassen. Unzählige, zutiefst
überzeugte Anhänger der Lehre Luthers - darunter auch Angehörige höchster
Adelsgeschlechter - entsagten Haus und Besitz und gingen als Bettler in die
Fremde. Um des Glaubens willen. Emigrantenelend des 17. Jahrhunderts.
Das Symbol des Sieges
Pater Carolus Mussart aus der Gesellschaft
Jesu kam zu der Überzeugung, sich der Bartholomäus-Kirche in Hernals annehmen zu
müssen.
Zweifellos verzeichnete man bei der nach Jahren ersten katholischen
Messe in der Hernalser Kirche eine unerwartet große Besucherzahl. Johann Baptist
Labbe, ein Bruder seines Ordens, hatte eine Ehrenpredigt gehalten, ein
feierliches Hochamt zelebriert. Ob alle die Gläubigen, die an diesem Fest
teilnahmen, tatsächlich der lutherischen Lehre abgeschworen hatten, stellte der
Pater in Frage. Sicherlich waren viele nur gekommen, um eben dabei zu sein, und
für so manchen waren die Gebete nichts anderes als ein Lippenbekenntnis. Man
konnte nicht in die Herzen der Menschen sehen!
Um die Wiener, vor allem die
Hernalser, völlig zum Katholizismus zu bekehren, mußte noch viel geschehen. Sehr
viel.
Vielleicht konnte die Leidensgeschichte Jesu Christi in einer
anschaulichen Darstellung die Menschen aneifern und die Zweifler
überzeugen.
In einem Skriptum legte Pater Mussart 1638 seine Gedanken und
Vorschläge dar: Ein Kreuzweg sollte von der Stadt nach Hernals führen; in jene
Vorstadt, in der sich vor nicht einmal zwanzig Jahren der "wahre Hort und Schutz
der ketzerischen Lehre" befunden hatte. Gerade dort mußte ein Sinnbild, ein
Machtzeichen der siegreichen Gegenreformation erstehen. Für alle Zeiten.
"...
Denn es habe das Ansehen, dass ... nicht ohne sonderbare Vorsehung Gottes diese
Wallfahrt von St. Stephan nach Hernals erweckt worden und aufgenommen sey, damit
eben an demjenigen Orte, an welchem die Ketzer meistenteils ihre Wohnung gehabt
und ... ausgetrieben worden seyen, wo auch lange Zeit die Burg der lutherischen
Sekte gestanden, anjetzt das ansehnlich gewaltige Trophäum der katholischen
Religion und Andacht aufgerichtet werden sollte ..." Die Grabkirche wäre
"accurat nach dem hölzernen Modell zu erbauen, welches R. P. Egydius
Franciscaner Ordens, damals Conventualis bey St. Hieronymus in der Stadt, mit
sich von Jerusalem gebracht ..."
Der Jesuitenpater hatte festgestellt, daß
der Passionsweg, beginnend in der Stephanskirche ("Gotts-Leichnam-Altar") bis zu
der zu errichtenden Grabkapelle genau der Länge der" via dolorosa" in Jerusalem
entsprach. Andererseits war es auch jene Strecke, die von den protestantischen
Wienern beim "Auslaufen" zurückgelegt worden war.
Innerhalb weniger Monate
erhob das Domkapitel zu Wien den Vorschlag des eifrigen Jesuiten zum Beschluß.
Die "Heilig-Grab-Kirche" konnte auf kircheneigenem Grund, nächst der alten
Hernalser Pfarrkirche, erbaut werden.
Der Kaiser sanktionierte nicht nur den
Beschluß, sondern versprach auch seine Teilnahme an den
Einweihungsfeierlichkeiten. Der Magistrat der Stadt Wien erteilte die
Baubewilligung für die Errichtung .der Leidensstationen an den hierfür
bestimmten Plätzen, die von einer Sonderkommission festgelegt wurden. Von den
sieben Kreuzwegstationen wurde die erste in der Nähe des Schottentores
errichtet, die zweite am heute noch ebenso bestehenden Eck
Alserstraße-Schlösselgasse, zwei weitere ebenfalls noch in der Alserstraße und
zwei in der Hernalser Hauptstraße. Die siebente und letzte befand sich am
Endziel. Die einzelnen Figuren der Kreuzwegstationen hatten fast
Lebensgröße.
