Das mir gestellte Thema ist so umfassend, die hier zu behandelnden Fragen so widersprüchlich und kompliziert, dass ich mich mit einer generellen Übersicht und der Aufzählung charakteristischer und wiederkehrender Züge in einer langen, keineswegs folgerichtig verlaufenden Entwicklung begnügen muss. Von Anfang an kann festgestellt werden, dass es dieses Thema dem Geschichtslehrer keineswegs leicht macht, vorbildliche Leistungen des eigenen Landes herauszustellen, im Gegenteil: Auf der einen Seite sind immerhin einige frühe Ansätze zu vermerken, die bisher wenig Beachtung gefunden haben und festgehalten zu werden verdienen. Auf der anderen steht ein außerordentlich langes Fortdauern der Intoleranz, im merkwürdigen Gegensatz zur oft zitierten österreichischen Mentalität des Lebens und leben Lassens, der Fähigkeit zur Assimilierung fremder Kulturgüter und der viel berufenen Brückenfunktion unseres Landes zwischen West und Ost. Diese Anzeichen einer bemerkenswert intoleranten Haltung finden sich nicht nur im Mittelalter und in der Zeit der Gegenreformation, sondern auch im 19. und 20. Jahrhundert. Zu Ehren einer imaginären Glaubenseinheit des heiligen Landes Tirol mussten noch in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts die so genannten Zillertaler Inklinanten ihre Heimat verlassen, wohl das letzte Beispiel der zur Emigration führenden religiösen Intoleranz in Europa. Das Stillschweigen des größten Teiles unserer Bevölkerung bei der Vernichtung der Juden hundert Jahre später wirft auf die Toleranz der Österreicher ein noch ungünstigeres Licht, auch wenn man alle Schwierigkeiten sorgfältig im Erwägung zieht, die damals der Terror der Nationalsozialisten einem etwaigen Widerstand entgegensetzte. Bei dieser Lage der Dinge scheint es wichtig, über die Ursachen dieser Haltung nachzudenken und die Wenigen ins Gedächtnis zurückzurufen, die sich mutig dem allgemeinen Trend entgegengestellt haben.
Aus diesen einleitenden Bemerkungen geht schon hervor, dass hier vor allem von der Toleranz gegenüber Andersgläubigen die Rede sein wird. Auch die feindselige Haltung gegen die Juden ist zum größten Teil auf christliche Vorurteile zurückzuführen, vermeintliche Rassengegensätze stehen erst am Ende dieses traurigsten Kapitels der österreichischen Geschichte, auf das hier nicht näher eingegangen werden kann. Eine zu Konzessionen gegenüber religiösen Minderheiten bereite tolerante Haltung war im frühen Christentum nur so lange möglich, bis es selbst zur Staatsreligion wurde. Von da an ist religiöse Duldung dem Christentum lange Zeit fremd geblieben, eine Entwicklung, die von den Häresien aller Spielarten immer wieder bedauert wurde. Von nun an gab es religiöse Toleranz nur noch bedingt gegenüber nichtchristlichen Religionen, wo die Verhältnisse eine Art Zusammenleben erzwangen, wie im frühen und hohen Mittelalter etwa auf der iberischen Halbinsel. Im Donau- und Alpenraum haben nach der Christianisierung der Bayern und der dieses Gebiet von Norden, Osten und Süden umschließenden slawischen Völker und der Magyaren - ein Prozess, der im 11. Jahrhundert im wesentlichen abgeschlossen war - nur noch Christen und zeitweise eine schwache jüdische Minderheit gelebt. Heidnische Vorstellungen wirkten natürlich lange im Volk weiter, sie sind aber nur selten Gegenstand von Verfolgungen geworden, jedenfalls wurde kaum etwas davon bekannt. Wahrscheinlich war gerade diese Abgeschlossenheit gegenüber heidnischen Gebieten der Grund, warum Ketzerverfolgungen in Österreich häufig und sehr blutig gewesen sind. Gegen Heiden blieb man, der Not gehorchend, in den Randgebieten verhältnismäßig tolerant. Man erkannte sogar, dass bei ihnen Zwangsbekehrungen kaum zielführend sein konnten. Noch Thomas von Aquin, der Pater Angelicus, hat den Satz geprägt: credere voluntatis est, der Glaube ist eine Sache des Willens. In einem Brief an Bischof ARNO von Salzburg hat ALKUIN sich 796 scharf gegen das Vorgehen KARLS DES GROSSEN bei den Sachsen ausgesprochen: Wer könnte den Menschen zwingen, zu glauben, was er nicht glaubt?
Ganz anders war die Haltung gegen die Häretiker, gegen die man seit dem Auftreten der Katharer und Waldenser mit erschreckender Härte vorging. In Frankreich hatte sich hier im 11. Jahrhundert als generelle Strafe der Feuertod durchgesetzt. Die Häretiker wurden wie Falschmünzer und Majestätsverbrecher behandelt. Rückfällige Ketzer mussten sogar im Fall einer Versöhnung mit der Kirche mit dem Tod bestraft werden. Dieses bei der Religion der Nächstenliebe besonders abstoßende Verfahren hat schon am Beginn des 13. Jahrhunderts im Albigenserkreuzzug einen ersten Höhepunkt erreicht. Wie wenig sich hier im Lauf der Zeit geändert hat, zeigt eine Predigt, die PETRUS CANISIUS 1571 vor FERDINAND von Tirol gehalten hat. Er setzt die Falschmünzer denen gleich, die das Wort Gottes verfälschen, die Majestätsverbrecher denen, die die Sakramente ablehnen und Gott in seiner Braut, der Kirche, Widerstand leisten. Das zeigt, dass ein so berühmter Mann wie CANISIUS in dieser Frage noch ganz auf dem Standpunkt der mittelalterlichen Kirche steht, dass es hier für ihn keinen Fortschritt gegeben hat.
Zum Wort Toleranz wäre zu sagen, dass es im Sinn der Erlaubnis oder Konzession einer Religionsfreiheit gegenüber Andersgläubigen gerade damals, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in Deutschland und in den Niederlanden aufgekommen ist, in Frankreich etwas später, zur Zeit des Edikts von Nantes. Das Verbum tolerare verwendet schon THOMAS VON AQUIN im Bezug auf die Heiden: Utrum vitus infidelium sint tolerandi?
