Kurz-Informationen zur Geschichte der evangelischen Kirche i.Ö.

DER ÖSTERREICHISCHE PROTESTANTISMUS
Mag. Oskar Sakrausky (Nachruf) (Evang1news)

Es sind genau 400 Jahre1) her, dass die junge evangelische Kirche in Niederösterreich ihre kaiserliche Bestätigung durch MAXIMILIAN II. erhielt, nachdem auf dessen Wunsch die berühmte niederösterreichische Agende durch DAVID CHYTRÄUS vorgelegt wurde. Der nächste Schritt nach dieser Kirchenordnung hätte die Einsetzung eines Superintendenten sein müssen, und damit die Errichtung eines Kirchenministeriums. Das hätte die öffentliche Anerkennung des evangelischen Glaubens in einem der österreichischen Erblande bedeutet. Bevor es so weit kam, starb der Kaiser. Der Weg bis zur gleichberechtigten Anerkennung dauerte bis zum Protestantengesetz im Jahre 1961. Darum ist vielleicht ein solcher Rückblick auf das Schicksal des evangelischen Glaubens in Österreich im Rahmen dieser Tagung angebracht.

Bei einer Rückschau auf 400 Jahre evangelischen Glaubenslebens in Österreich wird der Betrachter vor allem nach den besonderen Merkmalen des evangelischen Schicksals in diesem Raume fragen, ohne sich gleich am Anfang mit Einzelheiten belasten zu wollen. Die Vielschichtigkeit einer solchen Entwicklung erfordert es jedoch, von verschiedener Sicht aus vorzugehen, da nur so die Besonderheiten evangelischen Lebens in Osterreich in der Vergangenheit und Gegenwart erkennbar werden.

Man könnte vielleicht damit beginnen, dass man sein Augenmerk auf den fast 400jährigen Gegensatz zwischen österreichischer Politik und den evangelischen Bestrebungen richtet, der erst in jüngster Zeit durch das Protestantengesetz vom 6. Juli 1961 überwunden erscheint. Die Geschichte dieses Gegensatzes gewährt tiefe Einblicke in die Besonderheit evangelischer Kirchengeschichte in Osterreich, gibt aber dem Betrachter gleichsam nur ein äußeres Bild unserer Kirche; das lebendige Wurzelgeflecht der Glaubensentwicklung wird darin nur zum geringeren Teil in seiner Eigenart sichtbar.

Einen wesentlichen Einblick in die Geschichte evangelischen Glaubenslebens in Osterreich vermittelt auch die soziologische Betrachtungsweise. Betrachtet man die Entwicklung evangelischen Glaubenslebens in den einzelnen sozialen Schichten des Adels, des Bürgertums, der Bauernschaft und in letzterer Zeit auch der Arbeiterschaft, so gelangt man bereits zu wesentlichen Erkenntnissen über die Eigenart der österreichischen evangelischen Kirche. Doch liegen auf diesem Gebiet vorläufig nur Einzeluntersuchungen für besondere Räume und Epochen vor, ohne eine durchgehende Zusammenschau im Längsschnitt der vergangenen 400 Jahre. Wie wichtig gerade eine solche zusammenfassende Untersuchung wäre, lässt sich allein schon aus der einen Tatsache erschließen, dass z. B. kurz vor dem Toleranzpatent des Jahres 1781 die Evangelischen Osterreims - abgesehen von der Stadt Wien - durchwegs der bäuerlichen schicht angehörten.

Eine andere Art, Einblicke in das Wesen und die Entwicklung evangelischen Glaubenslebens in Osterreich zu bekommen, ist die hochinteressante, aber wegen der Lückenhaftigkeit der Quellen schwierige Geschichte der österreichischen evangelischen Bekenntnisformulierung. Man ist im allgemeinen der Überzeugung, dass die evangelische Kirche Osterreichs zu allen Zeiten in direkter und ungebrochener Abhängigkeit von der Bekenntnissituation der deutschen evangelischen Landeskirchen und ihren wesentlichen Bekenntnisentscheidungen stand, aber eine genaue Untersuchung bestätigt diese Überzeugung nicht. Zwar liegt keine abgeschlossen formulierte "confessio austriaca" vor, wie es z. B. bei der "confessio tetrapolitana" im Jahre 1530 der Fall ist, aber es sind genügend Ansätze vorhanden, die eine besondere Bekenntnisentwicklung ahnen lassen, wenn es zu dieser auch nie kam, da die Gegenwirkungen seitens des Staates und der römischen Kirche so stark waren, dass eine Anlehnung an die evangelischen Kirchen Deutschlands nolens volens erforderlich erschien. Als Beispiel für die Möglichkeit einer solchen Entwicklung sei auf die besondere Bekenntnisentwicklung im ehemaligen Erbland Krain durch PRIMUS TRUBER hingewiesen, der ja wegen der auffälligen Eigenständigkeit seiner Kirchenordnung vom Jahre 1562 trotz des formalen Festhaltens an der Confessio Augustana (C. A.) Vorwürfe erleiden musste. Es lag wohl an dem gesamten Trend der Sprecher unserer Kirche im letzten Jahrhundert, die Verbundenheit mit dem Mutterlande der Reformation zu dokumentieren.

Wieder eine andere Art von Einsichten in das Wesen unserer Kirche erhalten wir durch die frömmigkeitsgeschichtliche Betrachtung. Obwohl auch da erst geringe Ansätze vorhanden sind, weist sich diese Methode als vielversprechend aus.
Vielleicht hat man in der früheren österreichischen Kirchengeschichtsforschung den Zeitumständen entsprechend zuviel Gewicht auf die Äußerungen der entgegenwirkenden Mächte des Staates und der römischen Kirche gelegt, so dass die Zeugnisse evangelischen Glaubenslebens auf ihren Frömmigkeitsgehalt und ihre besondere Aussage hin kaum untersucht wurden. Man kann hier auf das einmalige verdienstvolle Werk des Historikers der Gegenreformation JOHANN LOSERTH hinweisen, worin er nach seiner eigenen Aussage fast für jeden Tag der Gegenreformationszeit Belege solcher Gegenwirkungen anzuführen weiß. Freilich ist auch bei dieser Betrachtungsweise die Quellenfrage nicht einfach, da die meisten solcher positiven Aussagen, wie sie Supplikationen, Briefe, Memorialia und Predigten enthalten, verlorengingen oder zum Teil in außerösterreichischen Archiven Deutschlands, Italiens und den angrenzenden Oststaaten verstreut sind. Eine nicht unbeträchtliche Menge dieses äußerst wichtigen Materials liegt zum Teil noch in den Bauernhäusern jener Gebiete, die sich im Jahre 1781 als Wurzelgebiete unserer Kirche erwiesen haben, in den sogenannten Dachsteingemeinden, den Gemeinden des Traunviertels und in den Oberkärntner Gemeinden, wie auch in den alten Gemeinden des Burgenlandes. Dieses Material zu sammeln und Auszuwerten ist noch eine wichtige Aufgabe für die Zukunft.