Die Einweihungsfeierlichkeiten wurden für den 23. August 1639
festgesetzt, als Vorfeier für den als Patron der Hernalser Pfarrkirche verehrten
heiligen Bartholomäus, (am 24. August). Somit fiel dieses große Fest der
katholischen Kirche mit jener unseligen, berüchtigten "Bluthochzeit" zusammen,
bei der 60 Jahre zuvor in Paris die Hugenotten niedergemetzelt worden
waren...
Die erste Prozession
Die angeborene Schaulust der Wiener, ein
"Spektakel" zu genießen und mitzuerleben, bestätigte sich in der Präsenz
Tausender, die seit den frühen Morgenstunden des 23. August 1639 die Straßen
zwischen der Stadt und Hernals säumten.
Pünktlich um sieben Uhr früh fuhr
Kaiser Ferdinand, begleitet von seinem Bruder Erzherzog Wilhelm und dem Bischof
von Passau, beim Riesentor der Stephanskirche vor, wo er von geistlichen
Würdenträgern begrüßt und zu dem "Gottsleichnam-Altar" geleitet wurde. Dort
zelebrierte soeben Graf Breuner, der Bischof von Wien, den Frühgottesdienst.
Dieser Altar, der heute nicht mehr existiert, war durch eine Tafel als
Ausgangspunkt des Kreuzweges gekennzeichnet.
Es muß ein imposanter Zug
gewesen sein, der dann vom "Stephans freythof" aus über den Graben, den Hof und
die Freyung zum Schottentor zog. Voran schritt die Geistlichkeit von Wien in
ihren goldstrotzenden Ornaten, dann folgten die Zöglinge vornehmer Institute mit
Bildern und Fahnen, die Kleriker des Pazmanäums trugen die für die einzelnen
Kapellen bestimmten Statuen. Es kamen die Ratsherren, Bürger und Bruderschaften
mit brennenden Wachslichtern in den Händen, hierauf der Hofstaat, der Erzbischof
mit dem Allerheiligsten, zum Schluß der Kaiser, durch die Schweizer Garde vom
nachströmenden Volk abgeschirmt.
Außerhalb des Schottentores wurde zum ersten
mal haltgemacht. Der Kaiser kniete auf einem von zwei Edelknaben
bereitgehaltenen Teppich nieder, und mit ihm sank das Gefolge und die
unübersehbare Menschenmenge in die Knie, während der Bischof die Weihe der
kleinen Kapelle vornahm. Dieses Zeremoniell wiederholte sich sechs mal.
Der
Zug kam somit nur langsam vorwärts und erreichte die Heilig-Grab-Kirche erst um
die Mittagszeit. Man hatte sie in maurischem Stil - nach ihrem Vorbild in
Jerusalem - gebaut; an jenem Festtag war sie noch nicht
fertiggestellt.
Draußen hörte der Kaiser die Festpredigt, wohnte einer Messe
bei sowie dem Hochamt in der Pfarrkirche und kehrte abermals zu Fuß inmitten des
Zuges in die Stadt zurück.
In einem zeitgenössischen Bericht von P. Matthias
Fuhrmann aus dem Paulinen-(auch Paulaner-)orden heißt es: "... als man zu dem
Platz des zu erbauenden H. Grabes gelanget und der Weyhe-Bischof den ersten
Stern ebenmäßig geweyhet hatte, überreichte solchen samt einem großen silbernen
Denck-Pfennig der hochwürdige Herr Dom-Dechant dem Kayser, der solchen mit der
Medaille in Grund legte ..."
Später wurde die Hauptprozession in die
Fastenzeit verlegt. Auch daran beteiligte sich mitunter der Hof. Aus den
Aufzeichnungen des Obersthofmeisters, Fürst Khevenhüller-Metsch, erfährt man
(hundert Jahre später), daß Kaiser Franz I. alljährlich mit dem Gefolge nach
Hernals pilgerte, um dem Passionsamt beizuwohnen. Die Prozessionen verloren, in
die Karwoche verlegt, ihr glanzvolles Gepräge und verwandelten sich, der
Karfreitagsstimmung entsprechend, in Bußgänge. Besonders reumütige Pilger
beluden sich mit schweren Holzkreuzen, geißelten sich und legten Fesseln an,
andere steckten sich Stäbe durch die Ärmel ihrer Kleider, sodaß sie mit ihren
ausgebreiteten Armen wandelnden Kreuzen glichen. Es gab Pilger, die den
Passionsweg auf den Knien zurücklegten und sich Masken vorbanden, um nicht
erkannt zu werden. Es kam immer öfter zu Unruhen, sogar zu blutigen Exzessen,
sodaß die offiziellen Prozessionen eingestellt wurden. Die privaten Wallfahrten
blieben bestehen, fanden jedoch ein jähes Ende, als die Türken Wien
belagerten.