Bei einer Untersuchung über die Entwicklung des Toleranzgedankens in Österreich muss auch das Mittelalter einbezogen werden, weil schon in ihm die Grundlagen der späteren Fortschritte der Reformation gelegt wurden. Bei dem Fehlen neuerer Untersuchungen ist es der Allgemeinheit vielleicht zu wenig bekannt, dass es besonders in den Donauländern starke Ketzerbewegungen gegeben hat. Sie konnten, wie später das Luthertum im Gebirge, nie völlig ausgeschaltet werden. Der Verdacht liegt nahe, dass sie mit fast unverminderter Stärke in der Bevölkerung weiterlebten und dann als Luthertum und mehr noch bei der Verbreitung der Wiedertäufer wirksam geworden sind. Wir hören von einer großen Verfolgungswelle schon 1210 unter Herzog LEOPOLD VI., mit zahlreichen Opfern, bevor sich der Herzog 1212 als treuer Sohn der Kirche selbst am Kreuzzug gegen die Albigenser beteiligte. Die Wirkung der Verfolgung war nicht groß, da zwanzig Jahre später Nachrichten von Ketzergemeinden vor allem in den Städten, in Wien und Wiener Neustadt, vorliegen. In den sechziger Jahren desselben Jahrhunderts nahm König OTTOKAR den Kampf gegen die wohl waldensischen Sekten wieder auf, ohne dass wir von ähnlichen Bestrebungen in Böhmen selbst hören. Damals sollen nicht weniger als vierzig Ketzergemeinden im heutigen Nieder- und Oberösterreich festgestellt worden sein. Auch das nützte wenig, wie eine neue Verfolgungswelle von 1315 bis 1318 zeigt. Inquisitionsgerichte tagten in Steyr und Krems, wo auch ein Ketzerbischof angeklagt wurde, der nach seinen eigenen Angaben bereits fünfzig Jahre lang im Amt war und seinen Sitz wahrscheinlich in Anzbach bei Neulengbach gehabt hat. Die uns erhaltenen Aufzeichnungen der Inquisitoren lassen über die Art der Häresie wenig erkennen, da der Verdacht nahe liegt, dass die Bekenntnisse über katharische Irrlehren und Luziferismus den Angeklagten bei der Folter in den Mund gelegt wurden, um rascher zur Verurteilung zu kommen. Wahrscheinlich handelte es sich wiederum um Waldenser, wie schon die kirchliche Organisation vermuten lässt. Auch die hier genannte Zahl des infizierten Personenkreises, 80 000 in Ober- und Niederösterreich - was etwas mehr als zehn Prozent der Gesamtbevölkerung bedeuten würde -, ist zumindest sehr stark übertrieben. Ebenso wenig Klarheit besteht über die Anzahl der Opfer, wie wir überhaupt bei diesen mittelalterlichen Ketzerbewegungen zu wenig verlässliche Quellen zur Verfügung haben. Von großem Einfluss war offensichtlich nun bereits die Nachbarschaft mit Böhmen, wo PETRUS WALDES selbst seine letzte Zufluchtstätte gefunden haben soll.
In der nächsten Verfolgungswelle, zu der sich Herzog ALBRECHT III. am Ende des 14. Jahrhunderts veranlasst sah, waren - wie schon 1336 bei einer kleineren - Enns und Steyr der Mittelpunkt. Von 1395 bis 1397 sollen in Steyr allein über tausend Personen verhört und über hundert verbrannt worden sein. Von hussitischen Einwirkungen in Österreich ist weniger bekannt. 1411 wurde in Wien der Bürger HANS GIESSER als Anhänger von Hus verbrannt, 1420/21 folgte dann die Wiener Geserah, die große Judenverfolgung mit etwa 400 Opfern, aus deren eingezogenem Besitz sich Herzog ALBRECHT V. die Mittel für den Krieg gegen die Hussiten verschaffte. Mehr als ein halbes Jahrhundert später ist in Wien der letzte Hussitenbischof im Reich, STEFAN VON BASEL, hingerichtet worden. Eine so genannte Hussitenkirche, die wohl auch mehr auf waldensischer Grundlage ruhte, hat in Deutschland seit den Basler Kompaktaten bestanden. Sie ist für unser Thema deshalb wichtig, weil im böhmischen Kirchenstreit immerhin schon so etwas wie eine Toleranz gegenüber anderen Bekenntnissen in der Praxis eingeführt werden musste, die eine vom Gegner geduldete Unabhängigkeit verschiedener konfessioneller Systeme nebeneinander bestehen ließ.
Bei der Hinrichtung des STEFAN VON BASEL hören wir auch zum letzten Mal von österreichischen Waldensern, Handwerkern und Taglöhnern, bezeichnenderweise in der Nähe der böhmischen und mährischen Grenze. Abschließend kann man für das Mittelalter sagen, dass der Zusammenhang mit dem Ketzerland Böhmen in den Donauländern von Einfluss gewesen ist und bei den Verfolgten, die sicher nur eine kleine Minderheit waren, den Wunsch nach ähnlicher religiöser Duldung wie dort entstehen lassen musste. Die Fürsten hingegen - und hier ist zwischen Babenbergern, Premysliden und Habsburgern kein Unterschied festzustellen - waren zu eng mit den Interessen der herrschenden Kirche verbunden, um sich zu einem über die gültige Lehre von den "Münzfälschern und Majestätsverbrechern" hinausgehenden Standpunkt erheben zu können.
Die viel gerühmte - in Wirklichkeit aber keineswegs bestehende - Glaubenseinheit des Mittelalters ist durch die Reformation endgültig von einem Nebeneinander verschiedener, in der Regel ebenfalls intoleranter christlicher Bekenntnisse abgelöst worden. Fast gleichzeitig mit der Lehre LUTHERS, dem zum ersten Mal auch gedruckte Propaganda in den zahlreichen Flugschriften zur Verfügung stand, die durch den Handelsverkehr mit Oberdeutschland in unseren Raum gelangten, traf auch ein in Spanien erzogener Regent, Erzherzog FERDINAND, in Österreich ein. Er war vorher einige Jahre lang in den Niederlanden von ERASMUS VON ROTTERDAM, dem berühmten Ireniker, beeinflusst worden. Das zeigt sich wohl in dem von Anfang an behutsamen Vorgehen FERDINANDS gegen die Anhänger LUTHERS, bei denen er wie sein Lehrer ERASMUS immer noch auf einen Ausgleich mit der römischen Kirche hoffte. Hingegen ist FERDINAND sofort mit äußerster Härte gegen die Wiedertäufer vorgegangen. Schon der erste Blutzeuge der Reformation in Österreich, der in Erdberg 1524 hingerichtete reiche Wiener Kaufmann KASPAR TAUBER, dürfte diesem Kreis angehört haben.