Ein weiterer, wenn auch unbedeutenderer Einstieg in das Wesen evangelischer Glaubensentwicklung ist die Erforschung und Zusammenfassung einer presbyterogia austriaca. Es liegen da sehr schöne Ansätze vor, aber sie sind im einzelnen nicht aufeinander abgestimmt und ergänzt. Wichtig aber erscheint in diesem Zusammenhang die Erstellung von Lebensbildern der Männer, welche einen bestimmenden Einfluss auf das Wesen unserer Kirche nahmen, vor allem aber auch eine unter diesem Gesichtspunkt notwendige zusammenfassende Bearbeitung der schon vorhandenen Monographien, die sich in der weitverstreuten Fachliteratur des In - und Auslandes finden. Auch auf dem Wege der Statistik, die freilich erst nach 1781 ansetzen kann, würden manche Entwicklungen sichtbar werden, die man normalerweise übersieht. Erst wenn diese Arbeit von der Forschung geleistet wäre, könnte man eine große Anzahl erstaunlicher Rückschlüsse auf die Gestalt und das Wesen unserer Kirche ziehen.
Um den verhältnismäßig großen Zeitraum von 400 Jahren überschauen zu können, wird man die wohl übliche Untergliederung in die Epochen: Reformation, Gegenreformation, Geheimprotestantismus, Toleranzzeit und 19. Jahrhundert gebrauchen. Wie jede Untergliederung in historische Zeiträume entbehrt auch diese nicht einer gewissen Willkürlichkeit und Gewaltanwendung. Schon das scheinbare Nacheinander von Reformation und Gegenreformation ist irreführend. Denn dort, wo sich in Osterreich ein Festsetzen und Gestaltwerden der neuen Lehre anbahnt, ist alsbald auch eine Gegenbewegung seitens des Staates oder der römisch-katholischen Kirche da, so dass wohl nur beides in ihrer Bezogenheit aufeinander betrachtet werden müsste. Eine geistige Scheidungslinie zwischen beiden Bewegungen ist jedoch nur am einzelnen Faktum aufweisbar, doch weil sie es ist, gibt sie dennoch das Recht zu einem Auseinanderhalten von Wirkung und Gegenwirkung, wenn sie auch nicht durch ein Datum festlegbar, sondern räumlich und zeitlich im stetigen Miteinander abzulesen ist.

Die Epoche des Geheimprotestantismus ist für die einzelnen Landesteile in ihrem Beginn verschieden, je nach dem politischen Schicksal der einzelnen Länder. Für das Ende dieses Zeitraumes ist aber weithin der 13. Oktober 1781 verbindlich. Klarer umgrenzt scheint auch die Toleranzzeit zu sein, wenn man auf die Erlässe sieht, die das staatliche Verhältnis zu unserer Kirche regeln. Faktisch wäre dieser Zeitabschnitt mit dem 8. April des Jahres 1861 zu Ende. In geistesgeschichtlicher Hinsicht aber beginnt eben doch schon im Jahre 1848 eine neue Zeit auch für unsere Kirche, die sich unter dem Begriff des 19. Jahrhunderts erfassen ließe. Ist doch dieser Begriff nicht als das Saeculum selbst, sondern eher unter Anlehnung an H. ST. CHAMBERLAINS Werk als charakteristische Epoche zu verstehen. Von hier aus wird auch sichtbar, dass diese Epoche nicht mit der Jahrhundertwende des 20. Jahrhunderts endet, sondern bis tief in unser Saeculum hineinreimt.

Nimmt man von den Einzelheiten Abstand, in die einen jede eingehendere geschichtliche Darstellung verwickelt, so stellen sich die großen Züge evangelischen Schicksals in Osterreich folgendermaßen dar.

Schon FERDINAND I. entschied sich ein Jahr nach dem Wormser Edikt gegen die neue Lehre der lutherischen Reformation, die als Irrlehre und später als sozialrevolutionäre Geisteshaltung verurteilt und bekämpft wurde. Die Beratungen des Erzherzoges mit den Salzburger und bayrischen Oberhäuptern in Regensburg im Jahre 1524 bahnten die spätere geistige, religiöse, rechtliche und politische Trennung der österreichischen Lande vom Reichskörper an. Die Stationen dieses Prozesses sind an den Entscheidungen der Reichstage von 1530 und 1555 abzulesen. Der Westfälische Friede von 1648 vertieft den Gegensatz und verfestigt ihn endgültig in staatsrechtlicher Hinsicht. Nach Bischof FIRMIANS zweifelhaftem Erfolg in der Bekämpfung des Protestantismus in Salzburg versuchen die österreichischen Herrscher die Frage der zweiten Konfession in ihren Ländern auf gewaltsamen Wege zu lösen. Ohne Rücksicht auf das übrige evangelische Reichsgebiet werden die protestantischen Bekenner Österreichs zu Aufrührern erklärt und nach Osten abgeschoben. Auch die österreichischen Herrscher der Toleranzzeit lehnen jeden Zusammenhang zwischen dem Mutterland der Reformation und der geduldeten Kirche ab. Diese Tendenz nimmt in zunehmendem Maße erst dann ab, in welchem der österreichische Staat sich von der dominierenden Macht der römischen Kirche loslöst. Nicht ohne Rückschläge, aber doch folgerichtig endet dieser Prozess nach den Schlägen des Ersten und Zweiten Weltkrieges mit dem Protestantengesetz des Jahres 1961. Staat und evangelische Kirche gehen ihren eigenen Weg, jedoch in gegenseitiger, für beide zweckmäßiger Bezogenheit. Die evangelische Kirche in Österreich wie ihre Glieder sind in der neuen Staatsauffassung vollwertige Glieder des Staates.

Diese spärlichen Entscheidungspunkte eines 400jährigen Verlaufes geben immerhin grundlegende Einsichten in das Wesen der evangelischen Kirche in Osterreich. Sie ist von Anfang an grundsätzlich verbotene Kirche bis zum Jahre 1781. Von da an ist sie nur geduldet und bleibt bei langsam zunehmender Freiheit bis zum Jahre 1961 in gewisser beschränkender Abhängigkeit von der österreichischen Staatsführung.