In jenen Tagen des Schreckens und Mordens wurden die Vorstädte
niedergebrannt sowie die sieben Stationen und die Grabkirche zerstört.
Etwa
25 Jahre später, als man sich von den Schrecken und Nöten der Belagerung erholt
hatte, dachte man daran, anstelle des Heiligen Grabes einen Kalvarienberg zu
errichten.
Ein Kalvarien-Berg
Die "Bruderschaft der 72 Jünger Christi", in der
viele reiche Bürger Wiens Mitglied waren, nahm sich dieses Vorhabens an. So
begann man 1709 einen künstlichen Berg aufzuschütten, der, durch Gewölbepfeiler
gestützt, in seinem Inneren einen so ausgedehnten Hohlraum hatte, daß er als
Kirche dienen konnte. Auf 72 Stufen (sie symbolisieren die "72 Jünger Christi")
gelangte man zum Gipfel des Hügels. Er trug, weithin sichtbar, die
Kreuzigungsgruppe. Die Längsseiten wurden von 14 kleinen Kapellen gesäumt, in
denen sich die Kreuzweg-Reliefs befanden. Die sieben Leidensstationen, die den
Weg von der Stadt nach Hernals gesäumt hatten, restaurierte man, soferne sie
überhaupt noch existierten. Bei den Restaurierungsarbeiten stellte man
Freiplastiken auf. .
Diese ungewöhnliche Anlage wurde zu einer Wiener
Attraktion. Einheimische und Fremde beteiligten sich an den Wallfahrten in einem
solchen Ausmaß, daß die pfarrgeistlichkeit den gestellten Anforderungen nicht
mehr nachkommen konnte. Man berief daher die Pauliner Mönche, die man mit der
Überwachung des Wallfahrtswesens und der Instandhaltung des Kalvarienberges
sowie der Kirche betraute. Die Mönche erhielten ein Wohnhaus nächst der Kirche.
Einer der Patres war der bereits erwähnte Matthias Fuhrmann, dem viele
zeitgenössische Berichte vor allem über die Errichtung und Einweihung des
Kalvarienberges zu danken sind ("Historische Beschreibung von Wien").
Die in
den künstlichen Hügel eingebaute Kirche bewährte sich nicht. Nässe sickerte
durch die Decke und die Wände entlang herab, sodaß Pfützen entstanden.
Schließlich wurde es unerträglich, die Messe in diesem Gotteshaus zu lesen, und
die Mönche beschlossen einen Umbau. Sie verlegten die Kirche nach außen. Die
Anlage blieb in dieser Form bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts erhalten.
Die
Wallfahrten nach Hernals bürgerten sich immer mehr ein. Rings um die Kirche
entstand im Laufe der Zeit eine Budenstadt, in der Andenken, Leckereien, das
berühmte "Gigerlfutter" und Kinderspielzeug verkauft wurden. Auch
Gastwirtschaften entstanden, dem erhöhten Bedarf entsprechend.
Das
"Kalvarien-Berg-Fest" in der Fastenzeit entwickelte sich immer mehr zu einem
fröhlichen, lärmenden Treiben. Die Wiener der maria-theresianischen Zeit suchten
umso lieber Hernals auf, als in der Regierungszeit der frommen Kaiserin
Tanzunterhaltungen nach dem Faschingdienstag verboten waren. Die
vergnügungssüchtigen Wiener zogen also schon am Aschermittwoch in die Hernalser
Vorstadt, die eher einem Kirchweihplatz glich als einem Wallfahrtsort. An diesen
"Buß-Fahrten" nahmen auch Angehörige der vornehmen Gesellschaft teil, wie aus
zeitgenössischen Berichten ersichtlich ist. Unter anderem schrieb Josef Richter,
der Herausgeber der berühmten "Eipeldauer-Briefe", an seinen "Herrn Vetter in
Kagran", die leichtfertige Gesellschaft in Hernals kritisierend: "... Denn wer
nur immer eine Equipage gehabt hat, ist hinausgefahren, aber freilich nicht aus
Andacht, sondern der Unterhaltung wegen, und da hat man mitten unter den
Standlweibern, die dort Ziwebn und Kipfeln verkaufen, unsere eleganten Herrn mit
ihre Schönheit am Arm herumwandeln sehn; daher wird auch Hernals von einigen
Spöttern ,die 'kleine Fasten-Redoute' genannt. Da ist schon mancher Muthwilln
triebn worden, sodaß sich sogar der linke Schächer drüber g'ärgert hät
..."