Mit den Täufern tritt eine mit der Entwicklung der Toleranz und vor allem mit deren Vorbedingung, der Trennung von Kirche und Staat, eng verknüpfte Bewegung auf den Plan, die eines ihrer Zentren in Österreich und in der unmittelbaren mährischen Nachbarschaft besessen hat. Der Führer des toleranten und pazifistischen Flügels dieser Richtung, die mit den früheren Waldensern wohl in engerem Zusammenhang steht, als im allgemeinen angenommen wird, Dr. BALTHASAR HUBMAIER, ist 1528 ebenfalls in Erdberg verbrannt worden; seine Frau, eine Vorderösterreicherin aus Waldshut, wurde einige Tage später in der Donau ertränkt. Bei den niederösterreichischen Wiedertäufern lassen sich übrigens wieder dieselben Gegenden als Kerngebiete feststellen wie bei den Waldensern im Spätmittelalter, vor allem Steyr und die Gegend von St. Pölten und Neulengbach. In der Verfolgung der Täufer, meist Handwerker, die in Gütergemeinschaft lebten und sich um einen vorbildlichen Wandel bemühten, standen die Habsburger keineswegs allein. Die neue Sekte wurde seit den Bauernkriegen überall mit Feuer und Schwert bekämpft, da man den um THOMAS MÜNZER und später um die Propheten von Münster gescharten radikalen Flügel fürchtete. Aus der Ablehnung des Besitzes folgerte man den Kampf gegen die bestehende Gesellschaftsordnung. Die Zahl der Opfer hat sich durch den unglaublichen Mut vergrößert, mit dem sich diese armen und fleißigen Menschen zum Martyrium drängten. Wer nicht widerrief, wurde lebendig verbrannt, Frauen und Kinder wurden ertränkt. So soll es in Niederösterreich allein in diesen ersten Jahren der Verfolgung schon 108 Opfer gegeben haben. Diesmal verbreitete sich die Bewegung auch in den Alpenländern, vor allem in Tirol, da sie ihren Ausgangspunkt in der Schweiz und in Schwaben genommen hat. In Tirol ist es auch zu den meisten Hinrichtungen gekommen. Genaue Zahlen lassen sich wie früher wegen der unvollständigen Quellen nicht ermitteln. Wichtig ist, dass die Täufer in Mähren, bei den Herren von LIECHTENSTElN in Nikolsburg, bei den KAUNITZ und bei anderen Grundherren, die aus den fleißigen Täufergemeinden Gewinne zogen, immer wieder Asyl gefunden haben. Hier konnten sie in die ebenfalls täuferischen böhmischen und mährischen Brüdergemeinden übergehen.
Für unser Thema ist hervorzuheben, dass bei den Täufern in Mähren und Österreich zum ersten Mal Forderungen nach einer strengen Trennung von Kirche und Staat und damit nach der Duldung religiöser Sonderungen erhoben wurden, während die Lutheraner und später die Kalvinisten am staatlichen Charakter der Kirche festhielten und sich in den von ihnen gewonnenen Gebieten bald ebenso intolerant erwiesen wie die Katholiken. Am Anfang der Entwicklung zur Toleranz steht vor allem BALTHASAR HUBMAIER, der Wiener Blutzeuge. In seinen Traktaten Von Ketzern und ihren Verbrennern, Von der briederlichen Straf!, Von dem christlichen Bauern und Von dem Schwert verurteilt er alle Gewalt in Religionsfragen. Mit Recht ist die Schrift Von Ketzern und ihren Verbrennern, die in Mähren oder Österreich gedruckt worden sein muss, der früheste Toleranzaufruf genannt worden, der in Europa verfasst worden ist. Mit ERASMUS gemeinsam hat HUBMAIER eine Tendenz zur Anerkennung des freien Willens, eine Abneigung gegen eine Ausschließlichkeitsvorstellung von der Kirche. ERASMUS war sich auch dieser Verbindungen bewusst, er hat 1529 den friedlichen und arglosen Lebenswandel und den Opfermut der Wiedertäufer bei den Verfolgungen gelobt.
Diese Sonderentwicklung in unserem Raum ist sicher durch ein Phänomen verstärkt worden, das ebenfalls lange unterschätzt worden ist. Durch die Festsetzung der Türken in der ungarischen Tiefebene seit der Errichtung des Paschaliks Ofen 1541 gerieten die österreichischen Erblande nach mehr als einem halben Jahrtausend wieder an die Randzone der Christenheit. Im Osmanischen Reich aber herrschte bekanntlich auf religiösem Gebiet zwar keine Gleichberechtigung der Konfessionen, aber in der Praxis doch eine nahezu uneingeschränkte religiöse Toleranz. Dass sie aus wirtschaftlichen Gründen entstanden war und durch die Kopfsteuer der Ungläubigen, den charadsch, Zwangsbekehrungen zum Islam verhindert wurden, spielt dabei nur eine sekundäre Rolle. Bezeichnenderweise ist den christlichen Staaten, etwa in Spanien, eine so einfache und praktische Regelung, die das wichtige Recht der Gewissensfreiheit gesichert hätte, nicht eingefallen. Dazu kam noch die nahezu klassenlose Gesellschaftsordnung, die den zum Islam übergetretenen Renegaten ohne Rücksicht auf ihre Herkunft die höchsten Staatsämter nicht nur öffnete, sondern praktisch fast ausschließlich vorbehielt. Unter diesen Umständen war es kein Wunder, dass die Türken auf ihren Kriegszügen, darunter auch 1529 in Österreich, hie und da Hilfe der untersten Schichten erhielten, die zu diesem Zeitpunkt die ersehnte Gelegenheit fanden, sich an ihren Unterdrückern zu rächen. Deshalb hat schon LUTHER das türkische System in seinen Kampfschriften gegen den Erbfeind der Christenheit als Müntzerische Ordnung - nach dem Führer der militanten Wiedertäufer THOMAS MÜNZER - gebrandmarkt. Aber auch der pazifistische Flügel dieser Sekte hat in seinen Schriften oft auf die von den Türken gewährten Freiheiten hingewiesen. Das wieder machte ihn im Grenzgebiet zur besonderen Gefahr und wird nicht wenig zur gnadenlosen Verfolgung beigetragen haben.
