"Kritik schadet Muslimen nicht"

Islamunterricht. Ednan Aslan, Professor für Religionspädagogik, sieht enormen Reformbedarf.
MARIA ZIMMERMANN

Die Doktorarbeit des arabisch-stämmigen Religionssoziologen Mouhanad Khorchide hat ein alarmierendes Demokratiedefizit bei den islamischen Religionslehrern in Österreich aufgezeigt. Die SN sprachen mit Ednan Aslan, Professor für islamische Religionspädagogik an der Universität Wien, über diese gefährliche Schieflage.



Zur Person
Universitätsprofessor und Vertreter des säkularen Islam
Ednan Aslan ist 1959 in der Türkei geboren und seit zwei Jahren Universitätsprofessor für Islamische Religionspädagogik am Institut für Bildungswissenschaften der Universität Wien, wo islamische Religionslehrer für Höhere Schulen ausgebildet werden. Er selbst promovierte 1996 zum Thema der religiösen Erziehung der muslimischen Kinder in Österreich und Deutschland. Aslan sieht die Säkularisierung nicht als Bedrohung, sondern als Überlebenschance des Islam. Er hält es für entscheidend, dass auch Imame in Österreich ausgebildet und nicht "importiert" werden.

SN: Wie kann es sein, dass mehr als ein Fünftel der islamischen Religionslehrer in Österreich ein Problem mit der Demokratie hat?

ASLAN: Dafür gibt es zwei Gründe. Einmal die so genannten Altlasten: Viele Kollegen, die in den 80er Jahren (seit 1982/83 gibt es an Schulen islamischen Religionsunterricht, Anm.) aus der Türkei, Ägypten oder anderen Ländern geholt wurden, haben Einstellungen, die nicht europa- und demokratiekonform sind. Zweitens sollte die Theologie, die an der Islamischen Religionspädagogischen Akademie (seit 1998 Ausbildungsstätte der Religionslehrer, Anm.) gelehrt wird, reflektiert werden. Entspricht die Theologie des 8. und 9. Jahrhunderts den Herausforderungen der Gegenwart? Natürlich soll sie gelehrt werden. Aber wenn wir das ewig unverändert inhalieren, sind wir nicht in der Lage, kritisch zu hinterfragen.

SN: Die Lehre ist also veraltet?

ASLAN: Ja. Wir müssen daran arbeiten, dass die Theologie mehr der Gegenwart entspricht, sonst wird der Abstand zur Wirklichkeit immer größer. Dann kann die Theologie keine Früchte für die Integration tragen. Dann ist sie ein Hindernis für die Integration in Europa. Da haben die Muslime noch einiges zu tun. In dem Fall ist die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ) aber nur ein Teil des Diskurses, auch die Hochschule allein kann das nicht lösen. Es braucht einen innerislamischen Gesamtdiskurs, der von der Glaubensgemeinschaft organisiert und gestaltet wird. Nur so werden wir langfristig profitieren. Dadurch wird nicht nur der Religionsunterricht besser.

SN: Warum lässt es die IGGiÖ zu, dass nur 30 Prozent der Islamlehrer eine Ausbildung nach europäischen Standards hat? Sie entscheidet doch, wer Lehrer wird.

ASLAN: Das hat viele Gründe. Wir haben 400 Religionslehrer. Ein Großteil, mehr als 60 Prozent, unterrichtet seit den 80er Jahren. Es gibt noch nicht so viele Kolleginnen und Kollegen, die über die Hochschule und die Uni ausgebildet sind. Und wir haben generell Personalmangel in Europa. Es ist nicht einfach, muslimische Religionspädagogen zu finden. Also entweder wir importieren sie oder wir bilden sie hieraus. Die Ausbildung in Europa ist aber noch jung. Deshalb gibt es einen Mangel an qualifizierten Leuten. Übrigens auch bei den Imamen.

SN: Also werden Religionslehrer mit offensichtlichem Demokratiedefizit auf die Kinder losgelassen?

ASLAN: Ich würde nicht losgelassen sagen. Wichtig ist, dass wir Bildungsstandards entwickeln, die uns ermöglichen, die Ergebnisse des Religionsunterrichts zu messen. Die Fachinspektoren der Glaubensgemeinschaft haben dann die Aufgabe zu beaufsichtigen, ob der Unterricht den Bildungsstandards entspricht. So kann man die Einstellung der Lehrerinnen und Lehrer zu Demokratie, Gesellschaft, aber auch zur Theologie messen. Wir können nicht das Denken der Lehrer kontrollieren, aber an den Ergebnissen kann man es messen und daraus Konsequenzen ziehen. Das wäre dringend erforderlich.

"Die Studie als Verrat zu betrachten, hilft uns bestimmt nicht."
Ednan Aslan, Universität Wien

SN: Sie waren selbst Fachinspektor. Haben Sie die Ergebnisse der Studie überrascht?

ASLAN: Nein. Und es ist gut für die Glaubensgemeinschaft, wenn sie diese Fakten zur Kenntnis nimmt. Manchmal tut Wissenschaft eben weh. Aber sich in die Opferrolle zu begeben, alles zu verleugnen und die Studie als Verrat zu betrachten, hilft uns bestimmt nicht.

SN: Ist das denn so?

ASLAN: Muslime und Migranten sehen sich oft als Opfer. Aus dieser Rolle müssen wir uns befreien und Lehren aus der Studie ziehen. Wir müssen uns fragen: Entsprechen die Ergebnisse der Wirklichkeit? Braucht es mehr Kontrollen? Ich werde mich damit auseinandersetzen und Empfehlungen abgeben. Es ist auch gut, das Thema öffentlich darzustellen. Das tut weh, hilft aber langfristig. Kritik schadet uns Muslimen nicht.

SN: Der Lehrplan stammt aus 1982. Demnach werden also noch islamische Gesetzgebung und islamischer Staat unterrichtet?

ASLAN: Leider ja. Den Lehrplan muss man überarbeiten. Die Glaubensgemeinschaft weiß das auch. Wir haben den Auftrag der Glaubensgemeinschaft, die Lehrpläne für die höheren Schulen zu überarbeiten.

SN: Besteht die Gefahr, dass die Hardliner in der Glaubensgemeinschaft an Einfluss gewinnen?

ASLAN: Die Gefahr besteht. Aber wir Reformfreudigen müssen darauf achten, dass sich etwas ändert. Das kann man nur von innen. Es ist daher wichtig, dass jene, die sich für einen europäisch geprägten Islam einsetzen, in der Glaubensgemeinschaft bleiben. Das ist meine Hoffnung.

Quelle: Salzburger Nachrichten 29. Jünner 2009, Druckausgabe