Prof. Dr. Josef
Frickel
katholischer Theologe
Am
Anfang des Christentums steht ein Akt extremer Intoleranz: die doppelte
Verurteilung des Jesus von Nazareth und dessen Hinrichtung als Gotteslästerer
und Staatsfeind. Der eigentliche Akt der Intoleranz war die Verurteilung von
Jesus durch die offiziellen Repräsentanten der jüdischen Religion. Das Motiv für
die Verurteilung war Gotteslästerung, Entweihung des Sabbats.
Im
Vergleich zu diesem ersten Akt religiöser Intoleranz war die Verurteilung von
Jesus als Aufrührer und Staatsfeind durch die Römische Besatzungsmacht, repräsentiert
durch Pontius Pilatus, nur mehr die Staatliche Ratifizierung des vom Hohen Rat
der Juden gefällten Urteils.
Schon
bald nach dem gewaltsamen Tod des Mannes aus Nazareth wurden auch dessen Jünger
Opfer religiöser Intoleranz. Wir lesen in der Apostelgeschichte von Verhaftungen der Apostel
Petrus und Johannes, und von dem mutigen Zeugnis dieser Männer vor dem Hohen Rat: "Man
muss Gott mehr gehorchen als den Menschen!" (Apg 5,29).
Bald
wurden in Jerusalem auch die ersten Jünger wegen ihres Bekenntnisses zu Jesus
hingerichtet: zuerst der hellenistische Jude: Stephanus, dann der Apostel
Jakobus, der Bruder des Johannes, dann Jakobus, der leibliche Bruder von Jesus.
Sie wurden Opfer religiöser Intoleranz, getötet von Eiferern für das Gesetz
des Moses. Auch die Berichte über den sog. Heidenapostel Paulus, der zuerst Saulus hieß,
zeigen vielfache Beispiele religiöser Intoleranz, die Paulus seines Glaubens
wegen immer wieder von Eiferern für die jüdische Religion erdulden musste:
Verleumdung, Verfolgung, Gefängnis, körperliche Züchtigung. Sein Tod in Rom
unter Nero war ein Akt staatlicher Willkür.
Die von Kaiser Nero im Jahr 64 vom
Zaun gebrochene Verfolgung der Christen in Rom war der Auftakt für eine blutige
Unterdrückung der jungen christlichen Religion, die zweieinhalb Jahrhunderte
dauern sollte. Obwohl es in dieser Zeitspanne immer wieder Zeiten der Ruhe und
ohne Verfolgung gab, ist es historische Tatsache, dass in diesen Verfolgungen
Tausende und Abertausende Christen, auch Frauen und Kinder, wegen ihres
christlichen Glaubens grausam hingerichtet wurden, Tatsache ist aber auch, dass
die mit dar christlichen Religion in die hellenistische Welt getretene Idee
durch diese Jahrhunderte währende Unterdrückung nicht ausgerottet werden
konnte. Im Gegenteil, Um das Jahr 200 schrieb der Christ Tertullian in Karthago:
"Wir werden jedes Mal zahlreicher, so oft wir von euch niedergemäht werden;
ein Same ist das Blut der Christen (semen est sanguis christianorum)" (Apologeticum
50).
Aber
schon früh hören wir von einer neuen Art religiöser Intoleranz, nämlich von
Unduldsamkeit innerhalb der jungen christlichen Gemeinden. Ausgelöst wurde der
Streit durch die Tatsache, dass die Botschaft von Jesus, dem jüdischen Messias
(d.h. dem Gesalbten Gottes), sich rasch auch außerhalb des jüdischen Landes
Palästina verbreitetet besonders durch die Missionsarbeit des Paulus, und sich
viele Nichtjuden der messianischen Jesusbewegung anschlossen. Nach jüdischer
Auffassung hätten solche Leute beschnitten werden und die jüdischen
Gesetzesvorschriften beobachten müssen. Anders die Meinung des Paulus, der
griechisch gebildet und in seiner Jugend in überwiegend heidnischer Umwelt auf
gewachsen war. Er vertrat die auch von anderen Lehrern vertretene Meinung, dass,
wer nur ein Tauchbad (Taufe) nahm und sich nicht beschneiden ließ, religiös
einem Juden gleichgestellt sei. Man verwies dabei auf die Praxis bei Frauen, die
ja nicht beschnitten werden konnten, wohl aber ein Tauchbad nahmen und damit Jüdinnen
wurden.