Wenn es dennoch während der Reformationszeit im Erzherzogtum Osterreich und in Innerösterreich zu einem gestalteten Kirchenwesen kam, dann waren dies Zugeständnisse der jeweiligen Landesherren auf dem Hintergrunde des grundsätzlichen Verbotes. Als sich die Landesherren wie auch die römisch-katholische Kirche um 1580 aus ihrer Ohnmacht erholt hatten, wurde das Verbot von beiden Seiten auf sehr energische Weise durchgeführt. Vom Jahre 1629 an ist die evangelische Kirche in Osterreich in den Untergrund abgedrängt. Wo sie nicht wie in Wien von außen auf Grund diplomatischer und wirtschaftlicher Notwendigkeit durch Gesandtschaften protestantischer Staaten und durch Kaufleute Unterstützung fand, blieb sie auf den Bauernstand beschränkt. Nach dem markanten Jahr 1781 schnürten enge Toleranz und Beschränkung die Entfaltung kirchlichen Lebens doch so weit ab, dass ihr Zuwachs im Verhältnis zu ihrer Werbekraft sehr gering blieb. Die Evangelischen selbst wurden durch diese Haltung der landesherrlichen Obrigkeit und später der Häupter der Monarchie in einen Jahrhunderte dauernden Zwiespalt versetzt. Das Treueverhältnis sämtlicher Glieder jedes Standes wurde immer wieder höchsten Zerreißproben ausgesetzt. Bis zum Jahre 1781 galt für alle protestantischen Bekenner die Alternative: "Glaube oder Heimat". Zur Blutzeugenschaft kam es nur in einzelnen Fällen; am Anfang der Reformationszeit und in der Zeit MARIA THERESIAS, wenn man von den Aufständen der Bauern und der Verfolgung der Taufgesinnten absieht. Man versuchte, wenn auch mit wenig Erfolg, sich hinter die scheinbare reichsrechtliche Geltung der Confessio Augustana (C. A.) und mit noch geringerem Erfolg hinter den Augsburger Religionsfrieden von 1555 zu stellen. Wurden die Zugeständnisse der Landesherren wieder zurückgenommen, halfen weder die Supplikationen der evangelischen Landeskinder noch die des Corpus evangelicorum in Regensburg. Wer nicht auswandern wollte, musste sein evangelisches Bekenntnis verbergen und sich dem geringsten Anspruch der dominierenden Kirche, nämlich die katholische Messe zu besuchen und zu beichten, beugen. Im 3. Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts war es auch mit der Geduld der Geheimprotestanten, ihren Glauben zu verleugnen, zu Ende. Die Salzburger wanderten aus, die Oberösterreicher, Kärntner und Steirer wurden gewaltsam nach Ungarn und Siebenbürgen ausgesiedelt. Es blieben nur die im Lande, deren Geduld und das Einverständnis in die religiöse Tarnung nicht zu Ende gingen. Sie waren die direkten Vorfahren unserer evangelischen österreichischen Kirche. Als die Zeit der Toleranz gekommen war, tauchten aus dem Dunkel des Untergrundes nicht weniger als 34000 Bekenner auf. Die meisten fanden sich in Oberkärnten und Oberösterreich, in anderen Ländern waren es nur wenige.

Das Burgenland hatte ein ähnliches Schicksal. Auch für das Königreich Ungarn galt das kaiserliche Toleranzpatent vom Jahre 1781. Auf Grund dieses Patentes wurden von den heute bestehenden 29 evangelischen Pfarrgemeinden 23 gegründet. Das bedeutet, dass die Rechte der Protestanten im ungarischen Raum schon früher durch Sonderbestimmungen, wie z. B. durch den Frieden von Linz und später von Pressburg, festgelegt worden waren. Als im Jahre 1867 das Protestantenpatent durch Kaiser FRANZ JOSEPH I. auf die evangelische Kirche in Ungarn ausgedehnt werden sollte, lehnten Reformierte und Lutheraner diese Gesetzgebung ab, indem sie sich auf die weiterreichenden Rechte der genannten Verträge beriefen. Erst im Jahre 1922 wurde im neuen Osterreich das Protestantenpatent für das Burgenland als gültig erklärt.

Überblickt man die 400jährige Geschichte unserer Kirche unter dem Gesichtspunkt der sozialen Schichtung, so erhält man einige weitere Aufschlüsse. Von allem Anfang an zeigt sich der Adel der neuen Lehre aufgeschlossen. Es konnte auch gar nicht anders sein, fühlte er sich doch durchaus als Glied des einheitlichen Kulturkörpers im Reiche. Die Söhne des Adels besuchten die deutschen Universitäten mit Vorliebe, an denen die neue Richtung den Sieg errungen hatte. Als Bildung und Fortschritt sich auf der Seite des Protestantismus zeigten, neigten sich auch die ferner stehenden Adelsgeschlechter diesem zu. Den radikalen Neigungen dieser Bewegung, wie sie sich in den Bauernunruhen und bei den Taufgesinnten und Schwärmern zeigten, standen sie in Gesamtheit ablehnend gegenüber. Glaubten sie doch die Vorrechte und die Macht ihres Standes auf Grund der göttlichen Prädestination erhalten zu haben, so dass sich an der sozialen Grundordnung nichts ändern dürfe. Diese Überzeugung wirkte sich nicht nur im Verhalten zu den unter ihnen Stehenden aus, sondern auch in ihrem Verhalten gegenüber ihrem Landesherren, dem sie trotz aller Schwierigkeiten in Glaubensdingen grundsätzliche Treue hielten. Eine Ausnahme machten einige Geschlechter Niederösterreichs, die aber der reformierten Richtung nahe standen. So kämpften sie mit Bittschriften, Geldgewährungen, Huldigungsweigerungen und Gesandtschaften an den kaiserlichen Hof um die Zusicherung evangelischen Glaubenslebens in ihrer Heimat. Solange die österreichischen Landesherren sich in ausgesprochen schwacher Position befanden, hielten sie den evangelischen Adel mit langatmigen, aber vergeblichen Kompromissverhandlungen mit der katholischen Kirche hin. Diese Hoffnungen wurden allerdings durch die Restauration im Tridentinischen Konzil endgültig zerstört. Erst jetzt waren die Landesherren bereit, dem drängenden Adel ein gewisses Maß protestantischer Religionsübung zu gewähren. Für das Erzherzogtum Österreich geschah dies im Jahre 1568, für Innerösterreich 10 Jahre später. Aber schon erstarkte der Katholizismus, dessen sich der Landesherr auch sofort in Gestalt des Jesuitenordens bediente. Begünstigt durch die Landesregierungen, an Bildung den protestantischen Predigern durchaus gewachsen, wenn nicht überlegen, brachten die Jesuiten den militanten Geist des spanischen Katholizismus in der Gestalt FERDINANDS II. zum Siege. Nach der für den Kaiser siegreichen Schlacht am Weißen Berge bei Prag war das Schicksal des evangelischen Adels in Osterreich besiegelt. Neun Jahre später musste er Innerösterreich und Oberösterreich verlassen. In Innerösterreich waren es insgesamt 754 adelige Personen, die auswanderten. Als geringer Rest blieb der niederösterreichische Adel zurück, der nach und nach unter den andauernden Beschwerungen und Drosselungen entweder auch auswanderte oder es doch vorzog, sich der Landesreligion anzuschließen. Für die evangelische Kirche in Österreich hatte er keine Bedeutung mehr. Von seinem Kampf um das Evangelium blieben im Lande nur Spuren übrig: Grabdenkmäler an den Kirchen der Städte oder in den Kapellen ihrer ehemaligen Herrschaften und Schlösser. Nur das, was sie als Vorkämpfer der evangelischen Sache in der Reformationszeit und an Förderung ihren bäuerlichen Untertanen angedeihen ließen, fiel auf fruchtbaren Boden, alles übrige musste sich aus der Wirklichkeit des Lebens in die Archive und Museen zurückziehen.

