BEG aktiv Nr. 51 Jahrgang 14 März
2007
das Infoblatt des Bundes Evangelikaler Gemeinden in Österreich
Griaß di
"Griaß di, i bin da Friedl." "Und i haß Michl Wollmann."
So begann eine für mich sehr bewegende Begegnung mit einem "Lehrer"-Kollegen, der noch nie in Europa, geschweige denn in Tirol war. Und trotzdem verständigen wir uns im Dialekt, obwohl Mike, wie er auch genannt wird, aus Kanada kommt. Seine Vorfahren kamen ja aus Tirol, und er ist ein Hutterer. Zum ersten Mal habe ich die Gelegenheit, persönlich mit einem von ihnen zu reden, und es ist immer wieder erstaunlich, wie viel Gemeinsames es nach fast 500 Jahren Getrennt-Seins noch gibt.
Jakob Hutter ist einer, den Michl zu seinen Vorvätern zählt. Viel hat er von ihm gehört und gelesen, auch von seinen Leidensgenossen. Ihre Lieder und Briefe werden immer noch gesungen und vorgelesen, zT. aus alten Handschriften. Aber wenn er zusammen mit fünf anderen Hutterern unter dem Goldenen Dachl steht und die Märtyrerberichte hört von Menschen, die für ihren Glauben umgebracht worden sind, dann stehen ihm wie den anderen die Tränen in den Augen. Da, auf dem Platz, wo auch Jakob Hutter auf dem Scheiterhaufen verbrannte. Mir steht dann das Wasser in den Augen, wenn die sechs Leute singen: "Tirol, Tirol, Tirol, du bist mein Heimatland ..." und "... ich wird' dich nie mehr wieder seh'n."
Ich wohne in Schwaz am Fuße des Schlosshügels von Freundsberg. 27 Täufer sind dort oben hingerichtet worden; und unterhalb von mir die Kirche der Franziskaner, die damals wohl dabei standen - und vielleicht den Kopf schüttelten über so viel Sturheit.
Ich bin in Schwaz in einer Freikirche beheimatet und weiß genau, dass wir die Gebetserhörung von verfolgten Christen sind - mit 450 Jahren Verspätung. Auch das ist eine Art Sturheit - der lange Atem Gottes. Es braucht eine Zeit, bis Michl erkennt, dass unsere Gemeinden hier auch von Christen wie er selbst einer ist gebildet werden. Fast konnte er es nicht glauben, dass das in dem Land, das seine Vorväter vertrieben hatte, überhaupt noch möglich ist. "Es fangts iatzt on; mir san scho beim Abigehn; mir miassn aufpassn."
Wie wäre es mir damals gegangen? Wer das Abendmahl in beiderlei Gestalt einnahm, dessen Besitz wurde enteignet, das Haus eingerissen und zur Warnung als Ruine stehen gelassen. Wer einen Erwachsenen taufte wurde umgebracht. Beides habe ich schon öfter getan. Hätte ich die Kraft dazu gehabt? Hier sehe ich das Vorbild unserer gemeinsamen Vorfahren.
Es tat Michl unheimlich weh die Versammlungsplätze, die Gefängniszellen und Hinrichtungsstätten zu sehen. Auch er erlebte diese Kraft des Zeugnisses von oft einfachen Menschen, die für ihren Glauben ihr Leben gaben. Auch er hatte viel nachzudenken.
An einem Abend hatten wir mit unseren Instrumenten einen Sänger begleitet, der Hutterer-Lieder sang. Die erste Strophe des letzten Liedes sangen wir ohne Begleitung, so wie es heute noch bei den Hutterern üblich ist. Da fühlte sich Michl wie daheim am Bruderhof in Kanada. "So stark habt ess gesungen!" Diese Verbundenheit über alle Grenzen, Jahrhunderte und verschiedene Entwicklungen hinweg, die bewahre ich als eine ganz wertvolle Erinnerung in meinem Herzen. So wird der Leib Christi zusammengehalten - das so spüren zu dürfen ist etwas Wunderbares.
"Mir segn ins wieda." "Gottes Segen."
Friedl Diem, Schwaz