Kurz:
darüber gab es heftigen Streit zwischen Jerusalemer Judenchristen und Paulus.
Man konnte sich auf einem Konvent (vgl. Apg 15) mit einem Kompromiss zwar
einigen, indem die Judenchristen von den Heidenchristen weder Beschneidung noch
Beobachtung des Gesetzes verlangten, sich also mit deren Tauchbad (Taufe) begnügten,
während sie selbst und ihre Nachkommen jedoch selbstverständlich jüdisches
Brauchtum und Gesetz beobachteten. Von da an gab es zwei Sorten von Jesusanhängern:
Judenchristen, die nach wie vor als Juden lebten, und Heidenchristen, die bei
ihrer Bekehrung nur ein Tauchbad (Taufe) zu nehmen brauchten. Dieser Unterschied
zwischen den Jesusanhängern wird oft als unbedeutend bagatellisiert. Tatsächlich
wurde daraus im frühen Christentum jedoch eine immer größer werdende Trennung
zwischen palästinensischen Judenchristen und hellenistischen Heidenchristen,
die zahlenmäßig bald die überwältigende Mehrheit der Christen bildeten.
Bald sollte es zum Bruch mit diesen Judenchristen, die weiterhin als Juden
lebten, kommen. Ein
anderer Fall religiöser Intoleranz ereignete sich Ende des zweiten Jahrhunderts, als der römische
Bischof Viktor (l89-199) die christlichen Gemeinden Kleinasiens - damals ungefähr
ein Drittel der gesamten Kirche - von der kirchlichen Gemeinschaft ausschloss,
also exkommunizierte, weil diese sich dem Brauch der römischen Kirche betreffs
der Osterfeier nicht anschlossen, sondern Ostern nach überliefertem jüdischen
Brauch weiterhin am
14, Nissan und nicht am darauf folgenden Sonntag feierten.
Erst als der Bischof Irenäus von Lyon (+ 202) gegen diese Maßnahme
protestierte und darauf hinwies, dass es sich hier nur um eine liturgische und
nicht um eine dogmatische Frage handelte, gab Papst Viktor nach und vermied
damit ein Schisma, das die Kirche gespalten hätte.
Zu
Streit kam es auch Mitte des dritten Jahrhunderts wegen
Meinungsverschiedenheiten über den göttlichen Logos als eins von Gott dem
Vater verschiedenen Person, und wenig später wegen der Bußdisziplin und der
Behandlung der in den Verfolgungen abgefallenen Christen. Und der weitere
Verlauf der Kirchengeschichte zeigt, dass solche Streitigkeiten, besonders über
die Beschaffenheit des Mensch gewordenen Sohnes Gottes, seit dem dritten
Jahrhundert zum festen Bestand der christlichen Kirche gehörten.
Theologisch gesehen ging es dabei um die Ausbildung der wahren christologischen
Doktrin. Aber je mehr sich diese ausbildete, um so größer wurde die religiöse
Intoleranz. Ganze Kirchen, wie z.B. die Kirche Ägyptens, Äthiopiens,
Armeniens und schließlich im 11. Jahrhundert die ganze Byzantinische Kirche, spalteten
sich von der Römischen Kirche ab; eine Spaltung, die bis heute, trotz
vielfacher menschlicher Annäherung, weiterbesteht. Um diese Entwicklung zu
verstehen, muss das Verhältnis der christlichen Religion zum Staat kurz
beleuchtet werden, soweit es den Komplex von Intoleranz und Toleranz betrifft.
Im
heutigen Sprachgefühl kommt dem Wort Toleranz eine durchaus positive Bedeutung
zu, so wenn wir z.B. von einem toleranten Manschen oder von tolerantem Denken
sprechen. Tatsächlich haftet dem Wort ursprünglich, bei allem Positiven, immer
auch etwas Negatives an. Denn Toleranz heißt Duldung, genauen
das geduldige Ertragen eines beliebigen Übels, dem man nicht ausweichen kann
oder darf. Im engeren Sinn meint Toleranz die Duldung einer abweichenden
religiösen Überzeugung, die man selbst innerlich weder billigt noch mit
Gleichmut betrachtet, äußerlich aber auch nicht hindert, sondern zulässt.