Nicht viel anders erging es dem evangelischen Bürgertum in den Städten. Der rechte Bergsegen der Länder Steiermark, Kärnten, Salzburg und Oberösterreich brachte Reichtum und Wohlstand unter das Bürgertum. Ständige Handelsverbindungen zwischen Österreich und dem übrigen Reich förderten Weitblick und Bildung. Die Schulen in Städten und Märkten blühten. Schulmeister und Prediger sollten nun auch der neuen Lehre zugetan sein. In den allermeisten Städten Österreichs hatten die Evangelischen in kurzer Zeit die Mehrheit der Bürgerschaft errungen. Zünfte und Innungen machten den evangelischen Glauben zur Bedingung ihrer Zugehörigkeit. Protestantische Literatur wurde angeschafft, aber auch in großem Maße vermittelt. Jedoch in die Religionszugeständnisse der Landesherren wurden Städte und Märkte niemals ausdrücklich mit einbezogen, so dass da und dort schon viel eher infolge der strengen Gegenmaßnahmen eine rückläufige Bewegung einsetzen musste. Fast jede Stadt Österreichs hatte in dieser Hinsicht im 16. Jahrhundert ihr besonderes Schicksal aufzuweisen. Am längsten hielt sich noch die protestantische Religionsausübung in den Städten Oberösterreichs und Niederösterreichs. Als die Zeit der Entscheidung für die Bürger kam, entweder auszuwandern oder den römisch-katholischen Glauben anzunehmen, wanderten nicht allzu viele aus. Nur die der radikaleren Richtung des strengen Luthertums angehörenden Bürger, wie sie in der Nachfolge des MATHIAS FLACIUS geübt wurde, zogen es vor, ins Ausland abzuwandern. Die anderen blieben und versuchten sich eine Zeitlang zu tarnen, was aber in dem engen Zusammenleben in den Städten auf die Dauer nicht gelingen konnte. Von evangelischem Glaubensleben des ehemaligen Bürgertums ist in den Städten kaum mehr zurückgeblieben als die Grabsteine an den Pfarrkirchen der Städte, und auch diese mussten manchem groben und fanatischen Zugriff weichen. Insgesamt gesehen hatten die Bürger für die heutige Kirche in Österreich viel geringere Bedeutung als der Adel; ja nicht einmal bei den nach Deutschland ausgewanderten Bürgern, die dort zu Ansehen und Einfluss kamen, ist eine besondere Rückwirkung auf die zurückgebliebenen Glaubensgenossen zu finden. Eine rühmliche Ausnahme ist der 1685 ausgewanderte JOSEPH SCHAITBERGER. Die Helfer in Nürnberg, Regensburg oder Augsburg, die aus christlichem Geist mit Rat und Tat den Geheimprotestanten, so gut es ging, beistanden, waren kaum Nachkommen unserer Glaubensflüchtlinge, sondern zumeist Binnendeutsche, denen ein inniger Glaube solche Hilfe nahelegte.

Erst das Jahr 1848 kann man als Neubeginn des evangelischen Glaubens unter dem Bürgertum unserer Städte bezeichnen. Freiheitlich und später großdeutsch gesinnt, dem Bildungsideal nach dem Mutterland der Reformation verschworen, fand es eine geistige Heimstätte in der evangelischen Kirche Österreichs. Nachdem vielfach der glaubensmäßige Rahmen der Kirche durch eine überstarke nationale Betonung gesprengt worden war, trat nach dem Bankrott des Nationalismus im Zweiten Weltkrieg eine Umbesinnung auf die Glaubenswerte des Evangeliums, aber auch auf die österreichische Heimat ein, zumal der österreichische Staat sich weithin von einer direkten Gängelung seitens der römisch-katholischen Kirche freigemacht hatte. In unserer heutigen evangelischen Kirche gewinnt gerade dieser Stand eine immer größere kirchlich-lebendige Bedeutung.

So hat lediglich das Bauerntum in den Alpenländern und in Oberösterreich die Verbindung zwischen Reformationszeit und Gegenwart in unserer Kirche aufrechterhalten. Schon das äußerliche Bild der zum Leben wiedererstandenen Kirche der Toleranzzeit zeigt - abgesehen von Wien - eine ausgesprochene Bauernkirche. Baustil und Innengestaltung der Toleranzbethäuser sind dem Bauerndorf entnommen. Diese Tatsache der glaubensmäßigen Kontinuität des Bauernstandes in unserer Kirche ist bis auf die Epoche des Geheimprotestantismus bisher viel zu wenig gewürdigt worden. Gewiss findet man die glanzvolleren und interessanteren Gestalten der evangelischen Kirchengeschichte Österreichs unter den Adel. Aber es entspricht nicht unbedingt der evangelischen Auffassung von der Gemeinde, die Geschichte einer Kirche ausschließlich um besondere Persönlichkeiten zu gruppieren. Wenn man dennoch von dieser üblichen Methode der Geschichtsbetrachtung ausgehen will, dann fragt man sich vergebens, welche Gründe für die Kontinuität anzuführen sind, wenn doch rein historisch gesehen der Bauernstand es gerade in der Zeit des Geheimprotestantismus an markanten historischen Persönlichkeiten fehlen ließ. Dieser Umstand erfordert eine besondere Betrachtungsweise, die wesentliche Einblicke in das religiöse Leben der evangelischen Bauernschaft mit sich bringt.