Im dreigeteilten Ungarn hat der Osten, gleichzeitig der größte der Teile, unter magyarischen Wahlfürsten, wenn auch meist unter türkischer Oberhoheit, die alte Selbständigkeit Ungarns weitgehend wahren können. Seit Alters her lebten hier mehrere Nationen friedlich nebeneinander, wobei allerdings nur Magyaren, Szekler und Deutsche, nicht aber die Mehrheit der Bevölkerung, die walachischen Hirten, politische Rechte besaßen. Ein Großteil der Deutschen bekannte sich zum Luthertum, während sich Magyaren und Szekler, schon aus Gegensatz zu ihnen, dem Kalvinismus zuwandten. Seit dem Landtag von Torda 1563 herrschte hier, zum ersten Mal in Europa, die staatlich voll anerkannte Gleichberechtigung des katholischen, lutherischen und reformierten Bekenntnisses. Wichtig für die Weiterentwicklung der Toleranz wurde, dass mit GIORGIO BIANDRATA, der 1564 Leibarzt des Fürsten JOHANN II. SIEGMUND wurde, auch die italienischen Reformatoren, die im eigenen Land und auf der Flucht durch ganz Europa die Wirkungen der Unduldsamkeit am schmerzlichsten erfahren hatten, Einfluss gewannen. Zusammen mit dem Hofprediger FRANZ DAVID verfasste BIANDRATA 1567 die Streitschrift De falsa et vera unius Dei cognitione, in der jede Verfolgung der Häretiker als Werk des Antichrist bezeichnet wird. Die beiden wurden die Gründer der unitarischen Kirche Siebenbürgens, die noch heute besteht. Fürst STEPHAN BATHORY, selbst ein überzeugter Katholik, hat 1571 am Landtag von Nagyvarad (Großwardein) auch dieser vierten Konfession die Gleichberechtigung erteilt. Bei der Rückkehr Siebenbürgens unter habsburgische Herrschaft mussten im Leopoldinischen Diplom von 1690 die Rechte dieser vier rezipierten Religionen ausdrücklich von LEOPOLD I. bestätigt werden. Die Siebenbürgische Freiheit hat auch auf Polen eingewirkt, wo der Adel 1573 in der Warschauer Konföderation eine Klausel durchsetzte, in der jede Anwendung von Gewalt in Glaubensfragen untersagt wurde. STEPHAN BATHORY von Siebenbürgen, der 1575 zum König von Polen gewählt wurde, ist zweifellos eine Schlüsselfigur der europäischen Toleranz, der erste Herrscher eines bedeutenden europäischen Staates, der sich zu ihr bekannte und von dem der Ausspruch überliefert ist, dass er ein König der Völker, aber nicht der Gewissen sei.
Von diesem Standpunkt waren die Herrscher unseres Landes noch zweihundert Jahre lang weit entfernt, obwohl gerade das polnische Beispiel gezeigt hat, dass die Toleranz am meisten der katholischen Kirche zugute kam. MAXIMILIAN II., der sich als Privatmann zweifellos selbst zur Augsburger Konfession bekannt hätte, kann hier ebenso wenig als Beispiel der Toleranz angeführt werden wie die verschiedenen Religionskonzessionen, zu denen sich die Habsburger gegenüber den adligen Ständen verstehen mussten, die durch das Steuerbewilligungsrecht in der Not der Türkenabwehr und des Kampfes der Fürsten untereinander ein letztes Mal große Bedeutung erlangten. Merkwürdigerweise hat weniger die enge Verbindung zur spanischen Linie des Hauses als die wittelsbachische Heirat Erzherzog KARLS von Innerösterreich die Gegenreformation verschärft. Unter dem Sohn der MARIA VON BAYERN, FERDINAND II., erreichte die militante Gegenreformation ihren Höhepunkt. Sie führte zum dreißigjährigen Machtkampf im Reich und zum Sieg des Fürstenabsolutismus in den Erblanden. Der protestantische Adel, Teile der Stadtbürger und die Sektierer in Böhmen und Mähren mussten den traurigen Weg ins Exil antreten, nachdem sich ihre Lage von Jahr zu Jahr verschlechtert hatte. Die Glaubenseinheit war um einen sehr hohen Preis erkauft worden, und sie ist, wie das unterirdische Fortleben der Akatholiken in den Alpen und im böhmischen Raum bewies, ebenso fragwürdig wie im Mittelalter geblieben. Freilich haben die Ereignisse während des böhmischen Aufstands und in den Donauländern gezeigt, dass die siegreichen Stände ebenso wenig an Toleranz dachten wie die katholische Partei; zu einem friedlichen Zusammenleben wie in Siebenbürgen wäre es wohl auf keinen Fall gekommen. Nur die Böhmischen Brüder, die unter ihrem letzten Bischof JAN AMOS COMENIUS nach Polen auswichen, haben im habsburgischen Herrschaftsgebiet die Toleranz zum Programm erhoben.