Dogmatisch gesehen ist eine von der kirchlichen Lehre abweichende religiöse
Überzeugung ein moralisches Übel, nämlich Irrlehre. Doch ist, heißt es,
immer zu unterscheiden zwischen der irrigen Lehre und der
irrenden Person, welche die irrige Lehre oder Meinung vorträgt
oder übt.
Gegen die irrende Person ist wahre Toleranz möglich, jedoch nicht gegen die
irrige Lehre. Denn dogmatisch gesehen kennt die von Gott geoffenbarte
Christliche Lehre keine Toleranz. Dogmatische Toleranz ist daher verwerflich und
unsittlich. weil sie dem Irrtum Vorschub leistet.
Toleranz
ist demnach genau genommen eigentlich die Duldung des Unerlaubten.
Das
war z.B. so im Jahre 311 als der Römische Kaiser Galerius das sog. 1.
Toleranzedikt erließ, das der christlichen Religion, die bisher nicht erlaubt
war und die man, wie gesagt, zweieinhalb Jahrhunderte verfolgt hatte, staatliche
Duldung zusicherte, wenn auch noch mit gewissen Einschränkungen. Es hatte sich
einfach faktisch herausgestellt, dass diese Religion nicht umzubringen war, und dass die Zahl der Christen immer größer wurde. Auch hatte man eingesehen,
dass
diese Religion keineswegs so verwerflich war, wie man anfangs geglaubt hatte.
In
Zeiten innenpolitischer Wirren oder von Bürgerkriegen war es gut, auf die
Christen als verlässliche Bürger zählen zu können. Nach seinem Sieg über
Maxentius (312) erließ dann Kaiser Konstantin 313 zu Mailand das sogenannte
2. Toleranzedikt, das dem Christentum nicht nur Duldung gewährte,
sondern auch öffentlichen Kult erlaubte und konfiszierte Güter wieder zurückgab.
Konstantin begegnete der christlichen Kirche mit großem Wohlwollen und förderte
sie, wo er nur konnte. Das sollte sich in den folgenden Jahren auf das Verhältnis
der christlichen Kirche zum Staat auswirken.
Äußerlich
gesehen präsentierte sich diese Kirche als eine hierarchisch gegliederte und
vor allem geordnete Organisation. Eigene Kirchen wurden gebaut, eigene Friedhöfe,
die schon im zweiten Jahrhundert bestanden, erweitert oder neu angelegt.
Inzwischen hatte eine fortschreitende Feilschreibung der christlichen
Glaubenslehre stattgefunden, über deren Reinerhaltung das kirchliche Lehramt
wachte. Der Kult war durch Vorschriften geregelt. Ähnlich wie im Alten
Testament wurden die wesentlichen kirchlichen Einrichtungen direkt auf Jesus
Christus, und damit auf Gott, selbst zurückgeführt. Zwangsläufig führte das
innerhalb relativ weniger Jahre zu einer gewissen Vorrangstellung und bald sogar
führenden Stellung der christlichen Religion.
Den heidnischen Kulten und
Religionen gegenüber kannte das Christentum keine Toleranz. Jede von der
christlichen Glaubenslehre abweichende religiöse Überzeugung wurde bekämpft.
Und diese geistige Intoleranz auf dem Gebiet der Lehre wurde bald auch,
wo es möglich war, in die Praxis umgesetzt. Wie war das möglich geworden? Die
Geschichte gibt die Antwort. Nach Konstantin, der sich erst kurz vor seinem Tod
taufen ließ, wurde es selbstverständliche dass die Kaiser Christen waren. So
schon die Söhne Konstantins. Sie wuchsen als Christen auf, wurden als
Christen erzogen.
Langsam
aber sicher mutierte das Christentum zur Staatsreligion, Eine Entwicklung, die
unter Theodosius dem Großen (379-395) ihren Höhepunkt erreichte.
Diese
Entwicklung hatte zur Folge, dass die staatliche Gewalt sich zunehmend als Beschützerin,
der Kaiser sich als Protektor der Kirche verstand. Auf diese Weise wurde die
staatliche Gewalt zum verlängerten Arm, der weltliche Arm der immer mehr sich
ausbreitenden Kirche. In dem Maße wie Staat und Kirche sich zunehmend als
weltliche und geistliche Gewalt des einen Gottes, Schöpfer des Himmels und der
Erde, auf dieser Erde verstanden, in dem Maße wurden der Kaiser und der Staat
das weltliche Instrument, um den Wahrheitsanspruch der christlichen Religion
durchzusetzen. Ein Prozess, der sich bereits im 4. Jahrhundert nach Christus vollzog.