Ursprünglich verquickt mit sozialrevolutionären täuferischen Lehren, eroberte die Lehre LUTHERS mit erstaunlicher Geschwindigkeit die meisten Bergtäler. Der Drang nach geistiger Unabhängigkeit machte sich auf dem religiösen Sektor außerordentlich stark bemerkbar. Mehr noch als in allen anderen Ständen fasste die Idee des Reiches Gottes mit der Gleichheit aller Menschen hier Fuß. Die geistige Mündigkeit dieses Standes hielt mit der Bibel ihren Einzug. Solange sie diese in den verschiedenen Formen der Postille, des Gesangbuches und des Katechismus hatten, konnten sie sich erfolgreich allen Gegenbewegungen zum Trotz erhalten. Die religiöse Existenz des durch Christus erlösten Christen wurde ihre eigene Existenz. So ist es kein Wunder, dass sie sich dem strengen Luthertum eines FLACIUS mehr als andere verschrieben, da sie darin nicht nur den größten Abstand gegenüber der römisch-katholischen Kirche fanden, sondern auch die Frömmigkeit des Konventikels, die ihrer sippenmäßigen und siedlungsmäßigen Lebensart entsprach. Je größer und andauernder die Bedrückung seitens des Staates und der Kirche wurde, desto tiefer versenkte sich der Glaube in die Bibel nach lutherischer Lehre. Es kam von selbst zu der Innigkeit und Gemütstiefe einer Glaubenshaltung, die in den Schriften eines JOHANN ARND, HEINRICH MÜLLER und des nachmaligen Pietismus eines PH. JAKOB SPENER ihre willkommene Begründung fand. Schon längst hatte die Aufklärung ihren Siegeszug auch im geistigen Leben Osterreichs angetreten, als die evangelischen Bauerngemeinden Osterreichs konservativ an der Glaubensart ihrer geistigen Väter, der gemütstiefen Postillen, festhielten. Allerorten gab es darum in der ersten Zeit in der Toleranzkirche Spannungen zwischen diesem Konservativismus und den aufgeklärten Predigern. Nur sehr langsam machte sich die Bauernschaft von ihrem geistigen Erbe los. Dass sie sich dennoch dieses Erbes restlos entledigen konnten, zeigt die späte, aber dennoch starke Anfälligkeit für den Nationalismus im Ausgang der letzten Epoche unserer Kirchengeschichte. Da und dort setzte in den achtziger Jahren des ausgehenden 19. Jahrhunderts eine rückläufige Bewegung zur Verinnerlichung ein, die wohl vielleicht noch an das schlummernde Erbe des Pietismus anknüpfte. Sie ist auch heute noch in dem christlichen Missionsverein von Österreich und den Werken der Inneren Mission lebendig.

Wie erst in den Jahren nach 1848 unsere Kirche den Stand des Bürgers hinzugewann, so fand in größerer Zahl erst nach dem Ersten Weltkrieg der Arbeiterstand in unserer Kirche eine Heimstätte. Die Ausweitung des evangelischen Bekenntnisses auf diese beiden Stände erfolgte im Zusammenhang mit politischen Weltanschauungen. Zuerst von verschiedenen kirchlichen Kreisen mit Vorbehalten und Abneigung beobachtet, führte diese Entwicklung trotzdem in der Folgezeit zum Guten. Obwohl die Übertrittsbewegungen meistens aus politischen und weltanschaulichen Gründen ausgelöst wurden, begann eine Festigung in kirchlicher und glaubensmäßiger Hinsicht bereits bei den Kindern der übergetretenen. Eine ganze Reihe von Arbeitergemeinden neuer und neuester Gründung hat unsere Kirche zu verzeichnen.

Es ist bemerkenswert, dass unter den in den Jahren 1938 und 1939 ausgetretenen Protestanten sich fast keine Arbeiter befanden. So kurze Zeit sie unserer Kirche angehörten, so treu blieben sie dieser. Die meisten Austritte erfolgten von Bürgerlichen, die bis auf einige wenige allerdings nach dem Jahre 1945 um Wiederaufnahme in die Kirche ansuchten.

Ebenfalls vergrößerten sich die vorher fast nur Bürger umfassenden Stadtgemeinden um eine große Anzahl von Glaubensgenossen aus der Arbeiterschaft, die einen guten standesmäßigen Ausgleich schufen. Aber nicht nur aus der Übertrittsbewegung kam die evangelische Arbeiterschaft unserer Kirche zustande, sondern in steigendem Maße gab die evangelische Bauernschaft ihre Jugend an die Industrien ab, soweit sie nicht auf dem Lande bleiben wollte. Eine kaum erfasste soziale Umschichtung setzte dadurch auch in unserer kleinen evangelischen Kirche ein, aber damit auch eine weitere und tiefgehende Verwurzelung unserer evangelischen Kirche in allen Bevölkerungsschichten Österreichs. Der Prozess einer gesunden Einwurzelung unserer Kirche in dem vormals so abweisenden Heimatboden erscheint damit abgeschlossen. Der Baum unserer Kirche könnte sich unter der gnädigen Führung Gottes somit weiterentfalten.

Ein Rückblick auf die Entwicklung des evangelischen Bekenntnisses in Osterreich zeigt fürs erste das unwandelbare Festhalten an der Confessio Augustana invariata durch alle 400 Jahre gegenüber der Obrigkeit. Die bis 1781 verbotene Kirche klammerte sich dabei an den Schein einer Legalität dieses Bekenntnisses, der daher kam, dass die C. A. invariata in besagtem Zeitraum dreimal (1530, 1555, 1648) reichsrechtliche Bedeutung hatte, wenn diese sich auch nicht auf die österreichischen Erblande erstrecken durfte. Aber die Verbundenheit der österreichischen Länder mit dem gesamten Reichskörper war doch so stark, dass man evangelischerseits dieses Sonderverbot nicht für endgültig ansehen konnte und wollte. So spielte die Berufung auf die C. A. - berechtigt oder unberechtigt - in allen Supplikationen aller Schichten der evangelischen Bevölkerung die Rolle eines Rechtsgrundes der evangelischen Religionsausübung.