Nach dem Westfälischen Frieden, in dem den schlesischen Protestanten eine eingeschränkte Duldung gesichert worden war, sind in Niederösterreich noch einige protestantische Adelsfamilien verblieben, denen wegen ihrer Loyalität persönliche Glaubensfreiheit zugestanden wurde. Nur im Königreich Ungarn gab es weiter das im Wiener Frieden von 1606 zugesicherte Recht der freien Religionsausübung für die Stände, den Adel und einige königliche Freistädte. Dann allerdings spielten sich hier nach der Aufdeckung der Magnatenverschwörung und bei der Vertreibung der Türken Tragödien ab, die über das Ausmaß des sonst den Andersgläubigen angetanen Unrechts hinausgingen und weltweites Aufsehen erregten: die Verschickung von Prädikanten auf venezianische und neapolitanische Galeeren 1674 und das Eperjeser Blutgericht von 1687. In den Kuruzzenaufständen sind diese Exzesse der Gegenreformation blutig gerächt worden, die bedingte Glaubensfreiheit mit eingeschränkten Rechten der Reformierten musste wieder gewährt werden. Im 18. Jahrhundert folgte dann unter KARL VI. und MARIA THERESIA die gewaltsame Transmigration steirischer und oberösterreichischer Lutheraner nach Siebenbürgen, denen der Mitregent JOSEPH II. erst 1774 ein Ende machen konnte. Seit dem Einsetzen der spezifischen Frömmigkeit des Herrscherhauses, der Pietas Austriaca, unter den Ferdinanden wurden den Konvertiten Renten ausgesetzt und so Gesinnung mit Geld erkauft, ein Brauch, den noch MARIA THERESIA eifrig fortsetzte und FRANZ II. sogar noch am Beginn des 19. Jahrhunderts wieder einführte. Bis zum Toleranzpatent konnten nur Katholiken staatliche Anstellungen erhalten, die Anziehungskraft des kaiserlichen Dienstes und der Residenzstadt Wien lockte zahlreiche Konvertiten aus dem Reiche an, die oft führende Positionen errangen und den aus äußeren Gründen erfolgten Schritt durch besonderen Glaubenseifer wettzumachen suchten. Was das freilich für den einzelnen auch bedeuten konnte, ist in den Tagebüchern des Grafen KARL VON ZINZENDORF nachzulesen, der in der Jugend auf Drängen seines Bruders und seiner Freunde konvertierte, um in Österreich eine Versorgung zu finden. Das hat er sein ganzes Leben lang bitter bereut. Sein jahrelanger widerstand ist durch seine Vorliebe für die Herrnhuter verstärkt worden, denen sein Onkel NIKOLAUS LUDWIG als Bischof vorstand. Sie waren eigentlich Mährische Brüder, zum Teil Emigranten aus der Zeit KARLs VI., Nachfahren der österreichischen Wiedertäufer, die nun in der ganzen Welt Niederlassungen und Missionen gründeten.
Das Gedankengut der Aufklärung und die Verwaltungsreformen haben im Laufe des 18. Jahrhunderts auch in der Habsburgermonarchie einen langsamen Wandel der Anschauungen von der Unduldsamkeit weg zu einer toleranteren Haltung bewirkt. Dafür waren viele Gründe maßgebend und die Anhänger der Toleranz in verschiedene Gruppen geteilt. Gegenüber der in der barocken Tradition fortlebenden Mehrheit waren sie nur eine, wenn auch einflussreiche Minderheit, deren Sieg erst durch das energische Eintreten des Monarchen ermöglicht wurde. Wir können bei den Neuerern vier Richtungen unterscheiden: die Ireniker, die eine Wiedervereinigung der christlichen Konfessionen anstrebten, der Merkantilisten, die aus wirtschaftlichen Gründen die Aufnahme protestantischer Handwerker, Kaufleute und Fabrikanten wünschten, die katholischen Aufklärer, die den Gewissenszwang ablehnten, und schließlich ein radikaler Flügel, für den die Toleranz bereits in einem religiösen Indifferentismus begründet scheint. Natürlich sind diese Gruppen nicht genau gegeneinander abzugrenzen, es gibt auch Mischformen, die verschiedene Motive in sich vereinen.
Am wenigsten brauchen wir uns bei den Irenikern und Merkantilisten aufzuhalten, da sie entweder eine Rückkehr der Abgefallenen in den Schoß der katholischen Kirche durch einiges Entgegenkommen vorbereiten oder aus reinen Nützlichkeitsgründen ein notwendiges übel dulden wollten. Freilich wird man einem ROJAS Y SPINOLA, Bischof von Wiener Neustadt, oder einem CHRISTIAN JULIUS VON SCHIERENDORFF durchaus zutrauen können, dass hinter den von ihnen in den Vordergrund gestellten Motiven der Wiedervereinigung oder des Merkantilismus auch eine grundsätzlich positive Haltung zur Toleranz überhaupt verborgen war, die offen zu bekennen damals noch zu gefährlich schien. Immerhin konnten diese Argumente später verwendet werden, um die streng katholische, noch in der Tradition der Gegenreformation lebende Mehrheit mit einer bedingten Toleranz zu versöhnen.
Viel wichtiger und für die schließliche Durchsetzung der Toleranz entscheidend wurde die katholische Aufklärung, die sich wieder aus verschiedenen Komponenten zusammensetzte: die teilweise vom Jansenismus beeinflussten Anhänger MURATORIS, die Febronianer, die eine von der Kurie unabhängigere Kirche im Reich nach gallikanischem Muster einrichten und den Bischöfen größere Rechte einräumen wollten, und als radikaler Flügel die von der Petite Eglise in Utrecht gesteuerten wirklichen Jansenisten. Die Einstellung dieser Richtungen zur Duldung der Nichtkatholiken war verschieden, sie reichte von der Befürwortung als selbstverständlicher Forderung der christlichen Nächstenliebe bei den Muratorianern bis zur grundsätzlichen Ablehnung des Zwanges in Glaubenssachen bei den Jansenisten. Der schon zur Zeit MARIA THERESIAS einsetzende Kampf gegen die Kurie und die begreifliche Anziehungskraft der febronianischen Lehren auf die Bischöfe als deren direkte Nutznießer hat dann dazu geführt, dass der größere Teil des Episkopats später die Einführung der Toleranz teils begrüßt, teils geduldet hat. Dieselben Kräfte waren es auch, die den Einfluss der Jesuiten bekämpft und mit der schließlichen Aufhebung dieses Ordens das wichtigste Hindernis zur Reform beseitigt haben.