Einige
Beispiele: 373 wurde der besonders unter den Soldaten verbreitete heidnische
Mithraskult verboten. Die Verehrung der "unbesiegbaren Sonne", Symbol
der römischen Kaiser, wurde damit abgeschafft. An die Stelle des heidnischen
Sonnengottes trat der menschgewordene Gott Jesus Christus, die göttliche
"Sonne der Gerechtigkeit". 380 wurde das sog. Dreikaiser-Dekret
(Gratian, Theodosius und Valentinian II) erlassen, in dem der Trinitätsglaube
zum einzig wahren Glauben erklärt wird. 382 lässt Kaiser Gratian (375-383) die
Statue der Göttin Viktoria aus dem Senat in Rom entfernen, was seine Absage an
die heidnische Staatsauffassung bedeutet. Im selben Jahr gelingt es Papst
Damasus (366-384) Kaiser Gratian zu überzeugen, auf den Titel "Pontifex
Maximus" zu verzichten und ihn dem Bischof von Rom zu übertragen. Ein
geistlicher Herrschaftstitel, den der Papst heute noch trägt. Von demselben
Kaiser Gratian wurden die arianischen Christen mit Gewalt unterdrückt, ihre
Bischöfe abgesetzt, ihre Kirchen (vor allem in Italien) konfisziert.
Das
alles geschah im 4. Jahrhundert, an dessen Beginn die Kirche unter Kaiser Diokletian
noch blutig verfolgt worden war.
Ein fundamentaler Wandel hatte sich inzwischen vollzogen. Die Kirche, zuerst zweieinhalb Jahrhunderte verfolgt, war selbst zur Verfolgerin geworden. Zuerst verfolgte dann toleriert, nun selbst intolerant. Wie ist ein solcher Wandel möglich gewesen?
Historisch
gesehen vollzog sich der Wechsel unter Konstantin, der den entscheidenden Sieg
über seinen Rivalen Maxentius dem Beistand des Christengottes
zuschrieb und darauf hin das Christentum offiziell anerkannte und den
etablierten Kulten gleichstellte. dass das Christentum jedoch so bald
Staatsreligion werden konnte, das lag im Wesen der christlichen Religion selbst
begründet. Zwei Glaubensüberzeugungen sind dabei entscheidend gewesen, Das
erst ist die Lehre von Jesus Christus, dem "Sohn Gottes"; das Zweite
ist die damit verknüpfte Christliche "Erlösungslehre".
Zum
Christusbild: Nach jüdischem Glauben hat der eine und allmächtige Gott die
Juden aus allen Völkern als "sein Volk" auserwählt und diesem Volk
sich auf vielfältige Weise geoffenbart. Nach früher christlicher Überzeugung
hat dieser Gott, als die Fülle der Zeit gekommen war, sich in einmaliger Weise
in Jesus von Nazareth, seinem Gesalbten oder Christus, geoffenbart. Schon bald
wurde diese Offenbarung in Jesus als Selbstoffenbarung Gottes verstanden: kein
Mensch hat Gott je gesehen, denn Gott ist weder sichtbar noch fassbar. Der
"Sohn Gottes" allein kennt den Vater (Mt 11,27). Dieser Sohn Gottes
ist als Mansch erschienen und hat den Vater im Himmel verkündet (Joh 1,18).
Diese im ersten Jahrhundert sich ausbildende Lehre ist auf dem ersten großen Konzil,
das besagter Kaiser Konstantin im Jahr 325 nach Nizäa einberufen hatte, so
definiert worden: JESUS Christus
ist dem Vater "wesensgleich" (homoousios) und daher selbst Gott:
"Gott aus Gott (geboren), Licht aus Lichte wahrer Gott aus dem wahren Gott,
eines Wesens mit dem Vater".
Eine
Religion, die ihren Ursprung solcherart auf Gott selbst zurückführen kann,
stellt alle anderen Religionen und Kulte in den Schatten. Dieser christlichen
Lehre vom menschgewordenen Gott war der Sieg bestimmt.
Mit
dieser Christologie hängt die christliche Erlösungslehre eng zusammen. Ob und
in welchem Sinn Jesus selbst seinen Tod am Kreuz als Sühne und damit als
heilswirkend (Mk 10,5) verstand, ist bibelwissenschaftlich nicht genau faßbar.