Bemerkenswert ist die Festlegung auf die "unveränderte" C. A., worin man sich von manchen deutschen Landeskirchen bewusst unterschied. Das hatte in Osterreich einen doppelten Grund. Gegenüber der römisch-katholischen Polemik, dass die Evangelischen gar kein festes Bekenntnis hätten und dauernd Änderungen daran vornehmen würden, blieben die Evangelischen Innerösterreichs im Jahre 1578 und im Erzherzogtum Österreich im Jahre 1571 in allen öffentlichen Bekenntnisforderungen bei dem Text der C. A. invariata. Waren doch schon bei seiner feierlichen Verlesung im Jahre 1530 eine stattliche Anzahl österreichischer Herren in der Augsburger bischöflichen Schlosskapelle anwesend 28. Jede Veränderung der C. A. hätte unweigerlich den Vorwurf der Sektiererei nach sich gezogen. So blieb die C. A. invariata das Rahmen- und Grundbekenntnis der Evangelischen in Osterreich. Aus der Diasporasituation der Evangelischen in den österreichischen Ländern ergab sich der zweite Grund, warum man an der C. A. invariata festhielt. Sie bot nicht nur die Kontinuität mit den altkirchlichen Bekenntnissen, sondern auch die Möglichkeit zu einer klaren Frontstellung gegen die Gefahr einer Konfessionsmischung zwischen römisch-katholischer und reformatorischer Lehre. Diese Gefahr bestand so lange, als man in den eigenen Reihen der Bekenner nicht darüber klar war, sich auf dem Wege zu einer eigenen, von Rom gänzlich losgelösten Kirche zu befinden. Diese Gefahr der Konfessionsmischung wurde noch dadurch vergrößert, dass sowohl KARL v. wie auch FERDINAND I. und MAXIMILIAN II. eine vermittelnde Religionspolitik einschlugen, von der sich auch mancher unter den Evangelischen den Erfolg erhoffte, das übel einer endgültigen Kirchentrennung zu vermeiden. Als taugliche Ausgangsbasis zur Abwehr solcher Gefahren war hiezu nur die C. A. invariata geeignet. Aus diesen beiden Gründen entstand in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine ansehnliche Anzahl von zusätzlichen, erläuternden Bekenntnissen, welche sich alle auf das Grundbekenntnis der C. A. invariata beriefen, aber die Bekenntnislinie in der theologischen Nachfolge eines MATHIAS FLACIUS ILLYRICUS nachzogen und damit einen scharfen Trennungsstrich gegen alle katholisierenden Bestrebungen um der reinen und lauteren Lehre willen machten. So haben gerade die drei Länder Österreich ob der Enns, unter der Enns und Kärnten etliche solcher Zusatzbekenntnisse zu verzeichnen. Die Unterscheidungslehre wurde zur Notwendigkeit der reinen Lehre.

Man kann diese Bekenntnisentwicklung kaum mit jener in den verschiedenen Landeskirchen Deutschlands vergleichen, wenn auch etliche Wortführer als Exulanten aus Deutschland in Osterreich ansässig wurden und ihren Kampf um die reine Lehre entsprechend den hiesigen Verhältnissen und aus hier geltenden Beweggründen weiterführten.

Man darf wohl nicht diesen Vorkämpfern für die reine Lehre die Schuld zuschieben, dass sie infolge ihrer Unbelehrbarkeit die Möglichkeit eines allgemein gestatteten evangelischen Kirchenwesens verscherzt hätten. Nur mit einem umfassenden Ausverkauf evangelischer Wahrheiten und einer restlosen Verleugnung reformatorischer Erkenntnisse hätte die obrigkeitliche Anerkennung erlangt werden können. Auf keinen Fall wäre der spätere Zugriff der katholischen Kirche direkt oder indirekt über die Obrigkeit unterblieben. Wie aber hätte dann bei solcher semireformatorischen Bekenntnislage das Fundament diesem Zugriff standhalten können und letztlich als Ausgangsbasis für den Entschluss dienen können, entweder auszuwandern oder das ganze Leben im Untergrund verbleiben zu müssen? Man kann darum die evangelische Bekenntnisentwicklung des 16. Jahrhunderts dahingehend zusammenfassen, dass sie in Österreich unter der Bedrohung seitens des Staates und der Kirche einen klaren, kompromisslosen Lehrgrund schaffen musste, dem man aber infolge der Kampfsituation keine feste und endgültige Formulierung hatte geben können.

Natürlich zeigten sich da und dort Übersteigerungen der Bekenntnisformulierung. Die Abweichung des M. FLACIUS in der Erbsündenlehre, die allerdings in dieser Form erst in den achtziger Jahren des 16. Jahrhunderts auftaucht (Oberösterreich, Kärnten, Burgenland und Niederösterreich), sowie die noch extremere Ausweitung dieser Lehre in den Anschauungen eines J. MAGDEBURGIUS können wohl nicht anders verstanden werden als eine Feststellung der völligen Unfähigkeit des Menschen, von sich aus an der Seligkeit mitwirken zu können gegenüber allem Synergismus. Dahinter steht die vollkommene Absage an die römische Heilslehre. Da alle diese Bekenntnisse nur von einer Anzahl von Predigern unterschrieben waren, so sind sie nur als Partei zu werten und erlangten niemals allgemeine kirchliche Bedeutung. Wenn diese Entwicklung auch nicht zum Abschluss kam, so zeigte sie wenigstens ihre Richtung an. In Innerösterreich wurde in den achtziger Jahren dann doch eine Einigung in der formula concordiae gefunden. Freilich geschah diese Einigung nicht freiwilliger als in Deutschland auch. Aber gegenüber der Haltung der Landesherrn war eine solche dokumentierte Einigkeit gut. Außerdem wurde nur so eine Intercession der evangelischen Reichsstände beim Landesherrn möglich. Man unterschrieb in Krain zuerst, dann in Steiermark, zuletzt in Kärnten. Dort war es auch, wo das extreme Luthertum aus sich heraus zu einer Erweckungsbewegung kam und eine "reine" Kirche schuf, die mit der übrigen evangelischen Kirche Kärntens keine Sakramentsgemeinschaft mehr hielt. Es waren allerdings nur einige Gemeinden Oberkärntens, aber ihre Wirkung war nachhaltig. Sie waren die legitimen Vorläufer des Pietismus in der Zeit des Geheimprotestantismus Kärntens.

In den Untergrund gedrängt, mussten alle Auseinandersetzungen über das Bekenntnis schweigen. Somit kam es niemals zu einem eigenen österreichischen Bekenntnis oder einer starren Orthodoxie. Den Auseinandersetzungen wurde durch die Maßnahmen der Gegenreformation ein Ende gesetzt. Die Geheimprotestanten konnten unter den geringen Möglichkeiten ihres Gemeindedaseins an einem ausgeweiteten Bekenntnis kein Interesse haben. Was ihnen blieb, war das Bekenntnis: solus Christus. Genau genommen war es das auf das Äußerste reduzierte Bekenntnis in den Bekenntnisversuchen der strengen Lutheraner. Jedoch wurde es in dem Maße mit Innigkeit des Gefühles erfüllt, als die Ausweitung der Formulierung eingeschränkt werden musste. Ihre Lieder - soweit sie überliefert sind - sind in diesem Sinne alle Bekenntnislieder. Ihr Glaube stand zu allen Zeiten in der Gefahr, sich in der Zwangsemigration, aber auch im Gefängnis und in der Verfolgung bewähren zu müssen.