Zur katholischen Aufklärung und dem Wirken der Utrechter Emissäre zur Verbreitung jansenistischen Gedankenguts trat bei einem kleinen Kreis des kosmopolitischen Adels und der Gebildeten die direkte Einwirkung der englischen und vor allem der französischen philosophischen Schriftsteller, soweit die Zensurschwierigkeiten überwunden werden konnten. In diesen Kreisen findet sich neben dem Indifferentismus, für den als Beispiel der Staatskanzler Fürst KAUNITZ genannt werden kann, wohl auch schon der Atheismus. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts haben sich im Kerngebiet der Monarchie - früher schon in den österreichischen Niederlanden und in der Toskana - von Preußen und Schlesien her Freimaurerlogen gebildet, die verhältnismäßig bald einen Teil der adligen Jugend und der Gelehrten und Künstler erfassen konnten. Wie gering die Wirkung päpstlicher Verbote damals schon war, ist der Tatsache zu entnehmen, dass sich trotz der Bannbullen eine nicht unbeträchtliche Zahl von Priestern, ja sogar einige Ordensangehörige, den Freimaurern anschlossen. Besondere Faszination hat neben dem Kosmopolitismus und der von Anfang an vertretenen unbedingten Toleranz auf deistischer Grundlage die Aufhebung der Standesunterschiede innerhalb der Logen ausgeübt. Genauere Quellen stehen uns für diese in ihren Wirkungen oft unterschätzte Bewegung, die ihre Mitglieder im profanen Leben nach Kräften förderte und vor allem den Staatsbeamten in ihrem Fortkommen nützlich war, freilich erst bei ihrem öffentlichen Auftreten nach dem Tod MARIA THERESIAS zur Verfügung. Ihre Wichtigkeit zeigt sich schon darin, dass FRANZ STEPHAN von Lothringen als erster europäischer Fürst bereits 1731 in den Bund aufgenommen wurde und dass der Gemahl der Lieblingstochter der Kaiserin, Herzog ALBRECHT KASIMIR von Sachsen-Teschen, zu ihren Führern zählte. Auf diesem Weg konnten die Ideen der englischen Aufklärung, auf denen die Freimaurer ja hauptsächlich aufbauten, direkt auf das Kaiserhaus einwirken. Wie weit die Toleranzgrenze bei den Freimaurern schon vor dem Tod der Kaiserin ging, zeigen die Regeln der ungarischen Sonderentwicklung der Freimaurer, der so genannten Draskovic-Observanz, genannt nach ihrem Großmeister, dem Grenzerobersten Graf JOHANN DRASKOVIC. Hier wurden schon 1777 auch Atheisten in den Logen geduldet, allerdings unter der Voraussetzung, dass sie ihre Grundsätze nicht zu verbreiten suchten.
Im absolutistisch regierten Staat konnte natürlich nur ein Impuls von oben eine so entscheidende Wendung herbeiführen, wie es das Toleranzpatent von 1781 darstellt. Über die Motive JOSEPHS II., der sich selbst stets als treuer Sohn der katholischen Kirche bezeichnet hat, ist viel gerätselt worden. Der Kaiser hat selbst dazu beigetragen, als er im Streit mit seiner Mutter um die mährischen Protestanten 1777 ausschließlich wirtschaftliche Gründe anführte. Wie bei den meisten seiner Reformideen ist aber auch hier das Festhalten an früh gefassten Gedankengängen festzustellen. Der amerikanische Forscher O'BRIEN, dem wir eine außerordentlich gute Untersuchung der Toleranzideen zur Zeit JOSEPHS II. verdanken, hat auf die Schrift des Lehrers CHRISTIAN AUGUST BECK über Natur- und Völkerrecht hingewiesen, die 1754 zum Unterricht des Thronfolgers verfasst wurde. Hier wird nach PUFENDORF die Unverletzlichkeit des Gewissens betont, aber gleichzeitig vor der Duldung radikaler Sekten, wie der Sozinianer und Quäker, gewarnt. Das spätere Vorgehen des Monarchen gegen die Deisten in Mähren, wo allerdings nicht nur, wie meist in der Literatur angegeben, die sich meldenden Anhänger, sondern auch die Denunzianten mit Stockstreichen bedroht wurden, sowie das Verbot, Herrnhuter als Prediger aus dem Ausland zu berufen, stehen in merkwürdiger Übereinstimmung mit BECKs Unterricht. Dazu kommt der unermüdliche Kampf JOSEPHS gegen alle Arten von Privilegien und für die Gleichheit der Untertanen, der schon in den ersten Schriften des Thronfolgers 1761 zum Ausdruck kommt und sich auch auf Glaubensdinge erstrecken musste, Das alles zeigt wohl zur Genüge, dass es keineswegs nur utilitaristische Erwägungen waren, die JOSEPH II. hier beeinflusst haben.
Beim Toleranzpatent, auf das neben dem Kaiser der Staatsrat TOBIAS FREIHERR VON GEBLER, der Konvertit und spätere Großmeister der Distriktsloge von Österreich, am meisten eingewirkt hat, handelt es sich vor allem um die Ausdehnung der ja schon in Ungarn, Siebenbürgen, Österreichisch-Schlesien, Galizien und den Freihäfen Triest und Fiume praktizierten Toleranz auf die ganze Monarchie, allerdings auch unter gleichzeitiger Verbesserung der Rechte der Akatholiken, die nun den Anhängern der Staatsreligion fast gleichgestellt werden. In vielen Fällen, besonders bei Staatsanstellungen, bedurften sie aber noch eigener Genehmigungen oder Dispensen, die ihnen aber selten verweigert worden sind. Ins Toleranzpatent sind bekanntlich nur Lutheraner, Kalvinisten und Griechisch- Orthodoxe aufgenommen worden, bei den übrigen Sekten hörte sich die Toleranz auf, wie es sich bei den mährischen Deisten, in Wirklichkeit Nachfahren der Mährischen Brüder und der Wiedertäufer, gezeigt hat. Aber auch bei den Tolerierten blieb der Privatcharakter der Religionsausübung wenigstens symbolisch gewahrt. Die katholische Kirche ist die vorherrschende oder die Staatsreligion geblieben, sie musste es bleiben, weil sie durch die josephinische Kirchenreform zur Dienerin des Staates und der Klerus immer mehr zum Träger der Staatsreform gemacht wurde. Nur die völlige Trennung von Staat und Kirche, von den Wiedertäufern schon im 16. Jahrhundert gefordert, hätte eine wirkliche Gleichstellung der Konfessionen ermöglicht. Ist so die josephinische Reform nur unter gewissen Einschränkungen zu sehen, blieb immerhin der Fortschritt, gemessen am Schicksal des einzelnen, groß genug, der jetzt weder Diskriminierung noch Glaubenszwang mehr befürchten musste.
Anfang 1782 wurde das Toleranzpatent auch durch ein Patent für die Besserstellung der Juden ergänzt, denen die drückendsten und demütigendsten Bestimmungen der früheren barbarischen Judengesetzgebung erlassen wurden. Von einer auch nur annähernden Gleichstellung ist hier noch keine Rede, durch die Möglichkeit freier Berufsausübung und vor allem des Besuchs höherer Schulen und Universitäten wurde ihnen aber die Möglichkeit zum unerhörten intellektuellen Aufstieg im 19. Jahrhundert gegeben. Mehr noch als bei der Duldung der christlichen Konfessionen ist JOSEPH II., der hier viel mehr Vorurteile überwinden musste, bei der Judenemanzipation Bahnbrecher gewesen, hier hat er vor allem sein Vorbild FRIEDRICH von Preußen bei weitem übertroffen. Auf dem Kontinent hat erst die Französische Revolution den Juden weitere Fortschritte gebracht.
