Fünf Franziskanerpatres betreuen in der
umkämpften syrischen Metropole Aleppo die letzte christliche Pfarre: Mithilfe
von Spenden bauen sie zerstörte Wohnungen wieder auf, kaufen Lebensmittel,
bezahlen Medikamente und Strom für die Ärmsten.
"Aleppo ist eine Stadt des Todes", sagt Pater Ibrahim. "Eine Stadt wie ein Friedhof, in der die Menschen auf nichts hoffen können und nichts zu erwarten haben. In der sie in ständiger Angst leben vor den Raketen."
Pater Ibrahim ist einer von fünf Franziskanermönchen, die in der seit fünf Jahren zwischen Rebellen und dem Assad-Regime umkämpften einstigen Handelsmetropole die letzte christliche Pfarre betreuen. Kürzlich war er auf Initiative der Organisation Kirche in Not in Wien und erzählte im friedlichen grünen Innenhof des Franziskanerklosters in der Innenstadt vom Leben in der Hölle des Krieges. Von der Zerstörung, dem Leid, der Hoffnungslosigkeit in einer Stadt, in der immer noch rund 1,5 Millionen Menschen leben.
Er spricht dabei ganz ruhig, ganz unaufgeregt. Es liegt kein Zittern in seiner Stimme, keine Wut, kein Hass und auch keine Angst. Angst, so meint er wohl, sei ein schlechter Ratgeber in Zeiten des Krieges. "Es ist schlimmer, die anderen leiden zu sehen, als selbst zu leiden", sagt er. Und man glaubt ihm das sofort. Da steckt keine Eitelkeit dahinter oder besonderer Todesmut. Aus diesem Mann sprechen nur sein Glaube und seine christliche Nächstenliebe.
"Es gibt viele Gegenden in Aleppo, da gibt es keine Menschen mehr. Da ist alles zerstört. Vor allem am Stadtrand und in der Altstadt", erzählt Pater Ibrahim. "Die Zerstörung ist Teil unseres täglichen Lebens geworden."
Die psychischen Auswirkungen auf die Menschen seien immens. Viele müssen im Dunkeln leben, weil ihnen das Geld für Strom fehlt, die Folge seien Depressionen. Andere seien verstümmelt oder krank. Den meisten Menschen, auch vielen von jenen, die frühere wohlhabend gewesen seien, würde es an Geld für das Nötigste fehlen: Geld für Lebensmittel, Medikamente, für Schulsachen für die Kinder oder eben für Strom oder Wasser. Oft auch für den Wiederaufbau einer Wohnung, in die eine Rebellen-Rakete eingeschlagen ist. Und vielleicht ein Familienmitglied getötet oder zumindest schwer verletzt hat.
Patres haben schon 100 zerstörte Wohnungen wieder aufgebaut
All diesen Menschen versuchen die Franziskaner von Aleppo zu helfen, wobei sie dabei fast ausschließlich auf Spendengelder angewiesen sind. Fast 100 zerstörte Wohnungen haben sie in jüngster Zeit wieder aufgebaut, für umgerechnet rund 550 Euro pro Haus. Die Patres übernehmen die Kosten für die Wasserversorgung und die sanitären Bedürfnisse von Hunderten Familien. Oft einmal haben die Franziskaner auch die Bankschulden ganzer Familien zurückgezahlt.
"Manchmal wundern wir uns über uns selbst", sagt Pater Ibrahim. "Wundern uns, wie wir das alles schaffen. Wir sind keine Priester mehr, wir sind Feuerwehrmänner. Aber es hat sich gezeigt, wenn man einmal anfängt zu helfen, dann geht es immer weiter. Und mit dem Erfolg gewinnt man immer mehr Selbstvertrauen."
In all diesem Chaos, der allgegenwärtigen Gewalt, die Menschen schon beim geringsten Krach zusammenzucken lässt, in dieser Stadt, in der niemand mehr langsam geht, in der alle nur noch von einem Haus zum nächsten hasten, aus Angst vor einschlagenden Raketen, in diesem Meer aus Blut und Leid gelingt es den fünf Priestern immer noch, eine Art normales Pfarrleben aufrechtzuerhalten. Es gibt Taufen, Sonntags-Gottesdienste, Firmungen, Oster- und Weihnachtsfeiern - ja sogar Hochzeiten und Schulausflüge.
Wenn ein Paar heiratet oder ein Kind bekommt, versuchen wir, dafür zu sorgen, dass sie sich selbst erhalten können", erzählt Pater Ibrahim. "Etwa indem wir ihnen helfen, ein kleines Geschäft aufzubauen. Oder für eine Wohnung oder Möbel zu sorgen."
"Als Christen können wir nur auf ein Wunder hoffen!"
Es sei so viel einfacher, Menschen in ihrer eigenen Heimat zu helfen, als dann, wenn sie einmal zu Flüchtlingen geworden sind, meint er.
Allerdings seien die meisten Christen bereits aus der Stadt geflohen. "Es ist einfach ein zu langer Albtraum, in dem es keine Hoffnung gibt", sagt der Pater. "Als Christen können wir nur auf ein Wunder hoffen, dass wir eines Tages aufwachen und all das Grauen und der Schrecken vorbei sind."
Und dann sagt der Pater das, was im Westen so lange niemand verstehen wollte und viele bis heute nicht verstehen: "Assad ist kein Engel, aber ich danke ihm, dass er nicht davongelaufen, sondern unser Präsident geblieben ist. Ohne ihn wären wir alle schon tot." Jeder Angehörige einer Minderheit in Syrien denke so.
Die EU-Sanktionen gegen das Assad-Regime bezeichnet er als absurd, die Rechnung dafür würden nur die Ärmsten bezahlen. "Als christlicher Führer bin ich enttäuscht von den europäischen Regierungen", erklärt Pater Ibrahim. "Zu sagen, Assad sei nicht legitimiert und müsse weg, zeugt von extremer Naivität. Assad ist das einzige Symbol für die Einheit und eine Zukunft Syriens. Es gibt keine moderaten Rebellen."
Gleichzeitig, so der Pater, sei er so vielen Menschen in Europa für ihre Gebete dankbar. Und natürlich auch für ihre Hilfe und ihre Spenden. "Diesen Menschen möchte ich danken im Namen Syriens und seiner Bevölkerung", sagt er und fügt hinzu. "Bitte helft uns weiter ..."
Quelle: Die Krone vom 10.07.2016