JOSEPH II. hatte in seinem Toleranzedikt an die reichsrechtliche Stellung der C. A. angeknüpft und dem Westfälischen Frieden gemäß auch den Akatholiken helvetischer Konfession Duldung gewährt. Es war von vornherein nur die Rede von den "Augsburgischen und helvetischen Religionsverwandten". Eine neue Formulierung der C. A. in einer Kirche, in welcher der summus episcopus das Oberhaupt des Reiches war, war deshalb überflüssig. Dies blieb rechtlich gesehen so bis zum Jahre 1961. Im Jahre 1949 erschien die Kirchenverfassung der evangelischen Kirche A. und H. B. (Augsburger und Helvetischen Bekenntnisses) und setzte das Nebeneinander der beiden protestantischen Konfessionen als längst geübten Gebrauch im Miteinanderleben beider Konfessionen in einer verwaltungsmäßigen Einheit fort. Über die verwaltungsmäßige Einheit hinaus hat sie in ökumenischer Weite auch ein Rahmenbekenntnis für beide protestantischen Konfessionen gesetzt, welches weder eine Union zwischen beiden noch eine lediglich verwaltungsmäßige Einheit darstellen soll. Diese Bekenntnis-Präambel ist ein Novum und kann nur unter Berücksichtigung ihres ökumenischen Charakters verstanden werden. Weil gerade unserer evangelischen Kirche in Österreich als Diasporakirche die Enge einer Konfessionskirche wie auch letzte lokale Abart eines "österreichischen Bekenntnisses" erspart blieben, hingegen aber die Feuerproben des Geheimprotestantismus und der geduldeten Kirche geschenkt wurden, kann diese Kirche wie keine andere die Notwendigkeit ökumenischen Denkens, Handelns und Bekennens verstehen. So ist es nicht von ungefähr, dass der österreichische Staat unserer evangelischen Kirche im Bundesgesetz vom 6. Juli 1961 über äußere Rechtsverhältnisse der Evangelischen Kirche - kurz Protestantengesetz genannt - im § 2 die Freiheit ökumenischer Arbeit gewährleistet.

Bevor wir einen Blick mit Hilfe der frömmigkeitsgeschichtlichen Methode in die Geschichte unserer Kirche tun, wollen wir diese Methode selbst kurz betrachten.

Hat die kirchengeschichtliche Forschung in den letzten 100 Jahren hauptsächlich nach dem Was und Wie evangelischer Vergangenheit gefragt und dabei eine unendliche Menge an Material zu Tage gefördert, wie auch bisher vollkommen unbekannte Zusammenhänge aufgedeckt, so dürfte es jetzt an der Zeit sein, das erbrachte Material auf sein religiöses Zeugnis hin zu untersuchen und dadurch frömmigkeitsgeschichtliche Zusammenhänge klarzulegen. Wenn man innerhalb der kirchengeschichtlichen Arbeit der Meinung ist, dass sie dieselbe Methode verlangt, wie die der Profanhistorie, so kann das bei der Erforschung der Frömmigkeitsgeschichte nicht mehr zutreffen. Es kann in der christlichen Frömmigkeit doch wohl nur ein Ziel geben: Christus, der Gekreuzigte und Auferstandene. Er selbst, seine Gegenwart, seine Wirkung auf den Gläubigen, die Antwort des Gläubigen auf das Wirken des lebendigen Herrn in seinem Leben ist Gegenstand der Aussage und der Entscheidungen des Gläubigen in seiner Gemeinde, ist kurz genannt sein Glaubenszeugnis. Ein solches Glaubenszeugnis innerhalb des erbrachten Materials abzuhören, es zu bewerten und in den Rahmen der ecclesia semper vivans hineinzustellen, vermag nur ein ebenfalls christusgläubiges Gemeindeglied. Nur so kann eine genuine Methode gewonnen werden; nur auf diese Weise ist der Zugang zum Gehalt des Zeugnisses erschlossen. Verlangt die Historie zu ihrem Verständnis einen sogenannten historischen Sinn, so verlangen Glaubenszeugnisse und frömmigkeitsgeschichtliche Zusammenhänge zu ihrem Verständnis Glauben und Frömmigkeit (1. Kor. 2). Dass man die Methoden der historischen Wissenschaft als selbstverständliche Voraussetzung dabei nicht entbehren kann, braucht wohl nicht erst gesagt zu werden.

Als ein festes Kriterium dafür, was als echtes Zeugnis zu gelten hat, ist die Nähe zum Jesus des Neuen Testamentes zu nennen. Je konkreter hier von Jesus geredet wird und zu Jesus geredet wird, desto zuverlässiger ist von echter Christusfrömmigkeit zu reden. In erstaunlich eindeutiger Weise sprechen da die handgeschriebenen Gesangbücher aus der Verfolgungszeit zu uns. Nie wird der Abstand zu Christus durch mystisches Verhalten verwischt. Das Gegenüber der Heiligkeit wird nicht aufgehoben, noch wird es banalisiert durch verharmlosende Deminution. Gott bleibt Gott. So wird man in den Gebeten auch keine banalen Wendungen und Bitten finden, da die Gebete dieser Zeit meistens aus einer gewaltigen Umgebung von Kreuz, Leid und Martyrium gesprochen wurden.

Nach diesen wenigen methodologischen Worten soll noch ein Blick in die evangelische Vergangenheit unserer Kirche folgen, wie sie sich in den erhaltenen Glaubenszeugnissen darbietet.

Es ist im allgemeinen üblich gewesen, den Anfang und das Ausgreifen der Reformation in unseren Ländern auf dem dunklen Hintergrund des Verfalles der römisch-katholischen Kirche und Geistlichkeit darzustellen. Gewiss ist solcher Verfall da und hat seine bestimmenden Wirkungen ausgeübt. Aber ebenso ist es gewiss, dass die Frömmigkeit des Volkes, zumal der Bauernschaft, aber auch des Bürgertums nicht in dem Maße erstorben war, wie man es im Hinblick auf den Zustand der höheren Geistlichkeit hätte erwarten können.