Nach der Kirchenreform haben die Toleranzpatente für Nichtkatholiken und Juden die Öffentlichkeit am meisten erregt und den schärfsten Protest der Kurie sowie die spektakuläre, aber vergebliche Reise des Papstes nach Wien veranlasst. Im Kampf um die öffentliche Meinung, der nun bei der gleichzeitigen Lockerung der Zensur in zahllosen Broschüren, in Zeitungen und Periodica ausgetragen wurde, stand die Mehrheit auf Seiten der Regierung. Unter ihren Parteigängern befanden sich ein Teil der Bischöfe und des Klerus und der sich nun erstmals ausbildende Stand der Schriftsteller und Journalisten, der meist den Freimaurern angehörte. Die bedeutendsten stammten aus der Wahren Eintracht, der von IGNAZ VON BORN und JOSEPH VON SONNENFELS in Wien geleiteten Eliteloge. Der Erfolg war so eindeutig, dass auch die Nachfolger des Reformkaisers, LEOPOLD II. und FRANZ II., im Prinzip für die Beibehaltung der Toleranz eintreten mussten. Beim Bruder JOSEPHS II. entsprach das sicher den eigenen Anschauungen, aber auch beim Neffen war trotz der ständigen Furcht vor den Auswirkungen der Französischen Revolution und der Abneigung gegen die "philosophen", d. h. die politischen Schriftsteller und Theoretiker, die an allem schuld tragen sollten, trotz vieler Rückschläge eine grundsätzliche Abkehr von der josephinischen Staatskirche und der schon gewährten Freiheiten in Glaubenssachen nicht mehr möglich. Dafür bürgte schon das josephinische Beamtentum, das beibehalten werden musste.
Der lange Weg von der josephinischen Duldung bis zur Gleichberechtigung der Konfessionen konnte während der patriarchalischen Regierung des Kaisers FRANZ und des anschließenden gespenstischen Regimes einer absoluten Monarchie ohne Monarchen zur Zeit Kaiser FERDINANDS nur sehr zögernd zurückgelegt werden. Trotz häufiger Schikanen gegen die Protestanten und der Rücknahme einiger Erleichterungen für die Juden, gegen die wegen der ihnen von der Französischen Revolution gewährten Gleichberechtigung besonderes Misstrauen bestand, ist aber doch am Ende des Vormärz eine gewisse Entspannung festzustellen. Dazu trug auch das 1811 fertig gestellte ABGB des ebenfalls von der ehemaligen Loge Zur wahren Eintracht beeinflussten FRANZ VON ZEILLER bei, das die bürgerliche Gleichstellung der Akatholiken auf dem Gebiet des Privatrechts grundsätzlich einführte. Das Revolutionsjahr von 1848 hat dann den liberalen Anschauungen der Zeit - allerdings nur für wenige Monate - zum Durchbruch verholfen. In der PILLERSDORFFschen Verfassung vom April wurde bereits die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit prinzipiell anerkannt und auch dem israelitischen Kultus die unbehinderte Ausübung gewährt. Die Grundgesetze des österreichischen Reichstags in Wien und Kremsier haben die bürgerliche und konfessionelle Gleichberechtigung aller Staatsbürger vorgesehen. Sie sind durch den Sieg des Neoabsolutismus nicht zur Geltung gelangt, die oktroyierte Verfassung von 1849 hat die Religionsfreiheit wieder auf die Bereits gesetzliche anerkannten Religionsgemeinschaften eingeschränkt. Das Konkordat brachte dann durch die der herrschenden Kirche gewährten Vorrechte wieder einen Rückschritt. Durch die weitgehende Befreiung der Kirche aus der staatlichen Vormundschaft wurde aber dabei die josephinische Tradition geschwächt und dadurch auch für die Reformierten der Weg zur Gleichberechtigung im Protestantenpatent von 1861 erleichtert. Nach dem Sieg der Liberalen und nach dem Ausgleich mit Ungarn hat dann endlich das Staatsgrundgesetz von 1867 allen ohne Ausnahme die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit gebracht, die in der Ersten Republik durch die Bundesverfassung von 1920 ebenfalls gewährleistet wurde.
Freilich waren damit noch nicht alle Folgen des josephinischen Staatskirchensystems, dem übrigens zahlreiche gute Auswirkungen keineswegs abgesprochen werden sollen, beseitigt. Im Klerus und besonders in der Beamtenschaft hat es lange, stellenweise bis in die jüngste Vergangenheit, nachgewirkt. Die katholische Kirche ist durch einen so langen Zeitraum vom Staat unter dem Anschein der einseitigen Bevorzugung für seine Zwecke eingespannt worden, dass sich die Folgen noch in der Los-von-Rom-Bewegung zur Zeit der Schönerianer und Deutschnationalen und dann in den Freidenkerorganisationen der Sozialisten und der demonstrativen Übertritte zum Protestantismus zur Zeit des christlichen Ständestaates zeigten. Erst in der Zweiten Republik scheint die einstige Intoleranz und die damit verbundene Politisierung des Glaubens, freilich um den Preis eines weite Kreise der Bevölkerung erfassenden Indifferentismus, endgültig überwunden zu sein.