Nach einem bei Markus überlieferten Jesuswort (10,45; Mt 20,28; vgl. Jes 53,12)
soll der Menschensohn sein Leben als Lösegeld für viele hingeben, vgl. auch
den Bericht über das letzte Abendmahl (Mk 14,24 u. Mt 26,26; anders Lk 22,20).
Aber schon Paulus entwickelte eine Erlösungslehre, wonach Christus nicht nur für
"viele", sondern für "alle" Menschen gestorben ist (2 Kor
5,15; Rom 3,24).
Im Johannesevangelium hat diese Lehre einen prägnanten Ausdruck gefunden: Jesus
Christus ist "der Erlöser der Welt" (Soter tou Kosmou: Joh 4,42; 1
Joh 4,14; vgl. 2,2). Nach dieser Lehre gibt es für "alle" Menschen
keine Versöhnung mit Gott, keine Erlösung, außer in Jesus Christus. Er, und
nur er ist der Erlöser der Welt, es ist evident, dass diese universale
Heilslehre die in der spätantiken Welt so verbreiteten Mysterienreligionen
unendlich übertraf.
Beide Faktoren, die Lehre von Christus, dem menschgewordenen Sohn Gottes und die
universale Erlösungslehre, haben entscheidend dazu beigetragen, dass die
christliche Religion im vierten Jahrhundert die anderen Religionen verdrängen
und selbst zur Staatsreligion werden konnte.
Die
genannten zwei christologischen Lehren oder Dogmen begründeten aber nicht nur
den dogmatischen Absolutheitsanspruch der Kirche; sie beinhalten zugleich die
dogmatische Intoleranz allen anderen religiösen Lehren gegenüber.
Es war von daher nur folgerichtig, dass Konstantin und die Imperatoren nach ihm
(eine Ausnahme macht nur Kaiser Julian, "der Abtrünnige" der nur kurz
regierte (361-363) und dem ein glückloses Ende beschieden war) den Glauben und
die Religion des Christengottes annahmen und diesen Glauben zur Staatsreligion
erhoben. Die "Glaubenseinheit" war für sie eine politische
Notwendigkeit. Damit nicht genug. Die Kaiser fühlten sich verpflichtet,
die Kirche selbst vor Irrlehren im Innern zu schützen und zu Gunsten der
Glaubenseinheit einzugreifen. So wurden von mehreren Kaisern theologische
Einigungsformeln erlassen, um die bedrohte Glaubenseinheit im Reich
wiederherzustellen. Es ist eine Zeit des totalen Staatskirchentums, des Cäsaropapismus
und Byzantinismus. Päpste, Patriarchen und Bischöfe, die nach Meinung der
Kaiser nicht rechtgläubig waren, wurden abgesetzt und in die Verbannung
geschickt.
Ein Gleiches taten einige Päpste,
die ihrerseits Kaiser und Könige: mit dem kirchlichen Bann belegten. Die
mittelalterliche Kirche kennt keine Toleranz. Bekenner anderer Religionen wurden
als halsstarrig und verstockt angesehen. Vielfach kam es zu Zwangsbekehrungen
oder Vertreibungen. Noch in der Reformationszeit und später in der
Gegenreformation war man der Überzeugung, dass es Recht und Pflicht der
Obrigkeit sei, für "einerlei Lehre" im Staat Sorge zu tragen.
Erst
im Augsburger Religionsfrieden (1555) wurde, durch politische Nöte veranlasst,
das Bekenntnis der deutschen Protestanten (die Confessio Augustana) neben dem
katholischen Bekenntnis in einem Landfrieden anerkannt. Kalviner und Zwinglianer
blieben von diesem Frieden jedoch ausgeschlossen. Und selbst dieser Friede galt
nur für die Fürsten und freien Reichsstädte. Den Untertanen gegenüber
gab es keine Toleranz: Cuius regio, eius religio. Wer anderen Glaubens war,
konnte auswandern.
Erst im 18. Jahrhundert
finden wir in Europa eine gewisse Toleranz gegenüber Andersdenkenden und
Andersgläubigen, eine Toleranz, die der Staat aus politischen Gründen sowie im
Gefolge der Aufklärung seinen Untergebenen gewährte, wenngleich immer noch mit
gewissen Beschränkungen im Vergleich mit den staatlich anerkannten Kirchen.