Aus den Reisetagebüchern des PAOLO SANTONINO, die er in der Begleitung des Patriarchen von Aquileja 1485 bis 1487 im Lande südlich der Drau schrieb, ist zu entnehmen, dass trotz der Türkeneinfälle die Frömmigkeit der Bevölkerung dieses Gebietes nach wie vor ungebrochen war. Aus einer anderen Quelle ist zu entnehmen, dass noch kurz vor Einzug der neuen Lehre in dem kleinen Städtchen Gmünd/Liesertal für elf Geistliche von der Bruderschaft der Unterhalt durch Stiftungen und Spenden bestritten wurde.

Via negationis ist der beispiellose Erfolg der Reformation in unseren Ländern nicht zu erschließen. Aber auch die sozialrevolutionären Elemente, die ihren Auftrieb aus der drückenden sozialen Lage nahmen und sich anfangs unter die Träger reformatorischer Gedanken mischte, haben die erstaunliche Wirkung der reformatorischen Botschaft nicht hervorgebracht. Genaue Untersuchungen darüber, wie ganze Gemeinden ihren bisher römisch-katholischen Priester bestürmten, nunmehr das Wort Gottes lauter und rein zu verkündigen, haben eindeutig erwiesen, dass hinter dem Erfolg dieser Botschaft die Viva vox evangelii stand, also die Stimme des guten Hirten, die sich die Herzen der bisher ungebrochen frommen Menschen gewonnen hat. Mit anderen Worten, die Reformation trat in unseren Ländern, meist beim Bauernstand, aber auch im Bürgerstand durchaus als Erweckungsbewegung auf, wenn man auch damals diesen Begriff noch nicht kannte. Man kann für diese Behauptung sehr konkrete Beispiele aufzeigen, wenn man sie daraufhin untersucht. Was nicht die Gegenreformation durch Druck und Auswanderung beseitigt hat, bildete die Brücke solchen erweckten Christentums durch den Geheimprotestantismus hindurch bis zu den Akatholiken zu JOSEPHS II. Zeiten. Man könnte also sagen, dass die Geschichte unserer evangelischen Kirche in Österreich, wenn auch zeitweise auf kleine Wurzelgebiete reduziert, die Geschichte eines sehr intensiven, entschiedenen und erweckten Christentums ist. Von dieser Substanz lebte man in unserer Kirche bis zum Ende des vergangenen Jahrhunderts.

Die frömmigkeitsgeschichtliche Methode hat sich bereits bewährt, indem mitten im Oberkärntner Wurzelgebiet unserer Kirche ein Diözesanmuseum errichtet werden konnte. Dort wurden die Glaubenszeugnisse dieses Gebietes gesammelt und auf Grund bestimmter Vergleiche, wie auch auf Grund des Studiums der Eintragungen in diese Druckwerke bestimmte Schlüsse gezogen. Dort sind auch die einmaligen Zeugnisse der handgeschriebenen Gesangbücher und Gebetbücher vorhanden, in denen zum Teil eigene religiöse Dichtungen der Geheimprotestanten aufgezeichnet sind. Sie sind in aller Entschiedenheit auf Christus, den Erlöser, ausgerichtet.

Wenn sich in der Toleranzkirche solche Entschiedenheit auch nicht mehr an Auswanderung, Verfolgung und Gefängnis zu bewähren hatte, so hatte sie sich infolge der beschränkenden Toleranzgesetzgebung an den unverhältnismäßig hohen Opfern zu bewähren, die von den ersten Gemeinden unserer Kirche nach 1781 verlangt wurden. Ein derartiges Maß an finanziellen und materiellen Opfern könnte heute kaum noch in unserer Kirche verlangt werden. In den Schichten des neu hinzugekommenen Bürgertums und der Arbeiterschaft im 19. und 20. Jahrhundert ist dieser Geist kaum mehr zu finden. Wie weit er wieder Einzug halten wird, wird für die Konsistenz unserer Kirche entscheidend sein. Größere finanzielle Opfer wie auch solche des Lebenseinsatzes können aber auch in unserer Zeit nur von denen gegeben werden, die unter der Führung des lebendigen Herrn stehen. Von einer lediglich auf die rechte Lehre ausgerichteten Kirche kann solches Leben kaum erwartet werden, wenn nicht der lebendige Herr unserer Kirche zur rechten Lehre neues Leben schenkt. Anzeichen sind in manchen Gemeinden und in den Werken unserer Kirche zu spüren. Neben allen anderen Aufgaben, die unsere Kirche in Österreich zu erfüllen hat, wäre darum auch diese Aufgabe, zu erkennen, dass sie als Kirche des lebendigmachenden Gotteswortes neben der römischen Kirche als einer heilsvermittelnden Rechtsinstitution stehe. Wir würden uns damit als die rechten Erben unserer 400jährigen Vergangenheit ausweisen.

Obwohl die evangelische Kirche in Österreich mit nur etwas mehr als 5% gegenüber der mit 74% vertretenen römisch-katholischen Kirche eine Minderheit darstellt2), hat sie in diesem Raum dennoch eine einzigartige Bedeutung. Einmal stellt sie durch Jahrhunderte hindurch ein einigendes Band zwischen den einzelnen mehrsprachigen Ländern der Donaumonarchie dar, welches durch das besondere Schicksal der Verfolgung und des Leides, damit aber auch eines unerhörten Bekennermutes gekennzeichnet war. Zum anderen wurde durch sie in diesem genannten Raum in eindeutiger Weise in den Jahrhunderten nach der Reformation die Stimme der Bibel unüberhörbar zur Geltung gebracht. An der Neubesinnung der römisch-katholischen Kirche im II. Vatikanischen Konzil mag darum auch der Protestantismus im Donauraum mitbeteiligt sein.

Wort Gottes und Antwort des Christenmenschen im Gebet wie im leiblichen Zeugnis hat sich auch in den extremen Notzeiten der Unterdrückung bewährt und damit ein für allemal in diesem Raum jede Überbewertung der institutionalisierten Kirche und damit auch des beamteten Geistlichen für alle Zeit ausgeschlossen. Ein Freiheitsraum im Rahmen religiösen Lebens wurde damit erkämpft, der sich nicht nur gegenüber jeder Klerikalisierung, sondern auch jeder Ideologisierung und Politisierung menschlichen Lebens bewährt. Dies darf heute deutlich angesichts der Grenzposition Österreichs gesagt werden.

1) Der Artikel erschien 1972.
2) Die Zahlen von der Redaktion der IVZ aktualisiert und stammen aus dem Jahre 2001.

mit freundlicher Genehmigung des Autors

Sakrausky Oskar, der österreichische Protestantismus: Religion und Kirche in Österreich, Hrsg. v. Institut für Österreichkunde, Wien 1972, 63-78

Mag. Oskar Sakrausky ist em. Bischof A.B. und ehem. Vorsitzender des Evangelischen Oberkirchenrates A. u. H. B. in Wien

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