Wenn wir die Ergebnisse zusammenfassen und einen Vergleich mit anderen Ländern zu ziehen versuchen, ist zunächst zu betonen, dass die Häresien des Mittelalters von größerer und länger dauernder Wirkung gewesen sind, als gewöhnlich angenommen wird. Die aus ihnen hervorgegangenen Sekten, vor allem die Wiedertäufer, haben im österreichischen und mährischen Raum zum ersten Mal die Grundsätze aufgestellt, die dem heute in ganz Europa vorherrschenden System der Trennung von Staat und Kirche und der Ablehnung des Zwanges in Glaubensdingen am ehesten entsprechen. Für die erstaunlich frühe Entwicklung der staatlich anerkannten Gleichberechtigung verschiedener Konfessionen im Osten und Südosten Europas, im Fürstentum Siebenbürgen und im Königreich Polen, ist sicher die Nachbarschaft des Osmanischen Reiches von Bedeutung gewesen. über die schädlichen Folgen der unter Zwang durchgeführten Gegenreformation in den Erbländern und in Böhmen und Mähren für die Habsburgermonarchie und für die katholische Kirche ist sich heute die Forschung wohl einig. Das wehrlose Volk und darunter besonders die bäuerliche Bevölkerung, in der die alten Traditionen weit ungebrochener fortlebten als bei den rasch fluktuierenden Städtern, hat generationenlang dem Zwang nur mit Verstellung, die sicher mit schweren Gewissensnöten verbunden war, begegnen können. Daraus entstand eine lange dauernde Verbitterung und Verschärfung der konfessionellen Gegensätze und eine Opposition gegen Staat und Obrigkeit, die erst in der jüngsten Vergangenheit überwunden werden konnten. Durch die Auswanderung der Tüchtigsten und Besten, die sich dem Druck nicht beugen wollten, sind Österreich große Verluste entstanden, die nicht wie anderswo durch die Aufnahme von Verfolgten der eigenen Richtung wettgemacht werden konnten. Zu der schließlichen Milderung, wenn auch nicht Aufhebung, der Spannungen im Toleranzpatent hat die katholische Aufklärung selbst am meisten beigetragen.
Die oft angeführte Behauptung, dass die Habsburgermonarchie durch das Toleranzpatent von 1781 der erste große katholische Staat gewesen sei, der sich zu einem solchen Schritt entschließen konnte, ist falsch. König STANISLAW PONIATOWSKI, ein Freimaurer, ist uns im Toleranztraktat für das damals dem Umfang nach noch große Königreich Polen bei der Tolerierung der Akatholiken unter gleichzeitiger Sicherung des Vorrechtes der katholischen Kirche um volle dreizehn Jahre zuvorgekommen, womit er allerdings gewaltige Unruhen heraufbeschwor, die das Ende Polens beschleunigten. Das Verdienst JOSEPHS II. wird dadurch natürlich keineswegs gemindert. Übrigens ist zu betonen, dass die gewährte Toleranz in Polen und in der Habsburgermonarchie die tatsächliche Stellung der katholischen Kirche nicht geschwächt, sondern auf weitere Sicht nur verstärkt hat.
Ein Blick auf die Verhältnisse in Westeuropa zeigt, dass im Gegensatz zu oft vertretenen Ansichten der Fortschrittlichkeit besonders der protestantischen Staaten die Entwicklung in Mittel- und Osteuropa noch an Bedeutung gewinnt. In Frankreich konnte man sich infolge des Widerstandes der gallikanischen Kirche noch in der ersten Phase der Revolution nicht zu ähnlichen Maßnahmen entschließen. In den protestantischen Ländern sah es mit Ausnahme Preußens, das hier nach dem Raub Schlesiens durch die Einverleibung großer katholischer Bevölkerungsteile vorausgegangen war, keineswegs besser aus. In den berühmten Letters concerning toleration von JOHN LOCKE (1690-1692) und in The Bill of Rights von 1689 wird nicht daran gedacht, die Gleichberechtigung der reformierten Sekten auch auf die Katholiken auszudehnen, die als Untergebene eines fremden Staatsoberhauptes - des Papstes - als zu gefährlich galten. In den Niederlanden konnten die zahlreichen Katholiken noch im 18. Jahrhundert keine Staatsanstellungen erhalten und mussten sich die Duldung des Kultes durch ständige Zahlungen und Demütigungen erkaufen. In Großbritannien schließlich wurden die Katholiken knapp vor unserem Toleranzpatent 1780 vom Londoner Pöbel in den Gordon Riots blutig verfolgt. In Nordirland sind die Gegensätze zwischen den reformierten englischen Einwanderern und den katholischen Iren noch heute keineswegs erloschen. In das Parlament und in den Staatsdienst wurden die englischen Katholiken erst 1829 zugelassen. Im angeblich so fortschrittlichen Wilhelminischen Deutschland, dessen Geschichtsschreiber mitleidig auf das rückschrittliche Österreich herabblickten, ist es etwa im Großherzogtum Mecklenburg bis 1918 nicht zu einer rechtlichen Gleichstellung der Katholiken gekommen. Dort hat erst die Weimarer Republik den höchst nötigen Wandel der protestantischen Selbstherrlichkeit gebracht. Die wesentlich günstigere Entwicklung in Nordamerika schließlich ist mit den europäischen Verhältnissen infolge der völligen Verschiedenheit der Bedingungen und Probleme des Koloniallandes kaum zu vergleichen.
Abschließend muss diesem, im Hinblick auf andere Länder optisch vielleicht zu günstigen Bild aber doch entgegengehalten werden, dass die blutige Verfolgung einzelner Sekten, der lange Missbrauch der Vermengung von Religion und Staatsräson, die Zerreißung der Familien bei Ausweisungen im 17. und 18. Jahrhundert und der eingangs erwähnte traurige Fall der Zillertaler noch im 19., bei aller Berücksichtigung der zeitbedingten Gegebenheiten und Verflechtungen die Entwicklung der Toleranz in Österreich zu einem keineswegs erfreulichen Thema unserer Geschichte machen. Im Interesse der Wahrheit und der Gerechtigkeit gegenüber den armen Opfern darf es aber weder vernachlässigt noch beschönigt werden.
Wagner Hans, Die Idee der Toleranz in Österreich: Religion und Kirche in Österreich, Hrsg. v. Institut für Österreichkunde, Wien 1972, 111-125
Hans Wagner †, Dr. phil., war o. Prof. für Österreichische Geschichte an der Universität Salzburg.
Anmerkungen:
An neueren Untersuchungen zur Toleranz in Österreich seien hier vor allem
genannt: ERIKA WEINZIERL: Der Toleranzbegriff in der österreichischen
Kirchenpolitik, in: Comité International des Sciences Historiques, XIIe
Congrès International des Sciences, Rapports I (Grands Thêmes), Wien 1965, S.
135-150, und CHARLES H. O'BRIEN: Ideas of Religious Toleration at the Time of Joseph
II. A Study of the Enlightenment among Catholics in Austria, in: Transactions of
the American Philosophical Society, New Series, vol. 59, part 7, Philadelphia
1969