Eine Anspielung bezieht sich auf eine Figur der 13. Kreuzwegstation, den
sogenannten "Körbeljuden". Unter dem Kreuz sieht man die Muttergottes und Maria
Magdalena, die andächtig zum Himmel blicken, während ein häßlicher Mann zu ihren
Füßen herumliegende Nägel in ein Körbchen sammelt. Er sollte die kleinliche
Habsucht verkörpern, wurde aber von den Besuchern für einen Schergen gehalten,
dem gegenüber die Vorübergehenden ihr Mißfallen durch Hiebe und Beschädigung
ausdrückten, sodaß der Kopf des "Körbeljuden" nach Fastenende stets repariert
werden mußte, bis jemand auf die Idee kam, die Nase des Mannes durch eine
eiserne zu ersetzen.
In den letzten zweihundert Jahren
Die Klosteraufhebungen durch
Kaiser Joseph II. (1783) trafen auch die Pauliner Mönche in Hernals. Sie zogen
nach Ungarn, und ihre Agenden wurden wieder von der Pfarre Hernals übernommen.
Im verlassenen Ordenshaus gründete man das später legendäre
Offizierstöchter-Institut.
In jener Zeit wurde auch die alte, schon ziemlich
baufällige Pfarrkirche abgetragen und an ihrer Stelle die Kalvarienbergkirche,
die dem heiligen Bartholomäus geweiht war, mit einem Turm versehen und als
Pfarrkirche in Verwendung genommen. Allerdings erwies sich dieses Gotteshaus als
zu klein. Hernals hatte damals, Ende des 19. Jahrhunderts, bereits 74.000
Einwohner.
Architekt Richard Jordan leitete den Umbau des Gotteshauses. Er
ließ den Berg abtragen und vergrößerte die Kirche fast um die Hälfte. Die
Ecce-homo-Gruppe blieb bestehen, die holz geschnitzten Kreuzwegreliefs und die
Kreuzigungsgruppe brachte man in einem gedeckten Gang unter, der die Kirche in
halber Höhe von drei Seiten umschließt. Die Reliefs stammen von 1709, wenn auch
mehrfach restauriert!
Aus dem Inventar der einstigen alten Höhlenkirche
übernahm man die so genannte" Türken-Muttergottes", die man 1683 im verlassenen
Feindlager gefunden hatte, wo sie den Türken als Zielscheibe gedient
hatte.
Vor 55 Jahren (1931) mußte die Kirche neuerdings renoviert werden. Der
Freskenmaler Hans Fischer schuf für Kuppel und Decke neue Fresken und
Wandmalereien, das Hochaltarbild wurde renoviert.
Die wiederhergestellte
Kirche sollte keinen langen Bestand haben. In den letzten Kriegstagen 1945
zerstörten amerikanische Bomben das Haus. Ein Volltreffer zerschlug das Dach und
explodierte im Innenraum. Der gigantische Luftdruck vernichtete die gesamte
Inneneinrichtung, Portal, Fenster und die Orgel, die Deckenfresken sowie
sämtliche Gemälde. Ausgenommen die "Türken-Muttergottes" ...
In den
Osterfeiertagen des Jahres 1948 wurde in der wieder aufgebauten Hernalser
Pfarrkirche der erste Gottesdienst gehalten. Ein denkwürdiges Ereignis, nicht
nur für die Menschen unserer Generation, auch im Rückblick auf die so
bedeutungsvollen lokalen und kirchengeschichtlichen Ereignisse.
© Maria Kinz, Liebenswertes Hernals, Wien 1986
Die heutige Kalvarienbergkirche nach der Generalsanierung zwischen 1990 und 2000