Diese Duldsamkeit Andersgläubigen gegenüber war jedoch nur eine Toleranz der
staatlichen Gewalt. Dies besagt jedoch keineswegs eine wirkliche Toleranz von
Andersgläubigen auf Seiten der christlichen Kirchen, die in den meisten Ländern
Europas als Staatskirchen anerkannt waren. Diese nicht vorhandene Toleranz
anderen Religionen gegenüber hängt in Europa, wie schon gesagt, mit dem Wesen
der christlichen Religion selbst zusammen.
Aufbauend auf den zentralen Dogmen der Gottessohnschaft Jesu Christi und dessen
universalen Heilswirkens hatte die christliche Kirche schon früh ein
Selbstverständnis entwickelt, das ihren Absolutheitsanspruch begründet. Im
Kampf gegen Irrlehrer und Häretiker haben christliche Theologen bereits im
zweiten Jahrhundert nach Christus die Kirche mit Bildern aus dem Alten Testament
verglichen, z.B. mit der Arche des Noah (Gen 6-8), so Justin in seinem Dialog
138,2-3. Die Kirche ist wie das Schiff Noahs, in dem allein die Menschen
gerettet werden. Wer nicht auf diesem Schiff ist, geht zugrunde. Im 3. Jahrhundert
hat
der Bischof Cyprian von Karthago für diesen Sachverhalt den lapidaren Satz geprägt:
Extra Ecclesiam nulla salus (außerhalb der Kirche gibt es kein Heil: Ep.
73,21). Der Begriff von der "alleinseligmachenden Kirche war damit
geschaffen. Wer nicht in der Katholischen Kirche ist, kann nicht gerettet
werden, sondern der Zorn Gottes bleibt auf ihm. Diese dogmatische Toleranz wird
in den folgenden Jahrhunderten von Konzilien und Päpsten immer wieder eingeschärft,
auch wenn später hinzugefügt wird, dass "diejenigen, welche die wahre
Religion nicht kennen, vor Gott mit keiner Schuld behaftet werden, wenn die
Unkenntnis unüberwindlich ist."
Heute mag solche dogmatische Intoleranz vielen Menschen nicht mehr verständlich
sein. Man sollte jedoch bedenken, dass diese dogmatische Intoleranz nur eine
Folge ist aus der Überzeugung, allein die wahre Lehre von Gott und von der Erlösung
des Menschen zu besitzen. Übrigens wurde in der Reformationszeit eine ganz ähnliche
dogmatische Toleranz von Luther, Melanchthon, Calvin und Zwingli vertreten. Wir
sollten in diesem Zusammenhang auch nicht vergessen, dass nicht wenige sog.
christliche Sekten bis heute eine radikale Intoleranz gegenüber anderen
Religionen vertreten, wobei diese ihre Intoleranz vielfach ein Hauptmotor für
ihren weltweiten Missionseifer ist.
Zurück
zur Kirche:
Zu einer Spannung zwischen religiöser Intoleranz und Toleranz kann es,
kirchlich gesehen, erst dann kommen, wenn die Kirche sich nicht mehr
ausschließlich als "Hort der Wahrheit" versteht. Bevor dies
geschieht, kann und darf es nur religiöse oder dogmatische Intoleranz geben, wo
der bekannte Satz gilt, der in der katholischen Theologie Jahrhunderte hindurch
stereotypisch wiederholt wurde: "Nur die Wahrheit hat Recht, der Irrtum hat
keinerlei Recht." In diese statische Auffassung von Wahrheit und Kirche als
"Hort der Wahrheit" ist mit dem 2. Vatikanischen Konzil
eine gewisse Dynamik gekommen, die in Zukunft vielleicht noch unvorhergesehene
Veränderungen bringen könnte.
Nach
dem Konzil versteht sich die Katholische Kirche nach wie vor als der sichtbare
"Leib Christi" und als die "einzig wahre" , die als "Säule
und Feste der Wahrheit" (l Tim 3,15) von Gott errichtet wurde. Aber
ebenso deutlich zeigt das Konzil eine Öffnung des Horizontes für die
kulturellen und religiösen Werte in anderen Religionen.
So erkennt das
Konzil in Bezug auf andere Religionen an, dass auch außerhalb des
(sichtbaren) Gefüges der Katholischen Kirche "vielfältige Elemente der
Heiligung und der Wahrheit zu finden sind, die als der Kirche
Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen" (Kirchs 8).
Und in der Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den
nichtchristlichen Religionen wird die vielfältige religiöse Erfahrung der
verschiedenen Völker anerkannt, die in den verschiedenen Religionen ihren
genuinen Ausdruck gefunden haben (Art,2). Feierlich wird erklärt, dass es
in den verschiedenen Religionen "Wahres" und
"Heiliges" gibt. Gewiss weichen diese Religionen in manchem von der
Lehre der Kirche ab, "doch nicht selten (lassen sie) einen Strahl jener
Wahrheit erkennen, die alle Menschen erleuchtet" (Art,2). Mit Hochachtung
spricht die Erklärung vom Hinduismus und Buddhismus (Art.2); von den Muslim,
"die den alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden,
barmherzigen und allmächtigen, ... der zu den Menschen gesprochen hat"
(Art,3).
Gewiss
bezieht sich dieses Sprechen Gottes zu den Menschen zunächst auf Abraham, Moses
und die anderen Propheten, wie auch die Muslim glauben. Aber indirekt dürfte
damit auch ein Sprechen Gottes zu Mohammed, dem Propheten Allahs, anerkannt
werden, derart nämlich, dass Gott auch ihm "einen Strahl der
Wahrheit" (oder sogar mehrere) hat zukommen lassen. (Die diplomatische
Sprache der Erklärung lässt jedenfalls nachträgliche Ergänzungen und Erläuterungen
zu. Ähnlich positiv sind die Aussagen der Erklärung über die Religion der
Juden (Art. 4), wo "das Volk des Neuen Bundes mit dem Stamme Abrahams
geistlich verbunden" gesehen wird. Wir finden auf diesem 2. Vatikanischen
Konzil eine neue Sicht der anderen Religionen, eine Haltung,
die weit mehr ist als Toleranz oder Duldung von Andersgläubigen. Hier hat man
sich ernsthaft mit den anderen Religionen befasst, sie studiert in einer
Haltung, welche diese Religionen wertschätzt und hochachtet.
Entsprechend wird vom Konzil auch die Kirche als Ort des Heils
für alle Menschen differenzierter gesehen und bestimmt als dies früher der
Fall war. So unterscheidet das Konzil in der "Dogmatischen Konstitution über
die Kirche" (Lumen Gentium, 1964) zwischen der Zugehörigkeit
zur Kirche und einer Zuordnung zur Kirche, was bedeutet: man
kann auf verschiedene Weise zur katholischen Einheit des Gottesvolkes gehören.
So gehören nach diesen Aussagen die katholischen Gläubigen zur
Kirche, "die anderen an Christus Glaubenden und schließlich alle Menschen
überhaupt, die durch die Gnade Gottes zum Heil berufen sind, sind aber der
Kirche zugeordnet"(Art. 13). Auch weiß sich die Kirche mit den getrennten
christlichen Brüdern verbunden (Art, 15). Mit dieser Unterscheidung von Zugehörigkeit
und Zuordnung wird also niemand mehr, nur weil er nicht zur sichtbaren Kirche
gehört, vom Heil ausgeschlossen. Nur wer schuldhaft nicht zur Kirche
gehört oder diese verlässt, könnte nicht gerettet werden (Art. 1-14).
Mit diesem differenzierteren Kirchenverständnis hat die katholische Theologie
einen Ausweg gefunden, der es erlaubt, einerseits den universalen Heilswillen
Gottes zu betonen, andererseits aber die traditionelle einmalige Sonderstellung
der katholischen Kirche festzuhalten. Aufgabe der Kirche ist es, das Kreuz
Christi als Zeichen der universalen Liebe Gottes und als Quelle aller
Gnaden zu verkünden. Sie verkündet Christus, der die Wahrheit
ist, in dem die Menschen die Fülle des religiösen Lebens
finden, in dem Gott alles mit sich versöhnt hat (Nichtchristliche
Religionen, Art. 4 und 2).
Somit bleibt bei aller Toleranz, bei aller Wertschätzung und Hochachtung der anderen Religionen, das Selbstverständnis und Selbstbewusstsein der Katholischer Kirche als fortlebender Leib Christi und als Ort des universalen Heils, auf den alle anderen Religionen hingeordnet sind. Die Spannung zwischen religiöser Intoleranz und Toleranz wird daher nicht aufgehoben, sondern bleibt, wenn auch in modifizierter Form, bestehen.